Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 400: Die königlichen Astronomen
Ich als Astronom bin selbstverständlich der Meinung, dass die Astronomie nicht nur eine sehr faszinierende sondern auch eine enorm wichtige Wissenschaft ist. Dieser Meinung sind sicherlich auch jede Menge andere Menschen. Aber man findet selten hochrangige Politikerinnen oder Politiker die ebenfalls so von der Bedeutung der Astronomie überzeugt sind. Früher war das anders. Es gab „Hofastronomen“ die Herrscher bei ihren Aufgaben beraten haben. Da die wissenschaftliche Astronomie damals aber noch kaum von unwissenschaftlichen Astrologie zu trennen war und die „Hilfe“ meistens aus astrologischen Vorhersagen über die Zukunft bestand war das nicht unbedingt etwas, was man heute wieder aufleben lassen muss. Später hatte die echte Astronomie dann aber auch definitiv eine tatsächlich bedeutsame Rolle: Sie war unter anderem dafür zuständig, die Zeitmessung im jeweiligen Herrschaftsgebiet zu organisieren, war für Kartografie und Landvermessung zuständig und auch für die Navigation auf den Meeren. Alles nachvollziehbar wichtige Aufgaben für die Führung eines erfolgreichen Staatswesens.
Womit wir auch gleich bei dem Thema der heutigen Folge wären. Es geht nicht um irgendwelche Hofastronomen sondern um die königlichen Astronomen von England. Charles der Zweite, König von England, Schottland und Irland hat am 22. Juni 1675 das Amt des „Astronomer Royal“ ins Leben gerufen. Und gleichzeitig eine eigene Sternwarte als Arbeitsplatz gegründet, das Royal Greenwich Observatory, damals vor der Stadt London gelegen auf einem Hügel an der Themse. Das Jahresgehalt für den Job betrug 100 Pfund, was heute ungefähr 20.000 Euro entsprechen würde. Kein Vermögen, aber doch eine halbwegs ordentliche Bezahlung im 17. Jahrhundert.
Wieso aber braucht ein englischer König einen eigenen königlichen Astronom mit komplett neu errichteter Sternwarte? Nicht um astrologische Prognosen zu erstellen. Es ging um ein ganz handfestes und drängendes Problem: Die Positionsbestimmung. Solange man sich irgendwo an Land befindet ist es recht einfach, die eigene Position zu messen. Die Astronomie und die Mathematik haben dafür jede Menge passende Methoden entwickelt, zum Beispiel durch die Beobachtung von Sternen und der Bewegung von Planeten. Sobald man sich aber auf einem Schiff im Meer befindet wird es schwierig. Vor allem wenn es darum geht die Position in Ost-West-Richtung herauszufinden. Das geht nur wenn man auch gleichzeitig die Zeit sehr genau messen kann und das konnte man damals nicht. Ich hab das alles ausführlich in Folge 148 der Sternengeschichten erzählt. Uhren die genau genug waren haben damals nicht existiert. Also versuchte man, den Himmel als Uhr zu verwenden. Und wollte aus der Position des Mondes in Bezug auf die Sterne die genaue Zeit an einem vorher definierten Bezugspunkt bestimmen. Daraus kann man die eigene Position berechnen. Dazu braucht man aber erstens sehr genaue Karten des Sternenhimmels. Und zweites eine sehr gute Theorie mit der sich die Bewegung des Mondes beschreiben und vorhersagen lässt. Kurz gesagt: Man brauchte einen Astronom und genau das war der „Astronomer Royal“. Sein Job war es, das Problem der Positionsbestimmung zu lösen. Nicht aus wissenschaftlicher Neugier – für ein Land wie England und seine große Flotte an Schiffen die überall auf der Welt Handel und Krieg geführt hat, ist es absolut notwendig sicher navigieren zu können.
