Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
Mehr Informationen: [Podcast-Feed][iTunes][Bitlove][Facebook] [Twitter]
Über Bewertungen und Kommentare freue ich mich auf allen Kanälen.
—————————————————————————————
Sternengeschichten Folge 404: Die Kanäle des Mars
In Folge 404 der Sternengeschichten geht es um etwas das nicht da ist. Was aber sehr viele Menschen sehr lange gesucht haben. Etwas, von dessen Existenz sehr viele Menschen sehr lange überzeugt waren. Etwas, das nicht nur die Wissenschaft sondern Filme, Bücher und quasi die ganze Welt beeinflusst hat. Obwohl es gar nicht da ist.
Die Geschichte beginnt am Mars. Beziehungsweise beginnt sie natürlich auf der Erde. Aber mit Menschen, die den Mars beobachten. Das haben die Menschen natürlich immer schon getan, der Mars ist ja sehr gut auch ohne Teleskop oder andere optische Hilfsmittel am Himmel zu sehen. Aber eben nur als heller Lichtpunkt. WAS da genau abgeht am Mars war lange Zeit unbekannt. Als man dann irgendwann rausfand, dass es sich um einen Planeten handelt, hat man natürlich auch angefangen darüber zu spekulieren wie es dort sein könnte. Im Teleskop hat man kaum Details gesehen. Ein paar dunkle Flecken auf einem rötlich-braunen Hintergrund. Das könnten Kontinente in einem Ozean sein, haben manche gedacht – aber wirklich viel hat man nicht gewusst.
Richtig spannend wurde die Geschichte über die Beschaffenheit des Mars dann aber im 19. Jahrhundert. Und zwar durch die Beobachtungen des italienischen Astronoms Giovanni Schiaparelli. 1877 war der Mars auf seiner Bahn um die Sonne der Erde besonders nahe. Und Schiaparelli galt als extrem guter Beobachter, kaum jemand konnte so scharf sehen wie er – was wichtig war, denn damals gab es noch keine moderne Fotografie. Man musste mit den eigenen Augen durchs Teleskop schauen und wenn man das was dort zu sehen war dauerhaft festhalten wollte, musste man es beschreiben oder aufzeichnen. Was Schiaparelli auch getan hat. Er hat dünne Linien gesehen, die sich über die Oberfläche des Mars ziehen, kreuz und quer zwischen den dunklen Flecken und er nannte sie „canali“. Das ist italienisch und klingt zwar so wie das deutsche Wort „Kanal“, heißt aber nicht exakt das selbe. Ein Kanal kann zwar auch eine natürliche Struktur sein, zum Beispiel den Weg den sich ein Fluss von selbst durch die Landschaft gräbt. Im Allgemeinen versteht man darunter aber eine künstlich angelegte Struktur, um Wasser von einem Punkt zum anderen zu leiten. Das italienische Wort legt aber vorerst keinen künstlichen Ursprung nahe und das hat Schiaparelli auch nicht getan. Er hat das Wort verwendet, weil es zuvor schon vom Astronomen Angelo Secchi aus Rom benutzt worden ist um bestimmte Oberflächenmerkmale auf dem Mars zu bezeichnen.
Als die Menschen im Rest der Welt von Schiaparellis Entdeckung erfahren haben, ging der feine Unterschied zwischen künstlichen und natürlichen Kanälen aber verloren; die Forschungsergebnisse wurde in verschiedene Sprachen übersetzt und so gut wie immer hat man dabei ein Wort zur Beschreibung der „canali“ verwendet das einen künstlichen Ursprung nahelegt. Was natürlich auch die Neugier angefeuert hat: Als der Mars das nächste Mal nahe an der Erde war, blickten viel mehr Astronomen als vorher hin und einige konnten die Kanäle des Mars ebenfalls sehen. Und viele waren fest davon überzeugt, hier das Wirken einer intelligenten Zivilisation zu beobachten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren viele Menschen innerhalb und außerhalb der Astronomie der Meinung der Mars wäre nicht nur ein lebensfreundlicher Planet, sondern einer auf dem auch Leben existiert. Und nicht nur Leben, sondern intelligentes Leben. Eine Zivilisation die älter ist als die unsere, fortgeschrittener und mächtiger; so mächtig immerhin, dass sie die Oberfläche ihres Planeten mit gigantischen Kanälen überziehen kann, die sogar noch von der Erde aus zu sehen sind.
