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Sternengeschichten Folge 422: Das Maunder-Minimum

Heute geht es wieder einmal um die Sonne. Und um etwas, das die Sonne ab und zu macht: Nämlich faul sein. Sie hört nicht auf zu scheinen; das macht sie seit 4,5 Milliarden Jahren netterweise sehr kontinuierlich. Aber es gibt immer wieder Phasen, in denen sie wenig aktiv ist. Über diese „Sonnenaktivität“ habe ich ja schon vor langer Zeit in Folge 10 der Sternengeschichten ausführlich gesprochen.

Die Sonne ist wesentlich komplizierter als eine gewaltige Glühbirne am Himmel. Sie ist eine große Kugel aus enorm heißen Gas. Gas, das einerseits ständig in Bewegung ist. Andererseits aber auch in der Lage elektrische und magnetische Ströme zu produzieren. Bei den Temperaturen im Sonneninneren können sich die Elektronen die normalerweise an die Atomkerne gebunden sind nicht mehr halten. Das Gas der Sonne ist ein „Plasma“, also ein Gas in dem die elektrisch negativ geladenen Elektronen und die elektrisch positiv geladenen Atomkerne getrennte Wege gehen. Diese Bewegung erzeugt die elektromagnetischen Felder. Die elektromagnetischen Felder beeinflussen aber ihrerseits wieder die Bewegung des Gases. Es ist ein enormes, chaotisches Wirrwarr das wir immer noch nicht komplett verstanden haben.

Was wir aber wissen: Die elektromagnetischen Phänomene haben Auswirkungen auf die Sonne. Dort wo die Magnetfelder besonders stark sind, kann heißes Plasma aus dem Sonneninneren nicht so gut an die Oberfläche aufsteigen weswegen man dort dunkle „Sonnenflecken“ sehen kann. Wenn die geladenen Ströme zu wild durcheinander strömen, dann kommt es – vereinfacht gesagt – zu Kurzschlüssen bei denen enorme Energieen frei werden. Bei diesen Explosionen kann Material aus der Sonne in den Weltraum geschleudert werden. Wenn das auf das Magnetfeld der Erde und ihre Atmosphäre trifft, können wir zum Beispiel Polarlichter beobachten. Aber darum soll es heute nicht gehen – sondern um Forschung, die im 17. Jahrhundert mit der Erfindung des Teleskops begonnen hat. Beziehungsweise eigentlich schon viel früher.

Auf der Sonne gehts rund… Bild: NASA/ESA)

Es gab schon früher immer wieder Berichte von dunklen Flecken auf der Sonne. Die Sonne kann man mit freiem Auge aber nur schlecht beobachten. Beziehungsweise geht das eigentlich recht gut, die Sonne ist kaum zu übersehen. Aber sie ist so hell, dass man sie nicht wirklich gut ansehen kann und wenn man es trotzdem probiert, ist das nicht sonderlich gut für die Augen. Aber als dann Teleskope – und passende Filter! – zur Verfügung standen, beobachteten die Menschen Sonnenflecken. Im 17. und 18. Jahrhundert hat man diese Flecken zwar aufgezeichnet – aber sie nicht wirklich systematisch untersucht. Was einen guten Grund hat, zu dem wir später noch kommen werden. 1825 aber begann der deutsche Apotheker Samuel Heinrich Schwabe die Sonne regelmäßig zu beobachten und ebenso regelmäßig die Zahl der Sonnenflecken aufzuzeichnen. Und fand heraus, dass die sich periodisch ändert. Dieser „Schwabe-Zyklus“ wurde später vom Schweizer Astronom Rudolf Wolf wissenschaftlich exakt festgelegt und wir wissen nun, dass die Zahl der Sonnenflecken, die ein Maß für die Sonnenaktivität ist, mit einer Periode von circa 11 Jahren größer und kleiner wird.

Und man begann sich zu fragen: Warum haben die Leute das nicht schon früher entdeckt? Verschiedene Astronomen machten sich auf die Suche nach alten Beobachtungsdaten um die Veränderung der Sonnenfleckenanzahl auch für die Vergangenheit zu bestimmen. Einer davon war der deutsche Astronom Gustav Spörer. 1887 und 1889 veröffentlichte er zwei Arbeiten in denen er bekannt gab, dass es offensichtlich eine sehr interessante Periode zwischen 1645 und 1715 gegeben haben musste. In dieser Periode waren so gut wie keine Sonnenflecken zu sehen gewesen. Gleichzeitig beschäftigte sich auch der britische Astronom Edward Maunder mit der Sonne. Auch er war auf der Suche nach historischen Sonnenfleckenbeobachtungen; er fasst auch die Arbeiten Spörers zusammen und präsentierte all das der Königlichen Astronomischen Gesellschaft von Großbritannien im Jahr 1894 in einer Arbeit mit dem Titel „Ein ausgedehntes Minimum der Sonnenaktivität“.

