Das Objekt KOI-1274.01 war anfangs nur eines von vielen und nicht sonderlich interessant. Es tauchte im Katalog des Kepler-Weltraumteleskops auf, in dem alle interessanten Beobachtungen gesammelt wurden. Kepler suchte nach den Planeten anderer Sterne. Das Teleskop maß die Helligkeit der Sterne und wenn die plötzlich ein wenig dunkler wurden, konnte das durch einen Planeten verursacht worden sein, der gerade vor dem Stern vorüber zog. Aber es gibt auch noch viele andere Möglichkeiten, warum ein Stern auf einmal ein wenig dunkler wird. KOI-1274.01 war nur einer von vielen Sternen, bei dem man so etwas beobachtet hatte. Die erste und einzige Beobachtung der Verdunkelung schien auf einen Planeten mit einer Umlaufzeit von 362 Tagen hinzudeuten. Als dann nach dieser Zeit keine zweite Verdunkelung zu sehen war, strich man das Objekt aus dem Katalog. Zum Glück haben sich Wissenschaftler die Daten aber nochmal angesehen. Und dabei einen Planeten gefunden, der ganz anders war, als man dachte…
Das Problem mit der Suchmethode des Kepler-Teleskops ist die Mehrdeutigkeit. Viele Phänomene können einen Stern dunkler machen und man braucht viele Beobachtungen, um damit Planeten identifizieren zu können. Man muss die Verdunkelung in regelmäßigen Abständen sehen, um halbwegs sicher sein zu können. Bei KOI-1274.01 sah man vorerst nur eine einzige Verdunkelungen und berechnete dann aus verschiedenen theoretischen Modellen eine mutmaßliche Umlaufzeit für den mutmaßlichen Planeten. Als die so vorhergesagte zweite Verdunkelung nicht statt fand, warf man den Kandidaten aus der Liste.
Kein großes Drama; so etwas kommt oft genug vor, denn es gibt ja genug davon. Damit Kepler überhaupt eine Chance hatte, viele Planeten zu finden, musste das Teleskop zehntausende Sterne beobachten. Denn nur wenn man unter dem richtigen Blickwinkel auf den Stern schaut, ist eine Verdunkelung überhaupt zu sehen und damit die Chancen auf so ein Ereignis steigen, muss man möglichst viele Sterne beobachten. Kepler hat im Laufe seiner Mission tausende Kandidatenplaneten gesammelt, die genug Arbeit für die Wissenschaftler schafften, die darunter nach echten Planeten suchen mussten.
David Kipping vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge und seine Kollegen haben aber ihre ganz eigene Suche durchgeführt. Sie waren auf der Suche nach extrasolaren Monden (ich habe hier darüber berichtet). Die muss es da draußen auch irgendwo geben; bis jetzt konnte man aber noch keinen davon entdecken. Mit ihren Algorithmen durchsuchten sie die Datenbanken der Kepler-Kandidaten und die eine aufgezeichnete Verdunkelung von KOI-1274.01 erfüllte die Kriterien, um näher analysiert zu werden („Discovery of a Transiting Planet Near the Snow-Line“). Kipping und seine Kollegen werteten die Daten noch einmal neu aus und konnten ebenfalls keine zweite Verdunkelung nach 362 Tagen finden. Dafür aber eine, die nach 704 Tagen stattfand und wunderbar zum ersten Ereignis passte!
