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Hey! Exakt heute vor 5 Jahren ist die erste Folge des Sternengeschichten-Podcasts erschienen! Vielen Dank an alle, die während der ganzen Zeit immer wieder zugehört (und mitgelesen) haben!

Sternengeschichten Folge 262: Die Kordylewskischen Wolken

Wolken trifft man in der Astronomie recht oft. Meistens sind es gigantische Gebilde aus Gas und Staub die sich zwischen den Sternen befinden und aus denen die Sterne erst entstehen. Manchmal sind es auch die ganz normalen Wolken am irdischen Himmel die uns Astronomen den Blick auf den Himmel verstellen, wie ich in Folge 105 der Sternengeschichten schon erzählt habe.

Die Wolken um die es heute geht haben aber nichts mit den großen Ansammlungen aus Wassertropfen zu tun die schlechtes Wetter und schlechte Laune bei den Astronomen provozieren. Es geht aber auch nicht um die fernen Geburtsstätten der Sterne. Es geht um zwei ganz spezielle Wolken, ganz in unserer Nähe. Es geht um die Kordylewskischen Wolken.

Lieber Kazimierz Kordylewski:So kann das ja nix werden mit der Beobachtung. Das Teleskop gehört auf ein Stativ!! (Bild: gemeinfrei)
Lieber Kazimierz Kordylewski:So kann das ja nix werden mit der Beobachtung. Das Teleskop gehört auf ein Stativ!! (Bild: gemeinfrei)

Im Jahr 1961 hat der polnische Astronom Kazimierz Kordylewski den Himmel beobachten. Seine Ergebnisse hat er in einem Artikel mit dem Titel „Photographische Untersuchungen des Librationspunktes L5 im System Erde-Mond“ niedergeschrieben. Und gleich der erste Satz dieser Publikation erklärt worum es geht:

„4 Aufnahmen vom 6. März 1961 und 6. April 1961, photoelektrisch vermessen, erlaubten die Lage zweier Erhellungen, die als Materie-Wolken in der Nähe des Librationspunktes L5 anzusehen sind, zu bestimmen.“

Um zu verstehen was Kordylewski da beobachtet hat muss man zuerst einmal klären was ein „Librationspunkt“ ist. Ich habe das schon sehr ausführlich in Folge 31 der Sternengeschichten getan. Kurz gesagt sind die Librationspunkte im Erde-Mond-System diejenigen Punkte im Weltraum in denen sich alle wirkenden Kräfte – also die Gravitationskräfte von Erde und Mond und die Zentrifugalkräfte – gegenseitig aufheben. Ein Objekt das sich in so einem Gleichgewichtspunkt befindet spürt keine andere Kraft und kann dort quasi in Ruhe „parken“. Es gibt fünf dieser Librationspunkte, drei befinden sich entlang der Verbindungslinie zwischen Erde und Mond und zwei weitere direkt auf der Mondumlaufbahn, jeweils 60 Grad vor und 60 Grad hinter dem Mond.

Diese letzten beiden Punkte, L4 und L5 genannt sind stabil. Das bedeutet das Objekte die sich dort befinden auch dort bleiben, selbst wenn sie kleinen Störungen ausgesetzt sind. L1 bis L3 sind instabil, was so viel heißt das Objekte dort schon von kleinsten äußeren Störungen aus den Gleichgewichtspunkten geschoben werden und sich dann immer weiter entfernen. In den Librationspunkten 4 und 5 des Sonne-Jupiter-Systems kennen wir zum Beispiel tausende Asteroiden die sich dort seit Jahrmilliarden aufhalten. Wir haben entsprechende Asteroidengruppen in den Librationspunkten des Mars entdeckt; bei Neptun und sogar wir haben einen bekannten Asteroiden der sich im Lagranpunkt des Erde-Sonne-Systems befindet.

Kordylewski berichtet nun aber von Wolken aus kleinen Staubpartikeln die er im Librationspunkt L5 des Erde-Mond-Systems beobachtet hat. Vom Gipfel eines 1991 Meter hohen Bergs im Tatra-Gebirge hat er Aufnahmen des Himmels gemacht und in der Nähe von L5 helle Regionen entdeckt. In seiner Arbeit schreibt er:

„Die Übereinstimmung der Resultate aus allen Aufnahmen mit einander ist meiner Meinung nach ein Beweis für die Realität der Existenz von Materie-Wolken in der Nähe des Librationspunktes L5, die sozusagen zwei bisher unbekannte Erdmonde von etwa kometenartiger Struktur bilden.“

Er schreibt außerdem, dass er die Wolken auch mit freiem Auge mehrmals beobachtet habe und weist darauf hin dass man probieren sollte ein paar der größeren Staubbrocken noch genauer zu untersuchen um Lösung für „astronautische Probleme“ zu finden.

