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sb-wettbewerb

Dieser Beitrag wurde von Pterry eingereicht.
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Der kleine Unterschied bei Autoimmunität

Vor ein paar Jahren wurde bei einer Freundin eine Autoimmunkrankheit festgestellt: Hashimoto-Thyreoditis. Autoimmunkrankheit bedeutet, dass das Immunsystem des Körpers, welches normalerweise u.a. für die Abwehr von Pathogenen zuständig ist, plötzlich Gewebe des eigenen Körpers angreift. Die Trigger dafür sind unklar bzw. vielfältig. Neuere Ergebnisse (hier besprochen) postulieren z.B. einen Zusammenhang mit einer vorhergehenden Krebserkrankung, bei der ein bestimmtes Protein so mutiert und so exzessiv in der Krebszelle produziert wird, dass der Körper immunologisch dagegen vorgeht, aber durch die Ähnlichkeit zum körpereigenen Protein nachfolgend gesunde Zellen, die das Protein herstellen abgetötet werden. Allerdings wurde dafür nur eine Krankheit und wenige Patienten untersucht, so dass die Faktenlage eher dünn ist. Abgesehen vom langsamen Verschwinden der Schilddrüse klagt die Freundin bisher allerdings kaum und empfindet es nur als nachteilig, dass sie nach dem Schlucken von Thyroxin am Morgen noch eine halbe Stunde nüchtern bleiben und zweimal im Jahr beim Arzt Blut ins Röhrchen spenden muss. Allerdings treibt sie das Thema „Warum ausgerechnet ich?“ seitdem um, und die Antwort „Sie ist halt durch viele Faktoren prädestiniert.“ gefällt ihr nicht unbedingt. Welche Faktoren prädestinieren denn für eine Autoimmunkrankheit? Da wären:

Erstens: Es gibt eine genetische Prädisposition für diese Krankheiten. Da in ihrer Familie Schilddrüsenunterfunktion schon diagnostiziert wurde und u.a. ihre Schwester ebenfalls betroffen ist, liegt sie vermutlich auch bei ihr vor.

Zweitens: Wir leben in Deutschland und in den Industrieländern kam es in den letzten Jahren zu einem Anstieg von Autoimmunkrankheiten, wofür Umweltfaktoren verantwortlich gemacht werden. Allerdings hat sich auch die Diagnostik weiterentwickelt und einige bisher als psychosomatisch eingestufte Krankheiten werden aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse jetzt eher den Autoimmunerkrankheiten zugeordnet. Nichtsdestotrotz häufen sich derzeit im Bekanntenkreis (Altersgruppe: 25-40 Jahre) die „Verkündigungen“ von Betroffenen, die an Hashimoto, Morbus Crohn, rheumatoider Arthritis oder multipler Sklerose erkrankt sind.

Drittens: Sie ist eine Frau. Ein weiterer „understudied“ (wie es in diesem Review so schön heißt) Aspekt ist nämlich, dass bei vielen Autoimmunkrankheiten Frauen überproportional häufig betroffen sind z.B. bei Hashimoto-Thyreoditis beträgt der Geschlechterbias 10:1. Zusätzlich besteht eine Altersabhängigkeit d.h. Frauen erkranken nicht nur im Mittel eher, sondern der Geschlechtsunterschied bei z.B. rheumatoider Arthritis sinkt von 4:1 in den mittleren Jahren zu etwa 1:1 im Alter. Die Vermutung liegt daher nahe, dass das körpereigene Level an Geschlechtshormonen ein Rolle spielt, welches im Laufe des Lebens verschiedensten Veränderungen unterworfen ist. Man hat u.a. festgestellt, dass Schwangerschaften eine positive Auswirkung auf Autoimmunkrankheiten haben können und das im Alter absinkende Testosteron-Level könnte erklären, warum der Geschlechterbias im Alter verschwindet. Im Tierversuch konnte man das außerdem nachweisen, denn in männlichen kastrierten Mäusen wurde eine höhere Rate erkrankter Tiere nach der Induktion von Thyreoditis oder Arthritis festgestellt. Das gleiche Ergebnis wurde durch das Injizieren von Östrogen während der Induktion (bei nicht-kastrierten Mäusen) erreicht.

