Frohe Feiertage! Ich hoffe ihr hattet alle euren Wünschen entsprechende Feiertage. Und wenn nicht, dann zumindest was gutes zu Lesen. Falls das auch nicht geklappt haben sollte, dann hab ich noch die allmonatlichen Buchempfehlungen für euch. Nicht viel; ich habe nur drei Bücher gelesen. Die ich dafür aber alle empfehlen kann.

Rettet JFK

Die Bücher von Stephen King habe ich vor allem in meiner Jugend viel gelesen; seitdem eher nicht mehr so. Seither habe ich ein wenig den Überblick verloren; der Mann schreibt ja wirklich wie am Fließband. Sein schon etwas älteres Buch „11.22.63“ (auf deutsch „Der Anschlag“) wurde auch als Miniserie verfilmt und da ich es noch nicht kannte, habe ich mal reingeschaut. Und wie so oft bei King nach dem ersten Blick dann bis zum Ende nicht mehr aus der Hand gelegt.

„Der Anschlag“ ist ein untypisches King-Buch und der Originaltitel spezifiziert das Thema: Der 22. November 1963 war der Tag, an dem John F. Kennedy erschoßen wurde. Das Buch beginnt aber in der Gegenwart. Der Englischlehrer Jake Epping wird durch Zufall auf die Existenz eines „Lochs in der Zeit“ gestoßen. Kletter man durch die Rückwand einer Abstellkammer eines Lokals in der Provinzstadt in der er wohnt, dann landet man auf einmal in den USA der späten 1950er Jahre. Jedesmal wieder genau zum selben Zeitpunkt. Und egal wie lange man in der Vergangenheit bleibt; in der Gegenwart vergehen derweil immer nur 2 Minuten. Der Besitzer des Lokals hat diese doch eher überraschende Tatsache als billige Einkaufsquelle genutzt; dann aber beschlossen der Welt etwas gutes zu tun und die Ermordung von JFK zu verhindern. Weil er der Meinung ist, das Überleben von Kennedy würde die ganze Welt zu einem deutlich besseren Ort machen als sie es in der Realität geworden ist. Aber als er das krankheitsbedingt nicht zu Ende führen kann, soll Jake den Job übernehmen.

Mit dem klassischen Horror von King hat dieses Buch wenig zu tun. Stattdessen ist ein extrem exakt und gut recherchiertes Bild des Amerikas in den 1950er/1960er Jahren. Jake muss ja immerhin einige Jahre dort verbringen und leben um seine Aufgabe zu erledigen. Er muss also wirklich tief in die Vergangenheit eintauchen und King erweckt diese Welt sehr anschaulich zum Leben. Dabei ergeht er sich aber nicht (nur) in Nostalgie sondern macht auch die reichlich vorhandenen dunklen Seiten der damaligen Zeit sichtbar. Spoilern werde ich die Handlung jetzt sicherlich nicht. Man wartet die ganze Zeit darauf, ob nicht doch noch irgendwo ein King-Monster um die Ecke springt. Das allerdings passiert nicht – was der Spannung aber nicht abträglich ist. Die Geschichte ist auch so ausreichend packend. Fans von Verschwörungserzählungen werden ebenfalls enttäuscht werden. Die ganzen JFK-Mythen spielen zwar eine Rolle; das Geschichtsbild in Kings Buch entspricht aber sehr exakt der realen Vergangenheit. Wenn man möchte kann man an dem Buch zwei Dinge kritisieren: Den Umfang und das Ende.

