Das neue Jahr fängt gut an. Alle hoffen auf ein Ende der Corona-Pandemie und was melden die Medien am 1.1.2021? „Asteroid so groß wie Zwergplanet versteckt sich im Sonnensystem“. Ein (zwerg)planetengroßer Asteroid der sich versteckt! Das klingt potenziell bedrohlich. Bei Asteroiden, besonders bei den ganz großen, wollen wir gefälligst wissen wo sie sich rumtreiben! Nicht dass die plötzlich aus ihrem Versteck auftauchen und auf der Erde einschlagen. Was bei einem Objekt das so groß wie ein Zwerplanet ist, also einen Durchmesser von um die 1000 Kilometer hat, mit absoluter Sicherheit zur Auslöschung der Menschheit führen würde. Solche Nachrichten zu Jahresbeginn machen keine gute Laune. Zumindest dann nicht, wenn sie richtig wären. Sind sie aber natürlich nicht, sonst würden sie ja auch nicht in meiner Serie „Schlechte Schlagzeilen“ auftauchen.
Die Nachricht über den versteckten Riesenasteroid hat das Internetportal futurezone.at veröffentlicht. Und nein, das ist kein Tippfehler. Normalerweise tauchen hier in dieser Serie ja sehr viele Artikel von futurezone.de auf. Diese ClickBait-Schleuder mit der .de-Endung teilt sich zwar den Namen mit dem Gegenstück aus Österreich, hat aber ansonsten nichts damit zu tun. Die österreichische Futurezone ist mir bis jetzt auch noch nie als Quelle schlechter Schlagzeilen aufgefallen; dort findet man normalerweise recht gute Texte über Wissenschaft (und andere Themen). Aber einmal ist offensichtlich immer das erste Mal. In dem Fall ist es auch nicht so, dass die Schlagzeile zwar ein wenig „drüber“ ist, das Thema im Rest des Artikels aber korrekt eingeordnet und dargestellt wird. Im Untertitel wird verkündet „Der noch unentdeckte Asteroid hat einen Durchmesser von bis zu 1.800 Kilometern“ und der Text beginnt mit dem Absatz: „Ein Meteoriten-Einschlag auf der Erde liefert neue Erkenntnisse. Eine Untersuchung hat ergeben, dass es sich dabei um Bruchstücke eines riesigen Asteroiden handeln könnte. Dieser ist in unserem Sonnensystem und wurde bisher noch nicht entdeckt.“
Das alles legt ziemlich deutlich nahe, dass da draußen im Sonnensystem ein enorm großes Objekt seine Runden zieht und wir keine Ahnung davon haben wo es sich rumtreibt. Was nicht stimmt. Es wird mit Sicherheit Asteroiden und vielleicht sogar ganze Planeten geben die wir noch nicht entdeckt haben. Aber die können nur enorm weit von der Sonne entfernt sein, irgendwo in den alleräußersten Regionen des Sonnensystems. Ansonsten hätten wir sie schon längst gefunden. Das aber aus diesen fernen Regionen irgendwas kommt und auf der Erde einschlägt ist extrem unwahrscheinlich.
Dass es sich bei dem „versteckten“ Asteroid um ein Objekt aus der Peripherie des Sonnensystems handelt kann man aber sehr leicht ausschließen wenn man sich die Forschungsarbeit ansieht auf der das ganze basiert. Die heißt „Meteoritic evidence for a Ceres-sized water-rich carbonaceous chondrite parent asteroid“ und ist leider nicht frei verfügbar (und wenn ihr sie lesen wollt kann ich euch nur raten die entsprechenden Gebühren dafür zu bezahlen denn es wäre moralisch natürlich absolut nicht tragbar es anders zu machen). Darin ist ziemlich klar erklärt worum es geht: Im Jahr 2008 kollidierte ein kleiner Asteroid mit der Erde. Das war insofern außergewöhnlich als man dieses Ereignis nicht nur tatsächlich vorhersagen konnte sondern danach auch Bruchstücke des Asteroiden auf der Erde finden konnte. Genau so einen Meteorit haben Vicky Hamilton vom Southwest Research Institute in Boulder und ihr Team untersucht. Darin haben sie Amphibole gefunden. Das sind Silikate die sich nur unter bestimmten Bedingungen bilden können. Auf die mineralogischen Details will ich gar nicht eingehen. Aber die Struktur der Amphibole haben Hamilton & Co auf jeden Fall gezeigt dass sie sich in dieser Form nur bei bestimmten Temperaturen, Drücken und während eines ausreichend langen Zeitraums gebildet haben und zwar unter Anwesenheit von Wasser. Der Asteroid der 2008 auf der Erde einschlug und von dem der untersuchte Meteorite stammt war circa 4 Meter groß. So ein winziger Felsbrocken bietet definitiv nicht die Bedingungen die nötig gewesen wären um die Amphibole zu bilden.
