Letzte Woche wurden die Nobelpreise des Jahres 2014 verliehen und über den Physikpreis habe ich ja schon ein bisschen etwas geschrieben. Sehr faszinierend war aber dieses Jahr auch der Preis für Chemie. Der wurde an Eric Betzig, Stefan Hell und William Moerner verliehen und hat Mikroskopen zu tun. Als Astronom sind fallen ja eher die Teleskope in mein Arbeitsgebiet und mit den Mikroskopen habe ich mich eher wenig beschäftigt. Als Jenaer fand ich das Thema der Preisverleihung aber trotzdem interessant, denn es hat viel mit der Arbeit von Ernst Abbe zu tun. Den Namen kennen wahrscheinlich nur die Physikerinnen und Physiker. Und die Einwohner von Jena, denn hier trifft man Abbe überall.
Ernst Abbe wurde zwar in Eisenach geboren, kam aber schon 1857 zum Studium nach Jena. Dass es überhaupt dazu kam, war nicht selbstverständlich, denn Abbes Eltern waren nicht sonderlich wohlhabend und nur die Unterstützung des Arbeitgebers von Abbes Vater konnte Ernst die Ausbildung am Gymnasium und der Universität ermöglichen. Abbe arbeitete in Göttingen und Frankfurt am Main, bevor er wieder zurück nach Jena kam und schließlich 1878 Direktor der Sternwarte von Jena wurde. Und ohne Abbe gäbe es diese Sternwarte heute vermutlich gar nicht mehr.
Im 19. Jahrhundert ging es mit der Sternwarte immer weiter bergab; man kümmerte sich dort eigentlich nur noch um die meteorologischen Messungen und die ganze Institution verwahrloste immer mehr. Ernst Abbe arbeitete zu dieser Zeit an der Universität und in der optischen Werkstätte von Carl Zeiß. In einem Gutachten, um das Abbe im Jahr 1875 gebeten wurde, wies er auf die Notwendigkeit der astronomischen Forschung in Jena und die Bedeutung des Erhalts Sternwarte hin. Abbe wurde zu ihrem neuen Direktor bestellt und er investierte einen Teil seines Gelds, um das Gebäude zu renovieren. Die Sternwarte, die man heute in Jena sehen kann, ist ein kompletter Neubau von 1889, der auf Abbe zurück geht.
Abbe war aber nicht nur für die Astronomie in Jena von großer Bedeutung, sondern auch für die optische Industrie. Er arbeitete schon früh mit Carl Zeiss in dessen optischer Werkstatt zusammen und wurde 1876 Teilhaber der Firma und ab 1899, nach dem Tod von Zeiss, deren alleiniger Inhaber. Außerdem war er an der Gründung der heutigen Schott AG beteiligt und leistet mit seiner Forschung über optische Gläser einen wichtigen Beitrag zur Existenz dieser Firma. Für Zeiss stellte er die Produktion der Mikroskope auf eine wissenschaftliche Basis. Bis dahin probierte man im Wesentlich nur herum, bis man die beste Konfiguration für die Linsen gefunden hatte. Abbe schuf die theoretischen Grundlagen, mit denen sich berechnen ließ, wie man Mikroskope am besten baut.
Und er lieferte auch die Theorie, die die maximal mögliche Leistung eines optischen Mikroskop beschrieb. Abbe konnte zeigen, dass es eine bestimmte Grenze gibt, die man einfach nicht überschreiten konnte. Lichtstrahlen werden beim Durchgang durch Linsen und bei der Reflexion immer abgelenkt und diese Beugung schränkt die maximale mögliche Auflösung ein. Das Abbe-Limit für die Auflösung eines Mikroskops sagt (vereinfacht), dass man zwei Objekte im Mikroskop nur dann getrennt voneinander beobachten kann, wenn ihr Abstand mindestens der halben Wellenlänge des Lichts beträgt, mit dem man beobachtet. Bei sichtbarem Licht sind das höchstens 200 Nanometer: Alles was näher beieinander liegt, kann von einem optischen Mikroskop nicht mehr aufgelöst werden.
