Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 444: Kapteyns Stern
Heute geht es um Kapteyns Stern. Und der gehört keinem Kapitän; auch mit Captain Kirk oder Captain Picard hat das alles nichts zu tun. Sondern mit der Suche nach dem Aufbau des Universums, kollidierenden Galaxien und uralten Planeten. Und ja, ein Kapitän kommt auch vor. Irgendwie zumindest – nämlich Jacobus Cornelius Kapteyn. Das war ein niederländischer Astronom, der am 19. Januar 1851 geboren wurde und sich darauf spezialisiert hatte, fotografische Aufnahmen des Sternenhimmels zu analysieren. Diese Technik der Astrofotografie war auch gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch recht neu, aber es war klar, was für ein Potenzial in ihr steckt. Man konnte viel mehr Sterne viel genauer beobachten als früher, als man noch selbst durchs Teleskop schauen und alles händisch aufzeichnen musste.
Kapteyn hat zwar an der Universität Groningen in den Niederlanden gearbeitet, sich aber vor allem mit den Sternen des südlichen Himmels beschäftigt. Und zwar mit den Aufnahmen, die der englische Astronom David Gill zwischen 1885 und 1890 an der Sternwarte von Kapstadt gemacht hatte. 10 Jahre lang arbeitete Kapteyn an diesen Bildern und das Resultat war der 454.875 Sterne umfassende Katalog der „Cape Photographic Durchmusterung“ (und wer sich über das deutsche Wort in diesem englischen Titel wundert, sollte noch einmal Folge 441 hören). Wer so eine Aufgabe angeht, sollte sich darauf einstellen, sehr genau zu arbeiten. Und Kapteyn war genau: Er verglich die neuen fotografischen Aufnahmen des Südhimmels mit früheren Messungen und Katalogen. Und entdeckte dabei auf einer Karte von 1873 einen Stern, der auf den aktuellen Bildern fehlte. Das war merkwürdig, denn eigentlich verschwinden Sterne nicht so ohne weiteres vom Himmel.
Robert Innes, ein schottischer Astronom der als Assistent von Gill in Kapstadt arbeitete, fand dann aber auf den neuen Bildern einen Stern, der ein Stück abseits der Position des verschwundenen Objekts war. Seine Hypothese: Der Stern ist gar nicht verschwunden; er hat sich nur überraschend schnell bewegt. Und in den paar Jahren, die zwischen der alten und der neuen Beobachtungen lagen, hat er sich weiter bewegt, als die übrigen Sterne das am Himmel tun. Diese Hypothese wurde bestätigt und der Stern bekam den Namen „Kapteyns Stern“. Was eigentlich ziemlich ungerecht ist, denn „Innes‘ Stern“ wäre angesichts der Umstände viel passender gewesen. Oder zumindest „Kapteyn Innes‘ Stern“. Aber dann hätten vielleicht alle geglaubt, irgendein Kapitän Innes hätte das Ding entdeckt… So oder so – der Stern heißt jetzt nun mal, wie er heißt.
Bevor wir uns seinem Stern widmen, schauen wir aber kurz noch, was Herr Kapteyn sonst noch so getrieben hat. Unter anderem wollte er mehr über die Eigenbewegung der Sterne am Himmel herausfinden. Also die Bewegung, die so ein Stern tatsächlich und real durch den Weltraum absolviert. Man hatte im Laufe der Zeit immer wieder Sterne entdeckt, die ihre Position am Himmel verändert haben. Aber das waren immer nur sehr kleine Abweichungen, ohne Teleskop schwer zu messen und ohne genaue fotografische Daten zum Vergleich so gut wie gar nicht. Aber Kapteyn hatte ja jede Menge Aufnahmen und konnte sehr viele Sternbewegungen analysieren. Und entdeckte dabei, dass sie sich im großen und ganzen nicht völlig zufällig bewegen, sondern eine gemeinsame Drehung beschreiben. Oder anders gesagt: Die Milchstraße rotiert! Das hatte man theoretisch schon vorhergesagt; Kapteyn war aber der erste, der es auch konkret durch Beobachtungsdaten nachweisen konnte.
