Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb 2016. Hinweise zum Ablauf des Bewerbs und wie ihr dabei Abstimmen könnt findet ihr hier.
Das sagt der Autor des Artikels, Marc Schanz über sich:
Ich habe Diplom-Psychologie studiert und mein Nebenwach war BWL. Seit der Krise streite ich mich im Netz des öfteren mit Ökonomen. Mein Hobby lässt sich daher am besten mit „Therapeut für den krisengeplagten homo oeconomicus“ beschreiben. Aufgrund meines Studiums habe ich einen verzerrten Blick auf die Ökonomie, den man meinen Artikeln anmerken soll.
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Die wahrscheinlich teuerste Illusion der Welt
„Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage selbst!“ – das ist die klare Aussage des Sayschen Theorems, einem der stabilsten und bedeutendsten Pfeiler der angebotsorientierten Ökonomie. Probleme auf der Nachfrageseite? Kann es nicht geben! Eine weitere Stütze dieser Sichtweise ist der abnehmende Grenznutzen. Er besagt, wir hören auf, Güter zu erwerben, wenn unsere Nutzenbedürfnisse ausreichend befriedigt sind. Die Leute kaufen nichts mehr? Kein Problem, sie sind alle gesättigt! Auf diesem breiten Fundament bauen die allgemeinen Gleichgewichtsmodelle auf, die generelle Aussagen über das Wirtschaften erlauben. Darüber befindet sich das Dach aus dem volkswirtschaftlichen Pareto-Optimum, einem Zustand, in dem sämtliche Güter optimal verteilt sind. Dieses imposante Gedankengebäude gipfelt in der Aussage: Allein die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik ermögliche das für die Gesamtwirtschaft beste Ergebnis und sei daher der einzige Weg für einen nahezu perfekten Wohlstand für alle.
Dieses so wuchtige und scheinbar stabile Gebäude, welches die Wirtschaftswissenschaften die überwiegende Zeit dominiert, hat einen erheblichen Makel. Nachfragekrisen dürfte es niemals geben, doch es gab sie in Form der Weltwirtschaftskrisen in den Jahren ab 1929 bis Ende der 30er und seit 2007. Einige Gebäudeteile müssen daher fehlerhaft sein, es hat also eine Fassade mit einigen Illusionsfragmenten. Ich möchte die Frage klären, welche das genau sind.
Nehmen wir die Statik des Theoriengebäudes etwas genauer unter die Lupe. Betrachten wir zuerst eine etwas kleinere Stütze. Der abnehmende Grenznutzen basiert auf der Annahme, dass sich die Bedürfnisse eines Menschen über Vergleiche in eine Präferenzrangordnung bringen lassen. Das ist plausibel, denn es gibt unbestreitbar wichtige Grundbedürfnisse, wie Hunger oder Durst, aber auch weniger wichtige wie das Verlangen nach Luxus. Ordnet man diesen unterschiedlichen Bedürfnissen Rangwerte zu, lassen sich diese rein subjektiven Bewertungen auf einmal auf einer Ordinalskala messen. Bewertet man nach diesem Schema nicht nur einzelne Produkte, sondern Produktmengenkombinationen, ergibt sich hieraus die sogenannte Nutzenfunktion. Sie erlaubt eine theoretische Beschreibung der Nachfragemenge in Bezug auf einen theoretischen Nutzen. Nach dem Gossenschen Gesetz aus dem Jahre 1854 nimmt bei steigender Menge der Nutzen ab, bis eine Sättigung erreicht wird. Die erste Ableitung dieser Nutzenfunktion ist die Grenznutzenfunktion. Sie beschreibt den Zuwachs an Nutzen, der pro zusätzlich konsumierter Einheit entsteht. Diese Grenznutzenkurve soll über die Eigenschaft verfügen, zu einer Angebotspreisänderung die entsprechende Veränderung der Nachfrage zu bestimmen.
Schauen wir kurz bei einem Kiosk vorbei, um die graue Theorie des Grenznutzens an einem leicht verdaulichen Beispiel zu beschreiben: Ich bekomme Hunger und kaufe mir am Kiosk eine Curry Wurst. Mein Hunger ist zumindest teilweise gestillt, aber es hat mir so gut geschmeckt, dass ich noch eine zweite Portion esse. Der zusätzliche Nutzen dieser Portion nimmt ab, sie stillt nicht mehr meinen primären Hunger, sondern nur noch eine gewisse Essenslust. Nach der zweiten Portion habe ich keinen Appetit mehr, ich bin richtig statt. Jede weitere Portion würde mir nun Übelkeit bereiten, der Grenznutzen der Curry Wurst ist für mich jetzt negativ.
Das Beispiel ist leicht verständlich und auch richtig. Ökonomische Entscheidungen von Lebensmittelkäufen werden üblicherweise aufgrund eines nicht vorhandenen physiologischen Sättigungsgefühls getroffen, das auch unter dem Phänomen Hunger bekannt ist.
Aus theoretischer Sicht ist das Grenznutzenmodell überaus elegant, es basiert auf dem abstrakten Nutzen der Güter und einem Sättigungmechanismus, die sowohl für den Umfang als auch für die Dynamik der Nachfrage sorgen sollen. Die Nachfrage organisiert sich einfach selbst, es müssen daher keine weiteren Einflüsse oder Faktoren berücksichtigt werden. Ich habe keinen Hunger, also kaufe ich kein Essen! Mein Schrank ist voll, also kaufe ich keine Kleidung! Krisen können nur durch einen Angebotsmangel entstehen, da jeglicher Nachfragerückgang allein auf einer unbedenklichen Sättigung beruht.
Der Grenznutzen erscheint in sich schlüssig zu sein und keine nennenswerten Angriffsflächen zu bieten. Ein tragende Stütze der angebotsorientierten Ökonomie, die scheinbar keinen Makel aufweist. Er ist jedoch nur eine Illusion, denn er basiert auf dem gravierenden Denkfehler, das Prinzip der Sättigung auf sämtliche ökonomische Entscheidungen zu verallgemeinern. Eine auf Konsum getrimmte Gesellschaft kennt keine Begrenzung ihrer Bedürfnisse. Wo ist meine persönliche Grenze für meinen Bedarf an Büchern, Reisen oder Gold? Ich bin ganz ehrlich, ich habe keine! Und dennoch, obwohl ich nicht gesättigt bin, konsumiere ich nicht alles, was ich begehre. Wenn ich könnte, würde ich ständig das neuste Smartphone kaufen, sobald es auf dem Markt erscheint. Weshalb mache ich es nicht? Weil ich es mir nicht leisten kann! Jeder kennt einen Konsumwunsch, den er sich zur Zeit nicht erfüllen kann, und jeder kennt sehr gut die schmerzlich begrenzende Wirkung des Geldbeutels, welche der Wunscherfüllung entgegensteht.
Ist es denn wirklich so entscheidend, ob die Begrenzung auf der Sättigung eines imaginären Nutzens oder schlicht Geldmangel beruht? Ist es vielleicht nur ein kleiner, unbedeutender Riss in der Farbschicht der Säule des Grenznutzens, der sich einfach zu spachteln lässt? Nein, ist er nicht. Um das zu verstehen, muss man jedoch die Funktion dieses Stützpfeilers etwas genauer kennen.
Nähern wir uns von einer anderen Seite der Säule und betrachten sie, indem wir uns die Frage stellen: Was soll der Grenznutzen eigentlich sein? Er ist ein Modell für das konkrete Kaufverhalten aller Konsumenten. Die empirischen Studien zum Kaufverhalten folgen keinesfalls immer dem rationalen Nutzenprinzip. Die Ökonomie versucht im Grunde, die menschlichen Unwägbarkeiten des ökonomischen Handelns durch ein Modell zu ersetzen, dass ohne diese Unwägbarkeiten auskommt. Es ist der theoretische Geburtsvorgang des homo oeconomicus. Die Rationalität, die eine abstrakte Nutzenzskala ausstrahlt, hat daher nichts mit der chaotischen Realität des menschlichen Kaufverhaltens zu tun. Eines dieser chaotischen Elemente sind die in sich widersprüchlichen, sogenannte intransitiven Präferenzurteile, die zudem zeitlich meist instabil sind und sich leicht beeinflussen lassen, insbesondere durch Werbung. Die Idee eines dominierenden, rationalen Nutzens wird zunehmend zur Illusion.