Zwei „Kometenmonde“ der Erde – das klingt schon ziemlich beeindruckend. Und warum auch nicht? Wir wissen dass es überall im Sonnensystem größere und kleinere Staubteilchen und Felsbrocken gibt die sich zwischen den Planeten aufhalten. Wenn die in die Nähe der stabilen Librationspunkte kommen, dann könnten sie dort durchaus eingefangen werden. So würden sich im Laufe der Zeit solche Wolken bilden wie sie Kordylewski beobachtet hat. In der Folge beobachteten andere Astronomen ebenfalls die in Frage kommenden Regionen und fanden wie Kordylewski Bereiche mit erhöhter Helligkeit. Die beobachtete Ausdehnung der Wolken zeigte dass sie ungefähr 14.000 Kilometer groß sein müssten; also in etwa so groß wie die Erde selbst.

Die 5 Librationspunkte
Die 5 Librationspunkte

Aber nicht alle Astronomen waren von den Beobachtungen überzeugt. 1969 beispielsweise schrieben zwei amerikanische Astronomen vom Goddard Space Flight Center der NASA dass sie es verstörend fänden, dass immer noch so viele Wissenschaftler von der Existenz der Kordylewskischen Wolken überzeugt seien. Denn es habe in den Jahren seit ihrer „Entdeckung“ keine Bestätigung durch andere Beobachtungen gegeben. Auch Messungen mit Radarstrahlen verliefen erfolglos. Auch die Theorie spräche gegen die Existenz der Wolken. Die Gleichgewichtspunkte existieren zwar in den mathematischen Modellen tatsächlich. Allerdings nur wenn man den Rest des Sonnensystems ignoriert. Das funktioniert aber nicht, denn da ist ja noch viel mehr als nur Erde und Mond. Zum Beispiel die Sonne – die mit ihre Strahlung und dem Sonnenwind kleine Staubteilchen längst aus der Umgebung des Mondes entfernt haben müsste.

Wenn Kordylewski damals tatsächlich etwas gesehen hatte, dann wären es der Meinung dieser Astronomen viel eher Ansammlungen von Staubteilchen die von Kometen stammten. Solche kurzfristigen Konzentrationen von Material im Sonnensystem gibt es immer wieder, sie existieren aber nicht lange und lösen sich bald wieder auf.

Auch Beobachtungen aus den 1980er Jahren lieferten keine Bestätigung für die Existenz der Wolken. Das bedeutet aber nicht dass die Wolken nicht doch existieren. Unter anderem weil andere Beobachtungen noch immer Hinweise auf die Wolken fanden. Es könnte sich um ein veränderliches Phänomen handeln bei dem mal mehr und mal weniger Staub in den Librationspunkten vorhanden ist. Es gab sogarVorschläge für Raummissionen um die Sache vor Ort zu klären.

Und immer noch beschäftigen die Wolken die Astronomen. 2014 untersuchten russische Astronomen die Stabilität der Gleichgewichtspunkte unter Berücksichtung der gravitativen Störungen anderer Himmelskörper und kamen zu dem Ergebnis dass trotz allem Staubteilchen für längere Zeit in den Librationspunkten des Erde-Mond-Systems überleben könnten. 2015 zeigten Astronomen dass sich Wolken wie sie Kordylewski beobachten haben wollte auch bilden könnten.

Andererseits schickte die japanische Raumfahrtagentur am 24. Januar 1990 ihre Sonde mit dem Namen Hiten zum Mond. Sie war speziell dafür gebaut worden nach Staubteilchen zu suchen die sich zwischen der Erde und dem Mond befinden. Hiten flog dabei auch direkt durch die Librationspunkte L4 und L5 des Systems Erde-Mond und fand dort keine erhöhte Menge an Staubteilchen.

Es sieht also nicht gut aus für die beiden Kometenmonde, die der polnische Astronom entdeckt haben wollte. Aber völlig ausschließen kann man ihre Existenz immer noch nicht. Vielleicht ändert sich die Menge an Teilchen ja wirklich im Laufe der Zeit und Hiten hat deswegen nichts beobachtet. Vielleicht zeigen zukünftige Raummissionen uns doch noch dass da zwischen Erde und Mond ein paar Staubwolken ihre Runden ziehen. Vielleicht gab es die Wolken aber auch nur in der Fantasie von Kazimierz Kordylewski.