Der erste der diese wichtige Aufgaben erledigen sollte war John Flamsteed. Er trat sein Amt als königlicher Astronom im Jahr 1675 an und behielt es bis zu seinem Tod im Jahr 1719. Das Problem der Positionsbestimmung konnte er nicht lösen, aber dafür gelang es ihm einen wirklich beeindruckenden Sternenkatalog zu erstellen, wie ich in Folge 370 erzählt habe. Nebenbei lieferte er sich einen langen Streit mit Isaac Newton, aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Nachfolger von Flamsteed wurde im Jahr 1720 Edmond Halley. Wer sich ein bisschen mit Astronomie beschäftigt hat kennt diesen Namen selbstverständlich; mindestens vom „Halleyschen Komet“. Der trägt nicht deswegen seinen Namen, weil Halley ihn entdeckt hat. Er konnte als erster die Gravitationstheorie von Isaac Newton nutzen um die Bahn eines Kometen zu beschreiben und vorherzusagen, dass er 1759 wieder am Himmel der Erde zu sehen sein wird. Womit er absolut recht hatte. Das erlebte er aber nicht mehr, weil er schon 1742 starb. Ebenfalls nicht erlebt hat Halley die Lösung des Problems der Positionsbestimmung. Er selbst arbeitete weiter daran, unter anderem versuchte er es mit einer genauen Vermessung des Erdmagnetfeldes in den Griff zu kriegen. Erfolglos…
Der nächste Astronomer Royal war James Bradley, der sein Amt 1742 antrat. Er modernisierte erstmal die Sternwarte in Greenwich und machte sich, wie seine beiden Vorgänger daran, die Position der Sterne zu vermessen. Aber nicht nur! Bradley wollte nicht nur wissen wo die Sterne am Himmel sind, sondern auch wie weit sie von uns entfernt sind. Deswegen versuchte er die Parallaxe der Sterne zu messen, also die scheinbare Verschiebung ihrer Position die entsteht, wenn wir sie im Laufe eines Jahres von unterschiedlichen Positionen aus beobachten weil die Erde sich ja in dieser Zeit um die Sonne herum bewegt. Das gelang ihm nicht, dafür entdeckte er aber das Phänomen der „Aberration“ und damit den endgültigen Beweis dafür, dass sich die Erde wirklich um die Sonne bewegt, wie ich in Folge 83 der Sternengeschichten ausführlich erklärt habe. Bradley beschrieb und beobachtete auch wie die Gravitation des Mondes die Erdachse zum Schwanken bringt und versuchte den Abstand zwischen den Planeten zu messen.
Unterbrochen wurde er bei seiner Arbeit durch seinen Tod im Jahr 1762. Der neue Astronomer Royal wurde Nathaniel Bliss über den es nicht viel zu sagen gibt. Er hat das Problem der Positionsbestimmung nicht gelöst, ansonsten nicht viel neues entdeckt oder getan. Aber immerhin hält er den Rekord für die kürzeste Amtszeit eines königlichen Astronoms: Schon 1764 starb er und wurde von Nevil Maskelyne beerbt.
Und der wiederum ist eine sehr spannende Figur. Er war 46 Jahre lang königlicher Astronom, von 1765 bis 1811. Und der erste in diesem Amt, der die Lösung des Problems der Positionsbestimmung miterleben durfte. Er selbst war allerdings nicht dafür verantwortlich. Das Problem wurde nämlich am Ende nicht astronomisch gelöst, sondern mechanisch durch den Uhrmacher John Harrison, der eine Uhr baute die genau genug war und vor allem auf einem Schiff transportiert werden konnte. Maskelynes Rolle in dieser Geschichte war eher unsympathisch; anstatt den Uhrmacher zu unterstützen behinderte er dessen Arbeit und weigerte sich lange, diese unastronomische Lösung anzuerkennen. Ein wenig verständlich vielleicht aber nicht sonderlich hilfreich. Sehr viel freundlicher war er zu Wilhelm Herschel. Der Musiker aus Deutschland der sich selbst zu einem der wichtigsten Astronomen des 18. Jahrhunderts ausbildete und schließlich den Planeten Uranus entdeckte wurde von Maskelyne gefördert und er half, dessen Forschung außerhalb Englands bekannt zu machen. Maskelyne selbst ist aber nicht nur als Feind der Uhrmacher und Freund der Amateurastronomen bekannt sondern auch durch sein berühmtes Experiment, bei dem er untersuchte wie die Gravitationskraft eines Berges die Bewegung eines Pendels beeinflusst hat und mit dem er erstmals die Dichte der Erde berechnen konnte.