Für unsere Fehleranalyse der Gebäudestatik betrachten wir einen der fundamentalen ökonomischen Faktoren, den Einfluss des Budgets auf die Präferenzurteile. Wie viel Geld steht uns zur Wunscherfüllung zur Verfügung? Machen wir hierzu einen kleinen Selbstversuch: Einem fiktiven Lottogewinn. Weder ändert sich das Marktangebot oder der -preis, noch ändern sich irgendwelche Produktnutzen, noch verschieben sich irgendwelche Sättigungsgrenzen. Die Schlussfolgerung aus dem abnehmenden Grenznutzen lautet: Wir würden trotz des Lottogewinns unser altes Nachfrageverhalten beibehalten. Diese Implikation ist grotesk. Jedes zusätzliche Einkommen bietet die Chance, unsere unbefriedigten Wünsche zu erfüllen. Mein Kaufverhalten ist eindeutig vom vorhandenen Geld abhängig, ich hätte am nächsten Tag dem Gewinn ein neues Smartphone in der Hand – ein solcher Gewinn würde nicht nur mein Konsumverhalten schlagartig ändern.
Wenn die Präferenzentscheidungen durch das individuell zur Verfügung stehende Budget wesentlich beeinflusst wird, wie wir an unserem leider nur imaginären Lottogewinn sehen können, dann heisst das nichts anderes, als das Budgetänderungen die Nachfrage entscheidend beeinflussen, und diese Nachfrageänderung wirkt wiederum auf den Gleichgewichtspreis. Somit ist eine der wichtigen Thesen der klassischen Ökonomie, die Nachfrage beruhe allein auf rationalen Nutzenpräferenzen und deren Sättigung, nicht mehr haltbar.
Jetzt, nachdem wir eine tragende Säule entfernt haben, schauen wir uns das zentrale Stützelement an. Um den Denkfehler im Sayschen Theorem zu erkennen, müssen wir die gerade gefundene Lösung etwas Ausdifferenzieren. Die meisten Budgets zeigen ein relativ klar erkennbares Muster. Es gibt Budgets, die das meiste Geld von der Anbieterseite in Form von Lohn empfangen und einen großen Teil für Konsumgüter ausgeben und es gibt andere Budgets, die ihre Einnahmen aus Verkäufen generieren und für Lohn und Produktion ausgeben. Daraus entsteht eine Budgetstruktur mit klar identifizierbaren Mustern: Die meisten Budgets lassen sich nahezu eindeutig der Anbieter- oder der Nachfrageseite zuordnen. Daher unterscheiden sich Budgets sowohl in ihren ökonomischen Eigenschaften, indem sie zum Beispiel eine individuelle Nachfragewirkung haben, als auch in ihren Beziehungen untereinander, die auf Gewohnheiten oder Zufälligkeiten basieren können, zunehmend jedoch vertraglich fixiert werden und den saldenmechanischen Effekten unterliegen.
Die Aussage des Sayschen Theorems, das Geld für die Nachfrage sei vorhanden, ist logisch richtig. Das investierte Geld, das ein Unternehmen zur Produktion ausgeben musste, verbleibt abzüglich der Kredittilgungen im Umlauf und kann daher die Nachfrage für die produzierten Güter erzeugen. Aber das Saysche Theorem macht keine Aussage darüber, ob das Geld auch zu den Budgets gelangt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Nachfrage generieren. In anderen Worten: Geld allein generiert keine Nachfrage, das Geld muss auch in die Hände derjenigen gelangen, die ein hohes Nachfragebedürfnis haben.
Budgetänderungen haben, je nachdem welches Budget sie konkret betreffen, messbar unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten ihrer ökonomischen Wirkung. Da das Saysche Theorem blind für diese Budgetdynamiken ist, scheint es unerheblich zu sein, wohin das Geld fließt. In der Realität gibt es jedoch Budgetpfade, die unterschiedliche Umlaufgeschwindigkeiten des Geldes erzeugen. Ein Pfad kann direkt zu einem hortenden Konto oder einem Auslandskonto führen und so keinerlei Binnennachfrage generieren, ein anderer Pfad führt durch zahlreiche realwirtschaftliche Anbieter- und Nachfragekonten und ist somit am realwirtschaftlichen Wachstum beteiligt. Die Aussage des Sayschen Theorems, dass das Geld für die Nachfrage aufgrund der Ausgaben für die Angebotsproduktion vorhanden sei, bleibt richtig, dass Geld an sich jedoch zwingend zu einer tatsächlichen Nachfrage führt, ist falsch.
Worin liegen nun genau die Unterschiede in der neo-klassischen und der budgetbasierten Betrachtungsweisen der Nachfrage? Am besten lässt sich das zeigen, in dem wir ein abstraktes Beispiel konstruieren. Wir haben die Geldmenge 1 und einen einzigen Markt mit einem einzigen Produkt, vielen Anbietern und zahlreichen Kunden. Die y-Achse erfasst einen hypothetischen Marktumsatz. Auf der linken Seite des Schaubildes befindet sich bei x = -1 sämtliches Geld bei den Kunden, bei x = 0 verfügen beide Seiten je über die Hälfte der Geldmenge und auf der rechten Seite bei x = 1 ist sämtliches Geld bei den Anbietern. Die blaue Gerade zeigt die Perspektive der klassischen Ökonomie. Wenn sich die Bedingungen der Angebotsseite durch ständige Budgetvergrößerung verbessern, werden diese in Form von Investitionen zu einer Steigerung der Angebotsmenge führen. Eine Rolle der Nachfragebudgets wird in dieser Phase negiert.
Im ersten, hellen Abschnitt überlagern sich beide Kurven. Die rote Kurve zeigt sich erst, wenn aufgrund der Kürzungen der Nachfragebudgets beginnen sich die Präferenzen zu ändern. Bereits weit vor dem Erreichen einer Budgetrestriktion sinkt die Kaufbereitschaft deutlich.
Die allgemeinen Gleichgewichtsmodelle der klassischen Ökonomie gesteht den Budgets nur eine nachgeordnete Funktion zu. Es führt dazu, dass sie wie bei einem Monopoly Spiel nur eine Game-Over-Situation kennen, wenn die Budgets bei Null sind. Selbst kurz vor diesem Game Over soll sich die Wirtschaft in einem Pareto-Optimum befinden. Ist das wirklich so oder ist nicht vielmehr gerade das Dach des Theoriengebäudes eingestürzt? Sowohl die Angebotsmenge als auch die Nachfrage sind in einer modernen Wirtschaft Einflüssen zahlreicher Faktoren unterworfen, welche wie im Fall der Verteilung des Geldes mit beiden Seiten interagieren können. Die angebotstheoretische Annahme, für das wirtschaftliche Optimum müsse nur die maximale Angebotsmenge produziert werden, ist daher offensichtlich falsch.
Es gibt noch einen weiteren Grund, welcher die Bausubstanz in ihren Grundfesten angreift. Nach der klassischen Ökonomie besteht zwischen den Gütern kein qualitativer Unterschied. Es gab bisher mehrere Ölpreisschocks, aber es gab noch keinen Segelyachtenschock und es wird ihn auch nicht geben. Für klassische Modelle verhalten sich beide Güter gleich, betrachtet man die Auswirkung aus der Sicht einer Budgetstruktur, wird der ökonomisch entscheidende Unterschied sichtbar: Von Ölpreisänderungen sind derzeit nahezu alle Budgets betroffen, von Änderungen des Segelyachtenpreis hingegen nur wenige.
Ein weiterer Faktor der Instabilität ist der zentrale Preisvektor, den allgemeine Gleichgewichtsmodelle zwingend benötigen. Er spannt einen makellosen und vollkommen unverzerrten Raum auf, in dem Güter leicht ihre optimale Allokation finden können. Doch in der aktuellen Krise zeigte sich, als die Notenbanken ihre Geldschleusen mehrfach öffnen mussten, dass die Aktienmärkte stets sofort und heftig ausschlugen, während die Realgütermärkte verzögert bis gar nicht reagierten. Der Preisraum, in dem die Budgetstrukturen eingebettet sind, scheint vielmehr Verzerrungen zu unterliegen, indem Ungleichgewichte in der Verteilung des Geldes auf den Gleichgewichtspreis einwirken. Nur Märkte, deren Gewichte sich aufgrund der Notenbankmaßnahmen verschieben, reagieren mit Preissignalen, während davon unbeeinflusste Märkte keine zeigen. Ein weiteres Indiz sind die unterschiedlichen Preisniveaus, wie es sie zum Beispiel zwischen Stadt und Land gibt. Die Existenz der Preiverzerrungen lässt den zentralen Preisvektor zur Illusion werden. In diesem Fall gäbe es marktspezifische, im Grunde sogar nur transaktionsspezifische Preisvektoren.
