Es ist auf den ersten Blick nicht einfach, die Auswirkungen der Einsteinschen Relativitätstheorie zu beobachten. Wenn es einfach wäre, dann wären die Menschen ja auch vermutlich schon lange vor 1905 auf die Sache mit der Relativität gekommen. Aber die Welt der Relativitätstheorie ist eben nicht unsere Alltagswelt. In der bewegen sich die Dinge meistens langsam und nicht mit annähernd Lichtgeschwindigkeit. Die Objekte unseres Alltags sind nicht so schwer wie Planeten, Sterne oder Galaxien. Für den Alltag reicht die klassische Physik von Isaac Newton & Co. locker aus. Nur wenn man es mit extremen Geschwindigkeiten und extremen Massen hat, weicht die Realität von der klassischen Mechanik ab und man benötigt Einsteins bessere Beschreibung der Welt. Aber natürlich hat sich unsere Welt seit der Publikation der Relativitätstheorie deutlich gewandelt. Vieles von unserer modernen Technik funktioniert nur deswegen, weil man bei der Konstruktion Einsteins Erkenntnisse berücksichtigt hat. Die seltsamen Effekte seiner Theorien sind aber immer noch nicht Teil unserer Alltagswahrnehmung geworden. Aber man muss kein Wissenschaftler sein, um sie beobachten zu können. Die Zeitdilatation lässt sich beispielsweise recht leicht visualisieren.

„Zeitdilatation“ beschreibt die Tatsache, dass es keine absolute Zeit gibt. Jeder Mensch; jedes Objekt im Universum hat seine eigene Zeit und wie schnell sie vergeht, hängt von der Bewegungsgeschwindigkeit ab. Aus Sicht eines ruhenden Beobachters gehen Uhren die sich bewegen, langsamer. Umgekehrt heißt das: Würden wir uns sehr schnell bewegen, also zum Beispiel mit einem Raumschiff mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durchs All fliegen, dann vergeht die Zeit außerhalb des Schiffs langsamer. Wenn wir nach einer kurzen Weltraumreise von wenigen Jahren wieder zurück auf die Erde kommen, können dort – je nachdem wie schnell wir uns bewegt haben – Jahrzehnte, Jahrhunderte oder Jahrtausende vergangen sein. Wir können auf diese Weise tatsächlich in die Zukunft reisen – natürlich nur, wenn wir zuerst herausgefunden haben, wie man jahrelang mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durchs All fliegt… Hyperschnelle Raumschiffe werden wir noch recht lange nicht bauen können. Eine Nebelkammer aber schon. Und auch wenn man darin nicht durchs Weltall fliegen kann, kann man damit zumindest die Auswirkungen der Zeitdilatation beobachten.

Überall im Weltraum findet man die kosmische Strahlung. Das sind geladene Teilchen, die zum Beispiel ständig von der Sonne ins All hinaus geschleudert werden, aber uns auch von anderen Sternen oder gar den aktiven Zentren anderer Galaxien erreichen. Ein Großteil der Strahlung wird vom Magnetfeld der Erde abgelenkt, aber ein Teil trifft auf die Atmosphäre unseres Planeten. Bei der Kollision zwischen den schnellen Teilchen und den Molekülen der Luft passiert das, was auch in Teilchenbeschleunigern bei Kollisionen passiert: Jede Menge Energie wird frei und neue Teilchen können entstehen. Zum Beispiel Myonen: Das sind Elementarteilchen, die im wesentlichen mit normalen Elektronen identisch sind. Sie sind nur viel schwerer und im Gegensatz zu den Elektronen sind sie auch instabil. So ein Myon lebt nicht recht lange; nur ein paar Millionstel Sekunden und dann wandelt es sich in ein Elektron (und zwei Neutrinos) um.

Die Myonen entstehen 9 bis 12 Kilometer hoch über dem Erdboden und während ihrer kurzen Lebensdauer könnten sie eigentlich nur ein paar hundert Meter zurücklegen. Trotzdem können wir sie auf dem Erdboden noch nachweisen – zum Beispiel mit einer Nebelkammer. Das ist eine Kammer, die mit einer übersättigten Mischung aus Alkohol und Luft gefüllt ist. Wenn ein energiereiches, geladenes Teilchen den Alkoholnebel durchquert, stößt es dabei gegen die vielen Atome; reißt ihnen die Elektronen aus ihrer Hülle und produziert jede Menge Ionen. Die können dann als Kondensationskerne dienen und es bilden sich feine Tröpfchen: Im Nebel entsteht eine deutlich sichtbare Spur.