mw

Eine neuere Publikation mit dem Titel „Sex Differences in the Gut Microbiome Drive Hormone-Dependent Regulation of Autoimmunity sieht den protektiven Effekt von Testosteron u.a. darin, dass damit die Zusammensetzung der körpereigenen Darmflora beeinflusst wird. Dazu wurde ein bestimmtes Maus-Model gewählt, die sogenannte NOD-Maus. „NOD“ steht für non-obese diabetes, d.h. das Immunsystem dieser Maus ist so gestört, dass sie spontan Diabetes entwickelt, weil ihre Immunzellen die Insulin-produzierenden Zellen der Bauchspeichdrüse zerstören. Die Forscher schauten sich hier die Inzidenz an, mit der die Mäuse erkrankten und stellten fest, dass unter spezifisch pathogen-freien (SPF) Bedingungen gehaltene Weibchen zweimal häufiger an Diabetes entwickelten als die Männchen. Unter keimfreien (GF) Bedingungen war der Effekt verschwunden. Die Testosteron-Level im Blut ergaben, dass die weiblichen SPF-Mäuse weniger Testosteron im Blut hatten als die GF-Mäuse, während das bei den Männchen genau umgekehrt war. Daraus schlossen die Forscher, dass die Besiedlung des Darms mit spezifischen Keimen die Produktion und den Verbrauch von Testosteron beeinflusst, und damit auch das Metabolom, d.h. alle Stoffwechsel(zwischen)produkte und letztendlich die Erkrankungsrate. Als nächstes wurde bei Mäusen verschiedener Altersgruppen (gerade entwöhnt, in der Pubertät, adult) der Darm entkeimt und danach das Mikrobiom erwachsener Tiere übertragen. In der Publikation wird von „gavage of diluted cecal contents“ gesprochen, d.h. verflüssigter Blinddarminhalt wurden per Sonde verabreicht. Dabei stellte man fest, dass bei Weibchen, solange sie die Pubertät noch nicht komplett durchlaufen hatten (bei Labormäusen etwa 6-7 Wochen nach der Geburt) die Übertragung männlicher Darmflora dazu führte, dass diese Tiere mehr Testosteron produzierten und somit weniger oft an Diabetes erkrankten. Um das Diabetes-auslösende Potential der Immunzellen von unmanipulierten Weibchen und Weibchen, denen männliche Darmflora übertragen wurde zu prüfen, wurden diese isoliert und in immundefiziente Mäuse übertragen wurden. Die Immunzellen unmanipulierter Weibchen induzierten 6 Wochen eher eine Diabetes-Erkrankung. Daraus kann man ableiten, dass Testosteron Effekte des Darm-Mikrobioms an die Stoffwechselkette und das Immunsystem weiterleitet. Wie genau, darüber kann man derzeit nur spekulieren. Die Steroidhormone wirken direkt auf die Produktion bestimmter Proteine, da sie im Zellkern wie eine Ampel Stop- oder Go-Signale für deren Herstellung geben. Außerdem können sie noch dafür sorgen, dass die DNA epigenetisch so modifiziert wird, dass die Erbinformation häufiger oder seltener abgelesen wird, d.h. sie wird entweder in den molekularen Dornröschenschlaf geschickt oder daraus aufgeweckt.

