scilogs_em2016Heute Abend spielt bei der Fußball-Europameisterschaft Irland gegen Schweden. Und während es die Fußballer von der grünen Insel (ich glaube, es ist verpflichtend, diese Phrase in jedem Text über Irland zu erwähnen, oder?) beim Sport noch nie über die Vorrunde hinaus geschafft haben, sind die Wissenschaftler schon deutlich weiter. Grund genug, mich in meiner Serie über Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den EM-Teilnehmerländern heute den Iren zu widmen.

Bild: NASA, Jeff Schmaltz, MODIS Rapid Response Team, Goddard Space Flight Center)
Bild: NASA, Jeff Schmaltz, MODIS Rapid Response Team, Goddard Space Flight Center)

Als der Fußballverband der Republik Irland 1921 gegründet wurde, waren die irische Astronomin Annie Maunder und ihr Mann Edward gerade dabei, die Sonne zu beobachten. Das haben sie auch schon vorher getan – und noch viel mehr. Annie Maunder wurde als Annie Russell am 14. April 1858 in Strabane geboren. Sie studierte an der Universität Cambridge und war die beste Mathematikerin ihres Jahrgangs. Einen offiziellen Abschluss hat sie aber von der Universität nicht bekommen; das fand man damals noch übertrieben. Erst 1928 konnte man sich dazu durchringen, die Arbeit von Frauen auf diese Weise anzuerkennen.

Annie Russell arbeitete zwischenzeitlich als Mathematiklehrerin, bevor sie 1891 von der Königlichen Sternwarte in Greenwich engagiert wurde. Nicht als echte Wissenschaftlerin natürlich, immerhin war sie eine Frau. Und selbstverständlich auch nicht gut bezahlt. Von den ihr angebotenen 4 Pfund pro Jahr konnte sie kaum leben. „Does the fact that I have taken the mathematical tripos at Cambridge makes no difference?“ schrieb sie an den Direktor der Sternwarte. Nö, dürfte der geantwortet haben: Nimm den Job oder lass es bleiben!

Annie Russell nahm den Job an und wurde als „Lady Computer“, also als Gehilfin für mathematische Berechnungen und sonstige Jobs in die Abteilung für Sonnenphysik beordert. Der damalige Chef dort war Edward Maunder, ein Pionier was die fotografische Beobachtung der Sonne anging. Annie Russell half bei den Auswertungen der Photoplatten, bei den nächtlichen Beobachtungen (da stand da vermutlich nicht die Sonne am Forschungsplan) und offensichtlich verstand sie sich mit Edward Maunder nicht nur beruflich sondern auch privat sehr gut. 1895 heirateten die beiden und Annie (jetzt Maunder) wurde sofort gekündigt. Verheiratete Frauen durften nicht im öffentlichen Dienst arbeiten und Annie Maunder musste sich mit einem Job als unbezahlte Assistentin ihres Mannes zufrieden geben.

Die Sonne blieb weiterhin das Hauptforschungsgebiet des Ehepaars Maunders. Sie beobachteten Sonnenfinsternisse überall auf der Welt – aber vor allem Sonnenflecken. Diese dunklen Bereiche auf der Oberfläche der Sonne stellen Zonen dar, in denen es ein wenig kühler ist da starke Magnetfelder das heiße Material aus dem Sonneninneren zurück halten. Die Zahl der Sonnenflecken hängt vom Status der Sonnenaktivität ab; also dem Ausmaß der Störungen im Magnetfeld unseres Sterns (ich habe zum Beispiel hier mehr darüber geschrieben). Dass sich diese Aktivität periodisch verändert, war damals schon bekannt. Aber es blieb noch viel Raum für Forschung und vor allem für interessante neue Daten.

Zum Beispiel das sogenannte „Schmetterlingsdiagramm“. 1904 veröffentlichte Edward Maunder (seine Frau durfte nicht immer als Autorin mit aufscheinen) eine wissenschaftliche Arbeit („Note on the distribution of sun-spots in heliographic latitude, 1874-1902“) in der er nicht nur die Veränderung in der Anzahl der Sonnenflecken im Laufe der Zeit untersucht hatte, sondern auch die Veränderungen ihrer Position auf der Sonnenoberfläche. Dabei zeigte sich, dass die Flecken nicht nur während 11 Jahre mehr und dann wieder weniger werden, sondern auch noch vom Pol der Sonne in Richtung Äquator wandern. Zeichnet man das ganze entsprechend auf, erinnert das Bild an eine Reihe von Schmetterlingen, wie dieses von Annie Maunder gezeichnete Diagramm zeigt:

MaunderSchmetterling

Die x-Achse gibt die Zeit an, die y-Achse die Position der beobachteten Flecken auf der Sonne. Maunders Resultate haben sich im Laufe der Zeit immer wieder bestätigt; den ersten Schmetterlingen sind noch viele weitere gefolgt, wie diese moderne Version des Diagramms zeigt:

Bild: NASA
Bild: NASA

Warum das allerdings so ist, ist bis heute noch nicht restlos verstanden. Man weiß zwar, dass unterirdische Plasmaflüsse in der Sonne eine Rolle spielen – aber es ist nicht einfach, ins Innere unseres Sterns zu schauen.