Natürlich gibt es heutzutage Elektronenmikroskope und andere optische Geräte, die nicht an das Abbe-Limit gebunden sind. Aber um damit arbeiten zu können, muss man die Untersuchungsobjekte zum Beispiel im Vakuum platzieren, sie in dünne Schichten schneiden oder sonst irgendwie präparieren. Das ist oft kein Problem – aber wenn man lebende Zellen beobachten will, wird es schwierig. Dann muss man sie entweder auf die oben beschriebene Art und Weise umbringen und kann dann nicht mehr die Prozesse beobachten, an denen man interessiert ist. Oder aber man benutzt die alten optischen Instrumente, mit denen man das, was man sehen will, nicht sehen kann, weil es auf kleineren Skalen stattfindet.
Das Abbe-Limit schien eine unüberwindbare Grenze für die biologisch-chemische Forschung zu sein. Und eine ziemlich nervige Grenze noch dazu, weil die Biologen und Chemiker natürlich enorm daran interessiert waren, die Vorgänge in den Zellen und das Verhalten von Molekülen auf der Nanoskala zu beobachten. Und weil Eric Betzig, Stefan Hell und William Moerner es geschafft haben, diese scheinbare undurchdringbare Grenze zu durchdringen, sind sie 2014 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden.
An Abbes grundlegenden optischen Ergebnissen konnten sie natürlich auch nichts ändern. Aber sie haben einen Weg gefunden, das Problem zu umgehen. Die Methode der Nobelpreisträger hat mit der Fluoreszenz der Moleküle zu tun: Bestrahlt man sie mit Licht einer bestimmten Wellenlänge, dann werden sie angeregt und wenn sie die zugeführte Energie wieder abgeben, leuchten sie. Das war natürlich nicht neu, sondern schon länger bekannt. Aber wenn man es schafft, die Moleküle nur auf einem sehr, sehr kleinen Gebiet anzuregen, dann wird auch nur ein sehr, sehr kleines Gebiet fluoreszieren und wenn man auf diese Weise eine Probe Stück für Stück abtastet, kann man so Strukturen sichtbar machen, die unterhalb des Abbe-Limits liegen. Das ist natürlich einfacher gesagt als getan und die Umsetzung war ziemlich knifflig. Man muss dazu die Probe mit Licht eines Lasers anregen und gleichzeitig einen Teil der Fluoreszenz mit Licht eines anderen Lasers unterbinden; das ganze Licht mit Filtern voneinander trennen so das am Ende wirklich nur ein scharfer begrenzter Teil fluoresziert (lest die Details am besten in diesem schönen Artikel (WebCite) nach).
Die Leistung von Eric Betzig, Stefan Hell und William Moerner war fundamental und wurde zu Recht mit einem Nobelpreis ausgezeichnet. Sie haben entgegen aller Widerstände einen Weg gefunden, Dinge sichtbar zu machen von denen man eigentlich dachte, dass sie unsichtbar bleiben müssen. Genau das also, worum es in der Wissenschaft eigentlich geht. Leider werden ihre Name außerhalb der überschaubaren Szene der Naturwissenschaftler vermutlich weiterhin eher unbekannt bleiben. Genau so wie der Name von Ernst Abbe. Aber zumindest in Jena bleibt er bekannt. Nicht nur als Wissenschaftler und Begründer eines großen Teils der Industrie, die noch heute die Stadt prägt. Sondern auch als Sozialreformer, der sich immer darum bemühte, die Lage der Arbeiter und der weniger wohlhabenden Menschen in Jena zu verbessern. Abbe förderte die Gründung des Volkshauses, einer freien Bildungseinrichtung die auch heute noch die Ernst-Abbe-Bücherei beheimatet und als Veranstaltungsort dient; er gründete die Carl-Zeiss-Stiftung und man findet seine Spuren an vielen anderen Orten der Stadt.
Als Abbe 1905 starb, waren erst vier Nobelpreise vergeben worden und er selbst gehörte nicht zu den Preisträgern. Man kann darüber diskutieren, ob er diese höchste Auszeichnung der Wissenschaft verdient hätte. Aber seine Leistungen haben die Wissenschaft genau so maßgeblich geprägt wie das Leben der Menschen in Jena.