Es handelte sich also doch um einen Planeten – er war nur viel weiter weg von seinem Stern als man dachte und als die Modelle der ersten Auswertung vorhergesagt haben. Der Planet trägt nun den Namen Kepler-421b und ist ein ganz besonderer Himmelskörper. Er befindet sich 1,2 Astronomische Einheiten von seinem Stern entfernt, ist ihm also ein bisschen näher als der Mars unserer Sonne ist. Der Stern ist aber auch wenig kleiner und kühler als die Sonne; an der Position des Planeten ist es also auch ein bisschen kälter als es bei uns wäre. Kepler-421b befindet sich dort, wo sich die sogenannte „Schneelinie“ befindet (darüber habe ich hier und hier schon mal gesprochen). Diese Linie beschreibt die Grenze, hinter der es in einem Planetensystem kühl genug ist, dass Gase zu Eis kondensieren können. Wenn ein junger Stern von einer Scheibe aus Gas und Staub umgeben ist, dann ist es in seiner Nähe zu heiß, als das sich Eis bilden könnte. Es gibt nur kleine Staubkörnchen und Gasmoleküle. Erst hinter der Schneelinie, wo es kühl genug ist, können neben den Staubteilchen auch kleine Eisklumpen existieren. Das ist wichtig, wenn es um die Entstehung von Planeten geht. Denn die bilden sich genau in diesen Scheiben und hinter der Schneelinie steht ihnen dank der Eisbrocken viel mehr Baumaterial zur Verfügung. Sie können also schneller und weiter wachsen und viel größer werden. So groß, dass sie irgendwann auch das ganze Gas an sich reißen und sich dicke Atmosphärenschichten zulegen. Hinter der Schneelinie findet man also normalerweise große Gasplaneten und davor, in der Nähe des Sterns, nur kleinere, felsige Planeten.
In unserem Sonnensystem verläuft die Schneelinie zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter und trennt tatsächlich die Gasriesen Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun von den Felsplaneten Merkur, Venus, Erde und Mars. Kepler-421b befindet sich nun ziemlich genau auf der Schneelinie und die Modelle von Kipping und seinen Kollegen zeigen, dass er vermutlich knapp dahinter entstanden ist. Das bestätigt auch seine Größe: Er ist viermal größer als die Erde und damit ist es sehr unwahrscheinlich, dass es sich um einen felsigen Planeten mit fester Oberfläche handelt. Dann müsste er knapp 60 Mal mehr Masse als die Erde haben und so viel Material findet man in einer typischen Staubscheibe nicht an dem Ort, an dem sich der Planet befindet. Es ist viel wahrscheinlicher, dass es sich um einen eisigen Planeten wie Uranus oder Neptun handelt; mit einer dicken Atmosphäre. Diese Planeten können sich auch in einer normalen Scheibe dort bilden, wo man Kepler-421b beobachtet hat.
Für sich genommen ist der Planet nicht so enorm außergewöhnlich. Planeten dieser Größe und Zusammensetzung haben wir schon oft entdeckt. Aber noch nicht mit der Methode, die Kepler verwendet hat. Je weiter weg ein Planet seinen Stern umkreist, desto länger braucht er dafür und desto länger dauert es auch, bis man genug Daten gesammelt hat, um identifizieren zu können. Daher findet man zuerst Planeten, die ihrem Stern sehr nahe sind. Kepler-421b ist nun weiter weg, als alle anderen Planeten die man mit dieser Methode bisher gefunden hat. Die Entdeckung bestätigt wieder einmal, dass die Dinge bei anderen Sternen so funktionieren, wie sie das auch bei uns tun. Unser Sonnensystem ist nichts besonderes und das, was wir hier finden können, können wir auch anderswo finden. Aber natürlich ist es trotzdem schön, solche Funde dann auch konkret zu machen…
Die Entdeckung zeigt aber auch, wie wichtig der Umgang mit großen Datenmengen in der modernen Astronomie ist. Die ganzen Satellitenmissionen und Weltraumteleskope sammeln solche Unmengen an Daten, dass es nicht mehr möglich ist, sie alle selbst durchzuarbeiten. Man muss sich auf automatisierte Methoden verlassen und wenn die nicht so funktionieren, wie man sich das dachte, dann kann man interessante Entdeckungen verpassen. Kepler-421b war sicher nicht das einzige Objekt, das den Algorithmen entgangen ist. In diesem Fall wurde es danach wieder „gerettet“ – aber im aussortierten „Datenmüll“ der diversen Weltraummissionen befinden sich sicherlich noch jede Menge andere eigentlich interessante Objekte… Es fehlt eben an Mitteln, Zeit und Wissen, all das zu entdecken, was man entdecken könnte. Aber anstatt uns darüber zu ärgern, was wir eventuell nicht gefunden haben, sollten wir uns lieber über das freuen, das wir entdeckt haben! Und in Zukunft noch entdecken werden.
Apropos „extrasolare Mondsuche“: wäre sensationell, wenn mal ein extrasolares Doppelplanetensystem gefunden würde, wo die beiden Planeten mindestens Supererden oder schwerer sind. Oder sind solche schweren Doppelplanetensysteme sehr unwahrscheinlich?