Der Name „Maunder“ ist heute noch am ehesten im Zusammenhang mit dem Maunderminimum bekannt. Auch dieser Begriff geht auf die Arbeit von Annie und Edward zurück. Bei ihrer (auch historischen) Untersuchung der Sonnenflecken fanden sie einen Zeitraum zwischen 1645 und 1715, in dem extrem wenig bis gar keine Sonnenaktivität stattgefunden hat. Diese Phase wurde in den 1970er Jahren „Maunderminimum“ genannt, um die Leistung der beiden Astronomen zu würdigen. Auch hier gilt wieder: Was genau der Grund für diese lange Phase der magnetischen Inaktivität (mittlerweile kennen wir auch andere länger dauernde Minima in der Sonnenaktivität) in der Sonne war, ist noch offen. Dass es etwas mit den Plasmaflüssen in ihrem Inneren zu tun hat, ist naheliegend – aber die Details zu verstehen ist äußerst knifflig.

Das gilt übrigens auch für den Zusammenhang mit der „Kleinen Eiszeit“, also dem Zeitraum zwischen (circa) dem 16. und dem 18. Jahrhundert als es auf der Welt vergleichsweise kühl war. Oft wird ja behauptet, Maunderminimum und Eiszeit wären ursächlich miteinander verbunden. Die niedrige Sonnenaktivität wäre der Grund für das Absinken der Temperaturen. Aber abgesehen davon, dass die kleine Eiszeit schon lange vor dem Maunderminimum begann und noch lange nach dessen Ende andauerte, gibt es bis heute keine belastbaren Hinweise, dass die Aktivität der Sonne tatsächlich einen Einfluss auf das Klima der Erde hat (siehe zum Beispiel hier).

Annie Maunder hat neben ihrer Arbeit über die Sonne noch einen ganzen Schwung anderer interessanter Dinge getan. Zum Beispiel ein populärwissenschaftliches Buch mit dem Titel „The heavens and their story“ geschrieben. Oder sich wissenschaftshistorisch auf die Suche nach dem Ursprung der Sternbilder und der Herkunft der Planetensymbole begeben (Edward war ebenfalls nicht untätig: Er schrieb ein Buch mit dem Titel „Are the planets inhabited?“ in dem er über Leben auf anderen Himmelskörpern spekuliert und das ganze auf eine wunderbar-wirre Art mit seinem christlichen Glauben verbindet). Sehr schön sind auch die Reisetipps für die Sonnenfinsternisbeobachtung in Indien (immer auf die Skorpione aufpassen!)

1916 wurde Annie Maunder als eine der ersten Frauen Mitglied in der Royal Astronomical Society. Sie starb 1947 in London. Eine ausführliche Biografie über sie ist mir leider nicht bekannt. Aber ein paar Informationen findet man zumindest in diesem Artikel des Irish Astronomical Journal. Was ebenfalls nicht zu geben scheint, sind Bilder von Annie Maunder unter einer freien Lizenz. Aber wenigstens hat die National Portrait Gallery ein Bild zum Ansehen. Hey Pannini! Lasst doch mal die ganzen Fußballer sein und macht ein Sammelalbum mit Klebebildchen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Würd ich sofort kaufen!

P.S. Hinweise und Vorschläge für andere interessante Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den EM-Ländern nehme ich gerne in den Kommentaren entgegen!

16 Gedanken zu „Annie Maunder, der Schmetterling in der Sonne und die Sache mit der kleinen Eiszeit“
  1. Es ist ja tatsächlich so, dass sich die Sonne regelrecht magnetisch umpolt in einem Zeitraum von 11 Jahren. Ist der Nordpol oben, dann ist er 11 Jahre später exakt unten und umgekehrt. Die Sonnenflecken treten in den Zwischenzeiten auf, wenn die Feldlkinien am Äquator austreten. Hier erklärt

    Wie kann das denn sein? Magnetfelder entrstehen ja immer durch rotierende Ladungen und bei insgesamt neutralen Körpern dominiert die Ladung, die weiter außen sitzt. Da müsste dann im 11-Jahres-Rhytmus immer ein Austausch stattfinden. Ist das so? Ist das auch am Sonnenwind ablesbar?

