Da morgen (17.11.2020) ja in Österreich wieder ein strenger „Lockdown“ beginnt bei dem auch die Schulen geschlossen sind (die Unis sind ja schon viel länger mehr oder weniger zu), werden wir in Zukunft alle wieder oft auf Bildschirme schauen. Die zum Teil sehr irrationalen Widerstände gegen „Homeoffice“ sind zwar noch nicht verschwunden und viel zu viele Menschen/Arbeitgeber denken, ihre Arbeit wäre so „wichtig“ dass sie nur von Angesicht zu Angesicht erledigt werden könne. Aber trotzdem werden wir uns vermutlich und hoffentlich vermehrt aus Distanz besprechen. Ich will aber heute eigentlich gar nicht über die Sinnhaftigkeit von Homeoffice reden oder warum man in Österreich auch acht Monate nach Ausbruch der Pandemie keinen Plan hat, wie man Kinder vernünftig unterrichten kann wenn die Schulen nicht mehr besucht werden können. Ich möchte über ein Frage sprechen, die auch unabhängig von irgendwelchen Pandemien relevant ist: Braucht es noch Vorlesungen (an den Universitäten)?

Wenn ich an mein eigene Studienzeit (zwischen 1995 und 2004) zurück denke, dann gab es da eigentlich nichts anderes als die seit Jahrhunderten übliche Form der universitären Wissensvermittlung: In einem Hörsaal sitzen jede Menge Studierende und hören zu, wie jemand vorn an der Tafel etwas erzählt. Sieht man von Praktika und Übungskursen ab, war das die Art und Weise, wie ich mein Studium absolviert habe.

Aber nur weil etwas schon sehr lange gemacht wird heißt das ja nicht, dass es eventuell doch besser wäre, man würde aufhören es zu machen. Gibt es tatsächlich keine andere Art wie man Wissen vermitteln kann? Ich habe in meinem Studium sehr viele sehr spannende Vorlesungen erlebt denen ich gerne zugehört habe. Aber ebenfalls viele waren auch sehr öde und manche habe ich irgendwann komplett ignoriert. Da mir in der Vorlesung sowieso nur irgendwas erzählt wurde, was so auch in diversen Lehrbüchern steht, habe ich den Kram einfach selbst aus den Büchern gelernt und mir die Zeit im Hörsaal gespart. Und selbst da, wo die Vorlesung spannend ist, kommt man meistens nicht umhin, das Vorgetragene später selbst aus anderen Quellen zu vertiefen.

Insofern ist die Frage durchaus berechtigt: Braucht es diese spezielle Situation in der jemand einem Raum voller Studierende etwas erzählt, was man auch anderswo hören/lesen kann heutzutage immer noch? Oder sollte man die Zeit, die Studierende und Vortragende miteinander haben nicht sinnvoller nutzen? Der Mehrwert – sofern vorhanden – einer Präsenzvorlesung an der Uni im Gegensatz zum persönlichen Bücherstudium besteht ja in dem was abseits der reinen Faktenvermittlung passiert. In den Gesprächen, den zusätzlichen Erklärungen, vielleicht sogar den Witzen und Anekdoten die erzählt werden. Wäre es daher nicht lohnend, die Vermittlung des puren Wissens anders zu organisieren und die Vorlesungszeit effektiver zu nutzen?

Wenn es nach mir gehen würde, bräuchte es keine klassischen Vorlesungen. Was es natürlich trotzdem braucht ist der direkte und persönliche Kontakt zwischen den Studierenden und den Vortragenden. Reine Fernlehre halte ich – sofern nicht durch die Pandemie notwendig – nicht für hilfreich. Es braucht die sozialen Kontakte an der Uni; es braucht das ganze „Drumherum“ des universitären Lebens. Aber es braucht die Vorlesungen nicht.

