Unsere Sonne befindet sich weit weg vom Zentrum der Milchstraße. Die Galaxie in der wir uns befinden kann man näherungsweise als große Scheibe beschreiben, die einen Durchmesser von 100.000 Lichtjahren hat. Im Zentrum sitzt ein supermassereiches schwarzes Loch und drum herum ballen sich die Sterne eng zusammen. Dort ist es ungemütlich, andauernd explodiert irgendwo in der Nachbarschaft ein Stern und alles ist voller fieser Strahlung. Kein guter Ort, um dort zu leben also. Zum Glück wohnen wir ja ein Stück außerhalb; knapp 25.000 Lichtjahre vom ungemütlichen Zentrum entfernt. Aber im Gegensatz zu den beiden Sternen die kürzlich von Astronomen aus den USA und den Niederlanden entdeckt worden sind, sind wir immer noch sehr nahe am Mittelpunkt der Galaxis. Die beiden befinden sich ganz am Rand; weiter weg als alle anderen Sterne die man bisher beobachtet hat. Also quasi am Ar*** der Milchstraße; dort wo wirklich nichts mehr los ist…

Es ist schwer, solche Sterne zu finden. Je weiter weg, desto schwächer ist ihr Licht wenn es auf der Erde ankommt und auch mit den großen Teleskopen sind sie kaum zu sehen. Deswegen ist es auch nicht einfach, einen Überblick über den Halo unserer Milchstraße zu bekommen. So bezeichnet man all das, was die galaktische Scheibe umgibt, aber trotzdem noch gravitativ an unsere Milchstraße gebunden ist. Dort findet man zum Beispiel sehr viel Kugelsternhaufen und die Reste diverser kleiner Zwerggalaxien, die sich die Milchstraße im Laufe der letzten Jahrmilliarden bei Kollisionen einverleibt hat.

Einzelne Sterne sind aber schwer zu finden. Am meisten Chancen hat man noch bei großen roten Riesensternen; also die Art von Stern, als die auch unsere eigene Sonne einmal enden wird. So ein Riese bläht sich auf und leuchtet hell genug, um auch noch in großer Entfernun identifiziert werden zu können. John Buchanski von der Harvard-Universität und seine Kollegen haben sich auf die suche nach den fernen Riesen gemacht und sind fündig geworden („The Most Distant Stars in the Milky Way“). Sie haben zwei Sterne entdeckt, die sich weiter vom Zentrum der Galaxis entfernt befinden als alle die man bisher kannte. Die Rekordhalter tragen die hübschen Namen ULAS J001535.72+015549.6 und ULAS J074417.48+253233.0 und sind 780.000 bzw. 900.000 Lichtjahre vom Mittelpunkt der Milchstraße entfernt.

So würde die Milchstraße vom 900.000 Lichtjahre entfernten roten Riesen aussehen (Bild: Uniview by SCISS Data: SOHO (ESA & NASA), John Bochanski (Haverford College) and Jackie Faherty (American Museum of Natural History and Carnegie Institute's Department of Terrestrial Magnetism)
So würde die Milchstraße vom 900.000 Lichtjahre entfernten roten Riesen aussehen (Bild: Uniview by SCISS Data: SOHO (ESA & NASA), John Bochanski (Haverford College) and Jackie Faherty (American Museum of Natural History and Carnegie Institute’s Department of Terrestrial Magnetism)

Bei der Entdeckung geht es aber natürlich nicht nur um einen Eintrag in die High-Score-Liste. Angesichts des Funds stellen sich vermutlich den meisten Leserinnen und Lesern zwei Frage: 1) Wie kommen die Sterne dort hin? Und: 2) Wozu wollen wir solche weit entfernten Sterne überhaupt finden?