Eine besonders schöne Nebelkammer (Bild: gemeinfrei)
Eine besonders schöne Nebelkammer (Bild: gemeinfrei)

Nebelkammern sind Teilchendetektoren die heute in der Wissenschaft kaum noch eingesetzt werden. Man hat mittlerweile bessere Methoden gefunden – aber zu Demonstrationszwecken eignen sie sich immer noch wunderbar. In vielen Museen kann man sie finden und ich bin jedesmal wieder beeindruckt, wenn dort wie aus dem Nichts Spuren im Nebel auftauchen, die von kleinsten Teilchen verursacht werden. Man erkennt wunderbar, dass wir ständig von einem unsichtbaren Regen aus kosmischer Strahlung umgeben sind…

Aber hatte ich vorhin nicht gerade gesagt, dass Myonen eigentlich gar nicht in der Lage sein sollten, den Erdboden zu erreichen, weil sie viel zu kurz leben? Das stimmt – aber sie bewegen sich auch enorm schnell; mit annähernd Lichtgeschwindigkeit. Je schneller sich ein Myon bewegt, desto langsamer vergeht aus seiner Sicht die Zeit und desto länger lebt es. Wenn wir auf dem Erdboden in einer Nebelkammer Myonen beobachten, dann sehen wir die direkten Auswirkungen der Zeitdilatation.

Die ganze Geschichte der Myonen und der Zeitdilatation wird auch sehr schön in einem aktuellen Video der Sendung „It’s Okay To Be Smart“ erklärt:

Moderator Joe Hanson hat hier eine selbstgebaute Nebelkammer benutzt und das ist ein Projekt, das ich auch immer schon mal gerne umsetzen wollte – aber bis jetzt noch nie geschafft habe. Eine ausführliche Anleitung zum Basteln gibt es hier. Eigentlich braucht man dafür nicht viel: Irgendeine durchsichtige Kiste oder einen ähnlichen Behälter. Einen Schwamm; ein Tuch oder sonst irgendwas, das man in Alkohol tränken kann. Dazu noch Methanol/Ethanol und das war es auch schon wieder. Fast, denn es fehlt noch Trockeneis, das nötig ist, um die Gasmischung zu übersättigen. Und das war auch der Grund, warum ich bis jetzt noch nie dazu gekommen bin, so eine Nebelkammer zu bauen… Ich habe nicht wirklich Ahnung, wo man Trockeneis auftreiben kann bzw. ob man das überhaupt so einfach beziehen kann.

Hat vielleicht jemand aus der Leserschaft schon Erfahrungen mit dem Bau einer Nebelkammer? Wenn ja, dann würde ich mich sehr über Hinweise und Basteltipps freuen!

26 Gedanken zu „Zeitreisen beobachten in der selbstgebauten Nebelkammer“
  1. Ich habe letztes jahr eine kleine Nebelkammer gebastelt, für unsere „Nacht der Lichter“-Veranstaltung. Das war eine Art Wissenschaftsnacht, die unser Fachbereich veranstaltet hatte.
    Als Quelle hab ich einen kleinen Klumpel Uranerz genommen. Hat erstaunlich gut geklappt.
    Ich hatte mich an der Bauanleitung von http://www.teilchenwelt.de orientiert, die ist sehr gut

  2. Trockeneis kannst du online bestellen. Das gibts in rauen Mengen in unterschiedlichen Formen und Packungsgrößen. Für Industrie und Privat, z.B. für Partys.
    Man braucht bloß das Stichwort „Trockeneis“ in die Suche eingeben.

    Für ca. 30 € gibt es z.B. 6 kg in Pelletform, was für eine Nebelkammer wahrscheinlich schon zuviel ist.