Aus damaliger Sicht war das eine sehr überraschende und seltsame Erkenntnis. Gut, man hatte sich mittlerweile von der antiken bzw. mittelalterlichen Ansicht gelöst, dass die Sonne ein „himmlischer“, „göttlicher“ und damit perfekter Himmelskörper sein müsse der nicht den irdischen Gesetzen unterliegt und auch keine Unregelmäßigkeiten wie etwa Flecken haben könne. Aber dass unser Stern sich in der Vergangenheit so anders verhalten hat als heute: Das fanden viele Zeitgenossen von Maunder und Spörer schwer zu akzeptieren. Spörer starb 1895; Maunder ließ aber nicht locker und veröffentlichte 1922 eine weitere Arbeit mit fast dem gleichen Titel wie 28 Jahre zuvor: Das ausgedehnte Minimum der Sonnenaktivität 1645-1715″.

Fasst man die Arbeiten von Spörer und Maunder zusammen, dann sagen sie, dass es zwischen 1645 und 1715 so gut wie keine Sonnenflecken zu sehen gab. Mehr noch, zwischen 1672 und 1704 wurde GAR KEIN Sonnenfleck beobachtet und dass die wenigen Sonnenflecken so gut wie immer einzelne Flecken oder höchstens Teil einzelner Fleckengruppen waren. Ganz anders, als wir das heute gewöhnt sind, wo in den aktiven Phasen immer viele Flecken in vielen Fleckengruppen zu sehen waren. Deswegen kann man es den Astronomen des 17. Jahrhunderts auch kaum vorwerfen, die Sache mit den Fleckenzyklen nicht verstanden zu haben. Wenn es nichts zu sehen gab, dann kann man auch schwer darüber forschen.

Maunder (Annie) beim beobachten der Sonne (Bild: gemeinfrei)

Wir nennen die Phase extrem niedriger Sonnenaktivität heute „Maunder-Minimum“ – der Name stammt aus einer Arbeit des amerikanischen Astronomen John Eddy, der die ganze Sache 1976 nochmal analysiert hat. In einer sehr umfangreichen Arbeit hat er die alten Arbeiten von Maunder und Spörer nochmal untersucht, hat weitere Daten z.B. über die Beobachtung von Polarlichtern zusammengetragen und nach anderen Hinweisen gesucht aus denen sich die Sonnenaktivität der Vergangenheit ablesen lässt. Das alles hat er unter dem Titel „Das Maunder Minimum“ (pdf) veröffentlicht. Man kann darüber streiten, ob diese Bezeichnung gerechtfertigt ist. Der erste, der die Sache mit dem Minimum entdeckt hat war ja Spörer und nicht Maunder. Aber Maunder hat das ganze intensiv untersucht. Andererseits ist es definitiv nicht richtig in diesem Zusammenhang nur Edward Maunder zu erwähnen. Den da gibt es auch noch Annie Maunder, eine Astronomin und Edwards Ehefrau. Die das Schicksal so vieler Frauen in der Wissenschaft teilt und immer wieder mal ignoriert wird. Annie war eine hervorragende Mathematikerin die an der Universität Cambridge studiert hat. Was sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts netterweise durfte. Was man damals aber noch übertrieben fand, war die Arbeit von Frauen wie Annie – damals noch – Russell mit einem offiziellen Uni-Abschluss zu würdigen. Weswegen Annie Russell auch keinen Job als Wissenschaftlerin fand, nur eine schlecht bezahlte Stelle als Gehilfin für mathematische Berechnungen an der Sternwarte von Greenwich. Aber immerhin lernte sie dort die faszinierende Arbeit der Sonnenforschung kennen. Und Edward Maunder. Die beiden heirateten und Annie Maunder wurde sofort gekündigt. Eine verheiratete Frau die einfach so arbeitet? War damals nicht erlaubt und Annie Maunder musste ab da ohne Gehalt mit ihrem Mann zusammenarbeiten. Was auch dazu führte, dass sie kaum je auf den wissenschaftlichen Artikeln aufschien auf denen als Autor immer nur Edward geführt wurde.