Frage 1 ist tatsächlich knifflig. Dort draußen ist ja nichts. Und das bisschen, was dort ist, ist so kalt und träge, dass sich kaum was tut. Soll heißen: Es ist extrem unwahrscheinlich dass sich so fern der üblichen Sternentstehungsregionen in der galaktischen Scheibe genug Gas zusammengefunden hat, damit es für einen Stern reicht. Die Sterne müssen also anderswo entstanden sein. Bochanski und seine Kollegen schlagen drei Möglichkeiten vor. Die Sterne könnten ganz normal in der Milchstraße entstanden, danach aber in schlechte Gesellschaft geraten sein. Es könnte sich um Doppelsternsysteme gehandelt haben, die zum Beispiel dem zentralen schwarzen Loch im Zentrum zu nahe gekommen sind. Einer der Sternpartner wurde verschluckt und der andere sauste – wie der losgelassene Hammer eines Hammerwerfers – aus der galaktischen Scheibe hinaus. Um aber dort zu landen, wo sie heute sind, müssen sie enorm schnell unterwegs gewesen sein und es nahe Begegnungen die Sterne auf so hohe Geschwindigkeiten beschleunigen können, sind enorm selten. Glauben wir zumindest, denn allzu viele weit entfernte Sterne haben wir ja noch nicht gefunden. Vielleicht ändert sich die Einschätzung, wenn wir in Zukunft mehr von ihnen entdecken.

Derzeit sieht es aber eher so aus, als könnten die fernen Sterne aus einer noch unbekannten Zwerggalaxie stammen, die sich in der Nähe der Milchstraße rumtreibt. Das klingt seltsam, denn eine ganze Galaxie kann doch schwer übersehen? Aber die Zwerggalaxien können tatsächlich eine so geringer Helligkeit haben, dass sie nur mühsam zu identifizieren sind. Immer wieder entdecken Astronomen neue Mitglieder Galaxiengruppe, zu der auch die Milchstraße gehört. Vielleicht sind die beiden fernen Sterne einfach nur sehr helle Mitglieder solch schwach leuchtender Mini-Galaxien. Oder sie waren früher mal Teil so einer Galaxie, wurden aber von der Milchstraße heraus „gerissen“.

Ohne weitere Beobachtungen lässt sich momentan nicht mehr sagen. Nur, dass es wichtig ist, nach solchen Sternen zu suchen. Denn um auch die oben gestellte Frage 2 zu beantworten: Es gibt viele Gründe, warum wir diese Sterne finden wollen. Einmal, um einen besseren Überblick über den Halo zu bekommen. In ihrem Artikel listen Bochanski und seine Kollegen alle bekannten Sterne der Milchstraße mit Entfernungen von mehr als 390.000 Lichtjahren auf. Die Liste hat gerade mal 7 Einträge (jetzt sind es 9 geworden) – es ist also klar, dass man hier dringend mehr Daten braucht! Die könnten durch zukünftige Satellitenmissionen wie GAIA gewonnen werden, bei denen Milliarden Sterne katalogisiert werden. Aber auch hier lohnen sich detailierte Untersuchungen, wie sie Bochanski und seine Kollegen durchgeführt haben. Denn damit kann man die Analyse- und Auswertungsroutine verbessern um die vielen Daten effektiv zu verarbeiten. Und schließlich bieten die fernen Sterne eine einmalige Gelegenheit, um mehr über die versteckten Eigenschaften der Milchstraße zu finden. Da sie sich so enorm weit entfernt befinden, wird ihre Bewegung von all dem beeinflusst, was sich zwischen ihnen und dem Milchstraßenzentrum befindet. Und das ist quasi alles; nicht nur die sichtbaren Sterne, sondern auch die dunkle Materie. Aus einer Analyse der Bewegung dieser fernen Sterne lässt sich gesamte Masse der Galaxie bestimmen und das kann uns dabei helfen, besser zu verstehen, wie dunkle Materie funktioniert.

ULAS J074417.48+253233.0 und ULAS J001535.72+015549.6 mögen zwar im hintersten Winkel der Milchstraße sein. Aber gerade weil sie weiter vom galaktischen Rummel entfernt sind als alle anderen Sterne, bieten sie uns einen einmaligen Blick auf unsere Ecke des Universums!