Da gabs schon am 15.12.2010, von Roland Wengenmayr einen Artikel in der FAZ-online:
https://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-chemie/mikroskopie-schaerfer-als-das-licht-erlaubt-11078963.html
Schöner Artikel!
Genau die Zusatzinfos, die mir noch beim Lesen der ganzen Aktuellen Artikel zur Arbeit von Hell et al. gefehlt haben für ein rundes Bild.
Sehr guter Artikel!
Der Name Abbe war mir ein Begriff – schön, daß man über das Wirken dieses Mannes nochmal näher etwas erfahren konnte.
Richtig spannend ist das jedenfalls mit dem Abbe-Limit und ohne diesen Artikel hätte ich nicht gemerkt, daß der Nobelpreis gerade ein Thema berührt,mit dem ich mich als Laie schon länger beschäftige. Ich habe mir die letzten 3 Jahre einen Bestand an Foto-Büchern über Nanofotografie zugelegt, seitdem ich mal in Jena zu Besuch war und dabei zufällig ins Optische Museum ging.
Schön, die Geschichte mal aus der Jenaer Perspektive zu lesen. Hier in Niedersachsen war man natürlich aus dem Häuschen, dass ein Göttinger den Nobelpreis bekommen hat. Entsprechend konzentriert sich die Berichterstattung hier, ebenso wie in Deinem Artikel, Florian, auf Hell und seine Methode. Die Methode von Moerner funktioniert etwas anders (u.a. ohne das Ausschalten der Fluoreszenz mit einem zweiten Laser).
Ich hab auch etwas über Hell und sein Mikroskop geschrieben: https://www.braunschweiger-zeitung.de/nachrichten/Niedersachsen/nobelpreis-fuer-neuen-blick-auf-das-leben-id1620321.html
Der Artikel ist leider kostenpflichtig. Aber gratis gibt’s hier den Kommentar, der am selben Tag erschienen ist:
„Preis für eine Revolte
Unter der dem Motto „Grenzen überschreiten“ versammelten sich vor zwei Wochen mehr als 1200 Wissenschaftler aus der Region auf dem Schlossplatz in Braunschweig. Für das Überschreiten von Grenzen sind die am Mittwoch mit dem Chemie-Nobelpreis geehrten Forscher Eric Betzig, William Moerner und der Göttinger Stefan Hell Paradebeispiele.
Die Grenze, die sie überschritten, war das „Abbe-Limit“. 1897 postulierte der Physiker Ernst Abbe, dass die Grenze für die Auflösung von Lichtmikroskopen von der Wellenlänge des sichtbaren Lichts bestimmt werde. Aufgrund fundamentaler physikalischer Gesetze liegt diese Grenze bei etwa 200 Nanometern, der halben Wellenlänge des Lichts. Stefan Hell wollte das nicht akzeptieren. Das Nobelpreiskomitee spricht von einer „Revolte gegen die Abbe-Beugung“. Und wie bei jeder Revolte gab es Widerstand gegen die unerhörte Auflehnung.
Hells Ideen für das Umgehen des Abbe-Limits – brechen konnte auch er das Gesetz nicht – wurde in Deutschland mit Skepsis begegnet. Er bekam kein Geld für seine Forschung. Also ging er nach Finnland, an die Universität von Turku. In einem Buch über Quantenoptik stieß er auf einen Ansatz für sein neues Mikroskopie-Verfahren. Als er dieses 1994 vorstellte, wurde das kaum wahrgenommen. Immerhin konnte er an die Universität Heidelberg zurückkehren und habilitieren. Erst 2000 gelang Hell der Durchbruch: Er präsentierte sein STED-Mikroskop und bewies damit, dass sein Konzept für die Umgehung des Abbe-Limits funktionierte.
Es folgte die Berufung zum Direktor des Max-Planck-Instituts für Biophysikalische Chemie, Professuren in Heidelberg und Göttingen, die Auszeichnung mit dem Deutschen Zukunftspreis – und nun der Nobelpreis.
Doch die Grundlage für diesen Erfolg war die Bereitschaft, für die Revolte gegen eine vorgeblich unüberwindbare Grenze seinen Ruf zu riskieren und seine Heimat zu verlassen.“