Im März hatte ich viel zu tun und wenig Zeit für mein Blog. Durch die vielen Reisen hatte ich aber zumindest ein wenig Zeit zum Lesen und darum ist für die monatliche Buchempfehlung doch einiges zusammen gekommen. Den Anfang machen passenderweise Bücher zum Thema „Reisen“; aber wie üblich ist auch jede Menge Science-Fiction dabei.

Zwei journalistische Reisen durch Deutschland

Die Journalistin Jessica Schober hat sich ein äußerst interessantes Projekt ausgedacht. So wie die Handwerksgesellen wollte sie auf eine „Walz“ durch Deutschland gehen um dort in den Redaktionen der Lokalzeitungen an unterschiedlichen Orten unterschiedliche Dinge zu lernen. Über diese „Wortwalz“ hat sie ein Buch geschrieben, das mir sehr gut gefallen hat: „Wortwalz: Von einer die schreibt und nirgends bleibt – eine Reporterin auf Wanderschaft“ (und das ganze auch online begleitet).

wortwalz

Ihrer Heimatstadt München darf Jessica Schober während der Walz nicht näher als 50 Kilometer gehen. Laptop, Handy und Auto sind unterwegs verboten und für die Reise wird kein Geld ausgegeben. Im Gegensatz zu den echten Gesellen ist Schober allerdings nur 3 Monaten unterwegs und keine drei Jahre. Erlebt hat sie während dieser Zeit trotzdem genug und darüber in ihrem Buch geschrieben.

„Wortwalz“ ist auf zwei Arten interessant. Einmal, weil man darin viel über das Leben der echten Handwerksgesellen erfährt. Und Schober stellt gleich zu Beginn klar, dass sie sich von deren Traditionen zwar inspirieren lässt, aber keinesfalls als „echte“ Gesellin durch Deutschland reisen will. Darauf legen die Gesellen großen Wert; wenn jemand ihre Tradition nicht ernst nimmt und einfach so „aus Spaß“ kopieren würde, gäbe es Ärger. Trotzdem trifft Schober unterwegs immer wieder Gesellen aus verschiedensten Berufen, lässt sich Tipps für ihre Reise geben und erfährt viel über das Leben auf echter Walz.
Das zweite große Thema ist der Lokaljournalismus. Der wird ja gerne mal ein wenig belächelt – aber völlig zu Unrecht. Ich persönlich lese zum Beispiel schon sehr lange keine gedruckten Tageszeitungen mehr. Meine Nachrichten lese ich – je nach Thema – in verschiedensten Onlinemedien. Da gibt es genug Auswahl und was in dem einem Medium nicht so gut behandelt wurde, findet man anderswo viel ausführlicher. Wenn mich interessiert, was zum Beispiel in Großbritannien passiert, muss ich nicht auf eine Zusammenfassung in einer deutschen Zeitung warten sondern kann im Internet direkt die britischen Medien konsumieren.

Eine Ausnahme aber sind die lokalen Themen! Ich lebe in Jena und mich interessiert, was in Jena passiert. Mich interessiert, wie es mit der Bebauung des Eichplatzes weitergeht. Welche Projekte an den städtischen Schulen und Universitäten gerade ablaufen. Was der neue Pächter des Jenzig-Gasthauses vor hat. Ob neue Radwege gebaut werden. Welche Politiker sich für den Erhalt des öffentlichen Fernverkehrsanschlusses einsetzen und welche nicht. Und so weiter. All diese Themen sind für Leute außerhalb Jenas völlig uninteressant und in der FAZ, der SZ und den anderen „großen“ Medien werde ich daher nichts darüber lesen. Aus diesem Grund habe ich die Ostthüringer Zeitung abonniert und kann dort jeden Morgen nachlesen, was in der Stadt passiert. Gut gemachter Lokaljournalismus ist extrem wichtig und wertvoll und genau diese Art des Journalismus probiert Jessica Schober auf ihrer Reise zu finden und in den verschiedensten Redaktion zu erlernen. Sie war in Pfaffenhofen, in Bayreuth, in Aalen, in Erfurt, in Freiburg, in Weimar und vielen anderen Orten. Aber nicht nur in kleinen Städten am Land, sondern auch in Großstädten. Zum Beispiel in Hamburg, wo sie bei einer Obdachlosenzeitung recherchiert und auch mit Obdachlosen im Freien übernachtet.

Ich kann das Buch nur sehr empfehlen – es ist ein schönes Projekt mit einem äußerst lesenswerten Resultat (und im Blog dazu kann man schon einen kleinen Vorgeschmack dazu kriegen).