Nun kann man mit Labormäusen gewonnene Erkenntnisse nicht ohne weiteres auf den Menschen übetragen. Trotzdem könnte die Darmflora auch beim Menschen ein Faktor sein, der den beobachteten Geschlechterbias beeinflusst. Die Ergebnisse sollten vor allem die Forscher dazu anhalten, bei ihren Versuchen und klinischen Studien Daten beider Geschlechter einzubeziehen, denn das ist leider noch nicht der Standard. Des weiteren geben sie Anlass zu weiteren interessanten Überlegungen: denn so wenig untersucht, wie das Thema derzeit ist, lassen sich bestimmt einige neue Studien initiieren, die die Auswirkungen von Hormongabe auf die Inzidenz von Autoimmunkrankheiten untersuchen.
Es muss ja nicht gleich eine „Stuhltransplantation“ sein, obwohl diese Behandlung, welche bei über längere Zeit antibiotisierten Menschen seit neuestem angewendet wird, sicher interessante Studiensubjekte liefert. Als Frau jedenfalls kann man Östrogenen kaum entgehen, wenn sie in Form der Pille oder als Hähnchenschnitzel verabreicht werden. Insgesamt ist jedoch davon abzuraten aus Selbstschutz jetzt Testosteron zu nehmen, denn die schlechteren Karten, die Frauen bei Autoimmunkrankheiten haben, werden dadurch wieder aufgehoben, dass Männer z.B. leichter an Infektionen erkranken. Und Damenbart ist ja auch nicht modern.

Für das tl;dr hab ich extra den Stift gezückt (man beachte die Bildunterschrift)

16 Gedanken zu „Der kleine Unterschied bei Autoimmunität“
  1. Danke für den Artikel, ich finde ihn interessant, insbesondere da ich einen ähnlichen Fall kenne.

    Auch sehr professionell geschrieben. Hätte auch in Spektrum erscheinen können (vielleicht mit einem anderem Bild 🙂 )

    Bist Du Ärztin oder Arzt?

  2. Danke für das „professionell“. Ich bin keine Ärztin, sondern Biochemikerin, allerdings schon mit dem Schwerpunkt medizinische Biochemie.
    Hehe, ja, das Bild. Ich wollte gern eins dabeihaben, aber mir fiel auf die Schnelle nichts besseres ein.

  3. @Pterry

    Das Bild ist witzig, finde ich gut. Nur wäre es für einen Spektrum-Artikel eher … ungewöhnlich. Aber das hier soll ja auch kein Spektrum-Artikel sein, also Daumen hoch! 😉

  4. Nichtsdestotrotz häufen sich derzeit im Bekanntenkreis (Altersgruppe: 25-40 Jahre) die “Verkündigungen” von Betroffenen, die an Hashimoto, Morbus Crohn, rheumatoider Arthritis oder multipler Sklerose erkrankt sind.

    Da hats mich grad etwas gegruselt, ich mach grad ähnliche Erfahrungen …

    Guter Artikel. Gibt es denn einen signifikanten Anstieg dieser Krankheiten in der Altersgruppe?

  5. @Dampier: Das kann ich nicht sagen, denn mir fehlt einfach die Vergleichsgruppe. Das Alter bzw Altern spielt ja definitiv eine Rolle. Und die Frage ist auch, ob die ältere Generation, von denen ich schonmal weniger kenne dann auch darüber mit mir redet, v.a. da zum Beispiel Morbus Crohn noch das „Psychostigma“ anhaftet (dauert halt immer, bis sich sowas in der Bevölkerung rumspricht). Ganz allgemein wird häufig einfach „Stress“ als Ursache genannt, was laut einer befreundeten Ärztin soviel heißt wie „wir haben keine Ahnung und keine bessere Ursache gefunden“ 😉
    Bei Hashimoto wird seit neuestem eine Überiodierung der Nahrung als Ursache in Betracht gezogen, wobei ich nicht weiß, ob das nur Hysterie ist oder mehr dahinter steckt.

  6. @Pterry
    Zusatzstoffe in der Nahrung – also vor allem hormonähnliche, wie z.B. in Sojaprodukten enorm verbreitet.