King schreibt sehr gerne sehr lange Bücher und meistens müssten sie nicht zwingend so lang sein, wie sie es sind um die Geschichte zu erzählen, die erzählt werden. Da King aber auch sehr packend schreibt, stört die Länge meistens nicht. Das ist auch hier der Fall. Es empfiehlt sich aber bei diesem Wälzer zu einer eBook-Version zu greifen, ansonsten werden einem irgendwann die Arme schwer. Das Ende stört ein klein wenig mehr; aber das ist auch fast schon typisches für King. Nach dem Hyperrealismus des gesamten Buchs biegt es auf den letzten Seiten dann recht abrupt und überraschend in eine seltsame Sci-Fi-Richtung ab, die mehr Fragen aufwirft als sie beantwortet. Das, was King da auf den letzten Seiten erzählt wäre eigentlich ausreichend Material für ein komplett eigenes Buch und müsste deutlich länger erzählt werden, damit das ganze irgendeinen Sinn macht. Aber insgesamt bleibt das Buch absolut empfehlenswert, extrem spannend und unterhaltsam. Und: Falls jemand die Serienverfilmung gesehen habe sollte und deswegen jetzt nicht mehr das Buch lesen will, kann ich die Empfehlung aufrecht erhalten. Auch wenn die Grundhandlung natürlich identisch ist, weichen Buch und Serie doch so stark voneinander ab, dass es kein Problem ist, wenn man eines davon schon kennt.

Ready Player Two

Über das Buch „Ready Player One“ von Ernest Cline habe ich schon vor vier Jahren berichtet. Es war zu Recht ein Bestseller und ein absolutes Nostalgiefest für alle, die so wie ich ihre Kindheit und Jugend in den 1980er Jahren und mit einem der damaligen Computer verbracht haben. Es war zu Recht so extrem erfolgreich wie es überall auf der Welt war und sollte es jemand noch nicht gelesen haben: Holt das nach! Über die Verfilmung des Buches breiten wir am besten einen sehr großen, schall- und blickdichten Mantel des Schweigens. Und widmen uns dem kürzlich erschienenen Nachfolger: „Ready Player Two“ (auf deutsch „Ready Player Two“)

Das grundlegende Handlungselement von Clines Bücher ist ja nicht neu: „Jugendlicher muss mit seinem Wissen über Computerspiele die Welt retten“ findet man in vielen Büchern umgesetzt: „Nur du kannst die Menschheit retten“ (im Original: „Only you can save mankind“) von Terry Pratchett zum Beispiel, um eines der empfehlenswerten Bücher dieses Genres zu nennen. Oder den Film „The Last Starfighter“. Oder den Film „Ender’s Game“ (der ebenfalls auf einem Buch basiert). Und so weiter. Am besten und liebevollsten umgesetzt hat diese Idee aber mit Sicherheit Ernest Cline in „Ready Player One“. Das Problem an der Sache ist nur, dass er anscheinend NUR diese Idee hat. Clines zweites Buch – „Armada“ – hat exakt die gleiche Grundhandlung und ist im Wesentlich eine Kopie der drei vorhin genannten Werke. Man kann es lesen, es ist recht unterhaltsam, aber man wartet vergeblich auf irgendein originelle Handlungselement. Und bei „Ready Player Two“ geht es ein weiters Mal um die Weltrettung per Computerspiel, nur das Cline diesmal von sich selber abschreibt und im Wesentlichen eine Kopie von „Ready Player One“ verfasst hat.

Kurz und spoilerfrei zum Inhalt: Der junge Wade und seine drei Onlinefreunde musste im ersten Teil ja eine gewaltige Schnitzeljagd durch die virtuellen Welten der 1980er-Jahre-Popkultur absolvieren um das Erbe des exzentrisch-verrückten Schöpfers der OASIS anzutreten; dem Mega-Internet der nahen Zukunft. Das haben sie geschafft und genau da setzt jetzt Teil zwei ein. Die vier jetzt jungen Erwachsenen müssen den größten Konzern der Welt leiten. Und – Überraschung! – plötzlich stellt sich heraus, dass die Schnitzeljagd die im ersten Band beendet wurde eigentlich gar nicht zu Ende ist. Es wird ein neuer Hinweis entdeckt der eine neue Jagd nach „Easter Eggs“ startet. Die – wieder: Überraschung! – erneut nur durch exzessiv unnötiges Wissen über die Popkultur der 1980er Jahre erfolgreich beendet werden kann. Dazu kommt noch ein bisschen „Coming of Age“, ein wenig Teenie-Romanze und Herzschmerzdrama und oben drauf noch eine Prise Umweltkrise und Technologiekritik.