Märkte handeln individuelle Güter, haben einen eigenen Preisvektor, basieren auf einer komplexen Budgetstruktur und verfügen somit über einzigartige ökonomische Eigenschaften und Dynamiken. Daher erzeugen Änderungen des Telekomunikationsmarktes völlig andere ökonomische Effekte als es ein Taschentüchermarkt je könnte. Ein einfaches Aggregieren über alle Partialmärkte hinweg lässt jedoch diese wichtigen ökonomischen Informationen unmerklich verschwinden, indem sämtliche marktspezifischen Änderungen proportional gewichtet werden. Aus diesem wissenschaftlich unsauberen Schritt entsteht die Illusion einer leicht beherrschbaren Welt der Wirtschaft, die auf einer überschaubaren Anzahl von Gesetzmäßigkeiten basiert und deren Krisen mit klassischen Patentrezepten geheilt werden kann.
Die Illusions-Pyramide der klassischen Ökonomie:
- Das Nicht-Wirtschaften basiert auf einer Sättigung eines rationalen Nutzenbedürfnisses.
[Illusion des abnehmenden Grenznutzens] - Die Verteilung des Geldes hat keinen Einfluss auf die relativen Preise. [Illusion der Geldneutralität]
- Angebot und Nachfrage sind voneinander unabhängige Faktoren.
[Illusion des Sayschen Theorems] - Zwischen Partialmärkten bestehen keinerlei qualitative Unterschiede, sie verhalten sich daher grundsätzlich gleich. Liberalisierung des Marktes hilft gegen jede Krise.
[Illusion der allgemeinen Gleichgewichtsmodelle] - Eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik gewährleistet das wirtschaftliche Optimum.
[Illusion des Pareto-Optimums]
Die wesentliche Wirkungsebene der Wirtschaft sind Märkte mit ihren individuellen Eigenschaften und Dynamiken. Die klassische Ökonomie lässt sie hinter einem Schleier abstrakter Kennzahlen verschwinden, welche entscheidende Strukturinformationen der Wirkungsebene verloren haben. Das ist, als ob ich den Brandschutz anhand der Gebäudefassade überprüfen will. Das Urteil kann nur auf nicht ursächliche Faktoren beruhen, da die relevanten verborgen bleiben. Halte ich ein Gebäude nur wegen seiner beeindruckenden Fassade für unbedenklich, kann ich aufgrund dieser Illusion sehr leicht ein Fehlurteil fällen.
Diese Wirkebene liegt zwischen der Mikroökonomie, die Unternehmen betrachtet, und der Makroökonimie, die auf abstrakten volkswirtschaftlichen Aggregate basiert. Beide Sichtweisen sind je auf ihre Weise blind für das tatsächliche ökonomische Geschehen. Dadurch haben die derzeitigen Modelle aufgrund der Ausdifferenzierung der Moderne und insbesondere bei Nachfragekrisen ihre Aussagekraft verloren.
Wenn ausser der Angebotsmaximierung noch weitere Faktoren das Pareto-Optimum beeinflussen, verliert die angebotsorientierte Ökonomie ihren Status als wohlstandsfördernde Alternativlosigkeit. In der Theorie habe ich einige kritische Thesen formuliert, die empririsch überprüft werden müssten. Das ist jedoch nicht notwenig, denn die beiden Weltwirtschaftskrisen können als unglaublich überteuerte Studien betrachten werden, die den eindeutigen und mehrmaligen Beweis liefern, dass Nachfragekrisen existieren. Die angebotsorientierten Modelle der Ökonomie, die einen solchen Fall ausschließen, sind somit realempirisch widerlegt.
Das Theoriegebäude der klassischen Ökonomie ist zu großen Teilen eingestürzt – jedoch nicht in Gänze. Einige Teile bleiben bestehen, da nur der Geltungsbereich der Modelle zurecht gestutzt wurde. Historisch betrachtet beschreibt die klassische Ökonomie den wirtschaftlichen Spezialfall, wie er vor der Moderne herrschte, als es noch eine einfache, überwiegend auf Landwirtschaft basierende Ökonomie gab, die den herrschenden Mangel verwalten musste. Die damals recht einfache Budgetstruktur entsprach im Wesentlichen denen der volkwswirtschaftlichen Sektorsalden, so dass die aggregierten Kennzahlen der strukturellen Realität entsprachen und sie keinen nennenswerten Informationsverlust verursachten. Die angebotstheoretische Wirtschaftspolitik funktionierte – damals.
Auch heute können sie noch gute Näherungen für moderne Partialmärkte sein. Bevor man sie jedoch anwenden kann, muss zuerst überprüft werden, ob die Voraussetzung ihrer Anwendung vorhanden ist. In der heutigen Konsumgesellschaft mit ihren ausdifferenzierten und hochkomplexen Strukturen und ihren eigentümlichen Dynamiken sind die Grundannahmen der klassischen Ökonomie gerade in Krisenzeiten eine Ausnahmeerscheinung. Eine vernünftige Wirtschaftspolitik allein auf klassischen Modellen und Methoden ist für eine moderne Ökonomie nicht möglich, denn sie verhindern weder Krisen noch findet sie zur notwendigen Stabilität der Wirtschaft zurück. Die beste Ökonomie kann nicht jede Krise verhindern, aber eine Weltwirtschaftskrise wie 2007 darf nicht mehr möglich sein. Die Krisenbewältigung muss daher über das Niveau klassischer Patentrezepte hinauswachsen und insbesondere in der Krisenanalyse deutlich verbessert werden. Dies alles ist nur zu leisten, wenn die angebotsorientierte Ökonomie ihren Status als wirtschaftliches Dogma verliert und die Ökonomie von der hieraus resultierenden Blindheit für Nachfrageeffekte kuriert wird.
Die Überzeugung, allein die angebotsorientierte Ökonomie könne für das wirtschaftliche Wohl aller sorgen, ist eine Illusion, für die wir teuer bezahlen mussten und noch immer teuer bezahlen. Wenn wir uns diese unsinnigen Kosten ersparen wollen, verbleibt nur der alternativlose Weg, den riesigen Trümmerhaufen der neo-klassischen Ökonomie beiseite zu räumen und beherzt mit dem Bau einer modernen Ökonomie zu beginnen.
Uff. Vermutlich hat der Artikel irgenwie Recht, aber ich kann ihn leider nicht durchhalten. Nach der Grenznutzenfunktion war der Sättigungsgrad meines Hirns erreicht. Trotzdem Danke für die Möglichkeit, mich informieren zu können.
Beeindruckender Artikel, aber man braucht eine gehörige Portion Konzentration, um geistig dranzubleiben, da schließe ich mich meinem Vorkommentator an.
Vielen Dank für diese Analyse der Schwächen des klassischen Ökonomiemodells.
Nachdem ich mich durchgekämpft hatte war ich ein wenig enttäuscht darüber, dass zwar schlüssig erklärt wurde, was die alten Modelle falsch machen, aber keine Lösungsansätze formuliert wurden.
Für mich erschließt sich relativ schnell eine logische Konsequenz: Ein zentrales Problem ist, dass die aktuellen Massnahmen der Wirtschafts- und Geldpolitik in den falschen Budgets landen. Einfach erklärt: Von den aktuellen Massnahmen profitieren nur einige wenige Reiche, die ihr Geld dann in Aktien anlegen und somit landet das ganze Geld, dass Notenbanken „in die Märkte pumpen“ in den Taschen weniger und verpufft an den Aktienmärkten. Das sieht man recht einfach daran, dass seit 2007 die Schere zwischen Arm und Reich extrem aufgegangen ist, während die Nachfrage und die Inflation stagniert.
Für mich ist die logische Konsequenz, dass sich die Wirtschaftspolitik in Zukunft darauf konzentrieren sollte, Massnahmen zu ergreifen, die der breiten Masse zugute kommen – die Gesetzgebung müsste verstärkt eine Umverteilung des Geldes von Reich nach Arm anstreben. Dies würde auch die zunehmende Spaltung und Unzufriedenheit der Gesellschaft abmildern.
Leider wird das nicht passieren, da hierbei alle Staaten der Welt an einem Strang ziehen und gleichzeitig gegen die Macht des Geldes agieren müssten.
Ich musste mich auch ganz schön durchkämpfen durch den Text.
Aber es ist gut, hier mal was über Ökonomie zu lesen, das Thema fehlt mir auf science-blogs.
@all Sorry für den Kampf. Es gibt eine Vorgabe über den Umfang des Artikels und ich habe Einiges gekürzt. Ich hätte doch mehr inhaltlich kürzen sollen.
@Till
Ich habe keine Lösungsvorschläge gemacht, weil ich sie nicht kenne. Mir fehlen die notwendigen Informationen zur derzeitigen Budgetstruktur und ihrer Dynamik und zudem verfüge ich nicht über die Möglichkeit, das in ein abgemessenes Modell – in meinen Augen kann das nur eine umfangreiche Computersimulation sein – umzusetzen. Ich bin mir jedoch nahezu sicher, dass die derzeitigen Modelle der angebotsorientierten Ökonomie blind für die komplexen Probleme moderner Wirtschaften sind. Auf dieses Problem möchte ich aufmerksam machen und eine mögliche Richtung zur Lösung aufzeigen.