Nicht ganz so begeistert war ich vom Buch „Nix wie Heimat!: Für euch unterwegs in Deutschland“ von Steffi Fetz und Lisa Altmeier. Dabei ist die Ausgangssituation ziemlich ähnlich: Junge Journalistinnen reisen durch Deutschland um interessante Themen zu finden. Aber wo Jessica Schober sich auf das journalistische Handwerk und das „lokale“ des Lokaljournalismus konzentriert und so tatsächlich einen guten und unerwarteten Überblick über das Land gibt, bleibt „Nix wie Heimat!“ für mich zu sehr an der Oberfläche.

Fetz und Altmeier wollen Deutschland „entdecken“: „Was ist Heimat? Wir suchen nach bisher verborgenen Seiten Deutschlands (…)“ erklären sie in der Einleitung. Die Reise haben sie über Crowdfunding finanziert und die Crowd soll ihnen auch die Reiseziele vorgeben. Die Resultate der Recherche wurden in der SZ und im Fernsehen veröffentlicht und finden sich neben dem Buch auch (teilweise) online. Die Geschichten die dabei entstanden sind, sind durchaus interessant! Biologen, die auf Helgoland den Einfluss des Plastiks auf die Ozeane untersuchen. Das Leben einer Zirkusfamilie. Der Alltag in einer Alten-WG. Und so weiter. Aber die doch oft sehr komplexen Themen (Borderline-Erkrankungen, Flüchtlingsschicksale, die Schwierigkeiten der sorbischen Minderheit, etc) werden für meinen Geschmack viel zu kurz abgehandelt. Richtig ausführlich wird das Buch bei den „hippen“ Themen: Alternative Künstler in Dresden, Musiker, und so weiter. Und vielleicht ist das auch der Grund, warum mir dieses Buch nicht so gut gefallen hat wie „Wortwalz“: Ich bin einfach schon zu alt! Ich kann mich nicht wirklich in die Welt der beiden jungen Autorinnen hineinversetzen. Für Altmeier und Fetz ist es anscheinend tatsächlich außergewöhnlich durch Deutschland zu reisen und sie weisen auch immer wieder darauf hin, dass so etwas ja eigentlich nur die älteren Menschen tun; die jungen dagegen reisen ins Ausland und um die Welt (obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass die Autorinnen so sehr naiv sind, wie sie sich im Buch manchmal geben. Sooo enorm fremd kann einem die Welt vor der eigenen Haustür normalerweise nicht sein…).

Und wenn man die Reise dann noch durch die Filterblase der Crowd steuern lässt, dann kommt eben so ein Buch dabei raus wie „Nix wie Heimat!“. Aber ok – natürlich ist das, was im Buch erzählt wird auch „Heimat“. Es sind Geschichten aus Deutschland die Menschen passieren die in Deutschland leben. Und trotz der Kürze sind es oft sehr interessante Geschichten. Nur eben nicht die „verborgenen Seiten Deutschlands“. Aber vielleicht ist auch das wieder nur meine persönliche Filterblase. Vielleicht liegt der Fokus der hippen deutschen Jugend tatsächlich schon so sehr in der Ferne, dass die deutsche Normalität tatsächlich als „verborgen“ gelten kann.

Und bevor ich jetzt vollends in einen grantelnden „Die Jugend von heute!!!“-Rant abschweife, komme ich lieber zum nächsten Thema: Science-Fiction!

Xeelee!

Wenn ich weiß, dass ich länger unterwegs sein werde und im Gepäck keine Bücherstapel mitschleppen möchte, lade ich mir meistens ein paar Science-Fiction-Bücher von Stephen Baxter auf meinen eReader. Denn erstens gibt es davon jede Menge und zweitens weiß man, was man bekommt: Science-Fiction mit harten wissenschaftlichen Grundlagen und ohne Hemmungen, jeden zeitlichen oder räumlichen Rahmen zu sprengen den man sich denken kann. Das gilt auch für die Bücher der Xeelee-Serie von Stephen Baxter, die ich im März gelesen habe.

xeelee

Die „Xeelee“ sind eine übermächtige, fast schon gottgleiche Alienspezies, die das Universum nicht nur dominiert sondern auch komplett umgestaltet (also eine Typ-IV-Zivilisation auf der Kardaschow-Skala). Und trotzdem sie der gesamten Serie den Namen geben, tauchen sie in den Bücher kaum auf. Zumindest in den ersten Bänden lernt man abgesehen von ihrer Existenz, wenig über sie. Aber das macht nichts, denn die Bücher sind trotzdem gut!