19 Gedanken zu „Ganz am Rand und ganz weit weg: Zwei Sterne in Rekordentfernung entdeckt“
  1. „Bochanski und seine Kollegen schlagen drei Möglichkeiten vor.“

    Habe ich jetzt was überlesen, oder sind es doch nur zwei Möglichkeiten?

  2. @Torsten:
    Im Abstract werden die drei Möglichkeiten als „tidal stripping from a dwarf galaxy, ejection from the MW’s disk, or membership in an undetected dwarf galaxy“ genannt. In Florians Artikel kommt der Unterschied zwischen der ersten und dritten Variante nicht ganz so deutlich rüber.

  3. Wie misst man denn bei solchen Sternen die Entfernung? Man schätzt ihre absolute Helligkeit und setzt die dann in Bezug zur gemessenen Helligkeit, vermute ich mal. Das wäre dann aber ziemlich fehleranfällig oder verraten die roten Riesen ihre Masse durch ihr Spektrum?

  4. Ich bin jetzt ein wenig verwirrt … der Halo der Milchstraße hat nach Wikipedia einen Durchmesser von etwa 165 000 Lichtjahren. Also einen Radius von 80 000 – 85 000 Lichtjahren. Sterne in Entfernungen von bis zu 900 000 Lichtjahren von galaktischen Zentrum würde ich dann schon als weit im Leerraum stehend bezeichnen. Da ist es dann ja schon nicht einmal mehr sicher, ob diese Sterne überhaupt jemals zur Milchstraße gehörten – aber Möglichkeit 3 („Member of a dwarf galaxy“) deutet das ja schon an.

  5. Ich frage mich jetzt aber auch wieso ein Stern der eine Entfernung die fast 10mal größer als der Radius der Galaxie ist noch als zugehörig betrachtet wird. Angenommen er wäre durch das Schwarze Loch rausgekickt wurden, dann würde dieser Stern doch keinen Orbit um die Milchstraße haben und damit wäre er doch nicht zugehörig oder?

  6. @Ralf Hildebrandt

    Die Autoren haben zuerst die Spektralklasse der Sterne anhand des Linienspektrums durch Vergleich mit anderen Sternen möglichst genau geschätzt. Dann leiteten sie daraus die absolute Helligkeit ab, wobei sie noch Dinge nutzten wie:

    Depending on the relation assumed, the absolute magnitude is independent of color […], relates linearly with J−K color […] or can be estimated using stellar evolution models

    (J und K sind bestimmte standardisierte Filter im Infrarot-Bereich). Im Prinzip kann man die absolute Helligkeit eines Spektraltyps im Hertzsprung-Russell-Diagramm ablesen, die hier verwendete Methode ist wohl eine Verfeinerung davon (es gibt ja pro Spektralklasse meist meherere Typen von Zwerg- und Riesensternen dieser Klasse, die man unterscheiden muss).

    Aus der absoluten Helligkeit M (das ist eine Helligkeit, die der Stern in 10 pc = 32,6 Lichtjahren Entfernung hätte) und der scheinbaren, gemessenen Helligkeit m folgt über das Abstandsgesetz für die Helligkeit m-M = -5 – 5 log r die Entfernung r in pc.

  7. @Kevin

    Ich frage mich jetzt aber auch wieso ein Stern der eine Entfernung die fast 10mal größer als der Radius der Galaxie ist noch als zugehörig betrachtet wird.

    Steht ausführlich im Paper. Man hat die Radialgeschwindigkeiten realtiv zur Milchstraße gemessen (52 und 24 km/s) und geschlossen, dass diese konsistent damit ist, dass die Sterne aus einer Zwerggalaxie herausgezogen wurden, die die Milchstraße umkreist. Eine Entstehung vor Ort kann wegen der dort so geringen Gasdichte ausgeschlossen werden, ein Ursprung in der Milchstraße wird ausgeschlossen weil dazu sehr hohe Anfangsgeschwindigkeiten über 500 km/s nötig gewesen wären, und Prozesse die dies bewerkstelligen sind zu selten, um so viele so weit entfernte Sterne erklären zu können (es wurden noch einige mehr untersucht, als die beiden Rekordhalter). Von M31 ist da gar nicht die Rede, das scheidet wegen der Radialgeschwindigkeit wohl schon sofort aus (die kommt mit ca. 300 km/s auf uns zu).