Obwohl man damals noch nicht wusste, dass es „unsere Galaxie“ ist, die rotiert. Wir befinden uns immer noch in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts; die großen Entdeckungen von Edwin Hubble & Co liegen noch in der Zukunft. Man stritt immer noch darüber, ob die Sterne, die wir am Himmel sehen können, ALLES darstellen, was es im Universum gibt. Beziehungsweise, ob unsere Milchstraße, also die Ansammlung all der Sterne am Himmel, identisch mit dem Universum ist oder ob die nebligen Flecken, die man auch am Himmel sehen könnte, andere gigantische Sternensysteme sind, nur viel, viel weiter entfernt. Heute wissen wir: Unsere Milchstraße ist nur eine von unzähligen Galaxien im Universum, die durch gigantische Leerräume voneinander getrennt sind. Kapteyn jedenfalls tat sein bestes, mit den vorhandenen Daten das herauszufinden, was sich damit herausfinden ließ. Aus den Positionen und Entfernungen die er aus den Fotografien ableiten konnte, probierte er ein Modell der Galaxie oder eben – aus damaliger Sicht – ein Modell des Universums abzuleiten. Er kam zu dem Ergebnis, dass sich die bekannten Sterne in einer Art Scheibe von circa 40.000 Lichtjahre Durchmesser anordnen, von deren Zentrum die Sonne etwa 2000 Lichtjahre entfernt ist.
Was aus heutiger Sicht falsch ist, aber auch irgendwie richtig. Denn die Milchstraße IST eine Scheibe und die Sonne befindet sich NICHT in ihrem Zentrum. Auch das war damals umstritten; es gab durchaus auch die Auffassung, dass wir uns im Mittelpunkt aller sichtbaren Sterne befinden. Kapteyns Modell hat der Realität sehr viel besser entsprochen, nur die Größen und Abstände passten nicht. In Wahrheit ist die Milchstraße ungefähr 100.000 Lichtjahre groß und die Sonne ungefähr 26.000 Lichtjahre vom Zentrum entfernt. Kapteyn wusste damals noch nichts über das interstellare Medium, also all das Gas und den Staub und das andere Material das man zwischen den Sternen finden kann und das das Licht der Sterne abschwächt. Das muss man aber berücksichtigen, wenn man Entfernungen richtig berechnen will.
Kapteyns Forschung über die Bewegung der Sterne war auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung. Womit wir wieder bei dem Stern sind, der heute seinen Namen trägt. Man war überrascht, wie schnell er sich am Himmel bewegt. Zum damaligen Zeitpunkt war kein anderer mit einer größeren Eigenbewegung bekannt. Sowas ist immer ein Anzeichen dafür, dass ein Stern der Sonne vergleichsweise nahe ist. Denn bewegen tun sich alle Sterne; bei denen die uns nahe sind, sieht man das aber am Himmel viel deutlicher. Heute wissen wir, dass sich Kapteyns Stern 12,83 Lichtjahre von der Sonne entfernt befindet. Damit landet er auf Platz 24 der uns nächstgelegenen Sterne und er wird im Ranking im Laufe der Zeit weiter nach hinten rutschen. Seine größte Annäherung an uns liegt nämlich schon knapp 11.000 Jahre zurück; damals betrug der Abstand zur Sonne nur 7 Lichtjahre. Seitdem entfernt er sich immer weiter von uns. Das ist aber noch längst nicht alles, was diesen Stern außergewöhnlich macht. Zum einen fährt er quasi gegen die Einbahn: Er umrundet das Zentrum der Milchstraße „retrograd“, also entgegen der Richtung, in der das die allermeisten anderen Sterne tun. Das liegt an seiner Herkunft: Kapteyns Stern ist ein sogenannter „Halo-Stern“.
Ich habe vorhin erzählt, dass die Milchstraße im Prinzip eine große Scheibe aus Sternen ist. Das stimmt auch. Aber diese Scheibe ist von einem „Halo“ umgeben. Das ist ein kugelförmiger Bereich der die Scheibe umgibt und wo man vor allem Kugelsternhaufen findet. Und alte Sterne, die sich nicht um die Gepflogenheiten der Scheibe kümmern und einfach irgendwie um das Zentrum kreisen. Was man dort auch findet, sind Sternströme. Darüber habe ich in Folge 177 ja schon ausführlich gesprochen: Kurz gesagt handelt es sich dabei um Überreste fremder Galaxien. Wenn eine kleine Zwerggalaxie in die Nähe einer großen Galaxie wie unserer Milchstraße kommt, dann verschmelzen beide. Oder besser gesagt: Die große Milchstraße reißt die Sterne der kleinen Galaxie mit ihrer Gravitationskraft auseinander. Im Laufe der Zeit verteilen sie sich dann in der Milchstraße, bilden aber währenddessen noch Sternströme. Also Sterne, die sich alle mit ungefähr der gleichen Geschwindigkeit in die gleiche Richtung bewegen.