@McPomm: Naja, möglich ist es schön. Aber obs sowas auch gibt? Siehe hier: https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2008/12/27/seltsame-welten-austauschplaneten/
zum einen ist es einfach nur genial und faszinierend, wie die Naturgesetze eben tatsächlich überall gelten – und so vorhersehbar sind! Und genauso traurig und albern ist es, wenn dann Leute einfach nicht begreifen wollen oder können, das man kein höheres geheimnisvolles Wesen benötigt, um unsere Welt und das Weltall usw zu begreifen.
@Florian
Wollte ich schon lange mal fragen:
Ist es nicht extrem unwahrscheinlich, dass man eine „Verdunklung“ eines Sternes durch einen Exo-Planeten registriert? Wenn ich von außen auf unser Sonnensystem schauen würde, wäre doch der Streifen. von dem ich bspw. den Jupiter vor der Sonne sehen würde auch extrem schmal.
Oder dreht sich alles so ziemlich auf einer (unserer Sonnensystem-) Ebene? Weiß nicht, ob das hier schon mal behandelt wurde, sonst sorry.
@SkeptikSkeptiker: „Ist es nicht extrem unwahrscheinlich, dass man eine “Verdunklung” eines Sternes durch einen Exo-Planeten registriert? „
Es ist nicht häufig, richtig. Die Planetensysteme sind im Prinzip beliebig orientiert. Darum klappt die Transitmethode ja auch nur mit Weltraumteleskopen richtig gut, weil die ENORM VIELE Sterne beobachten können und dadurch die Chance erhöhen, dass da ein paar dabei sind, wo man unter dem richtigen Winkel hin schaut.
Falls sich noch jemand fragt, was die untere Linie von Punkten in dem Diagramm („normalized flux“ zwischen 0.995 und 0.996) bedeutet: Das kommt raus, wenn man von den Messwerten (obere Punkte) das Modell (durchgezogene schwarze Linie) abzieht und das dann soweit nach oben verschiebt, dass es noch ins selbe Diagramm passt.
Tja, um jeden unserer Mausklicks für immer abzuspeichern und zu analysieren, da stehen praktisch unbegrenzte Mittel zur Verfügung.
Da muss diese doofe Forschung, mit der sich kein Überwachungswahn und Kontrollzwang ausleben lässt, eben zurückstehen!
@Florian: [i]Die Planetensysteme sind im Prinzip beliebig orientiert[/i]
Weiß man das oder vermutet man das? Das hätte doch einen enormen Einfluss auf die Abschätzung, wieviele Exoplaneten so um die Sonnen schwirren. Sollte nicht – zumindestens in einer Region – oder zumindestens in unserer „Nähe“ – was anderes kann man ja eh nicht untersuchen – alles „ziemlich“ gleich orientiert sein? So aus der Entstehung heraus – würde ich mir jedenfalls laienhaft so vorstellen.
@Skeptiker: „Weiß man das oder vermutet man das? Das hätte doch einen enormen Einfluss auf die Abschätzung, wieviele Exoplaneten so um die Sonnen schwirren. „
Wieso sollte das einen Einfluss auf die Zahl der vorhandenen Planeten haben?
Sterne entstehen durch relativ chaotische Vorgänge aus interstellaren Gaswolken. WIE die genau kollabieren hängt von vielen zufälligen Faktoren ab und damit auch die Orientierung der protoplanetaren Scheibe. Es ist also zu erwarten, dass die Systeme alle beliebig orientiert sind. Alles andere wäre sehr überraschend…
Oh, mein „Ende Sarkasmus Tag“ ist von der Forensoftware gefressen worden…
@Florian: Wieso sollte das einen Einfluss auf die Zahl der vorhandenen Planeten haben?
Natürlich meine ich nicht die Anzahl sondern unsere Abschätzung der Häufigkeit von Planetensystemen auf Grund der durch Abdunklung von Sternen gefundenen.
Die Vorstellung war ja nur, wenn alles so schön in Spiralarmen um das Zentrum der Milchstraße „fliegt“, dass dann alles andere auch eine gewisse Grund-Orientierung mitgekriegt hätte. Aber unser Sonnensystem dreht sich ja auch „hochkant“ zur Scheibe, oder täusche ich mich da? Ansonsten danke.