Für Laien wie mich, ist der Text nur mit großer Konzentration zu bewältigen. M. A. nach liegt das an dem hohen Anteil an Fachvokabular. Für eine Spezialblog mit Spezialisten ist das sicher angebracht, für einen eher allgemeinen Blog wohl weniger.
Zum Thema: Ich verstehe Dein Fazit so, dass das angebotsorientierte Ökonomie-Modell schädlich ist, weil es schlimme Wirtschaftskrisen (insb. Nachfragekrisen) nicht vorhersagt und mittelbar sogar hervorruft. Die Begründung dafür lieferst Du im Hauptteil des Texts. Im Wesentlichen, machst Du m. A. nach die Nichtsberücksichtigung der Verteilung der Geldmenge auf Angebots- und Nachfrageseite dafür verantwortlich.
Wenn die Zentralbank die Zinsen für die Refinanzierung senkt und die Banken das Geld sowohl direkt als auch mittelbar in die Aktienmärkte steckt, bleibt es auf der Angebotsseite. Dies entpricht auch der klassischen Theorie, dass die Stärkung des Angebots allen zu Gute kommt. Für die Stärkung der Nachfrage ist stets der Staat verantwortlich. Dieser finanziert sich auf der einen Seite durch Steuern und sonstige Abgaben und verteilt das Geld durch Transferleistungen an die Nachfrageseite. Sozialleistungen sind dabei wohl der effektivste Teil. Denn Sozialleistungen werden zum größten Teil vollständig verkonsumiert. Das widerum ist optimal für den Wirtschaftskreislauf.
Wie im Artikel angesprochen ist die „Realwirtschaft“ wohl in der Tat zwischen der makroökonomischen Modellbildung, gipfelnd in aggregierenden Kennzahlen wie Bruttoinlandssozialprodukt (BIP), und den mikroökonomischen (BWL-) Modellen des einzelnen Unternehmens/Produktes(Grenznutzen der Currywurst) zu verorten. Ist es aber tatsächlich so, daß die aktuellen Ökonomie/Marktmodelle (immer noch) „Optimierungen unter Nebenbedingungen“ ignorieren? Es ist ja nicht nur die Budgetbeschränkung auf seiten des Konsumenten als auch die Begrenztheit von (verfügbaren) „Rohstoffen“ auf Seiten des Produzenten ein Thema (…der ungesunde Aspekt mehr als eine Erde zu verbrauchen). Der Markt der sich da allerdings selbstgenügsam entkoppelt und trotzdem 1:1 Forderungen gegenüber der Realwirtschaft erhebt ist der Kapital(/Finanz-)markt. Diese wundersame unbeschränkte, rohstoffunabhängige – und zum größten Teil unregulierte/unkontrollierte – Vermehrung des (Geld-)kapitals aus sich selbst heraus ist doch ein Beispiel für diese Modelle des realökonomischen Harakiries. Sind da die Gespenster Inflation und Deflation Verschleierungsmodelle?
@Gregor
Es geht um die Frage, wann eine Stärkung der Nachfrage erfolgen soll. Die Weltwirtschaftskrise 2007 hat gezeigt, dass wir nicht die optimale Antwort haben.
@StefanL
Für mich stellt sich zuerst die Frage, wie ist der Finanzmarkt zu modellieren. Die klassische Ökonomie sagt, er sei ein normaler Markt und Geld verhalte sich neutral. Daran glaube ich nicht.
Ich hab’s auch nicht geschafft :[ Das geht mir bei Wirtschaftsthemen aber immer so, das muss also nicht heißen, dass der Artikel nicht gut war.
Ich fand es sogar recht klar formuliert. Man kann solche komplexen Themen halt nicht beliebig einfach darstellen (vor allem mit Längenbegrenzung).
Ich glaube, es wäre gut, die Nachfrageseite zu stärken (z. B. durch schön aufwendige Forschungsprojekte ;)). Das ist aber nur eine gefühlte Meinung, ich denke nicht viel über Wirtschaft nach (außer ich gehe an einer vorbei).
Diese selbst gewählte Ahnungslosigkeit immunisiert mich zumindest gegen jeglicher Art Geld-, Gold- und Zinsverschwörungstheorie.
Großes Lob für den Artikel. Selbst ich als Biologe bin gut durch gekommen. Es war zwar ein gutes Stück Arbeit,aber ich bin ja fachfremd. Außerdem legt der Artikel Probleme dar die mir in der aktuellen Politik auch schon Bauchschmerzen bei bereitet haben. Sehr bereichernd
@StefanL: ich komme zwar nicht aus den Wirtschaftswissenschaften, aber zumindest von einigen promovierten Ingenieuren habe ich leider Sätze wie „das ist richtig, mein Modell ist falsch, aber den Optimierungsansatz, den ich brauche, stellt die Software nicht zur Verfügung“. Sprich, das Bewusstsein, dass etwas nicht korrekt ist, kann da sein, man biegt sich aber dann lieber die Realität mit abstrusen Annahmen zurecht, um überhaupt in der Lage zu sein, ein Ergebnis zu erhalten.
Leider ist es nicht selten so, dass die Schuld dann wirklich auf (nicht) verfügbare Software-Lizenzen geschoben wird.
Was ich bei Studenten auch häufig beobachtet habe, ist eine unglaubliche „Hörigkeit“ gegenüber den Tools. Da wird irgendwas runtergeladen und komplett unreflektiert angenommen, dass ein Tool mit Sicherheit alle Möglichkeiten anbietet und auch dem Stand der Wissenschaft entspricht. Dass es weitere Methoden gibt oder für manche Methoden verschiedene Implementierungen existieren, die unterschiedlich sind, kommt gar nicht in Frage. Und selbstverständlich muss man auch nicht an einfachen Beispielen prüfen, ob die Software richtig rechnet.
Auch das Nicht-beachten von grundsätzlichen Voraussetzungen bei der Anwendung bekannter Methoden ist sehr beliebt. Da wird dann munter simuliert, der Rechner spuckt bunte Bilder aus und das wird dann schon stimmen. Ist ja *die* Software auf dem Fachgebiet.
Kurz: nur, weil niemand eine „optimierung unter nebenbedingungen“ macht, heißt es nicht, dass nicht schon Leute drüber nachgedacht haben. Es kann aber auch sein, dass einfach noch niemand auf die Idee gekommen ist, weil im Studium kritisches Denken nicht gefördert wird.
@Marc Es ist falsch alle Bedürfnisse mit den gleichen Werkzeugen zu betrachten.
Grundbedürfnisse unterscheiden sich von Kulturbedürfnissen und von Luxusbedürfnissen. Wenn du Grundbedürfnisse noch sinnvoll mit dem Grenznutzen betrachten kannst, bringt das nicht viel bei Luxusbedürfnissen.
„Wo ist meine persönliche Grenze für meinen Bedarf an Büchern, Reisen oder Gold?“
Bei Büchern vielleicht Zeit und Interesse, bei Reisen bestimmt Zeit und bei Büchern, Reisen und Gold die Kaufkraft.
Hier fehlt „die Sättigung von“ vor Hunger.
„Das ist plausibel, denn es gibt unbestreitbar wichtige Grundbedürfnisse, wie Hunger oder Durst,“
Ansonsten, bis auf die Currywurst ziemlich trocken dargestellt.
Von der gesamten Diktion und dem Aufbau her sieht mir das nach selbstgebastelter Theorie aus, ähnlich wie es in der Physik Einstein-Widerleger u. a. tun.
@Rüdiger Kuhnke: das mit der eigenen Theorie schreibt der Autor ja auch selber und nimmt sich für einen ‚Privattheorieautoren‘ auch deutlich zurück, fordert sogar zur Kritik auf. Wo liegt also das Problem?
@Marc #8
Na ja, die „klassischen Modelle“ in Bezug auf „Geld“ hatten ja durchaus noch ihre Berechtigung bei (voller) Edelmetalldeckung.
@Markus #11
Ja, ich bin sogar geneigt nicht nur von „Hörigkeit“ sondern von „Tool-Gläubigkeit“ zu sprechen. Nicht nur bei Ingenieuren sondern auch (oder gerade) in der „Wirtschaft“ bei „Entscheidern“ und „Consultants“. „Da gibt es doch bestimmt ein Tool“, „Wir machen das mit dem Tool“ – lieber ein buntes Bildchen als inhaltlich Signifikantes.
Ich fand es auch immer wieder interessant die Reaktionen zu beobachten wenn Studies breit und lang ihre ach so so tollen Ergebnisse ihrer ANOVA darlegten und sie anfingen über die unschuldige Frage nach zu grübeln welche Bedeutung denn der hohe F-Wert am Anfang ihres Ausdruckes hat.