Ich bin jetzt normalerweise nicht der Typ, der schon nach den ersten Kapiteln eines Krimis weiß, wer der Mörder ist. Aber bei „Ready Player Two“ war auch mir sehr schnell klar, worauf das ganze hinauslaufen wird. Wer also auf originelle Wendungen hofft wird hier ebenso enttäuscht wie zuvor schon bei „Armada“. Aber immerhin ist auch „Ready Player Two“ unterhaltsam geschrieben. Wer die 1980er-Anspielungen schon im ersten Teil super fand, wird sie hier auch noch toll finden. Wem das Konzept der Schnitzeljagd durch die virtuellen Welten in Teil 1 Spaß gemacht hat, dem wird es auch in Teil 2 Spaß machen. „Ready Player Two“ ist ein unterhaltsames Buch. Aber eben auch eines, das man schon ein paar Mal gelesen hat wenn man das bisherige Werk von Cline kennt. Ernest Cline hat mit „Ready Player One“ eine wirklich geniale Idee gehabt. Was schon eine Idee mehr ist, als viele andere AutorInnen im Laufe ihres Lebens haben. Aber vielleicht hätte Cline aus dieser einen Idee nicht unbedingt drei Bücher machen sollen…

Das helle Mittelalter

Mein letztes Dezemberbuch ist auch das Buch, dass ich allen am dringlichsten empfehlen möchte: „The Light Ages: A Medieval Journey of Discovery“ von Seb Falk. Alle, die sich auch nur ein bisschen für die Geschichte der Wissenschaft interessieren sollten es gelesen haben! Der Titel ist ganz explizit eine Anspielung auf das „dunkle Mittelalter“ oder die „Dark Ages“, wie es auf englisch heißt. Dieser Begriff ist ebenso weit verbreitet, wie er falsch ist. Wir stellen uns ja das Mittelalter tatsächlich immer noch als eine metaphorisch „dunkle“ Zeit vor, in der es keinen Fortschritt gab, in der Aberglaube und Barbarei geherrscht haben und in der die Kirche jeglichen wissenschaftlichen Fortschritt unterbunden hat. Erst das „Licht“ der Aufklärung habe dunkle Zeitalter im 17. Jahrhundert beendet und die gesellschaftliche-wissenschaftliche Revolution der Neuzeit möglich gemacht.

Dass dieses Bild der Vergangenheit nichts mit der Realität zu tun hat, hat Seb Falk in seinem Buch absolut wunderbar dargestellt. Das eigentliche Problem bei unserem Blick aufs Mittelalter besteht ja darin, dass wir es von der Gegenwart aus tun. Mit dem Wissen der Gegenwart und dabei vergessen, dass die Dinge früher anders waren. Das klingt zwar trivial, ist aber wichtig wenn man die Vergangenheit verstehen will. Für uns heute scheinen Religion und Wissenschaft zwei fundamental unterschiedliche Dinge zu sein die einander noch dazu sehr oft „feindlich“ gegenüberstehen. Und wir machen uns lustig darüber, dass die Menschen zum Beispiel früher dachten, der Mensch wäre von „Gott“ geschaffen. Aber was hätten sie denn auch sonst denken sollen? So etwas wie die Evolutionstheorie war damals nicht nur unbekannt sondern auch quasi undenkbar. Nicht wegen irgendwelcher religiösen Dogmatismen, sondern weil es einfach komplett außerhalb dessen lag, was man damals vernünftigerweise denken konnte. Für die Menschen im Mittelalter war es schlicht und einfach absolut offensichtlich, dass irgendwer für all das, was sie um sich sahen verantwortlich sein musste. Ein „Schöpfer“ war keine Hypothese sondern eine Tatsache und die Erforschung der Funktionsweise dieser Schöpfung daher nicht nur kein Widerspruch zur Religion sondern eine ihrer grundlegenden Aufgaben.

