Es wird Zeit, wieder mal über Asteroiden zu reden. Denn da ist den letzten Jahren ja einiges passiert. Beziehungsweise passiert mit den Asteroiden ja immer etwas, aber in den letzten Jahren haben wir genau hingesehen. Die NASA hat im Rahmen der Mission OSIRIS-REx den Asteroid „Bennu“ besucht. Und die japanische Raumfahrtorganisation JAXA ist mit der Hayabusa-2-Mission zum Asteroid „Ryugu“ geflogen. Beide Raumsonden haben Landeeinheiten abgesetzt und beide Sonden sollen Proben vom Asteroid zur Erde zurück bringen. Vor allem haben wir nun aber auch detaillierte Bilder beider Himmelskörper:
Die beiden schauen sich ziemlich ähnlich. Überraschend ähnlich sogar. Es handelt sich zwar bei Bennu und Ryugu auch um Asteroiden die beide zur Gruppe der erdnahen Asteroiden gehören. Sie befinden sich beide in ungefähr der gleichen Ecke des Sonnensystems (ein bisschen weiter von der Sonne entfernt als die Erde). Ryugu ist knapp 900 Meter groß, bei Bennu sind es 500 Meter. Aber dass sich beide so extrem ähnlich sehen, ist schon ein wenig überraschend. Die Ursache dafür haben sich nun Patrick Michel von der Universite Côte d’Azur und seine Kolleginnen und Kollegen angesehen („Collisional formation of top-shaped asteroids and implications for the origins of Ryugu and Bennu“).
Bis jetzt war die favorisierte Erklärung für die spezielle Diamantenform dieser Asteroiden etwas, das mit dem leicht verständlichen Begriff „Yarkovsky–O’Keefe–Radzievskii–Paddack-Effekt“ bezeichnet wird. Beziehungweise „YORP-Effekt“, weil dieses Wortungetüm will man nicht öfter als nötig verwenden… Kurz erklärt: Der YORP-Effekt entsteht dadurch, dass Asteroiden durch die Sonnenstrahlung aufgewärmt werden und die Wärme dann auch wieder abgeben. Das aber nicht gleichmäßig tun. Verschiedene Bereiche der Oberfläche wärmen sich unterschiedlich schnell auf bzw. geben die Strahlung unterschiedlich schnell ab. Dadurch entsteht eine Art thermischer „Rückstoss“ und der kann die Rotationsgeschwindigkeit des Asteroiden veränden. Sowas hat man schon bei einigen Asteroiden beobachtet. Und im Fall von Ryugu und Bennu hat man sich vorgestellt, dass durch den YORP-Effekt Material in Richtung Asteroidenäquator geschoben wird wodurch die spezielle Diamantenform entsteht.
Klingt plausibel, ist auch plausibel, stimmt aber in diesem Fall nicht. Denn der YORP-Effekt braucht Zeit. Da man Bennu und Ryugu aus der Nähe beobachten konnte, hat man auch jede Menge Krater gesehen und näherungsweise deren Alter bestimmen können. Einige der Krater waren älter als es die Zeitskalen des YORP-Effekts zulassen würden. Die Form der Asteroiden muss es also schon länger geben als es sein könnte, wenn sie durch den YORP-Effekt erzeugt worden wäre.
Womit wir bei der rabiaten Vergangenheit der Asteroiden wären. Gut, die Vergangenheit von so ziemlich allen Objekten des Sonnensystems ist rabiat. Planeten sind durch Kollisionen entstanden und geformt worden. Und das gilt auch für die Asteroiden. Wir sehen überall die Spuren von Asteroidenkollisionen und es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch Bennu und Ryugu entsprechende Erlebnisse hinter sich haben. Und sogar vielleicht teilen. Michel und seine KollegInnen haben sich in ausführlichen Computersimulationen angesehen, wie das abgelaufen sein könnte. Die Form von Ryugu und Bennu und die Analyse durch die Raumsonden zeigt, dass es keine massiven Brocken sind, sondern eher nur fliegende Geröllhaufen. Eine Form wie sie beobachtet worden ist, kann bei Kollisionen durchaus entstehen wenn sich die Bruchstücke wieder zu neuen Objekten zusammensetzen. Interessant waren aber auch die Unterschiede die bei Ryugu und Bennu beobachtet wurden: Ryugu ist nämlich deutlich trockener als Bennu. Genau dieses Verhalten konnte man auch mit den Computersimulationen rekonstruieren.
Zuerst einmal hat man festgestellt, dass die Bruchstücke die sich nach einer Kollision zwischen großen Asteroiden zu kleineren Objekten zusammensetzen das in vielen verschiedenen Formen tun können. Diamantenformen wie bei Ryugu und Bennu gehören da mit dazu und es braucht keine besonders speziellen Bedingungen dass sie entstehen. Was auch noch passiert: Die Form der Bruchstücke bestimmt auch wie gut und stark sie bei der Kollision erhitzt werden. Und wie stark die Bruchstücke erhitzt werden bestimmt, wie viel Wasser/Eis im Gestein enthalten ist.
Das Fazit ist – nicht überraschend bei einem so chaotischen und komplexen Thema wie Kollisionen – etwas unklar. Aber klar ist: Sowohl Bennu als auch Ryugu haben ihre Form bekommen, als sie im Rahmen einer Kollision entstanden sind. Das ursprüngliche Objekt muss circa 100 Kilometer groß gewesen sein und als dass bei einer Kollision zerstört wurde, ist eine ganze Familie an Asteroiden entstanden, ein paar tausend bis zehntausend. Die Daten und Simulationen zeigen, dass Bennu und Ryugu durchaus auch beide aus der gleichen Kollision entstanden sein können. Der Unterschied in der Feuchtigkeit wäre dann auf den unterschiedlichen Ursprungsort des Materials zurückzuführen. Ryugus Material muss dann weiter aus dem Inneren des Mutter-Asteroids stammen bzw. war näher am Einschlagsort als das Material aus dem Bennu wurde.
Ob das wirklich so war werden wir vermutlich erst wissen (wenn überhaupt), wenn wir die Proben der beiden Asteroiden hier auf der Erde haben und im Detail untersuchen können. So oder so steht aber fest: Die beiden Asteroiden haben eine ziemlich heftige und spannende Vergangenheit hinter sich!
Das wäre bestimmt höchst lehrreich, wenn man Hinweise auf einen gemeinsamen Ursprungsasteroiden (Stichwort: Zusammensetzung) finden könnte.
Vor allem die kleinen, feinen Unterschiede würden dann viele Erkenntnisse liefern.
Was mit zugegeben sehr verwundert ist dass O’Keeffe auch in der Astronomie gearbeitet hat. Ich kannte den bislang nur von schlechten Sandalenfilmen wie der Ator-Trilogie.
Der Ryugu ist übrigens auch Schauplatz in einem Science-Thriller von Daniel Suarez. In Delta-V versuchen ein paar wagemutige, na, eher leichtsinnige Astronauten dort Asteroiden-Bergbau zu betreiben. Ein paar von ihnen überleben das Abenteuer sogar