Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 397: Tiefseeastronomie
Heute geht es in den Sternengeschichten um Tiefseeastronomie. Das klingt ziemlich absurd. Wir haben schon genug Schwierigkeiten wenn wir durch die Atmosphäre der Erde hindurch ins All schauen und die Sterne erforschen wollen. Wieso sollten wir die Sache noch schwieriger machen in dem wir uns auf den Grund des Ozeans begeben. Aber in der Astronomie ist man eben immer auf der Suche nach neuen Informationsquellen und dabei muss man manchmal eben auch sehr kreativ werden. Tatsächlich gibt es mehrere Möglichkeiten, wie man vom Grund des Ozeans an Informationen über den Kosmos kommen kann.
Zum Beispiel wenn man Sternexplosionen erforschen will die schon längst stattgefunden haben. In der Astronomie ist man immer auf der Suche nach solchen „Supernova“-Ereignissen. Ich hab davon ja schon erzählt: Wenn große Sterne – deutlich massereicher als unsere Sonne – das Ende ihres Lebens erreicht haben, dann verlöschen sie nicht einfach. Sondern explodieren auf gewaltige Weise und leuchten dabei kurzfristig heller als Milliarden normale Sterne zusammen. Nach ein paar Wochen verlöschen sie aber endgültig und wenn man die Explosion verpasst hat, kann man nur noch die Überreste der Supernova erforschen. Was zwar auch sehr viel sehr interessante Informationen liefert. Aber noch mehr kann man lernen, wenn man so eine Supernova quasi live beobachtet. Das ist schwierig, weil man ja nicht weiß, wo und wann der nächste Stern sein Leben beendet. In anderen Galaxien kriegen wir das mittlerweile recht gut hin; die lassen sich mehr oder weniger automatisiert überwachen und immer wenn dort ein sterbender Stern hell aufleuchtet, stehen die Teleskope schon bereit. Das geht aber auch nur, weil man gleichzeitig sehr, sehr viele Galaxien beobachten kann und die Chancen gut stehen, dass irgendwo eine Supernova stattfindet. Und weil diese Galaxien natürlich alle auch sehr, sehr weit entfernt sind, kann man nicht immer so genau hinschauen wie man gerne möchte.
Für uns interessant sind vor allem Supernova-Explosionen die in unserer eigenen Milchstraße stattfinden, also der Galaxie zu der nicht nur ein paar hundert Milliarden andere Sterne gehören sondern auch unsere Sonne. Da haben wir allerdings seit mehr als 400 Jahren keine Supernova mehr beobachtet. Irgendwann wird es mit Sicherheit wieder eine geben. Aber wer weiß wann. Und während man auf zukünftige Sternexplosionen wartet, beschäftigt man sich gleichzeitig mit denen, die in der Vergangenheit stattgefunden haben.
Es ist leicht zu verstehen, warum diese Ereignisse interessant für uns sind. Wenn ein großer Stern explodiert, verteilt er auch gleichzeitig all das Zeug aus dem er besteht im Weltall. Unter anderem all die chemischen Elemente, die er im Laufe seines Lebens produziert hat. Die sind wichtig, denn nach dem Urknall vor 14 Milliarden Jahren gab es im Universum ja nur Wasserstoff und Helium. All die anderen Elemente, unter anderem die aus denen die Erde und auch wir Menschen bestehen, gab es nicht. Sie wurden erst später durch Kernfusion im Inneren der Sterne gemacht und durch Supernovaexplosionen im All verteilt. Als unsere Sonne entstand war schon jede Menge von dem Zeug da, weswegen mit der Sonne auch Planeten wie die Erde und darauf Lebewesen wie wir entstehen konnten. Wenn wir Supernova-Explosionen erforschen, verstehen wir also gleichzeitig auch, wie all das gemacht wurde aus dem wir bestehen.
Wir können dadurch aber auch unsere Umgebung in der Milchstraße besser verstehen. Zwischen den Sternen befindet sich jede Menge Staub und Gas. In diese Wolken schleudern die Supernova-Explosionen ihre frisch erzeugten chemischen Elemente. Die Explosionen können aber auch dazu führen, dass diese Wolken anfangen in sich zusammenzufallen. Dann entstehen dort neue Sterne. Supernova-Explosionen können aber auch Leerräume in diesen Wolken erzeugen, quasi „Blasen“ im Staub zwischen den Sternen. Unsere Sonne sitzt genau in so einer Blase, wie ich schon in Folge 63 der Sternengeschichten erzählt habe. Wenn wir verstehen wollen, wie Sterne entstehen, wo sie entstehen können und wie ihre Entstehung beeinflusst werden kann, müssen wir herausfinden, wann und wo in der Vergangenheit Supernova-Explosionen stattgefunden haben.