Die Wissenschaft des Mittelalters bestand aus deutlich mehr als nur aus Mönchen die alte Bücher abgeschrieben haben. Was man damals wirklich getrieben hat, erklärt Seb Falk anhand der Lebensgeschichte des Mönchs John Westwyck. Der lebte im 14. Jahrhundert und man weiß kaum etwas über seine Biografie. Er hat aber ein Äquatorium entwickelt, ein mechanisches Gerät für astronomische Berechnungen und die Bestimmung der Position von Himmelskörpern. Falk füllt die Lücken in Westwycks Leben mit passenden Stellen aus anderen Quellen und zeichnet das Bild einer wissenschaftlichen Landschaft die der heutigen gleichzeitig sehr fremd und sehr ähnlich ist. Auch damals war die Welt der Gelehrten international vernetzt. Es gibt einen regen Austausch an Ideen und Techniken innerhalb von Europa und zwischen Europa und anderen Regionen der Welt. Bücher wurden natürlich kopiert und übersetzt. Aber auch neu geschrieben und mit neuen Ideen erweitert. Die ersten Universitäten entstanden. Die revolutionären Entwicklungen des 17. Jahrhunderts (Newton, Kepler, Galilei, etc) sind nicht aus dem Nichts gekommen. Sondern wären ohne die stetige Vorarbeit der vielen Gelehrten (die in Europa fast immer Mönche – und übrigens auch Nonnen! – waren) nicht möglich gewesen.

Man lernt in Falks Buch nicht nur viel über die Astronomie des Mittelalters. Sondern versteht am Ende auch, wie die Menschen damals gedacht haben und warum sie so dachten, wie sie es taten. Es ist ein wirklich fantastisches Buch – lest es!

Das waren die letzten Buchempfehlungen für 2020. Aber auch 2021 wird neue Bücher bringen (Für mindestens eines werde ich selbst verantwortlich sein 😉 ). Und dann sind da ja auch immer noch so viele alte Bücher die man lesen sollte. Ich freue mich also wie immer über eure Empfehlungen. Und wir lesen uns in einem Monat wieder mit neuen Buchempfehlungen!

5 Gedanken zu „Zeitreisen in die 1960er, die 1980er und ins Mittelalter: Die Buchempfehlungen vom Dezember 2020“
  1. zum angeblich „dunklen“ Mittelalter: Das ist zwar richtig, es gibt aber eine mit dem Mittelalter verbundene dunkle Phase, die nicht deswegen „dunkel“ heißt, weil alles angeblich so rückständig war, sondern, weil wir kaum schriftliche Quellen aus dieser Zeit haben und daher vieles nur indirekt erschließen können. Das gilt vor allem für Westeuropa um das 3-9 Jahrhundert herum – also grob das Frühmittelalter.
    Der Begriff ist aber probpelamtisch, eben wegen der Fehlschlüsse zu denen er einlädt.

    Trotzdem gab es auf sozialer und bürokratischer Ebene deutliche Brüche – zumindest in den Gebieten des ehemaligen römischen Reiches nach dessen Zusammenbruch. Es geht ja nicht nur um Technologie, auch um Verwaltung, Soziales und Kultur.

  2. Wie das frühe Mittelalter sich gegenüber der Antike verdunkelte ist bei
    Catherine Nixey: Heiliger Zorn – Wie die frühen Christen
    die Antike zerstörten
    schön zusammengestellt.

    Das Buch gibt es in der Onleihe.

  3. @knorke:
    Du hast natürlich vollkommen recht, aber das Frühmittelalter im 3-9 Jahrhundert zu verorten ist doch etwas gewagt. Im 3 Jahrhundert war das römische Reich zwar schwer gebeutelt von den vielen „Soldatenkaisern“, stand aber nichtsdestotrotz noch in voller Blüte.
    Wir sollten hier eher vom 5-9 Jahrhundert sprechen.

  4. Kleiner Widerspruch zur Verfilmung von Ready Player One. Ich fand die Verfilmung extrem unterhaltsam. Allerdings habe ich zuerst den Film gesehen und dann das Buch gelesen. Dies ändert die Erwartungshaltung. und das Buch ist wirklich eine Klasse besser. Armada habe ich jetzt angefangen und war anfangs recht begeistert. Ab der Mitte (weiter bin ich noch nicht) wird mir das Szenario zu militärisch, da bin ich raus.

  5. Eine Buchempfehlung habe ich noch. Nicht nur, weil es das erste in Neuseeland spielende Buch einer neuseeländischen Autorin ist, welches ich gelesen habe.
    H. G. Parry: Die unglaubliche Flucht des Uriah Heep.
    Weniger Science Fiction, als vielmehr Fantasy, aber super für Bücherliebhaber.

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