Der Monat ist fast rum und ich habe nur vier Bücher gelesen. Aber drei davon waren ziemlich umfangreich. Und ziemlich gut noch dazu! Gut waren eigentlich alle vier, weswegen ich sie natürlich auch wieder so wie jeden Monat gerne vorstellen möchte.
Zeitreisen in den 2. Weltkrieg
Schon im April habe ich die Zeitreise-Bücher von Connie Willis vorgestellt und sehr gelobt. Damals waren es „The Doomsday Book“ (auf deutsch: „Die Jahre des schwarzen Todes“) und „To say nothing of the dog“ (auf deutsch: „Die Farben der Zeit“. Die beiden Bücher kann man unabhängig voneinander lesen, sie spielen aber in der gleichen Welt und teilen sich auch ein wenig das Personal. Personen aus diesen beiden Romanen findet man auch in „Blackout“ und „All Clear“ (auf deutsch: „Dunkelheit“ und „Licht“), dem zweiteiligen Abschluss(?)-Band der Serie.
Ich glaube „Blackout“ und „All Clear“ waren die großartigsten Zeitreisebücher die ich je gelesen habe! Ein Haufen junger Studentinnen und Studenten aus den 2060er Jahren machen sich auf den Weg zurück in der Zeit ins England während des zweiten Weltkriegs. Der eine will Menschen studieren, die plötzlich zu Helden werden, die andere untersuchen wie es evakuierten Kindern ergangen ist, eine möchte das Leben der Zivilbevölkerung während des „Blitz“ erforschen und die vierte den Einfluss des V2-Bombardements auf die Rettungsmannschaften. So weit, so gut – aber dann läuft irgendwas mit der Zeitreisetechnologie schief. Als die Studenten anfangs nicht genau zu dem Zeitpunkt angelangt sind, den sie ausgewählt hatten hat das noch niemanden groß aufgeregt. Als sie dann aber nach Abschluss ihres Studienauftrags nicht mehr zurück konnten, war das anders. Niemand weiß, warum sie nicht mehr zurück können. Haben sie aus Versehen die Vergangenheit beeinflusst und die Zukunft verändert? Aber laut Zeitreisetheorie sollte das doch gar nicht möglich sein?
Das alte Zeitreise-Paradox steht im Mittelpunkt von Willis‘ Doppelroman. Gerade in einem Krieg wie dem zweiten Weltkrieg kann jede Kleinigkeit dafür sorgen, dass sich plötzlich alles ändert. Und wenn man sich in der Vergangenheit rumtreibt, dann ändert man zwangsläufig irgendwas. Das in den Büchern bisher vorherrschende Dogma lautet allerdings: Man kann keine relevanten Veränderungen verursachen, die Geschichte als chaotisches System heilt sich quasi immer selbst. Aber je länger die Studenten ungeplant in der Vergangenheit verbringen müssen, desto mehr beginnen sie an diesem Dogma zu zweifeln. Und am Ende gibt es eine Auflösung die ich nicht verraten möchte, die auch wirklich sehr schön überraschend kommt und die tatsächlich großartig ist.
An den beiden Büchern hat mich nicht nur die originelle Zeitreisehandlung begeistert sondern vor allem die wahnsinnig intensive Atmosphäre. Ich glaube ich habe noch nie so ein eindringliches Bild von England während des zweiten Weltkriegs erlebt bzw. von London während dem Blitz (wo der Hauptteil der Handlung spielt). Klar, hier in Deutschland/Österreich sind wir an ein anderes Bild des Kriegs gewöhnt, wir sehen und lernen das naturgemäß aus der Sicht des deutschen Reichs und das Bombardement Großbritanniens ist eher ein Nebenschauplatz. Aber für die Menschen die jahrelang Nacht für Nacht von deutschen Bombern heimgesucht worden sind war das eben nicht der Fall. Und diese Atmosphäre in der die Menschen einerseits unter einer ständigen und konkreten Bedrohung gelebt haben, andererseits aber auch beinhart ihren Alltag durchgezogen haben ist höchst faszinierend und ebenso faszinierend intensiv in Willis‘ Büchern dargestellt.
Die beiden dicken Bände sind ideale Urlaubslektüre. Aber auch ohne Urlaub: Lest sie!