@Rüdiger Kuhnke #13
Bis zu einem gewissen Grad ist dies(Privattheorie) doch ein Grundthema der Ökonomie: Jeder Unternehmer hat doch seine eigene „(Wirtschafts-)Theorie“ und nur wenn geschäftlicher Erfolg ausbleibt mag diese in Frage gestellt werden (obwohl natürlich dann nur der Markt noch nicht reif für die Idee war – immer diese unsichtbare Hand Adam Smiths).
Mittels experimenteller Wirtschaftsforschung wird ein Angleich der ökonomischen Theorien mit den realen Verhaltensweisen angegangen. Eine Eingangsübersicht dazu bspw. hier.
Ein sehr schöner Artikel, der die angebotsorientierte Ökonomie recht gut erklärt, wie ich finde. Nun bin ich zwar kein Ökonom, hab mich aber schon ein wenig mit dem einen oder anderen Teil der Ökonomie beschäftigt. Aber so eine schöne zusammenfassende Darstellung ist mir bisher noch nicht über den Weg gelaufen.
@alle, die nicht durchgehalten haben:
Nehmt Euch etwas Zeit, oder Bookmarked Euch den Artikel, um ihn später noch mal in Ruhe und vollständig durchzulesen. Es lohnt sich. Denn wenn Ihr das verstanden habt, dann fällt es Euch im laufe der Zeit leichter zu verstehen, wo wir von Wirtschaftsvertretern und Politikern über den Tisch gezogen werden (sollen). – Und es wird leichter, diejenigen zu verstehen, die die Vertreter der angebotsorientierten Ökonomie kritisieren, und deren Kritik besser nachvollziehen zu können. – Okay, dafür reicht dieser eine Artikel wahrscheinlich doch nicht aus, aber er kann ein Teil der Grundlagen dafür sein.
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Markus, #11
Wenn es tatsächlich an der Software liegt, dass sie die nötigen Methoden nicht zur verfügung stellt, sollte man als Ingenieur/in ja in der Lage sein, sich die entsprechende Software selbst zu erweitern, so sie entsprechende Schnittstellen zur Verfügung stellt. Das ist zumindest meine Ansicht darüber, warum auch Programmierkurse in Ingeunieurstudiengänge gehören. – Ja ich weis, die Realität sieht anders aus: Da ist für sowas meisst keine Zeit oder entsprechende Schnittstellen nicht vorhanden oder man hat zwar Ahnung vom Fach, aber keine vom Programmieren oder die Sache ist sonstwie zu komplex, so das man drauf verzichtet, es ganz richtig zu machen.
Das wird jetzt zwar Off-Topic, aber durch die ganzen „Reformen“ der letzten Jahre im Hochschulwesen und die vielen Mängel im allgemeinen Schulwesen vom Kindergarten bis zum Schulabschluss wie Abitur/Matura oder irgendwas darunter, hab ich eher den Eindruck, dass kritisches denken nicht nur „nicht gefördert“, sondern im Gegenteil systematisch unterbunden wird oder in weiten Teilen unterbunden werden soll. Man will da eher Leute, die zwar die Arbeit machen, aber nicht wissen, welchen tiefern Sinn sie hat und auch nicht danach fragen.
@StefanL
Meine Überlegungen sind unabhängig vom Geldsystem. Die Edelmetalldeckung verleiht dem Geld die ökonomischen Eigenschaften des Edelmetalls. Aber es sind exakt die ökonomischen Eigenschaften, von dem dieser Artikel handelt. Auch ein solches Geldsystem kennt die Ungleichverteilung, von der ich spreche, und hat daher ebenfalls keinen zentralen Preisvektor.
Ein Fiat Geldsystem, wie unser Kreditfinanzsystem, hat zusätzlich das Problem der chaotisch-dezentralen Geldschöpfung mit der stetigen Geldvernichtung durch die immerfort tickende Tilgungsuhr.
Schön übersichtlich dargestellt – und wie zu erwarten gibts bei der hiesigen Leserschaft einige Durchhalteprobleme. Ist halt eine Frage der Gewöhnung, Texte der Naturwissenschaft sind anders als die der Ökonomie, die wieder anders als zB Polizeiberichte. Komm ich deswegen drauf, weil aus so einem HalbmeterStapel normalkonfuser Berichte ermittlungsrelevante Fakten destillieren wäre für mich eine Wochenaufgabe – und diese eine Bekannte machte das letztens lässig (und effektiv) am Nachmittag zwischendurch…
Woher kam eigentlich diese Erwartungshaltung, Till? Der Titel deutet ja nichts in der Richtung an…
addendum, da ich scheinbar etwas zu weit vom eigentlichen thema ausgeschweift bin; hier der denkfehler erklärt:
das präsentierte modell betrachtend, auch wenn die geldmenge, und somit die nachfrage der nachfragerseite gegen null ankommt, bleibt eine nicht unbeträchtliche nachfrage weiterhin bestehen, die hier gar nicht berücksichtigt ist, weil die anbieterseite selbst gleichzeitig nachfrager ist, und dies überproportional zu ihrem anteil an der gesamtbevölkerung
mein ursprünglicher kommentar ist ja noch gar nicht gepostet worden, da er noch moderiert wird…
Ja! Ich finde auch, das ist ein Problem! Aber das liegt nicht nur an einer gewissen Hörigkeit der Software gegenüber, sondern auch an der Erfahrung, dass die Software, die man so im wahren Leben benutzt in fast allen Fällen das tut, was sie soll, in der gewünschten Qualität und mit sehr viel kleinerem Aufwand, als Bleistift und Papier erfordern. Das Vertrauen kommt ja nicht von ungefähr, sondern weil’s eben nicht nur schon stimmen wird, sondern in der Regel wirklich stimmt. Deswegen konzentrieren sich die Leute in ihrer begrenzten Zeit auch lieber darauf, wie sie die Software richtig anwenden, als en detail zu verstehen, wie sie funktioniert – Fahrrad fahren lernen war schwer genug, auch ohne zu verstehen, warum das Rad nicht umkippt.
Deswegen sind’s Studies – da macht das noch nicht viel. Und in der Wirklichkeit, wo der Abgleich von Simulation und Realität sehr schnell passiert, merken die meisten sehr schnell, wo Möglichkeiten und Grenzen abgesteckt werden. Ich find’s fürchterlich, wie junge Leute im Studium immer beschrieben werden – meine eigene Erfahrung ist zwar nicht maßgeblich, aber ich wage zu bezweifeln, dass es unseren Unternehmen so gut gehen würde, wenn aus den Universitäten und Fachhochschulen nur Tastendrücker kämen.
Das halte ich für völlig falsch. Bologna hin oder her. Ich kann nur für naturwissenschaftliche bzw. technische Studiengänge sprechen, aber neben dem notwendigen Fachwissen haben alle unsere Profs uns immer auch versucht, ein Gefühl für die Sache mitzugeben – das notwendige Knoff-hoff, wie man an Probleme heran geht. Man hat uns mit Assembler trakiert, weil man uns zeigen wollte, was in einem Rechner wirklich passiert und was so ein paar Elektronen im falschen FET auslösen können. Wir haben die Grundlagen des Faches gelernt und wie darauf alles aufbaut, haben jede Menge Experimente gemacht und alle Profs haben versucht uns zu ermutigen, tatsächlich aufzuschreiben, was wir gemessen haben und nicht das was rauskommen muss. Ich glaube wiederum nicht, dass ich der einzige bin, dem das so ergangen ist – aus demselben Grund wie oben.
In Form personalisierter Excel-Tabellen passiert das dauernd überall in der Industrie. Aber für komplexe Programme, die dann am Ende auch das tun sollen, was man will und ohne Fehler, sucht man sich besser Fachleute, die das besser können. „Ingenieur“ heißt nicht Fachmensch für alles.
Das sind doch alles handfeste Gründe. Und ich setze noch ein paar drauf: So gut alle professionelle Software ist proprietär – die gehört jemandem. Jemanden, der es gar nicht lustig findet, wenn ich an seinem Eigentum rumpfusche. Kein Hersteller wird mir noch eine Grantie drauf geben, dass irgendwas an seinem Programm richtig funktioniert, wenn ich an seinem Quellcode rumpfusche. Und selbst ein eigenes Programm (also wirklich ein Programm, nicht einfach eine angepasste Excel-Tabelle, von denen es in der Tat unglaublich viele gibt, die ihren Dienst tun) für mein Spezialproblem zu schreiben dauert nicht nur Zeit, sondern es muss auch validiert werden. Ich müsste mich drauf verlassen können, selbst keinen groben Fehler gemacht zu haben – und insbesondere keinen groben Fehler, der nur sehr selten auftritt.