  8. @Bullet-der-Kommentator
    „Dasselbe gilt für M 31. Hm.“

    Ja, aber Andromeda ist eine „autonome“ Galaxie. Die wird zwar von uns angezogen und umgekehrt, wird uns jedoch nicht als Sattelitengalaxie zugerechnet.

    Wenn die beiden Sterne um die es geht 900.000 Lichtjahre von Andromeda entfernt wären, dann würden sie Andromeda zugerechnet.

  9. @Sonnenklar

    Wenn die beiden Sterne um die es geht 900.000 Lichtjahre von Andromeda entfernt wären, dann würden sie Andromeda zugerechnet.

    Wenn sie, wie sie es tun, relativ zur Milchstraße fast ruhen und relativ zum Andromedanebel mit ein paar hundert km/s unterwegs sind, dann auch eher nicht.

    Außerdem müsste dann ja auch eine Nähe zu M31 gegeben sein. Der eine Stern liegt wohl im Stier, der andere am Himmelsäquator in den Fischen, beide sind ca. 30° von Andromeda weg, da komme ich auf rund 1,8 Millionen Lichtjahre Entfernung zur Andromeda.

  10. @Alderamin
    „Außerdem müsste dann ja auch eine Nähe zu M31 gegeben sein“

    Genau deswegen hab ich ja auch geschrieben „würden“ 😉
    Es war nur ein Beispiel, wenn sie näher an Andromeda wären als an uns.

    Die Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit hatte ich in meiner Erklärung ausgelassen. Hätte ich vielleicht nicht machen sollen.

  11. @Sonnenklar

    Die Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit hatte ich in meiner Erklärung ausgelassen.

    Fairerweise muss man dazu sagen, dass man nur die Bewegungskomponente auf den Beobachter zu oder von ihm weg messen kann (Dopplershift). Wie schnell die Sterne tangential unterwegs sind, kann man erst nach sehr langer Zeit als Positionsveränderung messen. Auf diese Entfernung vielleicht nie.

  12. Gehört jetzt vielleicht nur bedingt zum Thema, aber bei dem Bild vom Anblick der Milchstraße musste ich direkt an das hier denken (ich zitiere dich einfach mal aus deinem Artikel „Weiß wie Schnee – Die Farbe der Milchstraße“):
    „“Erst seit wenigen Jahren wissen wir, dass es sich um eine Balkenspiralgalaxie handelt (und was Anzahl und Lage der Spiralarme angeht, sind wir uns immer noch nicht ganz im Klaren).““
    Das war 2012, gabs mittlerweile dahingehend schon neue Erkenntnisse? Irgendwie hatte ich im Kopf, dass es nur zwei Arme wären, oder hab ich da falsch hingehört? 😀

    Ansonsten: Spannender Artikel, wie immer 🙂 Bin immer wieder begeistert, was man so alles finden kann da draussen….

  13. Kann man den gravitativen Einfluss der Milchstrasse auf so grosse Distanzen überhaupt noch sinnvoll berechnen? Oder wird es da dann zu ungenau?

  14. Ich würde ja eher zu einer Entstehung in einer Zwerggalaxie tippen. Ob sich die Sterne noch darin befinden oder von der Milchstraße herausgerissen wurden, lässt sich sicherlich durch weitere Messungen klären.
    Und das es diese Zerggalaxien in genügender Anzahl gibt, zeigt dieser Bericht :

    https://www.weltraum-aktuell.de/index.php/nachrichten2/427-billig-teleskop-spuert-zwerggalaxien-auf

    Es kann also durchaus auch um unsere Milchstraße von Zwergen wimmeln.

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