Überall haben die Menschen angefangen, sich mit dem Mars zu beschäftigen. Es wurden Bücher über die Marsmenschen geschrieben. Teleskope zur Marsbeobachtung gebaut. Man hat überlegt, ob und wie man mit den Bewohnern des Mars kommunizieren kann. Einer, der ganz besonders fasziniert von der ganzen Geschichte war, war der Amerikaner Percival Lowell. Er wurde am 13. März 1855 geboren und hatte von Anfang an nicht unbedingt das Problem sich um einen guten Job kümmern zu müssen. Seine Familie ware eine der reichsten in ganz Boston; Lowell studierte in Harvard Mathematik und interessierte sich immer schon für Astronomie. Nachdem er ein paar Jahre eine Textilfirma geleitet hatte und durch Asien gereist war, hat er beschlossen, sich ganz der Astronomie zu widmen. Die Entdeckung der Marskanäle durch Giovanni Schiaparelli hat ihn extrem fasziniert; er war absolut und fest davon überzeugt dass auf dem Mars intelligentes Leben existiert und wollte der Welt den Beweis dafür liefern. 1893 ließ er dafür eine eigene Sternwarte bauen, in Arizona. Diese „Lowell-Sternwarte“ war aus damaliger Sicht gut gelegen, über 2000 Meter hoch, mitten in einer trockenen Gegend und weit ab von allen Lichtern der Städte. Dort blickten Lowell und seine Assistenten Nacht für Nacht zum Mars und fertigten Zeichnungen der Kanäle an. Und beobachteten, wie der Mars sich verändert. Denn das war ein weiteres sicheres Anzeichen für Lowell dass er Recht hatte. Mal waren die Kanäle gut zu sehen; mal weniger gut. Mal waren sie dicker, mal dünner, sie veränderten ihre Farbe und das konnte nur eines bedeuten: Dort war nicht nur jemand, der aktiv die Oberfläche des Mars verändert. Man konnte auch sehen, wie im Laufe der Jahreszeiten die Pflanzen am Rande der Kanäle wachsen. Der Mars war eine Welt wie die Erde!
Allein im ersten halben Jahr seiner Beobachtungskampagne wurden fast 1000 Bilder des Mars gezeichnet. 1894 konnten Lowell und seine Mitarbeiter schon 183 Kanäle auf dem Mars in ihre Liste eintragen; am Ende waren es fast 700. Lowell wollte den Mars aber nicht nur erforschen sondern der Welt auch mitteilen was er herausgefunden hatte. 1895 schrieb er daher das erste populärwissenschaftliche Buch zum Thema, mit dem simplen Titel „Mars“. Darin legte er seine Theorie dar, dass nämlich der Mars ein Planet mit einer Atmosphäre ist, dass es sich um eine alte Welt handelt; älter als die Erde und es dort bis auf das Eis der Pole kein Wasser gibt. Weswegen die Marsbewohner die gigantischen Kanäle bauen müssen um dieses Wasser überall hin zu leiten und künstliche Oasen schaffen zu können. Das Buch war ein großer Erfolg, ebenso wie die nachfolgenden Bücher „Mars und seine Kanäle“, „Mars als Stätte des Lebens“ und „Die Evolution der Welten“.
Nicht alle Kollegen von Lowell waren aber so überzeugt vom Leben auf dem Mars wie er. Es hat von Anfang an Kritik an seiner Arbeit gegeben beziehungsweise Kritik am grundlegenden Befund. Die Linien am Mars sind gar nicht da, sondern nur optische Täuschungen oder durch Fehler im Teleskop entstanden. Und wenn da Linien zu sehen sind, dann müssen die nichts mit Leben zu tun und schon gar nicht künstlich angelegt sein. Der englische Astronom Walter Maunder zum Beispiel hat extra ein Experiment durchgeführt. Er ließ eine Gruppe von Schulkindern ein Bild des Mars betrachten auf denen keine Kanäle zu sehen waren. Die Kinder sollten das Bild kopieren und zeichneten dabei Linien ein, die nicht auf dem ursprünglichen Bild waren. Das liegt, so Maunder, am menschlichen Auge, das kleine Details die es nicht gut erkennen kann, zu Linien zusammenfasst. Die Marskanäle sind nicht wirklich da, sie entstehen erst im Auge des Beobachters. So einen Effekt gibt es tatsächlich; genau das macht unser Gehirn wenn es unter bestimmten Kontrastverhältnissen Bilder interpretieren muss. Aus nebeneinander liegenden Punkten werden dann Linien.