In dem Moment, wenn man etwas nicht mehr mit Bleistift und Papier nachvollziehen kann, ist man der Software ausgeliefert. Bamm. Möglicherweise erkennt man noch einige offensichtliche Fehler im Ergebnis, aber die subtilen Fehler wird man oft übersehen. Und bei einem eigenen Stück komplexer Software, das nicht – sehr wichtig! – von vielen fremden Augen überprüft wurde, würd ich mich auf das Ergebnis nicht unbedingt verlassen.
Letztendlich spielt es keine Rolle auf welchen Wege die Umverteilung auf Lasten der immer ärmer werdender Klasse geschieht.Zum ende aller Überlegungen und Analysen;Eine Rückverteilung war und wird letztendlich immer nur gewaltsam möglich sein!…leider!
…ich musste leider auch vor dem ende des artikels aussteigen.
kann aber auch einfach an mir gelegen haben.
die aufbereitung des themas ist dennoch schlecht gelungen – sonst hätte es mehr leute gefesselt.
und ich weiss, wovon ich rede… ich glaube ich bin letztes jahr „letzter“ geworden 🙂
alles nicht so einfach….
aber danke für die mühe!!
Ich war sehr interessiert auf dieser Seite etwas über VWL zu lesen, allerdings denke ich dass der Autor einigen grobe Missverständinissen unterliegt.
Grenznutzen und Sättigung werden zusammengeworfen, dabei sind das zwei fundamental unterschiedliche Konzepte: Normalerweise wird abnehmender Grenznutzen angenommen, das ist richtig. Formal wird also angenommen, dass die 2. Ableitung der Nutzenfunktion negativ ist. Was der Autor nicht erwähnt, ist dass die erste Ableitung in mehr oder minder allen wissentschaftlichen Papieren als positiv angenommen wird, der Grenznutzen einer zusätzlichen Einheit ist also positiv. Das ist fundamental verschieden von der Sättigungsannahme und keines der gängigen „neoklassischen“ Modelle produziert Pareto-Effiziente Allokationen weil Konsumentinnen keine Lust haben mehr zu konsumieren. Vielmehr wird das Optimum dort erreicht, wo die Konsumentin ihre Budgetbeschränkung ausschöpft.
Der Autor hat recht in der Aussage, dass Präferenzen transitiv sein müssen damit das Marktergebnis Pareto-optimal ist. Allerdings ist es auch hier ärgerlich, dass nicht darauf eingegangen wird, was Pareto-Optimalität eigentlich bedeutet: es ist ein reines Effizienzmaß, das eintritt, wenn keine Konsumentin besser gestellt werden kann, ohne dass es einer anderen schlechter geht. In der VWL beschreibt das 1. Wohlfahrtstheorem die Bedingungen, unter denen das Marktergebnis Paretooptimal ist. Übrigens ist eine Bedingung hier dass Präferenzen nicht gesättigt sein dürfen, denn ansonsten könnte man das übrige Geld einer „satten“ Konsumentin an eine andere verteilen, die von diesem Geld etwas konsumieren will – das stellt eine Paretoverbesserung dar, da keine Konsumentin schlechter gestellt wird.
Dass Paretooptima extrem unfair sein können steht außer Frage – deswegen gibt es das 2. Wohlfahrtstheorem, das aussagt, dass die Primäreinkommen beliebig verteilt werden können und jedes daraus resultierendes Marktergebnis ein Paretooptimum darstellt (Auch wieder nur unter bestimmten Bedingungen). D.h. es gibt Möglichkeiten Gerechtigkeit und Effizienz in Einklang zu bringen.
Ich will damit nicht sagen, dass die Theorie total super ist, die Wohlfahrtstheoreme sind sicher fern von jeder realen Situation und natürlich sollte man Sayes Theorem infrage stellen. Das hat u.a. auch schon Keyes vor 80 Jahren gemacht. Dabei hat er mit Preisfriktionen, Animal Spirits etc. argumentiert und seine Argumente haben auch heute noch riesigen intelektuellen Einfluss (z.B. bei Zentralbanken und auch Universitäten). Kritik wie die obige bleibt leider unvollständig und ist zu leicht zu wiederlegen, deswegen bin ich mir nicht sicher, ob sich wirklich jemand davon überzeugen lässt.
mein erster kommentar wurde immer noch nicht freigegeben…
TEIL 1
als mann vom fach – sowohl studiums-, als auch berufsmäßig, war für mich der artikel doch ziemlich leicht lesbar und verständlich; er beinhaltet auch einige sehr logische annahmen, jedoch wird ein ganz markanter punkt dabei – wie auch in praktisch allen relevanten modellen – ausgelassen, da er einfach zu komplex ist, um überhaupt modelliert werden zu können, nämlich die absolut unmögliche abgrenzung zwischen der anbieter- & nachfragerseite, da gerade die anbieterseite per se sowohl, als auch ist.
als angestellter in einem marktführenden globalen konzern im FMCG-bereich (ergo theoretisch, und auch faktisch, für 100% der bevölkerung relevant; glaubt mir, jeder verwendet die besagten produkte täglich) kenne ich die nachfrageseite und ihr verhalten aufgrund der position in der marketing & sales abteilung sehr gut; als sohn eines alleingesellschafters & geschäftsführers eines konzerns in makroökonomisch relevanter größe, in dem ich auch teilweise tätig bin – kerngeschäftlich auch im FMCG-bereich – kenne ich aber auch “die andere seite”. sowohl aus der perspektive des unternehmens, das anbieter ist, aber auch nachfrager als auch aus der der privatperson – als nachfrager.
…auch die anbieterseite ist nachfrager. und das in einem viel größeren ausmaß, als es von der politik kommuniziert wird.
deshalb kann man solche modelle (und auch die klassischen ökonomischen modelle) praktisch gar nicht mehr realökonomisch bzw. -politisch anwenden, weil sie zu strikt zwischen den beiden seiten abgrenzen.
jedenfalls ist es aber – für mich – sehr willkommen, mal ein modell zu sehen, das das equilibrium dorthin positioniert, wo es tatsächlich und logischer weise sein sollte – nämlich in der mitte. nur leider trifft das realökonomisch nicht zu, da das menschliche verhalten nicht mathematisch so einfach dargestellt werden kann.
zwei beispiele hierfür:
– ein “reicher”, der aber sein geld hortet bzw. in gebundenem kapital ohne liquidation fest hält, und spartanisch lebt, sprich nichts, oder für seine verhältnisse extrem wenig ausgibt
– (leider allzu oft an zu treffen…) menschen, die deutlich über ihre verhältnisse leben, kredite aufnehmen, damit mehr konsumieren, als sie faktisch mit ihrem vorhandenen geld könnten; wie modelliert man schulden eigentlich am sinnvollsten? ist es ein minus auf der nachfrageseite, oder verschiebt sich dies nur auf die anbieterseite? und was, wenn diese nicht gezahlt werden können (insolvenz), und getilgt werden müssen? verkleinert sich dadurch die gesamtgeld-/kapitalmenge der welt? oder wird wieder herum verschoben?
TEIL 2
als kleinen exkurs, der aber sehr gut die außerachtlassung des nachfragefaktors der anbieter zeigt, muss ich die verteilung der steuerleistungen in österreich demonstrieren:
– nur etwa 65% der *erwerbstätigen* zahlen überhaupt einkommenssteuer in ö (ie. 35% arbeiten zwar, zahlen aber keine lohnsteuern); das sind 34% der gesamtbevölkerung
– die obersten 10% dieser lohnsteuerpflichtigen tragen über 50% der steuerleistung
– die obersten 1% tragen über 15% der steuerleistung
– die unteren 50% – ie. die hälfte aller *lohnsteuerpflichtigen* in österreich! – tragen gerade mal 3% der steuerleistung
bei unternehmen bzw. juristischen personen generell sieht es noch schlimmer aus: 2,5% der köst-pflichtigen tragen über 75% der steuerleistung
…das sind großteils die ganz ganz bösen konzerne, über die alle schimpfen, die da 2/3 aller steuereinnahmen aus dem sektor blechen…
noch dazu kommt, dass die “reichen”, sowie (ihre) unternehmen, deutlich mehr an umsatzsteuer bzw. mwst aufgrund weitaus höherer (privat-)ausgaben zahlen, als der rest der bevölkerung, wodurch sich dies noch viel mehr verschärft. KeSt ist auch noch gar nicht berücksichtigt, die auch praktisch gänzlich von reichen bzw. kapitalkräftigen unternehmen getragen wird.
ergo finanzieren die obersten #%, sei es durch einkommensteuer als privatperson oder KöSt als juristische person, sowie durch ausgaben per umsatzsteuer/mwst, mit abstand den größten teil des ganzen staatshaushaltes, von dem der staat aber *die hälfte* ins sozialsystem (inkl. gesundheitswesen; sonst dennoch über 40%) füttert, sprich als transferleistung an einen nicht unbeträchtlichen (jedenfalls aber den anteil der hauptfinanzierer bei weitem übersteigenden) teil der bevölkerung umverteilt.
quelle: BMF; NB: 2011, sprich die letzten 1-2 jahre hat sich diese diskrepanz nur noch mehr verschärft aufgrund der zunahme derer, die vom system ausgehalten und nichts bzw. weniger einzahlen, als sie erhalten.
man kann immer schön nur das vermögen bzw. das einkommen der reichen bzw. in makroökonomischen meodellen der anbieterseite betrachten, aber ihre funktion und ihren einfluss als nachfrager wird leider allzu oft außer acht gelassen, und diese ist – wie auch was steuerleistung angeht – beträchtlich, vor allem in anbetracht ihrer anzahl gegenüber der gesamtbevölkerung.