Die beiden Maunders haben auf jeden Fall maßgeblich zur Erforschung der Sonnenaktivität beigetragen. Und man kann das Minimum der Sonnenaktivität zwischen 1645 und 1715 durchaus nach ihnen benennen. Vor allem, weil es auch weitere solcher längerer Phasen der Inaktivität gibt die andere Namen bekommen haben. Zum Beispiel das „Spörerminimum“ zwischen 1460 und 1550, dessen Entdeckung ebenfalls mit der historischen Forschung von Gustav Spörer begann. Oder das „Wolfminimum“ zwischen 1282 und 1342, benannt nach Rudolf Wolf. Zwischen 1790 und 1830 gab es noch das – nicht ganz so minimale – „Daltonminimum“ und noch ein paar andere in der tieferen Vergangenheit. Das Maunderminimum ist aber von allen die wir kennen das minimalste.

Und so langsam stellt sich die Frage: Wieso? Warum macht die Sonne sowas? Die kurze Antwort: Wissen wir nicht! Die etwas längere Antwort: Der 11jährige Zyklus der Aktivität hängt mit der Rotation der Sonne zusammen. Sehr simpel gesagt: Da die Sonne kein Festkörper ist sondern eine Kugel aus Gas rotieren unterschiedliche Teile ihrer Oberfläche unterschiedlich schnell. Ein Punkt an ihrem Äquator braucht circa 25 Tage für eine Runde, in der Nähe der Pole sind es bis zu 31 Tage. Das führt dazu, dass die geladenen Ströme aus Plasma im Laufe der Zeit quasi langsam um die Sonne herumgewickelt werden. Wenn die Magnetfeldlinien zuerst von Nord nach Süd verlaufen, sorgt die unterschiedliche Rotation unterschiedliche Teile der Sonne dafür, dass sich diese Linien immer stärker verwirren und verwickeln. Genau das führt zu einem Anstieg der Aktivität bis circa 11 Jahre später alles so konfus wird, dass das ganze Magnetfeld quasi zusammenbricht und sich neu wieder aufbaut. Die Realität ist natürlich ein bisschen komplizierter, aber zumindest kann man grob verstehen warum die Aktivität im 11-Jahres-Rhythmus schwankt. Die langfristigeren Variationen wie das Maunder-Minimum sind schwieriger zu verstehen.

Sehr vermutlich hat das etwas mit den Plasmaströmen tief im Inneren der Sonne zu tun. Und zwar mit den sogenannten „torsionalen Oszillationen“. Ich erkläre jetzt nicht was das genau ist – aber man kann es sich ziemlich gut als einen unterirdischen Fluß aus Plasma vorstellen. 7000 Kilometer tief unter der Sonnenoberfläche driftet dieser Fluss langsam von den Polen in Richtung Äquator (und bevor wer fragt: Man hat das durch „Asteroseismologie“ herausgefunden, also der astronomischen Technik die ich in Folge 164 schon ausführlich vorgestellt habe und bei der man die Schwingungen der Sonne dazu nutzen kann, ihr Inneres zu untersuchen). Je nachdem wo dieser Fluss gerade ist und wie ausgeprägt er ist gibt es mehr oder weniger Sonnenaktivität. Und sollte der Fluss mal komplett ausfallen, gibt es gar keine Aktivität. Aber warum der Fluss sich so bewegt wie er es tut und warum er ab und zu ausfällt: Das wissen wir nicht. Dazu brauchen wir Forschung und bessere Theorien über das was im Inneren der Sonne abläuft.

Langfristige Veränderungen in der Sonnenaktivität (Bild: gemeinfrei, USGS)

Übrigens: Man hört oft, dass die Sonnenaktivität auch das Klima der Erde beeinflusst. Und das vor allem das Maunder-Minimum für die sogenannte „Kleine Eiszeit“ in Europa verantwortlich war, als es zwischen 15. und 19. Jahrhundert deutlich kälter war als sonst. Die Sonnenaktivität kann zwar tatsächlich einen Einfluss auf das Erdklima haben. Der ist aber sehr gering, wie ich in Folge 368 ausführlich erklärt habe (und die Sonnenaktivität hat auch nix mit der gerade stattfindenen menschengemachten Klimakrise zu tun). Und auch die Kleine Eiszeit kann nicht durch das Maunder-Minimum verursacht worden sein; höchstens ein kleines bisschen beeinflusst, wie ihr in Folge 108 ausführlich nachhören könnt.

Es braucht noch viel Forschung, bis wir die Sonne richtig verstanden haben. Wir werden weiter beobachten müssen, was dort passiert. Die nächsten Minima und Maxima werden kommen. Und mit Sicherheit wird es auch irgendwann wieder ein „ausgedehntes Minimum“ geben. Dann wissen wir hoffentlich genug darüber um zu verstehen was da abgeht und haben ausreichend Zeit um uns darauf zu konzentrieren, nach wem wir es benennen.

2 Gedanken zu „Sternengeschichten Folge 422: Das Maunder-Minimum“

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