In „Raft“ (auf deutsch: „Das Floß“) geht es um Menschen, die in einem Paralleluniversum leben, dessen Gravitationskonstante massiv größer ist als bei uns. So groß, das Menschen einander spürbar gravitativ anziehen; Sterne nur ein paar Kilometer groß und auch sonst viele Dinge anders sind als man es sich vorstellt. Die Menschen leben auf einem „Floß“; einem Habitat inmitten einer von Mini-Sternen angefüllten Gaswolke und wo genau dieses Habitat und die Menschen ursprünglich herkommen, wird zwar immer wieder mal angedeutet aber nie wirklich erklärt. Die handelnden Personen wissen es selbst nicht – aber sie wissen, dass sie nicht immer dort gelebt haben, wo sie leben.

In „unserem“ Universum und nicht allzu weit entfernt in der Zukunft (vorerst) spielt die Handlung von „Timelike Infinity“ (auf deutsch: „Das Geflecht der Unendlichkeit“). Die Menschheit ist von Aliens erorbert und quasi versklavt worden. Eine Gruppe von Widerstandskämpfern will das ändern – aber nicht mit Krieg sondern mit Physik. Dabei hilft ihnen einen Wurmloch, das schon vor der Invasion installiert wurde und nicht nur durch den Raum sondern auch zurück durch die Zeit führt. Von den Büchern der Serie hat mir „Timelike Infinity“ am wenigsten gefallen. Die „Friends of Wigner“ mit ihrer absurden Idee des Widerstands erscheinen mir in ihrer Darstellung ziemlich unglaubwürdig und die ganze Handlung ist ein wenig fahrig und verwirrend (verwirrender zumindest als bei Zeitreisegeschichten üblich wäre). Lesbar ist das Buch trotzdem und man erfährt einiges über das Schicksal der Menschheit im Xeelee-Universum was für das Verständnis der gesamten Serie durchaus wichtig ist.

„Flux“ (auf deutsch: „Flux“) war dagegen ein gutes Buch! Ein klein wenig zu lang für meinen Geschmack, aber auf jeden Fall faszinierend. Die „Menschen“ um die es hier geht, leben im Inneren eines Neutronensterns. Wie sie dorthin gekommen sind und warum es keine „Menschen“ im eigentlichen Sinn sind, erfährt man erst im Laufe des Buches. Dazwischen lernt man jede Menge über Neutronensterne; fast zu viel. Stellenweise hatte ich das Bedürfnis, ein paar Dinge in einem astronomischen Lehrbuch nachzuschlagen um wirklich zu verstehen, von was Baxter da jetzt redet. Aber trotzdem ist es eine großartige Geschichte. Und Hey!: Sogar eine Sexszene zwischen zwei millimetergroßen Pseudomenschen die in einem von Schweinfürzen angetriebenen Holzraumschiff zum Kern eines Neutronensterns reisen. Wo sonst würde man sowas zu lesen kriegen!

Am ambitioniertesten ist sicherlich das (vorerst) letzte Buch dieser Serie. In „Ring“ (auf deutsch: „Ring“) werden all die Handlungsfäden zusammengeführt, die in den vorherigen Bänden entstanden sind. Diesmal geht es um die ferne Zukunft; auf einer 1000jährigen relativistischen Reise sind Menschen 5 Millionen Jahre in die Zukunft gelangt und alles, was dort noch auf sie wartet sind sterbende Sterne und eine (fast) künstliche Intelligenz im Inneren der Sonne. Die hat dort herausgefunden, was die Xeelee eigentlich treiben und warum sie das Universum im großen Stil umgestalten. Es geht um den ultimativen Kampf zwischen „Dunkelheit“ und „Licht“ und den Versuch, das Aussterben der Menschheit zu verhindern. Es hat mir von allen vier Büchern am besten gefallen.

Man kann die vier Bände auch einzeln und unabhängig voneinander lesen; am meisten Spaß macht es aber sicherlich sie hintereinander zu konsumieren. Netterweise gibt es – zumindest auf englisch – auch einen entsprechenden Sammelband: „Xeelee: An Omnibus“

Wer dann immer noch nicht genug hat, kann „Vacuum Diagrams“ (auf deutsch: „Vakuum-Diagramme“) lesen; eine Sammlung von Kurzgeschichten, die sich detailliert mit der Entwicklung der Menschheit und den Kriegen zwischen Menschen, Xeelee und Photino-Vögeln befassen. Man erkennt darin schön die Motive, die Baxter später zu seinen Bücher erweitert hat; findet aber auch viele neue Geschichten, die das Xeelee-Universum ein wenig plastischer machen.

Baxter hat noch ein paar weitere Bücher/Serien geschrieben die im gleichen Multi/Universum spielen – und bei Gelegenheit werde ich die sicher auch noch lesen.