Orci, #21
Förderung kritischen denkens
Das hab ich zum Teil auch so erlebt, aber eben nur zum Teil. Ich hatte auch Profs und vor allem in der Schule auch Lehrer dabei, die einfach nur ihren Stoff durchgezogen haben und denen es letztlich völlig egal war, ob auch alle mitkommen, oder ob da welche Probleme haben und aus irgendwelchen Gründen nicht mitkommen. Und das war alles noch vor Bologna.
Wenn ich aber heutzutage so die Kritik am Bildungwesen lese, dann werde ich das Gefühl nicht los, dass es zumindest einigen Leuten aus Politik und Wirtschaft wichtig ist, das auch die Hochschulen hauptsächlich Fachidioten hervor bringen. – Also Leute, die zwar ein paar Dinge gut bis sehr gut können, denen aber der oftmals geforderte „Blick über den Tellerrand“ völlig fehlt, und die deshalb auch nicht abschätzen können, inwieweit ihre Arbeit sich auf andere Felder auswirkt, bzw. auswirken könnte.
Schön, mich auch. Und das finde ich auch völlig korrekt.
Nun, es dürfte in vielen oder sogar den meissten Fällen auch von den Profs abhängen, ob man viel oder wenig bei ihnen lernen kann (entsprechenden Willen voraus gesetzt). Aber trotzdem stimmt da vieles auch nicht mehr, wenn etwa der akademische Mittelbau systematisch dezimiert wird, wie man in der einschlägigen Kritik häufig lesen kann. Konkret fällt mir dazu etwa Stefan Schleim ein, hab aber auch schon bei anderen SciLogs-Bloggern etwas in der Richtung gelesen. Hier bei den Sciensblogs eher noch nicht.
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Softwareprobleme
Aber auch proprietäre Software hat oftmals Schnittstellen, die es einem ermöglichen, sich die eine oder andere Erweiterung selbst zu bauen. Aber okay, ab einem gewissen Grad an Komplexität sollte man sich dann wirklich Fachleute suchen, die das besser können als man selbst. – Am besten ist es natürlich, wenn man die in der Firma hat und nur in deren Abteilung deswegen anfragen muss, aber das wohl eher die Ausnahme als die Regel, schätze ich.
Dafür gibt es doch fertige Testszenarien, von denen bekannt ist, was heraus kommen soll, mit denen dann festgestellt werden kann, ob auch wirklich das heraus kommt, was herauskommen soll? – Oder sind die nur ein Teil der professionellen Softwareentwicklung, kommen aber bei den Anwendern weniger bis gar nicht zum Einsatz?
Einvestanden, da sollte man dann diejenigen dran lassen oder dazu rufen, die sich auch mit den subtilen Fehler auskennen.
Soweit zu dieser Detaildiskussion.
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Jetzt noch was zum Artikel :
Das sehe ich auch so. Das Problem ist aber, das die angebotsorientierte Ökonomie immer noch (insbesondere in Deutschland) als Dogma betrachtet wird. Hier wäre also die Frage zu klären, wie man die Dogmatiker los wird, damit man sich ans aufräumen und dem anschliessenden Aufbau einer modernen Ökonomie begeben kann.
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Jetzt fehlt eigentlich nur noch ein ähnlicher Text zur nachfrageorientierten Ökonomie und wo deren wesentliche Schwächen liegen…
Ich fand den Text recht gut zu lesen (zum Beispiel mit dem durchgehenden Gebäudebild), und er hat mir einige wichtige Punkte klargemacht. Natürlich musste ich mich als Laie ziemlich konzentrieren, aber es hat sich gelohnt!
Vielen Dank für diesen Artikel! Seit der Finanzkrise habe ich ebenfalls meine volkswirtschaftlichen Kenntnisse wieder aufgefrischt und teile deine Analyse der Schwachpunkte in der Ökonomie. Eine Frage bleibt allerdings auch bei dir aussen vor. Die Frage nach dem Wesen von ‚Geld‘. Die dänische Ökonomin Charlotte Bruun hat in ihrer Dissertation die logische Konsistenz bestehender geldtheoretischer Ansätze untersucht[1].
Bei meinen Recherchen sind mir zwei Autoren besonders aufgefallen, deren gemeinsames Merkmal eine Ablehnung einer auf dem methodischen Individualismus aufbauenden Mikrofundierung der VWL aufbaut. Da ist zum einen Alvaro Cencini, der in der keynesschen Tradition der Gültigkeit von buchhalterischen Identitäten weitergeforscht hat und ein makroökonomischen Framework entwickelt hat, in dem Banken als reines Verrechnungssystem institutionell in der Volkswirtschaft verankert sind[2]. Zum anderen ist da Steve Keen, der die statische Gleichgewichtsmodellierung der Mainstreamökonomie komplett über den Haufen wirft und stattdessen echte dynamische Modelle verwendet. Ein Schlüsselprojekt ist dabei die Simulationsoftware Minsky[3], dessen Alleinstellungsmerkmal die automatische Berücksichtigung der Restriktionen ist, die sich durch das Prinzip der Doppik ergeben. Daneben zeigte er schon in seinem Buch ‚Debunking Economics‘ auf, wie Mainstreamökonomen die Annahmen ihrer eigenen Theorien widerlegt haben.
Das sind beide noch relativ junge Ansätze. Insbesondere die Auffassung von Geld als integrierte Zeit, die als Aktiv-Passiv-Beziehung in einer Bankenbilanz registriert ist, löst etliche Paradoxien auf, denen wir uns heute in der realen Ökonomie gegenübersehen. Ich sehe hier durchaus Ansätze für eine wissenschaftliche Revolution; die neoklassisch fundierte Mainstreamökonomie ist dann der Gesellschaft etliche Antworten schuldig.
[1] Die Übersicht aus Kapitel 1 der Dissertation ‚Logical Structures and Algorithmic Behavior in a Credit Economy‘ ist in ‚wiki.piratenpartei.de/AG_Geldordnung_und_Finanzpolitik/Geldtheorien_Systematik‘ dargestellt mit Link auf die Originalarbeit.
[2] Cencini, Alvaro (2005): Macroeconomic foundations of macroeconomics. London; New York: Routledge.
Eine kompakte Darstellung der zugrunde liegenden Konzepte in deutsch ist in dieser Sicherung des Wikipedia-Artikels vom November 2011 dokumentiert, die von Cencinis Mitarbeiter Sergio Rossi mitverfasst wurde: ‚wiki.piratenpartei.de/QuantumEconomy‘
[3] ’sourceforge.net/projects/minsky/‘
@snowtape
Vielmehr wird das Optimum dort erreicht, wo die Konsumentin ihre Budgetbeschränkung ausschöpft.
In den allgemeinen Gleichgewichtsmodellen werden keine Budgetstrukturen untersucht, die Budgetbeschränkungen sind nur Nebenbedingungen die nachträglich angewandt werden. Ein Ausschöpfen der Budgets ist das keineswegs. Vielmehr gibt es Lösungen mit „Budget-Resten“ vielleicht auch ohne und ungültige, die Budgetrestriktionen verletzen. Die allgemeinen Gleichgewichtsmodelle sprechen explizit von Präferenzen.
[..] deswegen gibt es das 2. Wohlfahrtstheorem, das aussagt, dass die Primäreinkommen beliebig verteilt werden können und jedes daraus resultierendes Marktergebnis ein Paretooptimum darstellt [..]
Aber diese „Optimas“ unterscheiden sich erheblich. Bei dem einen existiet Hunger, bei dem anderen herrscht ein Überfluss an Luxus. Daher sagt ja die angebotsorientierte Ökonomie, ich muss dasjenige Wählen, das Wachstum beinhaltet und genau das könne sie. Aber dieses Versprechen kann sie aufgrund der zahlreichen Krisen nicht mehr einlösen.