Man hatte auch Anfang des 20. Jahrhunderts immer noch das Problem, dass es keine objektiven Bilder vom Mars gab. Man musste mit den eigenen Augen durchs Teleskop schauen. Und wer das schon mal gemacht hat, weiß wie knifflig es ist, da etwas zu erkennen. Der Mars ist nur ein winziges Scheibchen, das auch nicht still steht, sondern hin und her zu springen scheint, weil sich unsere Augen immer ein wenig bewegen und auch die Luftunruhen die Beobachtung stören. Das Bild ist verwaschen und unklar und nur wenn die Luft kurz einmal ruhig ist, kann man für einen kurzen Moment ein halbwegs klares Bild sehen, bevor alles wieder unscharf wird. Man muss viel Übung in der Beobachtung mit einem Teleskop haben um überhaupt etwas zu sehen. Und selbst dann kann man das, was man sieht, nicht dauerhaft und objektiv festhalten. Deswegen versuchte Lowell auch alles, um endlich ein Foto der Marskanäle machen zu können. Dann wäre der Streit endlich vom Tisch, niemand könnte mehr dran zweifeln. Denn er hatte keine Lust mehr sich anzuhören, die Linien würden nur in seinem Kopf existieren. Dass er bei den Beobachtungen in seiner Sternwarte nicht nur am Mars sondern auch auf der Venus und dem Merkur Netzwerke aus Linien sah, hat seiner Sache aber nicht unbedingt geholfen… Auch nicht, dass immer mehr andere Astronomen erklärten, sie würden keine Kanäle irgendwo erkennen können. Zum Beispiel George Ellery Hale, dem immerhin das Teleskop der Mount Wilson Sternwarte zur Verfügung stand und dort eines der größten und stärksten Teleskope der Welt.
1902 kam ein neuer Mitarbeiter an die Lowell-Sternwarte: Carl Otto Lampland. Der sollte Mars endlich fotografieren. Was ihm am 11. Mai 1905 auch gelang. Das war eine durchaus beeindruckende Leistung. Die kleine hin und her hüpfende Scheibe eines Planeten im Teleskop auf ein fotografisches Bild zu bannen erschien damals fast unmöglich. Aber Lampland hat es hingekriegt und Lowell hat sofort eine entsprechende Nachricht verbreitet. „Die Kanäle des Mars – Fotografiert“ war der Titel der kurzen Notiz, die im Juli 1905 in den Fachzeitschriften veröffentlicht wurde. Endlich hatte man ein Bild, auf dem die Kanäle zu sehen war. Allerdings nicht für alle. Am Ende seines Artikels hat Lowell geschrieben: „Von einer Reproduktion der beiden Photographien muß ich absehen, da die vielen feinen Details nicht genügend zum Ausdruck kommen würden“. Was tatsächlich problematisch war: Das fotografische Bild war winzig und die Drucktechnik nicht genau genug. In Zeitungen abgebildet würde man nichts von den Kanälen sehen. Die Kanäle konnte wieder nur Lowell im Original des Fotos erkennen, der Rest der Welt hatte leider nichts davon.
Lampland hat für sein Foto des Mars zwar einen Preis der Royal Photographic Society von Großbritannien bekommen, denn die Leistung ein Foto von einem Planeten zu machen war, wie gesagt, durchaus beeindruckend. Der Streit um die Marskanäle konnte dadurch aber nicht gelöst werden. Lowell veröffentlichte weiter seine Bücher, beobachtete weiter den Mars. Die Menschen waren weiterhin beeindruckend von der Möglichkeit einer Zivilisation auf dem Mars. Die Astronomen aber immer mehr der Meinung, dass es die Dinger gar nicht gibt. Vor allem weil im Laufe der Zeit auch immer deutlicher wurde, dass der Mars keine sonderlich lebensfreundliche Welt ist. Er hat zwar eine Atmosphäre, aber eine extrem dünne. Die Temperaturen sind enorm niedrig und all das sprach nicht sonderlich für Lowells Thesen, wie ganz besonders Alfred Russel Wallace immer wieder in der Öffentlichkeit erklärt hat. Und der war nicht irgendwer, sondern einer der führenden Biologen seiner Zeit, der unabhängig von Charles Darwin die Evolutionstheorie entwickelt hat. Auch einige Mitarbeiter der Lowell-Sternwarte waren der Meinung, die Kanäle sie sie selbst beobachten konnten, wären eher optische Täuschungen oder psychologische Effekte und nicht real.
