Dieser Artikel ist Teil einer Serie über naturwissenschaftliche Experimente. Entsprechende Artikel werden hier im Blog bis Ende Juli erscheinen. Alle Artikel der Serie könnt ihr hier finden.
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Wie schwer ist die Erde? Eine scheinbar simple Frage. Die Erde ist ein Ding, jedes Ding hat eine Masse und diese Masse muss einen konkreten Wert haben. Aber wie bestimmt man den bei einem so großen Objekt wie unserem Planeten? Auf eine Waage legen kann man die Erde nicht. Was tut man stattdessen? Man nimmt sich ein Pendel, ein Fernrohr und geht ein bisschen Wandern!

So einfach war es dann in der Realität natürlich doch nicht. Zuerst einmal musste man das mit der Gravitation verstehen. Jede Masse zieht jede andere Masse an und zwar auf eine Art und Weise die durch Isaac Newtons Gravitationsgesetz beschrieben wird. Und es war auch Isaac Newton der die Sache mit den Bergen und dem Pendel vorgeschlagen hat. Stellen wir uns vor, die Erde wäre eine Kugel mit einer völlig glatten Oberfläche. Wenn wir uns dann irgendwo hinstellen und ein Pendel pendeln lassen und warten bis es fertig gependelt hat, wird sein Ende exakt in Richtung Erdmittelpunkt zeigen. Wenn jetzt aber irgendwo auf der Erdoberfläche ein Berg rumsteht und wir das Experiment direkt neben diesem Berg durchführen, wird das nicht so sein. Denn auch der Berg hat eine Masse und die zieht das Pendel ein klein wenig an. Wegen dieser Anziehungskraft hängt das Pendel also ein bisschen schief. Wenn man das messen kann und dann auch noch die Dichte des Gesteins kennt aus dem der Berg besteht, kann man daraus die Dichte des Materials berechnen aus dem die Erde steht. Und wenn man dann noch weiß wie groß die Erde ist, folgt daraus direkt ihre Masse.

Hat die Erde eigentlich einen BMI?? (Bild: NASA Goddard Space Flight Center Image by Reto Stöckli (land surface, shallow water, clouds). Enhancements by Robert Simmon (ocean color, compositing, 3D globes, animation). Data and technical support: MODIS Land Group; MODIS Science Data Support Team; MODIS Atmosphere Group; MODIS Ocean Group Additional data: USGS EROS Data Center (topography); USGS Terrestrial Remote Sensing Flagstaff Field Center (Antarctica); Defense Meteorological Satellite Program (city lights)“) (Verdammt! Was für eine Credit-Liste!!)

So weit, so klar. Isaac Newton hatte dieses Experiment vorgeschlagen um seine Gravitationstheorie zu überprüfen. Durchgeführt worden ist es dann aber erst knapp 30 Jahre nach seinem Tod. Im Jahr 1774 machte sich der englische Astronom Nevil Maskelyne auf nach Schottland zum Berg Schiehallion. Schon zuvor hatten französische Astronomen probiert das Experiment in der Nähe des Bergs Chimborazo in Ecuador durchzuführen. Das Wetter war aber mies, die Messungen nicht genau genug – aber immerhin ausreichend genau um zu zeigen, dass die Erde nicht hohl sein konnte (was damals einige Forscher immer noch dachten).

Aber warum warum, fragen sich vielleicht jetzt einige, waren da nur Astronomen beteiligt? Weil Astronomie enorm wichtig ist, wenn man das Experiment durchführen will. Man braucht ja irgendeine Referenz in Bezug auf die man die Abweichung messen kann. Man muss also – vereinfacht gesagt – erst mal ganz genau wissen, wo „oben“ ist. Oder, etwas wissenschaftlich exakter, man muss die genaue Richtung des Zenits bestimmen. Also der Punkt am Himmel der genau über einem Beobachter steht. Dazu braucht es Referenzsterne die ausführlich vor Ort vermessen werden müssen. Und dann ist die Erdoberfläche ja auch noch gekrümmt, was man ebenfalls berücksichtigen muss; genauso wie die verschiedenen Arten auf die die Erdachse hin und her wackeln kann (zum Beispiel durch den Einfluss des Mondes). Man muss also sehr exakte astronomische Beobachtungen anstellen bevor man überhaupt loslegen kann.