Nobelpreis-Thriller
Bei der Suche nach einer Biografie über Alfred Nobel bin ich auf den Roman „The Price“ von Irving Wallace (der auf deutsch unter „Der Preis“ nur noch antiquarisch zu erhalten ist) gestoßen. Aber wenn ihr die Möglichkeit habt, dann solltet ihr es euch auf jeden Fall besorgen!
Irving Wallace ist bis jetzt völlig an mir vorbei gegangen. Gut, er ist schon 1990 gestorben und hat seine meisten Bestseller geschrieben als ich gerade dabei war, lesen zu lernen. Aber er hat offensichtlich jede Menge Bestseller verfasst; das Buch „The Price“ ist sogar (mit durchaus bekannten Schauspielern und Mitarbeitertn) verfilmt worden und hat sogar einen Golden Globe gewonnen.
Den Film hab ich nicht gesehen (ich wüsste auch nicht wo er aufzutreiben wäre). Das Buch aber gelesen und das mit großer Begeisterung. Es handelt von den Nobelpreisträgern des Jahres 1962. In der Realität waren das zB in der Physik der Russe Lew Landau für seine Arbeit über Suprafluidität, Max Perutz und John Kendrew in Chemie für ihre Arbeit über Globuline, Crick, Watson und Wilkins in Medizin für ihre Forschung zur DNA, John Steinbeck in Literatur und Linus Pauling für Frieden für dessen Einsatz gegen das Atomwaffenprogramm. All diese Personen tauchen im Buch von Wallace nicht auf; die Nobelpreisträger dort sind fiktiv aber gut ausgedacht.
Den Physikpreis bekommt ein aus Deutschland ausgewanderter und in den USA eingebürgerter Wissenschaftler der die Solarenergie nutzbar machte. Ein französisches Ehepaar bekommt den Preis für Chemie weil sie es geschafft hatten Sperma beliebig lange einzufrieren und lebensfähig wieder aufzutauen, ein amerikanischer Arzt muss sich den Preis mit einem Italiener teilen weil beide es parallel geschafft hatten, Herzen von Tiere in Menschen zu transplantieren und ein amerikanischer Autor kriegt den Literaturpreis für seine als antikommunistisch aufgefassten Werke (und der fiktive Friedenspreis wird 1962 nicht vergeben).
All diese Personen reisen nach Stockholm um dort ihren Preis entgegen zu nehmen und das Drama nimmt seinen Lauf. Der amerikanische Arzt ist davon überzeugt dass der Italiener seine Arbeit plagiiert und den Preis nur bekommen hat, weil er ein besserer Öffentlichkeitsarbeiter ist. Sein Ziel ist es noch vor der Verleihung diesen „Skandal“ bloß zu stellen und die Ehrung allein entgegen zu nehmen. Was nicht nur zu einer ausgewachsenen Paranoia führt sondern auch zu einigen auch aus heutiger Sicht interessanten Szenen über den Wert von Öffentlichkeitsarbeit. Das Chemiker-Ehepaar aus Frankreich ist nur auf dem Papier ein Ehepaar: Er hat sie mit einem Pariser Model betrogen und das auch weiterhin vor; sie will sich rächen und gleichzeitig ihre eigene wissenschaftliche Karriere vorantreiben. Der Literaturnobelpreisträger ist nach dem Tod seiner Frau für den er sich verantwortlich macht (und von seiner Schwägerin verantwortlich gemacht wird) ein massiver Alkoholiker der auch in Stockholm die meiste Zeit völlig unzurechnungsfähig verbringt. Und der Physiker muss sich mit seiner Nichte der Vergangenheit in deutschen Konzentrationslagern stellen und wird in ein Spionagedrama in bester Kalter-Krieg-Tradition verwickelt.
Die einzelnen Handlungselemente – Spione, Weltkriegsgeschichten, Eifersucht, etc – sind jetzt nicht sonderlich originell. Aber sie sind äußerst originell in das ungewöhnliche Nobelpreissetting eingebettet. Wallace hat hier wirklich gut recherchiert und dort wo er reale Fakten einbauen konnte hat er sie auch eingebaut. Man erfährt wahnsinnig viel über das Prozedere der Preisverleihung, über die hinter den Kulissen ablaufenden Streitereien, über (reale) Skandale vergangener Preisverleihungen, und so weiter. Auch dort wo Wallace konkret über die (damals noch fiktive) Wissenschaft seiner Preisträger schreibt – was er durchaus oft tut – spekuliert er auf soliden Grundlagen.