Das ist zumindest meine Meinung – ich bin sicher die Leserschaft sieht das vielleicht anders? Zur Anregung der Diskussion empfehle ich noch dieses schöne Video (das auch der Grund war, warum ich diesen Artikel überhaupt geschrieben habe):

23 Gedanken zu „Wie vermittelt man Wissen: Ist die Vorlesung tot?“
  1. (aus eigener erfahrung): viele meiner vorlesungen bestehen zurzeit zum großteil aus aufzeichnungen derselben vorlesung aus früheren semestern, was größtenteils auch überraschend gut funktioniert, abgesehen vom manchmal (je nach aktivität im zugehörigen forschungsgebiet) schon leicht veralteten inhalt (dagegen vorteile: keine harten zeitconstraints, vorlesung verpassen geht nicht, langweilige vorlesungen lassen sich schneller abspielen, und falls man etwas gar nicht verstanden hat kann man es einfach nochmal anschauen — sogar noch kurz vor prüfungen und in fächern ohne gutes lehrbuch, wo man dann sonst nur noch ein script und die eigenen notizen hätte).

    Für die meisten profs ist es vermutlich auch einfacher, nicht jede Woche ein paar Stunden in einem Hörsaal verbringen zu müssen (besonders für die, die weniger spaß an der lehre haben — gibt da ja auch gegenbeispiele, wenn auch leider selten). Allerdings: ganz ohne Interaktion geht es natürlich auch nicht; es hieß ja vorher schon oft „vorlesung ist eigentlich egal, in den tutorien lernt man mehr“, und das ist jetzt noch mehr der fall als vorher (leider ist das so manchem prof allerdings nicht wirklich bewusst …).

    Etwas ganz anderes, an das vermutlich weniger gedacht wird: in einer Vorlesung trifft man auch andere Menschen, die am selben thema interessiert sind — und dazu ist bisher niemand wirklich etwas bessers eingefallen als „wir haben hier einen chatroom, falls ihr miteinander reden wollt“ (oft nicht einmal das, die meisten chatgruppen sind selbstorganisiert) — wenn man schon länger studiert und leute schon kennt ist das ja weniger ein problem, aber für erstis stell ich mir die situation doch etwas schwieriger vor.

  2. Es gibt ja das wunderbare Konzept „Flipping the class room“. In diesem muss man sich zu Hause vorbereiten und kommt dann in die Schule/an die Uni um die offenen Punkte zu diskutieren, Fragen zu klären, zusätzliche Informationen zu erhalten.
    Das wäre vielleicht der richtige Ansatz.

  3. Ich habe mir immer Vorlesungen gewünscht stark zusammenfassender Art, motiviert und mit Witz vorgetragen, die die wesentlichen Aspekte eines Themas auf den Punkt bringt und bei der anschliessend der Löwenanteil aus Frage & Antwort besteht, also Interaktion. In der freien Wirtschaft entspricht das der Präsentation.

    Solche sollte es auch weiterhin geben, geht auch auf die Ferne über Home Office, aber reine Vorlesungen aus eigenen Büchern, dann noch mit monotoner Stimme vorgetragen, sind eigentlich nur Substitute für Schlaftabletten.

  4. Och, ich habe ausser in den ersten paar Wochen des ersten und des fünften Semesters so gut wie keine Vorlesungen besucht, trotzdem hatte ich jede Menge Kontakte an der Uni. Vorlesungen brauchte ich dafür nicht wirklich.

  5. Die Schule meiner Kurzen kriegt keinen vernünftigen Online Unterricht zusammen, meine Stadt ist zu doof über die Hälfte der Fördermittel abzurufen. Präsenz muss bleiben.