Es ist eine kritische Annahme in den Gleichgewichtsmodellen, dass Präferenzen linear nicht gesättigt sind. Dadurch werden Budgets immer vollständig ausgeschöpft. Was meinen Sie mit Budget-Resten? Natürlich, die Budgets ergeben sich aus Löhnen und Renten und sind dadurch auch durch die Präferenzen und Kaufkraft der Konsumentinnen beeinflusst. Deswegen gibt es ja auch mehrere Paretooptima, die von der ursprünglichen Verteilung der Produktionsfaktoren abhängig sind.
Und Angebotspolitik muss auch nicht zwingend in die Hände der Besserverdienenden spielen: z.B. ist die Bildungsförderung von Kindern aus sozial schwachen Familien ein Instrument der Angebotspolitik (weil dadurch das Arbeitsangebot der Geförderten beeinflusst wird). In der Finanzkrise wurde in Deutschland mit der Abwrackprämie Nachfragepolitik betrieben, die Lobby der Autobauer wird sich gefreut haben.
@ necrophyte
[..]nämlich die absolut unmögliche abgrenzung zwischen der anbieter- & nachfragerseite, da gerade die anbieterseite per se sowohl, als auch ist.
Diese ist auch nicht notwendig. Ein Budget hat eingehende und ausgehende Transaktionen, diese entsprechen den ökonomischen Rollen des Anbieters und Nachfragers, sowie auch denen des Gläubigers und Schuldners.
[..]wie modelliert man schulden eigentlich am sinnvollsten? ist es ein minus auf der nachfrageseite, oder verschiebt sich dies nur auf die anbieterseite?
Die Bilanz unterscheidet strikt zwischen den ökonomischen Rollen, das Budget nicht. Es ist bei Schulden einfach nur negativ. Ob dadurch Nachfrage oder Produktion ausfällt, wird im Grunde durch die ökonomischen Beziehungen in der Vergangenheit definiert.
[..] verkleinert sich dadurch die gesamtgeld-/kapitalmenge der welt?
Entstehen die Schulden durch einen Banküberziehungskredit, vergrößert sie sich sogar. Schulden bzw. Kredite schaffen Geld 😉 Die Geldmenge verringert sich durch Schuldentilgung.
@Gerhard
Eine Frage bleibt allerdings auch bei dir aussen vor. Die Frage nach dem Wesen von ‘Geld’
Dazu hatte ich letztes Jahr etwas geschrieben. Für mich ist die wesentliche Eigenschaft des Geldes seine Funktion als Wert-Messinstrument.
https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/09/10/die-vermessenheit-der-oekonomie/
Insbesondere die Auffassung von Geld als integrierte Zeit, die als Aktiv-Passiv-Beziehung in einer Bankenbilanz registriert ist, löst etliche Paradoxien auf, denen wir uns heute in der realen Ökonomie gegenübersehen.
Wenn ich ein Kreditsystem modelliere, muss ich die Zeit aufgrund der Fälligkeitszeitpunkte der Tilgungsraten berücksichtigen. Die derzeitigen Modelle machen das nicht.
Ich sehe hier durchaus Ansätze für eine wissenschaftliche Revolution;
Ich sehe vor allem eine Notwendigkeit. Vielleicht beruhigt sich die Wirtschaft irgendwann wieder, dann können wir zu den statischen Modellen zurückkehren. Im Moment brauchen wir dynamischere.
@snowtape
Sorry, war ein Schnellschuss. Ja, die allgemeinen Gleichgewichtsmodelle berücksichtigen Budgetrestriktionen angemessen, sie sind nur blind für die Beziehungen zwischen ihnen. Daher sind die Präferenzen unabhängig voneinander, Wechselwirkungen und Dynamiken können nicht entstehen und ein zentraler Preisvektor wird ermöglicht.
Jetzt bin ich auch durch.
Als ich die Überschrift sah, hat es mich sofort gepackt. Ökonomische Diskussionen sind selten, obwohl es mich mehr interessiert als sogar die Gesundheit.
Weiss man denn heute ganz genau, wie es zur Krise kam? Wo kann ich seriöse Analysen dazu sehen? Weil damit, dass es die Krise tatsächlich gab, werden verschiedensten spekulativen Thesen „wahrgewaschen“ (so in etwa: „willst du bestreiten, dass es die Krise gab? Nein? Dann hab ich recht.“)
„““““
Ich bin kein Ökonom. Habe immer so verstanden, dass das Geld dem Anbieter zugestellt wird, damit er Arbeitsplätze schafft. Damit kann man mehrere Fliegen mit einem Schlag erledigen: zum Beispiel dem Arbeiter Lohn zahlen, welches er verkonsumieren wird. Steuern werden gezahlt, sodass die Arbeitslosen auch konsumieren können. Die Banken haben eine gewisse Sicherheit bei Kreditvergabe, was auch zum Konsum führen kann. Der Staat erwirtschaftet seinen Wohlstand usw…
Wenn ich auf der anderen Seite Sozialhilfe erhöhe, dann muss man irgendwann Auslandprodukte kaufen, weil nichts selbst erwirtschaftet. Woher kommt langfristig das Geld, um den hohen Sozialhilfestandart zu halten bei wachsender Arbeitslosigkeit? Irgendwann ist der Staat pleite, wie Griechenland z. B.
Wenn der eigene Kunde im Land nichts mehr konsumiert, wird es in die Welt exportiert, und dem Land wird es wirtschaftlich weiterhin gut gehen (zumindest bis die Welt so klein wird wie ein Land)
„““
Werden Alternativen diskutiert? Gibt es seriöse Analysen zu Alternativen? Oder lehnt man diese aus lauter Konservatismus ab?
Es gibt viel Kritik am System und es scheint offensichtlich und plausibel. Doch komisch, dass man sofort die Burka verbieten will, aber keine globale Finanzkrise. Die Kritiker können auch etwas verschweigen, oder Prioritäten anders gewichten, damit ihre Kritik Hand und Fuss haben kann.
Ich will richtige Diskussionen mit Argument und Gegenargument. So lerne ich etwas ohne die Zeit mit einseitigen Lehren zu verschwenden. Ich meine, studieren gehen werd‘ ich wohl nicht mehr. Und das ist wirklich ein sehr komplexes Thema, was mehr Präsenz auch auf Scienceblogs verdient.
Ich finde es grundsätzlich wichtig, Kritik immer auch konstruktiv zu formulieren. Damit will ich aber nicht sagen, dass die Kritik im Artikel unangebracht oder schlecht formuliert ist. Im Gegenteil: Die bestehenden Theorien werden sehr kunstvoll und überzeugend demontiert. Ich hätte das ganze einfach runder gefunden, wenn der Artikel am Ende auch einen Ansatz für eine Lösung aufgezeigt hätte.
Ich habe selbstverständlich keine fertigen Lösungen erwartet. Das Thema ist extrem komplex und der Artikel hat ja sehr gut gezeigt dass es eben keine einfachen Lösungen gibt. Ich hätte mir einfach gewünscht, dass auch zumindest mögliche Lösungsansätze aufgezeigt werden. Deshalb habe ich dann ja auch versucht in meinem Kommentar einen Lösungsansatz zu formulieren, der mir beim Lesen des Artikels relativ offensichtlich erschien.
@ Marc #33
Ah sehr interessant. Hier beschäftigst du dich mit dem Messvorgang als solchen und dem dabei auftretenden Messfehler. Das ist tatsächlich die kritische Frage, dafür müssten wir aber an dieser Stelle tiefer einsteigen. Magst du dich mit mir in Verbindung setzen(listmember[ät]rinnberger.de)?
BTW. Steve Keen dürfte die walrasianische Gleichgewichtsannahme der Neoklassik in einer wachsenden Ökonomie widerlegt haben. Sobald man die volkswirtschaftliche Outputfunktion als Vektorgleichung formuliert, macht einem ein unscheinbarer Satz aus der linearen Algebra, der Satz von Perron-Frobenius einen gewaltigen Strich durch die Rechnung.
Können etwa keine externen Links gesetzt werden?
walrasianische Gleichgewichtsannahme der Neoklassik
Wirtschaftswissenschaftliche Modelle sind meistens statistisch abgesichert.
Was mich stört, dass bei der Diskussion über Sinn und Schwächen der Mensch zu kurz kommt.
Ich meine, dass der Verbraucher als „triebgesteuertes , determinierbares Wesen“ behandelt wird. Eine Hilfe wäre, wenn man einen Verhaltenkodex für Verbrauche und Erzeuger erarbeitet. Dieser sollte berücksichtigen, dass die rohstoffe nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen. Zweitens sollte der ökologische Aspekt für die Verbraucher berücksichtigt werden. Drittes der moralische Aspekt, dass wir Lebensmittel wegwerfen , während in Afrika die Kinder verhungern.