Kapteyns Stern gehört genau zu so einer Gruppe und man geht davon aus, dass sie aus dem Kugelsternhaufen „Omega Centauri“ stammen. Und der wiederum ist vermutlich das übrig gebliebene Zentrum einer Zwerggalaxie, die vor langer Zeit von der Milchstraße eingefangen und „aufgefressen“ wurde. Durch die gravitative Wechselwirkung wurden Sterne aus den äußeren Regionen heraus gerissen und das ist auch Kapteyns Stern passiert. Damit erklärt sich auch sein hohes Alter: Man schätzt ihn auf knapp 12 Milliarden Jahre. Kapteyns Stern ist nicht nur der uns nächstgelegene Halo-Stern; er ist vermutlich auch der uns nächstgelegene Stern, der nicht in der Milchstraße sondern einer anderen Galaxie entstanden ist!
Das ist natürlich auch einer der Gründe, warum er seit seiner Entdeckung immer wieder erforscht worden ist. Und das eine oder andere wird man dort sicher noch finden. Kapteyns Stern ist ein roter Zwergstern, der nur knapp 40 Prozent der Masse unserer Sonne hat und nur ein tausendstel mal so hell leuchtet wie sie. Man braucht also auf jeden Fall ein Teleskop, wenn man ihn sehen will und sollte das dann im Süden aufstellen. Irgendwo auf der Südhalbkugel oder zumindest im nördlichen Afrika oder im Süden von Europa. Die Teleskope, die Kapteyns Stern im Jahr 2014 ein weiteres Mal in die Medien brachten, standen in Chile und Hawaii. Und damit wollte man zwei Planeten entdeckt haben, die den Stern umkreisen. Einer davon mit der 7fachen Masse der Erde, der anderen mit circa der fünffachen Masse unseres Planeten. Der äußere von beiden ist zu weit vom schwach leuchtenden Stern entfernt um auf seiner Oberfläche halbwegs lebensfreundliche Temperaturen zu haben. Er ist auch so massereich, dass man gar nicht sicher sagen kann, ob er überhaupt eine echte Oberfläche hat oder ob es sich eher um einen Eisriesenplaneten wie Uranus oder Neptun handelt. Aber der kleinere, innere Planet ist dem roten Zwerg nahe genug, dass es dort vielleicht lebensfreundliche Temperaturen geben könnte. Sofern die beiden Himmelskörper wirklich existieren. Weitere Beobachtungen haben nämlich Zweifel an der Entdeckung aufgeworfen.
Aber wenn es wirklich Planeten gibt, die Kapteyns Stern umkreisen, dann wären das sehr außergewöhnliche Forschungsobjekte. Planeten, die deutlich älter sind als alle die, die wir bis jetzt gefunden haben. Planeten, die nicht in unserer Milchstraße entstanden sind, sondern weit draußen in einer anderen Galaxie. Wer weiß… vielleicht besucht irgendwann in ferner Zukunft ja tatsächlich mal ein „Captain“ eines Raumschiffs diesen außergewöhnlichen Stern um dort nach dem Rechten zu sehen.
Jetzt muss ich mich als Holländer doch mal zur Aussprache von „Kapteyn“ melden.
Das ‚y‘ ist eine alte Form, heute würde man ein ‚i‘ verwenden. Das Holländische Wort ist heute „Kapitein“, Deutsch Kapitän.
Dann wirklich zur Aussprache: ‚Kap-‚ wird wie auf Deutsch gesprochen („Kap der guten Hoffnung“). Und ‚-teyn‘ reimt ungefähr mit dem Deutschen Verb „sein“.
Und zum Schluss: Die Betonung liegt auf der zweiten Silbe, ‚-teyn‘, nicht wie im Englischen ‚captain‘.
Wollte ich nur mal kurz loswerden. Danke für den Podcast (trotzdem 😀 )!
Johan
@Johan: Danke für die Hinweise! Ich werde sie in Zukunft berücksichtigen.
Raffiniert! 😉
Trifft es deswegen zu, daß Du den pocast gehört hast? Ich les ja nur… Das ‚y‘ ist zwar antiquiert, doch die modernere Variante Kaptein ist auch heute noch in deutschem Dauergebrauch.
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Kurz und spannend geschrieben. Herr Freistetter ihre literarischen Fähigkeiten befähigen Sie zu Höherem.
Wirklich raffiniert Herr Freistetter 😉 Hatte mir die Sternengeschichte mit der Bonner Durchmusterung nicht angehört, weil ich dachte: Ach nee klingt öde. Dank dieser Sternengeschichte und den raffinierten Einschub hab ich mir die Folge nun doch noch angehört und ich muss sagen, dass das Thema alles andere als Öde und Langweilig war, sondern interessant und lehrreich.
Genau wie diese Folge hier natürlich. Es hätte aber durchaus etwas länger über den Stern an sich erzählt werden können.