21 Gedanken zu „Sternengeschichten Folge 262: Die Kordylewskischen Wolken“
  1. Tja, die Kordylewskischen Wolken! Einerseits ist ihre Existenz völlig plausibel, andererseits findet man sie heute nicht mehr und schon gar nicht in der Klarheit, mit der Kordylewski sie gefunden haben will. Vielleicht sind sie wirklich nur ein temporäres Phänomen und Kordylewski hatte einfach nur viel Glück. Was könnte denn passiert sein, falls Kordylewski recht gehabt haben soll?

    Aber mal etwas anderes: Wieso ist Hiten an den beiden Erde-Mond-Lagrangepunkte vorbei geflogen? War der Grund rein wissenschaftlich oder ging es um einen navigatorischen Vorteil?

  2. Vielleicht sind sie wirklich nur ein temporäres Phänomen

    Dann aber ein wiederkehrend temporäres Phänomen. Was es eigentlich nur noch interessanter macht.

  3. Wie man es nimmt – so gut wie Kordylewski hat es anscheinend nie wieder jemand sehen können. Einmal ist aber leider keinmal. Vielleicht hat er sich getäuscht und lediglich das gesehen, was er sehen wollte?

    Wie auch immer: Wenn sich da immer mal wieder etwas (für eine relativ kurze Zeit) ansammelt, was könnte es denn sein? Vielleicht Meteoroidenströme, wie die Erde sie immer wieder durchfliegt? Dagegen spricht natürlich, dass die Lagrangepunkte die Materie erst konzentrieren müssten, bevor sie sich wieder zerstreut. Andererseits ist das Maß der Instabilität, das durch Sonne und Planeten hervorgerufen wird, vermutlich nicht zu allen Zeiten gleich groß. Vielleicht konzentriert sich deshalb die Materie immer mal wieder so stark, dass sie sichtbar wird?

  4. Habe mich mal etwas mit den Punkten L4 und L5 beschäftigt. Meiner Meinung ist deren Bahnradius etwas geringer als der des zugehörigen Planeten, denn ohne Planet flöge der Brocken ja genau auf der Planetenbahn. Außerdem scheint mir, die Punkte wirken wie eine anziehende Masse, ohne dass sich dort etwas befindet. Die Mathematik der L4 und L5-Punkte ist sicher äußerst interessant. Also wäre das nicht mal ein Thema? Ich finde dazu nämlich nichts.

  5. @Artur57

    Meiner Meinung ist deren Bahnradius etwas geringer als der des zugehörigen Planeten, denn ohne Planet flöge der Brocken ja genau auf der Planetenbahn.

    Früher hatte ich auch mal gedacht, wenn ein Objekt 60° der Erde voraus oder hinter ihr zurück um die Sonne kreist, dann würde es ohne Erde ja genau auch da kreisen und mit Erde müsste deren Gravitation das Objekt doch auf sich zu ziehen.

    Aber ein Objekt in L4 oder L5 des Erde-Sonne-Systems umkreist gar nicht die Sonne, sondern das Massenzentrum (Baryzentrum) von Sonne und Erde, und das ist ein Stückchen auf die Erde zu versetzt, d.h. die Fliehkraft in L4 und L5 geht nicht radial von der Sonne weg, sondern ein wenig „voraus“ oder „nach hinten“, radial vom Baryzentrum weg. Das hält ein Objekt in L4 oder L5 auf Abstand von der Erde.

    In Wikipedia wird argumentiert, dass das Kräftegleichgewicht von drei synchron umeinander kreisenden Körpern immer ein gleichseitiges Dreieck sein muss, egal wo das Baryzentrum liegt, und damit ist der Abstand L4/5-Sonne exakt gleich groß wie der Abstand Erde-Sonne oder L4/5-Erde.

    In der englischen Wikipedia gibt’s auch die aufgestellte Gleichung für die Beschleunigung, die 0 sein soll, wobei ich auf die Schnelle nicht überblicke, wie der 2. (Kraft von der kleineren Masse) und 3. Term (Fliehkraft) zustande kommen (die dort verwendeten Größen sind weiter oben im Text erklärt)

  6. … na dann,
    auf die nächsten 5 jahre mit vielen spannenden themen – ein grosses danke auch von mir
    ist immer wieder spannend: so wie heute, ein grenzfall.