  6. @all
    An der FH meiner großen funktioniert das tatsächlich. Ich hatte gerade nur Frust wegen der Kurzen die ja was lernen will. Was ich dann zu Hause machen muss. Und den Kommentar meiner Kurzen könnt Ihr Euch hinter die Ohren schreiben: „Warum schmeissen die die Doofen nicht raus?“

  7. Disclaimer. Ich arbeite seit Sommer 2012 überwiegend von zu Hause aus, da mein Büro in 400 km Entfernung steht und ich nur gelegentlich pendle, was ich derzeit natürlich so weit möglich vermeide. Was Homeoffice ist, weiß ich also, und ich meide den Begriff wie die Pest, weil er in der Krise im Frühjahr auf ziemlich schiefes Fahrwasser geraten ist 😉 Ansonsten bin ich seit 1993 intensiv im Netz unterwegs, also alles andere als netz-unaffin.

    Dieser Tage verfolge ich ein wenig den Online-Betrieb an der TU München Physik, und auch wenn die Uni sich wirklich Mühe gibt das so gut darzustellen wie möglich, tue ich mich damit ziemlich schwer. Ich habe halt schon mal anders studiert, auch wenn das schon eine Weile her ist (E-Technik-Diplom 1984), und würde es sehr schätzen, wenn der aktuelle Zustand im kommenden Jahr wieder mehr Richtung Präsenzvorlesung ginge. Mag sein die jetzige Generation Abiturienten sieht das anders, aber ich freue mich auf die persönlichen Kontakte. Und übrigens bei den Praktika geht es eh nicht online. Nicht in Physik.

  8. Ich bin ein großer Freund davon eine Vorlesung oder das Arbeitsmaterial zu Hause durchzugehen. Im eigenen Tempo und mit der Möglichkeit jederzeit selber zu recherchieren.

    Allerdings gibt es ein Problem mit Vorlesungen in denen man keine Prüfung ablegt, sondern man nur anwesend sein muss. Wer kontrolliert wie, dass ich die Vorlesung verfolgt habe?!

  9. Die effektivste Methode des Studiums ist immer noch der Frontalunterricht. Schließlich hat der lesende Professor auch die Pflicht, objektive Prüfungen zu seinem Stoff abzunehmen und zu benoten. Das Gleiche gilt für die Seminare. Sich zu Hause alternative Darstellungen des Stoffes zuzuführen steht natürlich jedem frei. Aber ob er damit die Zustimmung des Professors findet, ist zumindest unklar. Das geht schonmal los mit der Wahl der Formelzeichen. Und bei Gesellschaftswissenschaften habe ich noch größere Zweifel bei der Vermittlung und Bewertung unterschiedlicher Auffassungen und Strömungen

  10. Ich möchte hier mal an dieser Stelle die Mathe – YOUTUBER :

    „Jörn Loviscach“
    „Lehrerschmidt“
    „Christian Spannagel“
    „Daniel Jung“
    „Jörg Christmann“
    „Akademie Raddy“
    „Eugene Khutoryansky“
    „Angela Maria Ruoff“
    und viele andere ….

    lobend erwähnen. Das sind Lehrer/Dozenten die mit ihrem unentgeldlichem Lehrmaterial bei YOUTUBE viel für unsere Volksbildung tun. Danke !

    M.f.G
    Uli Hans

  11. @fluffy
    Ich muss schon sagen ich bin echt beeindruckt davon wie die FH meiner Großen es organisiert hat den Frontalunterricht auf den Monitor zu verlegen. Darum bin ich auch so sauer auf die Schule meiner Kurzen. Die kriegen nicht mal auf die Reihe wenigstens was an Filmmaterial für die Schüler bereit zu stellen auf dem man aufbauen und sich selber was aneignen kann.