    Soja wird derzeit überall eingesetzt, Lecithine, als Eiweißspender zum Aufwerten in Broten, oder so. Ich las auch einmal, dass bei Hashi besonders Vegetarierinnen und Veganerinnen betroffen seien, aber diese Studie war keine solide. Das müsste sich allerdings verifizieren lassen – wann begann die Sojafütterung von Rindern und so weiter und der Einsatz in der Nahrungsmittelverarbeitung im großen Stil und stiegen danach die Zahlen an. Ich meine ja, jedenfalls in den USA, weiß aber nicht, wie robust diese Daten waren, die ich vor Jahren mal eingesehen habe. (Auch keinen Link dazu haben,seufz.) Die waren es bei mir, meine Schilddrüse lebt allerdings knapp noch und die anderen Ärgernisse gingen wieder zurück, bzw. sind weg. Glück gehabt …
    Nahrungsunverträglichkeiten spiegeln sich allerdings nicht im Blutbild, meine ich zu erinnern.

    Da hab ich erst kürzlich gelesen, Link nur verbummelt, dass es ein Protein in der Milch ist, das intolerant macht – und das nicht seit Ewigkeiten in der Milch ist, nicht die Laktose also … und das hat was mit Milchviehhaltung zu tun, meine ich mich zu erinnern. Kraftfutter vermutlich.
    Leider hab ich gerade auch keine Zeit mehr …
    aber vielleicht weißt du mehr?

  7. nur verbummelt

    moin Theres, falls Du bei einer zukünftigen Gelegenheit wieder darüber stolpern solltest, wäre es sehr entgegenkommend, sie nachzureichen.

    Iirc war für mich die erst Nachricht zu geschlechtlich verschieden sich ausprägenden Krankheiten das mit der Herzinfarkt-Symptomatik. Wann genau, weiß ich nicht mehr, gefühlt vor ~30Jahren.
    Leider ist es immer noch nötig, (potentielle) Patient*en deutlich darauf hinzuweisen – nicht nur deswegen ein schoner Artikel.

  8. @Theres das Nahrungsfass wollte ich eigentlich nicht aufmachen, v.a. da ich denke, dass eine solide Studie dann doch zu einem größeren Medienecho geführt hätte. Und wenn man die Darmflora-Ergebnisse hinzuzieht, reicht es vielleicht nicht, sich bei den Betroffenen nur die Ernährung anzuschauen, sondern dann müsste noch mehr abgefragt werden, inklusive einer Stuhlprobe.
    Was mich viel mehr ärgert ist eben, dass es viele Forscher nicht schaffen, bei Tierversuchen (!) eine Geschlechterbalance aufrechzuerhalten

  9. @Pterry
    Es waren bisher schon viele wirkliche lesenswerte Artikel dabei. Aber der hier klingt, da schließe ich mich Alderamin an, tatsächlich professionell. Wobei man das ja auch als Kritik auffassen könnte, weil dann könnte er ja auch ein brothohler, langweiliger, inspirationsloser Sachtext sein.
    Ist er aber nicht.
    Gut strukturiert, informativ und mit klarer Linie erzählt. Ich fand den Text darüberhinaus auch wirklich spannend zu lesen und bin deiner Meinung, daß Geschlechterbalance in Studien viel mehr Beachtung finden muss.
    Außerdem hast Du mich mit dem entzückenden Cartoon sowieso schon geködert. der hätte mir alleine auch schon gereicht.
    *_*

  10. @Basilius: ich hatte tatsächlich am Anfang überlegt, statt des Textes den Cartoon einzureichen, aber nachdem ich an Miley Cyrus und Ron Jeremy auf der Abrissbirne gescheitert bin…

    @grumbler: ich hatte den Text nochmal umgestellt und wollte im letzten Absatz noch sowas wie einen Bezug zur Leserinnenwirklichkeit herstellen. jetzt nach der Veröffentlichung ist mir auch – leider zu spät – aufgefallen, dass da ein Bruch drin ist.

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