Man kann natürlich nicht ignorieren, dass das Buch Anfang der 1960er Jahre geschrieben wurde. Zeitgenossen mag das nicht weiter aufgefallen sein, aber heute, fast 60 Jahre später springt den Lesern diese Tatsache alle paar Seiten an. Alle rauchen ständig und überall (Selbst der Arzt begrüßt seinen Patienten mit „Setzen sie sich erst mal hin und zünden sie sich in Ruhe eine an“). Frauen sind vor allem dazu da, das Männer mit ihnen Sex haben können bzw. darüber diskutieren, warum sie keinen Sex mit ihnen haben können (Da erzählt eine Patientin beim Psychiater zB davon, dass sie jahrelang vom Chef ihres Mannes zum Sex gezwungen wird um ihrem Mann vor der Kündigung zu bewahren und niemand findet etwas dabei – stattdessen wird diskutiert ob die Karriere des Mannes die „Unannehmlichkeiten“ des erzwungenen Sex nicht doch aufwiege). Und so weiter.
Alles in allem ist es aber ein sehr spannendes Buch, so eine Mischung aus frühem James-Bond-Film, Hollywood-Schnulze und Wissenschaftsthriller.
Riesenroboter reloaded!
Im August 2016 „Giants“ (im Original „Sleeping Giants: Themis Files 1“) von Sylvain Neuvel empfohlen und geschrieben: „Das Buch gehört zu den besten Sci-Fi-Büchern die ich in letzter Zeit gelesen habe und der einzige Nachteil besteht darin, dass es erst der erste Teil einer Serie ist und die nächsten noch auf sich warten lassen…“. Nun, die Wartezeit ist nun glücklicherweise vorbei und mit „Zorn der Götter“ (im Original: „Waking Gods: Themis Files Book 2“) ist nun endlich der zweite Band erschienen.
Wer sich erinnert (und wer nicht: Lest gefälligst den ersten Band! Es lohnt sich!): Der erste Teil beginnt damit, dass man eine riesige Hand in der Erde vergraben findet die mehr als 3000 Jahre alt ist. Und ganz offensichtlich nicht von Menschen gemacht wurde. Ein Team von Wissenschaftlern und Militärs macht sich unter der Leitung eines mysteriösen Mannes ohne Namen auf die Suche nach den restlichen Teilen um den Alien-Roboter zusammenzusetzen. Das Problem: Die Dinger liegen überall auf der Erde verteilt herum und das ganze wird nicht nur zu einem wissenschaftlichen Rätsel sondern auch einem weltpolitischen Krimi.
Der zweite Teil beginnt mit dem, auf das man seit dem ersten Kapitel des ersten Teils wartet: Die Erbauer der Riesenroboter kehren zur Erde zurück. Und bringen ihre eigenen Roboter mit. Ich will jetzt nicht großartig spoilern, aber der deutsche Titel – „Zorn der Götter“ – nimmt schon vorweg, dass es sich nicht unbedingt um einen freundschaftlichen Besuch handelt. Die Menschheit sieht sich einer gewaltigen Aufgabe gegenüber und man kann am Ende des Buchs geteilter Meinung darüber sein ob sie ihr gewachsen war oder nicht.
Ich fand den zweiten Teil genau so großartig wie den ersten Band. Wenn man einmal angefangen hat zu lesen kann man das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Man erfährt endlich, wo der Roboter her kommt, warum er auf der rumliegt und noch ein paar andere Dinge die ich ohne zu spoilern nicht andeuten kann. Und man erfährt endlich wer die Person ist, die die „Themis-Files“ (aus denen das Buch besteht) aufzeichnet. Die Geschichte ist am Ende auch mehr oder weniger abgeschlossen; der Schluss lässt sich aber die Möglichkeit einen dritten Band zu schreiben und ich hoffe sehr, das Neuvel das auch tut!