  7. Interessant dass etwas was sich so „nah“ bei uns bei der Erde befindet (oder nicht), so ungeklärt ist. Irre. Erstaunlich. Irritierend.

  8. @Florian

    @Artur57: “Meiner Meinung ist deren Bahnradius etwas geringer als der des zugehörigen Planeten, “

    Aber nicht der Meinung der Mathematik nach. Laut liegen L4 und L5 exakt auf der Bahn des Planeten.

    Mir sind die hier verwendeten Begriffe noch nicht klar genug, mit anderen Worten: Ich weiß nicht genau, wovon hier die Rede ist: Radius setzt doch Kreis voraus. Aber wenn Kreis, dann um die Sonne oder um das Baryzentrum? Und wo ist dann der Winkel ?

    Andererseits: Wenn von der Bahn die Rede ist, dann wohl von der Elipsenbahn. Aber wo ist dann der Scheitel des Winkels 60°? Sonne, Barytentrum,…?

  9. @Alderamin

    Die (+/-)60 Grad gehen die vom Zentrum des schwersten Objektes aus, oder vom Baryzentrum aus?

    Ich persönlich tippe auf das Zentrum des schwersten Objektes.

  10. @Alderamin

    60°-Winkel zwischen den Linien, die die Objekte verbinden

    Ich interpretiere es so: zwei Ecken vom Dreieck liegen im Zentrum der Objekte, oder?

  11. @Alderamin

    die Objekte formen ein gleichseitiges Dreieck

    Wenn das so wäre könnte die Bahn aber nur kreisförmig sein.

    Für elliptische Orbits soll das auch gelten.

    Das kann aber in einer Elipse gar nicht stimmen, denn das Baryzentrum steht ja im Brennpunkt der Ellipse. Es stimmt dann aber auch nicht nach dem Link, den du angibst. Denn dort steht :

    A more complete answer is given in this paper. It concludes that yes, L4 and L5 are at the points on the orbit that are equidistant from the planet and barycenter.

    Das bedeutet, dass der Probekörper an der Spitze eines gleichschenkligen Dreiecks ist, das aber, wenn er auf einer Ellipse ist, fast nie gleichseitig ist.

    Ich denke, wahrscheinlich ist das gar nicht so wichtig, denn in der Praxis gibt es ja das vereinfachte Dreikörper-Problem gar nicht, sondern dort ist die 60°-Regel mehr eine Faustregel, die man wohl bei geringer Exzentrizität als gute Näherung verstehen kann.

  12. @Peter Paul

    Das bedeutet, dass der Probekörper an der Spitze eines gleichschenkligen Dreiecks ist, das aber, wenn er auf einer Ellipse ist, fast nie gleichseitig ist.

    Du hast recht, die direkt gegebene Antwort ist falsch, denn im verlinkten Papier steht am Ende „Now, it is evident that for e=0 we obtain the well-known solution of an equiliteral triangle“, d.h. nur bei einer Kreisbahn (Exzentrizität 0) kommt ein gleichseitiges Dreieck heraus. Für eine Ellipsenbahn bewegen sich die L4- und L5-Punkte etwas durch die Gegend, wie in dem Ausschnitt aus der Wikipedia angedeutet wird, der in der Antwort zitiert wird.

    Aber jedenfalls wird das gleichseitige Dreieck zwischen den Objekten gebildet, nicht mit der Spitze zum Baryzentrum. Siehe Karl-Heinzens Bild.

    1. Das wäre dann klar, aber das geht bei einer Ellipse gar nicht. Wenn man sich eine Ellipse mit großer Exzentrizität aufmalt und den Planet am Hauptscheitel, dann ist der Probekörper nahe beim Nebenscheitel und das klappt mit den Abständen gar nicht mehr, denke ich jedenfalls, gerechnet hae ich es aber noch nicht, aber das scheint mir anschaulich klar.

  13. @Peter Paul

    Es gilt bei Kepler 2 ja, dass ein Körper in geringerer Entfernung einen größeren Bahnbogen überstreicht als in größerer, d.h. der vorauseilende Lagrangepunkt bewegt sich schneller auf der Bahn als der Planet im Aphelm und langsamer als der Planet im Perihel. So kann keinesfalls ein exaktes 60°-Dreieck erhalten bleiben (auch kein anderer fester Winkel). Aber für eine nahezu kreisförmige Bahn wie die der Erde (und sogar des Mars, der hat ja auch Trojaner und eine gar nicht mehr so kreisfrömige Bahn) bleiben die L4/L5-Punkte offenbar in derselben groben Gegend.

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