Auf Maskelyne folgte John Pond, der von 1811 bis 1835 Astronomer Royal war. Die von Charles dem II gestellte Aufgabe war zwar nun gelöst, der Job des Hofastronom wurde aber trotzdem nicht abgeschafft. Pond modernisierte vor allem die beobachtende Astronomie in England und sorgte überall für mehr Genauigkeit. Er aktualisierte die Sternkarten und installierte den berühmten „Zeitball“ an der Sternwarte Greenwich. Immer pünktlich um ein Uhr Mittags wurde ein großer roter Ball gut sichtbar entlang einer Stange am Dach der Sternwarte fallen gelassen so dass alle Schiffe auf der Themse es beobachten und ihre Uhren entsprechend stellen konnten.
Pond legte das Amt 1835 wegen gesundheitlicher Probleme nieder und sein Nachfolger wurde George Biddell Airy. Mit ihm wurde die Sternwarte von Greenwich langsam modern. Er führte das neue Forschungsgebiet der Spektroskopie ein, also die Untersuchung der Zusammensetzung des Sternenlichts das eine der wichtigsten Grundlagen der modernen Astrophysik ist. Zuvor beschäftigte er sich mit Optik und erklärte, wie man die Qualität von Teleskopen vernünftig beurteilen kann. Beziehungsweise warum sie nie völlig perfekt sein können, wie ich in Folge 309 über die „Airy-Scheiben“ erklärt habe, die ja nicht umsonst diesen Namen tragen. Airy setzte außerdem die Arbeit an den Sternkatalogen und der Zeitbestimmung seiner Vorgänger fort und die in der Sternwarte Greenwich bestimmte Zeit wurde 1880 zur „Greenwich Mean Time“, der Standardzeit für Großbritannien, die ab 1884 dann zur Standardzeit für die ganze Welt wurde. Da war Airy aber schon nicht mehr königlicher Astronom, er trat 1882 zurück und übergab das Amt an William Christie
Großartige Entdeckungen hat Christie in seiner Amtszeit nicht gemacht. Aber die Sternwarte massiv erweitert, die nun auch physikalische Forschungslabore erhielt. Außerdem vernetzte er die britische Forschung international und nahm am „Carte du Ciel“-Projekt teil, dem Vorläufer dessen, was später zur großen Organisation der Internationalen Astronomischen Union wurde, wie ich in Folge 301 erzählt habe. 1910 ging Christie in Pension und das Amt ging an Frank Dyson. Der beschäftigte sich einerseits damit, die Zeitmessung der Sternwarte zu verbessern und immer genauere Zeitangaben an den Rest des Landes zu liefern. Und spielte in der Geschichte der Wissenschaft eine enorm wichtige Rolle, da er im Jahr 1919 die Expedition des Astronomen Arthur Eddington organisierte. Die diente dazu, eine Sonnenfinsternis zu beobachten um dabei die Effekte zu überprüfen die Albert Einstein mit seiner kurz zuvor veröffentlichen Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt hatte. Die Expedition war ein Erfolg, Dyson und Eddington konnten bestätigen das Einstein recht hatte und der wurde schlagartig weltberühmt.
1933 übernahm Harold Spencer Jones das Amt. Mittlerweile war London deutlich größer geworden und Greenwich nicht mehr außerhalb der Stadt. Dann kam der zweite Weltkrieg, das Bombardement der deutschen Luftwaffe und Greenwich war definitiv kein guter Beobachtungsstandort mehr. Derswegen verlegte er im Jahr 1948 das Royal Greenwich Observatory hinaus aufs Land, nach Herstmonceux. Und rief ein Komitee ins Leben, das ein wirklich großes, neues Teleskop bauen sollte. Das wurde das Isaac-Newton-Telescope, 1967 gebaut, bis 1979 in der Greenwich-Sternwarte und 1979 übersiedelt auf die Insel La Palma in das Roque-de-los-Muchachos-Observatorium. Hat Harold Spencer Jones aber alles nicht mehr erlebt, weil er 1960 starb.