Der Schiehallion in Schottlan (Bild: Andrew2606, CC-BY 3.0)

Und dann muss man auch noch den richtigen Berg finden! Idealerweise steht er möglichst alleine in der Gegend rum. Ein Gebirge, in dem rundherum alle möglichen Berge stehen ist wenig hilfreich weil man es dann schwer hat zu bestimmen, welcher Berg welchen Einfluss ausübt. Und dann sollte der Berg auch noch eine möglichst gleichmäßig geometrische Form haben, denn man muss ja sein Volumen berechnen können. Wenn man das Experiment an verschiedenen Seiten vom Berg durchführen kann, die alle annähernd gleich weit von seinem Massenschwerpunkt entfernt sind, schadet es auch nicht.

All das war beim Schiehallion vorhanden und deswegen machte sich Nevil Maskelyne im Jahr 1774 dorthin auf. Er machte die nötigen astronomischen Vermessungen und berechnete, wie groß die beobachtete Ablenkung des Pendels denn sein müsste, wenn die Dichte der Erde exakt gleich groß wie die Dichte des Berges wäre. Die gemessene Ablenkung war aber viel schwächer, woraus folgt dass die mittlere Dichte der Erde größer als die Dichte des Berges sein muss. Am Ende kam man zu einem Wert von 4,5 Gramm pro Kubikzentimeter. Der korrekte Wert beträgt 5,515 Gramm pro Kubikzentimeter. Das ist ein Fehler von knapp 20 Prozent. Aber trotzdem nicht schlecht für ein Experiment aus dem 18. Jahrhundert!

Vor allem konnte man auch mit dem damaligen Wert schon sehen, dass die mittlere Dichte der Erde größer ist als die typische mittlere Dichte von Gestein. Woraus folgt dass die Erde eben nicht nur aus Gestein bestehen kann. In ihrem Inneren muss noch Zeug mit einer höheren Dichte sein, also Metall. Was absolut korrekt ist: Im Inneren der Erde befindet sich ein metallischer Kern, ungefähr so groß wie der Mond!

Ähnliche Experimente wurden auch später noch durchgeführt; ebenso wie andere Experimente die die Masse der Erde auf andere Weise bestimmt haben. Aber ich mag das Schiehallion-Experiment sehr gerne. Es hat alles, was ein cooles Experiment braucht. Eine Expedition in die Wildnis; eine große, simple und trotzdem tiefsinnige Frage, jede Menge komplexe Details und vor allem Astronomie! Was will man mehr!

5 Gedanken zu „Die Welt wiegen mit einem Berg: Das Schiehallion-Experiment (Die spannendsten Experimente der Naturwissenschaft 09)“
  1. Führt man sich vor Augen, was für das Experiment alles hat richtig gemessen werden müssen – die exakte Ausrichtung der Vertikallinie und eine Abweichung von ihr im Bogensekundenbereich – und das schon im 18. Jahrhundert, dann kann man nur seinen Hut ziehen vor Maskelyne.

    Nach Maskelyne ist übrigens ein Mondkrater nahe der Landestelle von Apollo 11 benannt.

  2. @Spritkopf

    Sollte man gegenüber Maskelyne den Hut oder lieber doch die Hose ziehen. Das ist hier die Frage.

    Das Verhalten von Nevil Maskelyne und der Kommission, die eigentlich das Problem der Längengradmessung lösen helfen sollte, führte dazu, dass Seeleute und Seereisende über ein weiteres halbes Jahrhundert dem oft genug tödlichen Risiko von Fehlnavigationen ausgesetzt blieben und dass sich die Entwicklung der modernen Navigation um ein halbes Jahrhundert verzögerte.

  3. @Karl-Heinz

    Habe gerade mal bei Wikipedia nachgelesen, was du eigentlich meinst. Wow, gruselig. Unter diesen Umständen lasse ich den Hut doch lieber auf.

  4. > Der korrekte Wert beträgt 5,515 Gramm pro Kubikzentimeter. Das ist ein Fehler von knapp 20 Prozent. Aber trotzdem nicht schlecht für ein Experiment aus dem 18. Jahrhundert!

    Anstatt sich mit den Massen von Erde und Schiehallion herumzuschlagen kann man Bleikugeln bekannter Masse verwenden:

    Cavendish found [1798] that the Earth’s density was 5.448±0.033 times that of water (due to a simple arithmetic error, found in 1821 by Francis Baily, the erroneous value 5.480±0.038 appears in his paper).

    https://en.wikipedia.org/wiki/Cavendish_experiment

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