1909 war der Mars wieder mal sehr nahe an der Erde. Große Teleskope wurden auf den Nachbarplaneten gerichtet und die meisten haben keine Anzeichen von Kanälen gefunden. Mittlerweile war man auch in der Lage, die Zusammensetzung der Marsatmosphäre aus dem Licht zu bestimmen, dass der Planet reflektiert. Und nirgendwo war dort eine Spur von Wasser zu sehen. So groß die Begeisterung über die Marskanäle auch gegen Ende des 19. Jahrhunderts war: Jetzt wurde immer mehr klar, dass da viel Lärm um Nichts stattgefunden hatte. Es gab immer noch hier und da ein paar Leute, die weiterhin von ihrer Existenz überzeugt waren. Aber nicht viele. Percival Lowell selbst war bis zu seinem Tod am 12. November 1916 nicht davon zu überzeugen, dass er sich geirrt hat.
Die Zivilisation am Mars verschwand, so schnell wie sie aufgetaucht war. Man hielt es zwar immer noch für möglich, dass es am Mars simple Formen von Pflanzen gibt, aber an kanalbauende Marsmenschen hat niemand mehr gedacht. Spätestens 1965 war es dann endgültig vorbei: Da hat die amerikanische Raumsonde Mariner 4 den Mars erreicht und gezeigt, dass es dort nicht nur keine Kanäle gibt, sondern auch kein Wasser und keine offensichtlichen Anzeichen von Leben. Der Mars ist eine kalte, lebensfeindliche Wüste.
Was genau Schiaparelli, Lowell und die anderen gesehen haben oder gesehen geglaubt zu haben, ist nicht ganz klar. Die Teleskope waren damals nicht so gut wie heute, und Fehler in den Linsen können durchaus zu entsprechenden Effekten führen. Staubstürme am Mars könnten ebenfalls den Eindruck von Linien hervorrufen. Diverse optische und psychologische Täuschungen können uns Linien sehen lassen, wo keine sind – ganz besonders dann, wenn wir fest davon überzeugt sind, dass man dort Linien sehen sollte.
Wir wissen nun auf jeden Fall, dass es die Marskanäle nicht gibt. Sie haben die Welt aber trotzdem beeinflusst. Die Lowell-Sternwarte ist auch nach Percival Lowells Tod in Betrieb geblieben und hat sich zu einem wichtigen Zentrum für Planetologie entwickelt. Dort hat man im Jahr 1930 den Pluto entdeckt und auch heute noch arbeitet man in der modernen Spitzenforschung mit. Die Marskanäle dagegen haben die Literatur beeinflusst. 1897 zum Beispiel hat H.G. Wells sein berühmtes Buch „Krieg der Welten“ geschrieben, in dem die Bewohner des Mars die Erde angreifen, weil ihr eigener Planet zu einer trockenen Wüste geworden ist und sie auf die Erde ausweichen wollen. Ich könnte noch Unmengen an Science-Fiction und andere Literatur aufzählen, die von der Idee der Marsmenschen und ihrer Kanäle beeinflusst worden sind. Natürlich waren die Beobachtungen im späten 19. Jahrhundert nicht allein dafür verantwortlich, dass der Mars in Film und Literatur zur Standardheimat der Aliens geworden ist. Aber sie hatten mit Sicherheit einen großen Anteil daran.
Die Marskanäle gibt es nicht. Aber wer weiß – vielleicht lassen wir ja irgendwann mal die Science Fiction real werden, besiedeln den Mars selbst und graben dort unsere eigenen Kanäle…
Ein aus deutscher Sicht amüsanter Unterschied zwischen österreichischem und deutschem Sprachgebrauch ist das Wörtchen „am“, was in Ö offenbar eine Zusammenziehung von „auf dem“ ist, in D aber als „an dem“ verstanden wird.
Wenn Florian etwa von der „Landung am Mond“ schreibt, kratzt sich manch Piefke verwirrt den Kopf, während ihm die Zweifler begeistert beipflichten: „Sag ich ja!! Wir waren nie auf dem Mond!1!!“
Eine Kleinigkeit ist streng genommen falsch, führt aber zu einem spannenden Gebiet des Amateurfunks. Man findet nämlich doch Kanäle wenn man so was wie den „Sendersuchlauf“ anwirft. Es gibt Leute die privat schauen ob sie ob sie Raumsonden empfangen können.
Hier mal ein Beispiel:
https://uhf-satcom.com/dsn/phoenix-mars-lander
Das ist der erste 404, den ich stabil erreichen kann.
Mehrfach.
Dazu kommt, daß es ja eigentlich, wenn man die Marskanäle sucht, auch logischerweise nur heißen kann: „error 404 – not found“.
Eindeutig von mir nicht tief genug durchleuchtet, Bullet. Wertvoller Hinweis!