Was ich bisher schon rezensiert habe

Über das Buch „Göttliche Geisteblitze: Pfarrer und Priester als Erfinder und Entdecker“ habe ich schon eine eigene, ausführliche Rezension geschrieben

Was ich sonst noch so gelesen habe

reinheitsgebot

Meinen Osterkurzurlaub in Kelheim habe ich unter anderem mit dem Regionalkrimi „Reinheitsgebot“ von Thomas Neumeier verbracht. Der spielt nicht weit entfernt von Kelheim; in Beilngries. Vordergründig geht es um die Rivalitäten und Intrigen zwischen und in lokalen Brauereien. Aber ein bisschen Psycho-Krimi und Serienmord ist auch dabei. Die Schwemme an Lokalkrimis hat jede Menge grauenhafte und schlechte Bücher auf den Markt gespült. „Reinheitsgebot“ gehört allerdings nicht dazu. Es ist vielleicht nicht der beste Krimi, den ich gelesen habe. Aber er ist ausreichend spannend, ausreichend originell und wenn dann auch noch Bier zur Handlung gehört, bin ich zufrieden!

Die Links zu den Bücher sind Amazon-Affiliate-Links. Beim Anklicken werden keine persönlichen Daten übertragen.

10 Gedanken zu „Journalistische Deutschlandreisen und eine Kardashow-IV-Zivilisation: Die Buchempfehlungen für März 2016“
  1. Wo es bisher hier noch so leer ist, möchte ich mich zumindest für die regelmäßigen guten Lesetips bedanken. Diese haben meinen Bücherkonsum in den letzten Monaten positiv beeinflusst.
    Vor allem die schöne Erklärung ohne allzu viele Spoiler finde ich sehr gut.
    Hoffentlich bleibt auch in Zukunft noch Zeit dafür.

  2. Noch eine Frage: Kann mir jemand empfehlen, mit welchem Buch oder welcher Reihe von S. Baxter angefangen werden sollte? Oder einfach chronologisch nach Erscheinen?
    Vielen Dank schon mal.

  3. auf einer 1000jährigen relativistischen Reise sind Menschen 5 Millionen Jahre in die Zukunft gelangt und alles, was dort noch auf sie wartet sind sterbende Sterne

    Hmmm, nach „harten wissenschaftlichen Grundlagen“ hört sich das jetzt aber nicht an. Da fehlen der Fünf aber noch etliche Nullen.

    1. @noch’n Flo: „Hmmm, nach “harten wissenschaftlichen Grundlagen” hört sich das jetzt aber nicht an. Da fehlen der Fünf aber noch etliche Nullen.“

      Ich könnte natürlich auch den kompletten Inhalt des Buches spoilern. Aber das hat so schon seine – auch wissenschaftliche – Richtigkeit. Und ist ein wesentlicher Teil der Handlung.

  4. @Florian

    Gib’s zu: Du hast schon beim Schreiben des Artikels darauf gewartet, dass jemand in die Falle mit den 5 Millionen Jahren tappt. Und rumms hat es einen armen Oger (auch wenn sein Originalavatar mal wieder im Urlaub zu sein scheint) erwischt.

    Aber mal im Ernst: die Bücher von S. Baxter sind wirklich prima. Vielen Dank für die Buchempfehlungen und überhaupt für Dein Blog. Es freut mich, dass Deine Arbeit inzwischen so gefragt ist. Auch wenn es für uns Leser natürlich schade ist, dass Du dadurch weniger Zeit zum Schreiben hast. Andererseits kann man Dich dafür z.B. bei den ScienceBusters sehen.

  5. Wo gerade von Baxter die Rede ist. Die „Manifold“ Reihe ist auch sehr lesenswert (Time, Space, Origin).

    Wer wissen will, wie das Leben AUF einem Neutronenstern und die Beobachtung desselben funktionieren könnte, sollte Robert L. Forward „Dragon’s Egg“ lesen.

    Achso: Danke für die Buchempfehlungen, werde mir die Xeelee Reihe jetzt auch kaufen. Timeships fand ich besonders gut, auch wegen der Illustrationen. Wer Zeitreisegeschichten liebt, sollte auch an „The accidental time machine“ von Joe Haldeman (u.a. auch „Camouflage“) nicht vorbei gehen!

    Greg Egan bietet sich auch für hard-S/F an:
    Diaspora
    Shild’s Ladder
    Quarantine

  6. @Florian: Kennst du die Long Earth Serie von Baxter? Ich fand den ersten Band sehr trocken und langweilig zu lesen (und ich mag Terry Pratchett, daran kanns also wohl nicht liegen). Sind die anderen Bücher vergleichbar?

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