  12. @uli schoppe
    ich stimme dir zu. Es ist schon bemerkenswert, wie kreativ manche, aber eben auch nicht alle mit der aktuellen Situation umgehen können. Diese Lösungen sind unter den aktuellen einschränkenden Randbedingungen wirklich gut.
    Aber man stelle sich beispielsweise auch vor zur Behandlung einer bakteriellen Blasenentzündung steht als Mittel der ersten Wahl kein Antibiotikum mehr zur Verfügung. Stattdessen rät man viel trinken, am besten Kräutertee und das führt jetzt zu einer Lobpreisung von Kräutertees. Kräutertee für alle, Kräutertee gegen alles. Das ursprünglich als Notlösung erdachte, verdrängt jetzt das vormals bessere.
    Begleitet von einem Hosianna! Gelobt sei, was da kommt in dem Namen des Herrn/der Frau/wer sonst auch immer! [frei nach Wikipedia]

  13. Vorlesungen im Hörsaal haben sicher noch ihre Berechtigung, wenn nicht nur vorgelesen wird, sondern auch geistig „verdaut“ – von allen Seiten. Wie bereits gesagt: es steht und fällt mit der Qualität. Ist fast wie in der Musik: es geht nichts über ein gutes Live Konzert!

  14. @Fluffy
    Falsches Beispiel ausgesucht, denn „Bei der akuten unkomplizierten Zystitis sollte eine antibiotische Therapie empfohlen werden. Bei Patientinnen mit leichten/mittelgradigen Beschwerden kann die alleinige symptomatische Therapie als Alternative zur antibiotischen Behandlung erwogen werden. Eine partizipative Entscheidungsfindung mit den Patienten ist notwendig“ (aus der aktuellen AWMF-Leitlinie Harnwegsinfekte)
    Der Kräutertee (Brennessel, Bärentraube) und Senfölpräparate oder Mannitose wären damit mehr als nur eine Notlösung und in Anbetracht der steigenden Antibiotikaresistenzen nicht unbedingt viel schlechter. Die Kombination macht’s eben, wie so häufig im Leben.
    Ich bin tatsächlich mehr Hörtyp als Lesetyp, für mich waren die Vorlesungen sehr hilfreich, um das Gelesene besser einzusortieren.

  15. @Phil Igel

    Falsches Beispiel ausgesucht

    Mag ja im konkreten Fall so sein. Aber du verstehst hoffentlich das Problem. Das Provisorium oder die Notlösung wird plötzlich zur besten aller Lösungen erklärt.

    Wir haben keinen Zucker mehr. Also trinken wir doch den Tee ohne Zucker. Schmeckt ja auch viel besser. Und Zucker ist sowieso ungesund

  16. @Fluffy

    Und du verstehst hoffentlich den Fakt, dass die alte Welt zu Ende geht bzw. eigentlich schon gegangen ist(wg. endlicher Ressourcen, Klima, Naturzerstörung etc.).
    Die kommt nicht wieder.

  17. @How(Lennon?)
    Und du verstehst nicht, dass alles was heute neu oder anders unter dem bestimmten Vorwand gemacht wird, nicht unbedingt besser ist.

    (wg. endlicher Ressourcen, Klima, Naturzerstörung etc.)

    Es geht um die Reduzierung sozialer Kontakte und damit um das deutliche Erschweren persönlichen Meinungsaustausches, bis hinunter in den familiären Bereich. Daraus folgen Isolation und Entsolidarisierung. Wem nützt das eigentlich?

  18. @Fluffy

    Du musst dir die aktuellen Zeiten vorstellen wie die Situation kurz vor/während des Zusammenbruchs der DDR bzw. generell des Ostblocks – nur dass es diesmal leider kein rettendes System gibt, dass uns auffängt.

    Ich befürchte, wir sollten uns langsam auf Chaos einstellen. Wegfallende Bildung, Sicherheit, Vermögen etc. werden da wohl noch die kleinsten Probleme sein.

  19. @Noch’n Flo

    Och, ich habe ausser in den ersten paar Wochen des ersten und des fünften Semesters so gut wie keine Vorlesungen besucht, trotzdem hatte ich jede Menge Kontakte an der Uni. Vorlesungen brauchte ich dafür nicht wirklich.

    So habe ich das damals auch gemacht. Habe hauptsächlich in Tutorien, Praktika und aus Lehrbüchern/Skripten sowie in selbstorganisierten Lerngruppen gelernt. Also ziemlich genau so wie im Artikel/Video vorgeschlagen.

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