    Gib es zu: Du hast dich bloß noch nicht ernsthaft damit auseinandergesetzt 😉

    1. @BerndB: „Gib es zu: Du hast dich bloß noch nicht ernsthaft damit auseinandergesetzt“

      Nein. Ich wäre nur nicht auf die Idee gekommen, Eis im Internet zu bestellen.

  3. Trockeneis ich würde mal im Großhandel oder im Gastrobedarf nachsehen.

    Ein Wirt hier bei mir um die Ecke hat regelmäßig Trockeneis da, weil er spezielle Gläser hat, in die unter das Getränk Trockeneis kommt für den Effekt.

  4. @Mark Lampertz
    pass bei Glas auf, du hast einen ziemlich großen Temperaturgradienten von der Metallplatte bis zum „Deckel“
    Normales Glas kann da sehr schnell kaputt gehen, nimm lieber Plexiglas oä.

  5. Trockeneis scheint auch bei uns ein häufiges Versandmaterial zu sein, auf Amazon kann man zum Beispiel tief gefrorene Mäuse im 100er Pack welche in Trockeneis verpackt kommen.

    Scheinbar bekommt man Trockeneis häufig in Fachgeschäften für Gase. In Jena scheint das zum Beispiel die Firma „Gas and More“ zu sein.

    Und es gibt einen Trockeneisversand namens Trockeneis Direkt.

    Ich hab mir übrigens mal angeschaut, ob man die Zeitdilatation nicht auch direkt mit Hausmitteln zeigen könnte, so wie es dieser Herr hier gemacht hat:
    https://www.leapsecond.com/great2005/
    Das Problem ist, dass man dafür die teureren Cäsium Atomuhren braucht und die kosten ungefähr so viel wie ein Auto.
    Mit den normalen billigen Rubidium Atomuhren die man inzwischen günstig gebraucht kaufen kann, geht das leider nicht. Man bräuchte ungefähr eine Genauigkeit von 10⁻¹³. Die billigen Uhren schaffen nur 10⁻¹⁰.

  6. Unser Physikprof hat mal Trockeneis live in der Vorlesung erzeugt, indem er aus einer CO2-Flasche das Gas schnell durch einen Jutesack entweichen ließ, in dem das Eis hängen blieb (um uns danach mit dem Zeugs zu bewerfen). Adiabatische Expansion. CO2-Flaschen kann man bei Verleihern von Zapfanlagen mieten. Ich habe zwei Flaschen für das Aquarium, die ich immer wieder befüllen lasse, 2 kg CO2 kosten 10 Euro.

    Aber die Bestellung im Internet ist vermutlich viel effizienter, mehr Trockeneis für’s Geld. Vermutlich sollte man auch keine 2 kg CO2 in der Wohnung freisetzen, lieber draußen.

  7. Vermutlich ein Typo: «wenn dort wie aus dem nächsten Spuren im Nebel auftauchen» sollte wohl „wenn dort wie aus dem Nichts Spuren im Nebel auftauchen“ heißen.

    Eine gute Idee mal eine Nebelkammer selbst zu bauen. Das probiere ich mal aus. Wo man Trockeneis her bekommt, weiß ich ja jetzt auch. 🙂

  8. Wenn du einen Großhändler ähnlich Metro, Pfeiffer oder so in der Nähe hast kannst du dir von denen Trockeneis schnorren.
    Auch Fleischhauer (Metzger) die an Supermärkte liefern haben in der Regel was.

  9. Allen die so eine Kammer bauen wollen empfehle ich auch ein schwach radioaktives Präparat zu kaufen, z.B uranhaltiges Columbit. Die alpha-Zerfälle sind einfach die beeindruckensten in der Kammer. So ein Präparat kann man z.B bei conatex.com für 15€ kaufen, ist nicht anzeigepflichtig und man braucht keine speziellen Vorsichtsmaßnahmen.

  10. Trockeneis gibt es an jeder Chemiefakultät. Einfach mal nett fragen. Ansonsten bei Fischgroßmärkten, den großen Gaslieferanten (Linde ect.) oder, meist ein gutes Stück teurer, im Netz.