Das bedeutet, dass der Asteroid selbst nur ein Bruchstück eines größeren Objekts gewesen sein muss. Wie groß, dass haben Hamilton und ihr Team anhand der mineralogischen Daten abgeschätzt: Der Durchmesser muss zwischen 640 und 1800 Kilometern liegen. Was ein großes Intervall ist – aber definitiv in der gleichen Größenordnung liegt wie der Durchmesser des Asteroiden/Zwergplaneten Ceres (946 Kilometer). Und Ceres ist das größte bekannte Asteroid in der Nähe der Erde; der größte Asteroid im Asteroidengürtel zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter. Ceres selbst passt als Ursprungsobjekt aber nicht – haben wir also doch einen weiteren großen Asteroiden im Sonnensystem übersehen?
Nein. Wir haben Raumsonden durch den Asteroidengürtel geschickt; wir haben Teleskope die viel kleinere Asteroiden im viel ferneren Kuipergürtel (hinter der Umlaufbahn des Neptun) entdecken. Ein nahes, ceres-großes Objekt kann unmöglich unentdeckt geblieben sein. Es hat aber auch niemand – von der Futurezone abgesehen – behauptet, dass es da noch was zu entdecken gibt. In der Forschungsarbeit schreiben Hamilton et al zum Beispiel: „… that the original parent body of AhS 202 was probably an unknown object, potentially Ceres-sized (~640–1,800 km) in diameter.“. Hier steht „was“, also die Vergangenheitsform. Und in einem Interview mit SyFy Wire erklärt Hamilton explizit: „When we find things like AhS 202 [der Meteorit] that tell us there were once other similarly large bodies that are now gone, that is unexpected.“
Es geht also um ein Objekt das längst nicht mehr existiert. Es geht um einen Asteroiden/Zwergplaneten aus dem frühen Sonnensystem; aus der Zeit in der sich die Planeten erst gebildet haben. Damals war alles viel chaotischer; es gab mehr als nur acht Planeten und es gab auch mehr große Asteroiden. Die Dinger sind miteinander kollidiert, haben sich aus dem Sonnensystem geworfen oder in die Sonne geschleudert. So lange, bis alles wieder ein wenig ruhiger war und sich die verbliebenen Himmelskörper auf ihren heutigen Bahnen eingerichtet haben. Was aber von damals geblieben ist sind Bruchstücke der nicht mehr existenten Objekte; Bruchstücke wie der kleine Asteroid der 2008 mit der Erde kollidiert ist. Und aus solchen Bruchstücken können wir die Vergangenheit des Sonnensystems rekonstruieren! Die Asteroiden sind quasi steinerne Augen mit denen wir einen Blick in die Vergangenheit werfen können. Sie zeigen uns Himmelskörper die schon längst zerstört worden sind und zeigen uns wie das Sonnensystem so geworden ist wie wir es heute sehen. DAS ist die Geschichte um die es geht; nicht irgendwelche Riesenasteroiden die angeblich in dunklen Ecken des Sonnensystems lauern!
Gerade wenn es um Asteroiden geht, liest man in den Medien fast immer nur Nachrichten die mit Zerstörung, Katastrophen, Angst und Panik zu tun haben. Was dem Thema und der Faszination die diesen Objekten innewohnt absolut nicht gerecht wird. Es gibt so viele schöne Geschichten über Asteroiden zu erzählen. Und ich hoffe sehr dass sich futurezone.at in Zukunft wieder auf die übliche Qualität besinnt und genau diese Geschichten erzählt anstatt dubiose Schlagzeilen zu schreiben.
Mehr schlechte Schlagzeilen gibt es hier.
„“Diese ClickBait-Schleuder mit der .de-Endung teilt sich zwar den Namen mit dem Gegenstück aus Österreich, hat aber ansonsten nichts damit zu tun. Die österreichische Futurezone““
siehe hier:
„“und 49,44% WAZ Ausland Holding GmbH, Essen (deren Gesellschafter: indirekt 50,5% Jakob Funke Medien Beteiligungs GmbH & Co. KG, Essen“ „“
Das findet sich mitten in der verwirrenden „Offenlegung“ der futurezone.at .
Futurezone.de scheint 100 % Funke zu sein.