    Dass Frauen noch die Erlaubnis des Ehemanns brauchten, um arbeiten zu dürfen, das gab es übrigens bis in die 60-er Jahre. So lang ist das noch gar nicht her.

  2. Florian: „… von der grünen Insel (ich glaube, es ist verpflichtend, diese Phrase in jedem Text über Irland zu erwähnen, oder?)“

    Nöö. Ich mag solche Stereotypen (auch) nicht, und ich freue mich immer über besser überdachte Formulierungen. Biologisch grüne Inseln gibt es viele, und politisch gedacht vielleicht auch. Das „Grün“ kommt neben der Naturbelassenheit möglicherweise auch von der grünen Flaggen- u. Landesfarbe, dem Grün des St. Patrick, des Kleeblatts und auch des typischen Leprechauns.

    Interessanterweise kommt beim EM-Bezug auch stets nur ein Teil der Insel zum Tragen, da die Republik Irland und Nordirland getrennt teilnehmen — wie auch England und Wales jeweils eigene Teilnehmer sind. — Eine schöne Bezeichnung wäre die „kleine Schwester“ der britischen Insel, oder auch die „Gälische“ oder die „Westliche“.

  3. Eine ebenfalls kleine Insel ist Island, das auch immer wieder zu schwach wegkommt im europäischen Vergleich. Isländische Musik ist z.B. gerade mal Björk. Immerhin nimmt Island an der EM teil.

    Eine interessante Isländische Wissenschaftlerin der Neuzeit ist Elsa Guðbjörg Vilmundardóttir, die leider schon verstorben ist. Sie war die erste Geologin Islands und anscheinend auch in dem Fach promoviert. Es gibt allerding über den isländischen Artikel hinaus nicht sehr viele Informationen über sie. Gefragt war nach Wissenschaftlerinnen, und immerhin gibt diese über die Geologie auch einen kleinen Bezug zur Astronomie her.

    1. @Braunschweiger: „Eine ebenfalls kleine Insel ist Island“

      Ha – rate mal, welches Trikot ich gerade an habe (frag nicht, warum ich sowas habe…). Island steht auch auf meiner Liste. Aber mit wirklich bedeutenden Wissenschaftlern ist die Insel leider eher dünn besetzt. Ok, Island ist mit so ziemlich allem dünn besetzt (eigentlich überraschend, dass die genug Leute für ne Mannschaft zusammengekriegt haben) 😉

  4. @Florian: …okay, ich frage nicht… aber möglicherweise hat es ja etwas mit Vikingern, Ragnarök und Bier zu tun.

    Schön ist es jedenfalls allemal, vor allem auch, dass Island endlich mal bedacht wird! Bin mal gespannt, welche Liste das sein wird…

  5. Tja, Island – weniger Einwohner als eine durchschnittliche deutsche Großstadt. Und trotzdem: Handball spielen können sie auch …

  6. Ha – rate mal, welches Trikot ich gerade an habe (frag nicht, warum ich sowas habe…).

    Ähm … die spielen aber doch erst morgen. Und zwar ausgerechnet gegen Portugal – Was ich mir auf jedenfall ansehen werde!

    Ronaldo gegen SC – Elfen und Trolle! Hat was! :-).

  7. Hallo Florian,
    bei deinen Texten finde ich, dass sie spannend zu lesen sind – mit den vielen Querbezügen und auch Hintergrundwissen, und ich denke, du hast ein Talent Leute bzw. auch Jugendliche für wissenschaftliche Themen zu begeistern. Durch deine Texte und von MartinB sehe ich, wie stark Frauen früher diskriminiert wurden, was einem beim Lesen über diese Fakten schon ärgerlich macht (dass das so war).

  8. @Erik:
    Nein, ich kenne Darstellungen von St. Patrick nur mit grünem Umhang oder grüner Kleidung, und die Farbe des St.-Patrick-Days ist immer Grün. In einigen Städten werden sogar Flüsse dafür grün gefärbt. Einfach mal googeln/bingen und in die Wikipedia-Seiten gucken.

    1. @pane: Darf ich nur über eine einzige Astronomin schreiben? Es gibt sehr viel Frauen, die interessante und wichtige Beiträge in der Wissenschaft geleistet haben. Und da ich hier über Irland schreiben wollte, habe ich mich auf die irischen Astronominnen konzentriert. Wenn du gerne etwas über Caroline Herschel lesen willst, ist das aber auch kein Problem: scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/01/28/im-schatten-ihres-grossen-bruders-das-leben-der-astronomin-caroline-herschel/?all=1

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