  11. Ok, wenn es um die Akkumulation von potentiellen Bezugsquellen geht: Hier in K erwies sich der Zweig Oberflächen-Bearbeitung als am günstigsten, konkret wars ein Graffiti-Entferner, der sich bereit erklärte, bei der nächsten passenden & auftragsbezogenen Bestellung ein, zwei Kilo abzutreten. ‚Holste ne Styrobox vom Jroßmarkt, küsste vorbei‘ 😉

  12. Vielen Dank für die tollen Anregungen! Ich selber kannte das Experiment nicht, das wird meinen Kindern das nächste „ins Wasser gefallene Wochenende“ dramatisch verkürzen!

  13. Trockeneishändler scheint es in praktisch allen größeren Gewerbegebieten zu geben. Wenn man das Eis lieber abholt statt es zugeschickt zu bekommen, muss man eigentlich nur nach Trockeneisversandhändlern suchen und ins Impressum gucken, wo die Firma liegt.

    So hab ich erst letztens durch Zufall festgestellt, dass es nur 10km von meiner Haustür entfernt einen Großhändler gibt 😀

  14. Ist wohl im Trockeneis untergegangen 😉
    „Aus Sicht eines ruhenden Beobachters gehen Uhren die sich bewegen, langsamer. Umgekehrt heißt das: Würden wir uns sehr schnell bewegen, also zum Beispiel mit einem Raumschiff mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durchs All fliegen, dann vergeht die Zeit außerhalb des Schiffs langsamer.“
    soll heißen:
    … außerhalb des Schiffs schneller.

    Ich wußte bisher nicht wie einfach eine Nebelkammer gebaut ist.. Danke, für den schönen Artikel!

  15. @Hajo

    Würden wir uns sehr schnell bewegen, also zum Beispiel mit einem Raumschiff mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durchs All fliegen, dann vergeht die Zeit außerhalb des Schiffs langsamer

    Eigentlich ist das richtig so, wie es da steht, weil die Zeit des jeweils anderen aus der Sicht beider Beobachter langsamer vergeht. Erst wenn der eine abbremst und umkehrt kommt es zum Zwillingsparadoxon, bei dem der umkehrende Beobachter die Zeit des anderen gerafft vergehen sieht.

    Bei den relativistischen Myonen, die kaum langsamer werden, ist der Effekt ein anderer: sie würden die Strecke, die sie zurücklegen, aus ihrer Sicht verkürzt wahrnehmen und es deswegen bis zum Erdboden schaffen, während ein auf der Erde ruhender Beobachter die Zeit der Myonen (Halbwertszeit des Zerfalls) verlangsamt misst.

  16. @saxonia
    Man kann die Halbwertszeit/Lebensdauer messen. Die ist im Ruhesystem konstant und das eignet sich als Uhr. Und die Präzision (der individuelle Zerfallsprozess ist ja zufällig) bekommt man durch genug Statistik hin.
    Wie man das in einem speziellen Experiment anstellt ist unterschiedlich.

  17. Hallo Florian, ich lese deinen Blog jetzt schon seit über einem Jahr regelmäßig und finde die Berichte immer wieder spannend und faszinierend. Aber dieser Artikel hat mich dazu gebracht, das Experiment mit der Nebelkammer unbedingt zu Hause ausprobieren zu wollen und außerdem meinen ersten Kommentar zu schreiben. Dazu habe ich auch mal eine Frage:

    Woher weiss man, dass in der Nebelkammer gerade Myonen nachgewiesen werden und nicht irgendwelche anderen Teilchen? Könnten die nicht z.B. aus anderen Quellen stammen?

    Danke schon im Voraus für ein kurze Antwort. Steffen

  18. Wer ein auf Android – Betriebssystem basierendes Gerät mit einer integrierten Kamera hat, kann jetzt sogar Myonen und andere kosmische Teilchen zumindest rudimentär detektieren.

    Die Kamera wird vorher mit einem undurchsichtigen Klebeband abgedeckt, dazu zwei Apps installiert, und dann kann es auch schon losgehen. 🙂

    Interessant wäre auch die Möglichkeit z.B. für Schulklassen sehr viele Kamera – Detektoren auf einer Fläche auszulegen, oder sogar mehrere Ebenen zu stapeln, falls die Android – Software dies bereits zulässt.

    Tipp: Untersuchung mit Myonen, die in großer Höhe in der Atmosphäre entstehen

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