Der nächste im Amt war Richard van der Riet Wooley. Er fiel vor allem auf, weil er 1956 anlässlich seines Amtsantritts Raumfahrt als „kompletten Unsinn“ bezeichnete. Zu teuer, zu schwierig und komplett unmöglich. Und wie das halt so ist, flog ein Jahr nach dieser Aussage der erste Satellit ins All und auch die Mondlandungen der NASA fielen in seine Amtszeit. Aber immerhin war er für den Bau des Isaac-Newton-Telescopes verantwortlich…
1972 war ein besonders Jahr. Bis dahin war der Astronomer Royal immer auch gleichzeitig Direktor der Königlichen Sternwarte von Greenwich. Nachdem Richard van der Riet Wooley in Pension ging, wurde dieser Posten der Astronomin Margaret Burbidge übertragen. Sie war absolut qualifiziert; unter anderem weil sie maßgeblich daran beteiligt war zu erklären, wie Sterne in ihrem Inneren durch Kernfusion neue chemische Elemente produzieren können. Burbidge wurde aber nicht gleichzeitig auch Astronomer Royal. Man kann über die Gründe spekulieren, aber es hat sicherlich auch etwas damit zu tun, dass man diesen Titel keiner Frau verleihen wollte. Stattdessen ging er an Martin Ryle. Der hatte nun keine speziellen Aufgaben mehr sondern machte einfach weiter seinen Job als Astronom an der Uni Cambridge. „Astronomer Royal“ ist seit 1972 keine Berufsbezeichnung mehr, sondern ein Ehrentitel der an Astronomen verliehen werden kann. Theoretisch auch an Astronominnen – was aber bis jetzt immer noch nicht vorgekommen ist.
Ryle hat diesen Titel auf jeden Fall nicht unverdient gekriegt. Er war einer der Pioniere in der Radioastronomie; hat diese Disziplin unter anderem miterfunden und mit seinen Radiobeobachtungen wichtige Daten zur Bestätigung des Urknallmodells geliefert. 1974 bekam er dafür den Nobelpreis für Physik.
Radioastronom war auch Francis Graham-Smith, der Ryle 1982 als dreizehnter Astronomer Royal nachgefolgt ist. Er hat allerdings keinen Nobelpreis bekommen und auch sonst nichts spektakuläres gemacht. Als er den Titel im Jahr 1990 zurück gelegt hat, ist übrigens auch das Royal Greenwich Observatory ein weiters Mal umgezogen, diesmal nach Cambridge.
Auf Graham-Smith folgte Arnold Wolfendale. Mittlerweile hat niemand mehr so recht gewusst, zu was dieser Titel eigentlich gut ist. Man musste ja nichts besonders mehr machen, es gab keine königlichen Aufgaben mehr zu erledigen und auch die Zeitmessung lief ohne Astronomie recht gut. Wolfendale hat sich daher einfach selbst ein neues Jobprofil ausgedacht: Der Astronomer Royal, so seine Ansicht, sollte dafür sorgen, dass die Öffentlichkeit über Astronomie und Wissenschaft informiert wird. Was er dann auch tat und dafür sorgte, dass auch mehr Fördergelder für die Wissenschaftsvermittlung bereit gestellt wurden. Guter Mann! Auch wenn er ansonsten keine revolutionären Entdeckungen gemacht hat.
Wolfendale war Astronomer Royal von 1991 bis 1995, dann übernahm Martin Rees den Titel. Er tat erstens das, was Wolfendale gefordert hatte: Nämlich Astronomie an die Öffentlichkeit zu vermitteln; mit jeder Menge empfehlenswerter populärwissenschaftlicher Bücher. Darüber hinaus hat er aber auch ganz vorne mit geforscht, vor allem wenn es um die Kosmologie ging, die Beschreibung ferner Galaxien, schwarzer Löcher, des Urknalls, und so weiter.
Irgendwann wird Martin Rees auch aufhören, Astronomer Royal zu sein und dann wird jemand anderes den Titel übernehmen. Oder auch nicht. Die Königliche Sternwarte in Greenwich wurde 1998 geschlossen. Und vielleicht braucht man irgendwann auch keine königlichen Astronomen mehr. Denn was es ja eigentlich braucht, sind Männer und Frauen die das Universum erforschen und davon erzählen. Das geht ohne astronomischen Adelstitel ganz genau so…
Glückwunsch zur 400.!
Das ist mal ’ne Hausnummer! Wow!
Das wolle wir doch hoffen lieber Florian von Freistetter. 😉