Und das können wir unter anderem am Meeresboden herausfinden. Dazu braucht man Eisen. Aber nicht irgendein Eisen, wir brauchen radioaktives Eisen. Das normale Eisen tut nichts, es verrostet höchstens im Lauf der Zeit. Aber es gibt auch eine andere Art von Eisen, die radioaktiv ist, also im Laufe der Zeit zerfällt. Sie heißt Eisen-60 und hat eine Halbwertszeit von 2,6 Millionen Jahren. Das heißt wenn man irgendwo ein bestimmte Menge dieses Eisen-60 hat, ist nach 2,6 Millionen Jahren die Hälfte davon zerfallen, hat sich also in andere chemische Elemente umgewandelt. Weitere 2,6 Millionen Jahre ist auch die Hälfte vom Rest weg. Nochmal 2,6 Millionen Jahre später wieder die Hälfte. Und so weiter. Auf der Erde gibt es kein natürlich vorkommendes Eisen-60, was nicht überraschend ist. Immerhin ist unser Planet schon 4,5 Milliarden Jahre alt. In diesen Zeitraum passen sehr, sehr viele Perioden von 2,6 Millionen Jahre hinein. Was auch immer bei der Entstehung der Erde an Eisen-60 vorhanden gewesen sein sollte: Heute ist nichts mehr davon übrig. Wenn man aber nur genau genug sucht, kann man in bestimmten Gesteinen der Erde trotzdem noch Eisen-60 finden. Ganz besonders gut bei bestimmten Gesteinen die am Meeresboden zu finden sind. Nur: Wenn auf der Erde gar kein Eisen-60 mehr zu finden sein dürfte: Wie kommt das dort hin?
Ich muss jetzt gar keine künstliche Spannung aufbauen; immerhin habe ich vorhin lang und breit von Supernova-Explosionen erzählt. Und davon wie dabei alle möglichen chemischen Elemente durch die Gegend geschleudert werden. Mit dabei ist – wenig überraschend – auch Eisen-60, das die sterbenden Sterne bei ihren nuklearen Reaktionen ebenfalls produzieren. Wenn also eine Supernova nicht in einer fernen Galaxie sondern unserer Ecke der Milchstraße explodiert, dann können Eisen-60-Atome so auf die Erde gelangen. Dort lagern sie sich im Gestein ab und wenn wir diese Steine vom Ozeanboden holen und untersuchen, können wir rausfinden, wie alt das Gestein ist und wie viel Eisen-60 noch da und wie viel schon in andere chemische Elemente zerfallen ist. Aus all diesen Informationen zusammen kann man dann berechnen, wann ungefähr die Supernova stattgefunden hat, die das Eisen-60 auf die Erde gebracht hat.
So hat man zum Beispiel rausgefunden, dass es vor circa 2,2 Millionen Jahren in der Nähe unseres Sonnensystems eine oder mehrere solcher Explosionen gegeben haben muss. Und „Nähe“ ist hier natürlich astronomisch gemeint. Das war nicht gleich nebenan, sondern ein paar 100 Lichtjahre entfernt. Wir können sogar ein wenig genauere Angaben machen. Denn viele Sterne bewegen sich gemeinsam durch die Milchstraße, in sogenannten „Bewegungshaufen“. Wir wissen, dass ein solcher Haufen – die „Scorpius-Centaurus-Assoziation“ – vor 2,2 Millionen Jahren ihren geringsten Abstand zum Sonnensystem hatte. Es ist also höchst wahrscheinlich, dass es Sterne genau dieser Gruppe waren, die damals explodiert sind und das Eisen-60 auf die Erde gebracht haben. Wir wissen heute also, was vor mehr als 2 Millionen Jahre in der stellaren Nachbarschaft der Sonne los war. Weil wir den Boden des Ozeans untersucht haben!