Sommerbücher
Das wars für den Mai. Im Juni werde ich mich dann wieder den Büchern widmen, die man in den Sommerurlaub mitnehmen sollte. Und da man nie genug mit der Buchplanung für den Urlaub beginnen kann, würde ich mich über eure Tipps für gute Sommerbücher freuen!
Die Links zu den Bücher sind Amazon-Affiliate-Links. Beim Anklicken werden keine persönlichen Daten übertragen.
Danke für die Tipps, speziell den zweiten Band von Giants. Das klingt sehr spannend und ich habe mir direkt mal beide geholt zur Abendterassenlektüre. Das Wetter gibt es her und ich freue mich schon auf spannende Lesestunden bei Grillenzirpen und Grillgeruch. 😉
@Florian:
Was „Der Preis“ angeht:
Ich aber. Guter Film mit einem großartigem Paul Newman.
Läuft manchmal im Spätprogramm der ÖR. Wo man den sonst sehen könnte weiß ich leider auch nicht … (Netflix und Amazon Video habe ich gerade gecheckt. Leider nicht.)
Von Zeitreise-Geschichten bekomme ich immer Kopfschmerzen 😉 – ne, die sind nichts für mich. Aber wenn Du eine Empfehlung brauchst – versuch es mal mit Nnedi Okorafor. Die Frau schreibt SciFi mit afrikanischem Touch vom Allerfeinsten. Ich hab von ihr bisher die Novelle „Binti“ und deren Fortsetzung „Binti – Home“ gelesen; der Abschlußband der Binti-Trilogie „Binti – The Night Masquerade“ ist für Januar 2018 angekündigt. Eine Kurzzusammenfassung des Inhalts hat sie kürzlich auf Twitter gegeben: „The #Binti Trilogy: 1 African girl leaves home. 2 African girl comes home. 3 African girl becomes home.“
Außerdem hab ich „The Book of Phoenix“ von ihr gelesen (über eine Firma, die Menschen mit überlegenen Fähigkeiten züchtet – was natürlich zu Problemen führt) und werde mir demnächst „Lagoon“ vornehmen (den gibt es auch schon auf Deutsch: Die Lagune. Das ist eine Erstkontaktstory, wobei dieser vor Lagos, Nigeria, stattfindet – Lagos ist übrigens das portugiesische Wort für Lagune; hab ich bisher auch nicht gewußt.)
Zeitreisen – ein gern aufgegriffenes und angenommenes Thema der Unterhaltung z. B. in Filmen und Büchern.
Das Thema fasziniert auch mich immer wieder.
Leider, oder besser Gott sei Dank(!), geht das praktisch überhaupt nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Joachim Blechle
„Die Farben der Zeit“ habe ich vor einigen Jahren gelesen und es ist immer noch einer der besten SciFi-Romane, die ich kenne. Alleine sprachlich ist das Buch schon ein Leckerbissen. Es gibt Passagen, die sind so mitreißend geschrieben, dass ich sie zweimal lesen musste. Nur der deutsche Titel ist … sagen wir… schwachsinnig, aber das gibts ja öfters bei Buchübersetzungen.
Es wird Zeit, sich mal die Fortsetzungen anzuschauen…
Bücher- und auch Fernsehserien tu ich mir spätestens seit: „Die drei Sonnen“ erst an wenn sie abgeschlossen sind.
Is besser für meine Nerven…
Zum Thema Korrektur der Vergangenheit (es geht auch um den zweiten Weltkrieg) habe ich ein etwas älteres Buch zu empfehlen: „Unternehmen Proteus“ von James P. Hogan. Quantenphysik und Zeitgeschichte meisterhaft miteinander verwoben.
Danke an dieser Stelle für deine hervorragenden Buchempfehlungen.
Giants-Teil 1 habe ich nun geradezu verschlungen und mir mit Freude gleich den zweiten Teil gekauft.
Bin schon auf weitere Inspirationen für die Buchsuche gespannt…
Viele Grüße vom
Intensivpfleger
[…] Word” (auf deutsch: “Die Jakobus-Papiere”) von Irving Wallace. Ich habe im Mai schon von meiner Lektüre des Nobelpreis-Thrillers von Irving Wallace berichtet. Das Buch ist zwar alt und irritiert ein wenig durch seine sexistische Darstellung der […]