Tiefseeastronomie kann aber noch mehr. Man kann in den Gesteinsproben auch Spuren vergangener Asteroideneinschläge finden oder die Menge an Staub abschätzen die zwischen den Planeten des Sonnensystems herumfliegt. Und man kann dort sogar ganze Teleskope hin bauen. Keine normalen natürlich; im Meer ist es dunkel und wenn man nicht mal das Sonnenlicht sehen kann, wird man bei Sternen erst Recht kein Glück haben. Aber ich habe ja in Folge 103 der Sternengeschichten schon mal über die „Neutrinoastronomie“ erzählt und die Neutrinos selbst in Folge 289 genauer vorgestellt. Das sind Elementarteilchen, die überall im Inneren von Sternen bei den nuklearen Vorgängen dort produziert werden. Ebenso wie bei Supernova-Explosionen, in der Umgebung schwarzer Löcher, und bei jeder Menge anderer interessanter Vorgänge im Weltall. Wir können also viel lernen, wenn wir die Neutrinos beobachten die aus dem fernen Universum zur Erde kommen. Das Problem: Neutrinos treten so gut wie gar nicht in Wechselwirkung mit normaler Materie. Die allermeisten Neutrinos fliegen glatt durch die Erde durch, so als würde sie gar nicht existieren. Nur ganz selten kommt doch mal eines dieser flüchtigen Teilchen in Kontakt mit einem normalen Atom. Dann laufen verschiedene nukleare Reaktionen ab bei denen unter anderem ein schwacher Lichtblitz entsteht. Den können wir beobachten und daraus dann auf die Eigenschaften des Neutrinos schließen. Diese „Neutrinoastronomie“ ist aber nicht so einfach. Man braucht erstmal eine sehr große Menge an Materie mit der die Neutrinos reagieren können. Die muss durchsichtig sein, damit sich die Lichtblitze auch ausbreiten können. Dann muss man dort überall extrem empfindliche Detektoren aufstellen. Und das ganze möglichst irgendwo machen, wo wenig störendes Licht aus anderen Quellen existiert. Wo findet man all das: Im Meer!
Nicht nur, Neutrinodetektoren hat man auch schon in dunklen Bergwerken oder unter dem Eis der Antarktis gebaut. Aber im Meer ist halt richtig viel Platz. Und richtig viel Wasser mit dem die Neutrinos reagieren können. Die Detektoren kann man dort an Kabeln ins Wasser hängen lassen. Und wenn man tief genug taucht ist es auch schön dunkel und abgeschirmt vom Rest der Welt. Deswegen hat man 2012 begonnen, an drei Orten im Mittelmeer genau solche Detektoren zu bauen. Mehr als 2 Kilometer tief vor den Küsten von Frankreich, Italien und Griechenland. Insgesamt 12000 Lichtdetektoren können bei diesem seltsamen Teleskop mit der Bezeichung „KM3NeT“ – die Abkürzung für Kubikkilometer-Neutrino-Teleskop – nach Neutrinos suchen. Und einen ganz einzigartigen Blick auf die Phänomene im Kosmos werfen. Vom Grund des Mittelmeers aus. Astronomie ist definitiv die coolste Wissenschaft!
Definitiv! Die Beschäftigung mit Astronomie fordert und fördert den menschlichen Geist. Vielen Dank für die (wieder einmal) großartige Sternengeschichten-Folge!
Vielleicht erleben wir es ja doch noch irgendwann in den nächsten Jahrzehnten eine Supernova direkt – am besten mit bloßem Auge – von der Erde aus zu beobachten …
Eine Frage aus der Himmelsastronomie (ich bitte um Entschuldigung): weiß jemand, wie lang der Schweif des Kometen derzeitig ist?
@Stephan
Millionen Kilometer langer Schweif
Entdeckt wurde „Neowise 2020 F3“ im März mit dem Infrarotteleskop „Neowise“ der NASA. 150 Millionen Kilometer ist der Schweifstern derzeit von der Erde weg, 50 Millionen Kilometer von der Sonne, von der er sich jetzt wieder langsam entfernt. Näher wird er uns auf seiner Bahn nicht kommen.
https://www.nachrichten.at/oberoesterreich/komet-neowise-oberoesterreich-foto;art4,3272969
Oje, demnächst kommt eine Folge „2Hochseeastronomie“ oder ich werde dumm sterben – aber falls doch sowas geplant ist, bitte Dalli, denn meine Lebenserwartung neigt sich der statistischen Wende… danach gibts dann die üblichen Manifestationssprobleme –