@SkeptikSkeptiker
Kannst Du Dir selbst ausrechnen. Der Planet zieht vor seinem Stern vorbei, wenn seine Bahnebene um einen höchstens so großen Winkel gegen die Sichtlinie geneigt ist, wie der Durchmesser des Sterns auf die Entfernung des Planeten von seinem Stern ausmacht. Also denke Dir ein Dreieck mit einer Grundlinie vom Durchmesser des Sterns im Abstand des Planeten von seinem Stern mit zwei gleichen Seiten, die von den Enden der Grundlinie zum Zentrum des Sterns laufen. Die Grundlinie sitzt mittig und senkrecht auf der Sehlinie von der Erde zum Stern (o.B.d.A. können wir annehmen, dass die Bahn des Planeten senkrecht zur Grundlinie verläuft, sonst verdrehen wir sie einfach geeignet in der Himmelsebene, bis sie es tut). Wenn die Bahn des Planeten die Grundlinie schneidet, ist er im Transit. Der Abstand Planet-Stern ist die Höhe des Dreiecks über der Grundlinie. Gesucht ist der Winkel gegenüber der Grundlinie.
Beispiel Sonne und Erde: Der Durchmesser der Sonne ist ca. 1,4 Millionen km (also Grundlinienlänge l=1,4 Millionen km) und der Abstand Erde-Sonne r ist ca. 150 Millionen km. Das Dreieck mit den Seiten l/2 (halbe Grundlinie) und r sowie dem halben Winkel i/2 gegenüber l/2 ist rechtwinkig, also gilt tan i/2 = l/2 / r, d.h. i/2 = atan (l/2 / r) also i = 2 atan (l/2 / r):
i = 2 atan (0,7E+6 / 150E+6) = 2 atan (0,00467) = 0,5348°
i kann im Prinzip zwischen +90 und -90° liegen, also um 180° zufällig variieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass i in den Transit-Bereich von 0,53° fällt, ist einfach 0,5348/180 = 1/336,6.
Wenn Du also ein paar hundert Sterne wie die Sonne mit Planeten in 1 AU Entfernung beobachtest, sollte es Transits geben. Die Planeten kreisen alle ungefähr in der gleichen Ebene, also würde man neben der Erde auch noch Venus und Merkur im Transit sehen. Die Wahrscheinlichkeit nach außen wird immer kleiner, weil das gedachte Dreieck immer spitzer wird, der Winkel i immer kleiner. Bei Jupiter ist er nur noch 0,1°, die Chance dann einen Planetentransit zu sehen nur 1/1700, und bei einer Umlaufzeit des Jupiter von fast 12 Jahren wäre das der einzige Transit eines solchen Planeten, was dann nicht als Kandidat in Frage käme (dazu braucht es 3 Transits).
Kepler hat ein Sternenfeld mit vielen hunderttausend Sternen beobachtet, deswegen war mit tausenden Planeten zu rechnen. Da viele Planeten viel enger um ihre Sterne kreisen als in unserem Sonnensystem, hat Kepler an die zwanzigtausend „threshold crossing events“ beobachtet, das sind solche Ereignisse, die dann näher untersucht werden müssen und mit großer Wahrscheinlichkeit Planeten sind. Die sind aber noch nicht alle in den Kandidatenstatus erhoben, das sind erst so um die 2000, wenn ich mich recht entsinne.
@Alderamin: Danke für die detailierte Rechnung. Wir mussten sowas früher mit Rechenschieber und Tafelwerk (dem DDR-Standardwerk für Formeln und sin/tan/ln usw.-Tafeln) durchhecheln 😉
– Schon verstanden.
Meine Überlegung war ja nur:
Entweder:
Alles dreht sich chaotisch – wie Florian sagt – und man sieht trotzdem „so viele“ Transits – heißt hochgerechnet so ziemlich viele/alle Sterne müssten Planeten(systeme) haben.
oder:
es gibt doch eine Art Vorzugsdrehachse – mit gewissen Abweichungen sebstverständlich – dann würde eine Hochrechnung doch viel mehr „leere“ Sterne vermuten lassen.
Aber ich muss jetzt doch noch mal den vorhin angesetzten Sauerkirschlikör abschmecken, ich glaube, da fehlt noch eine winzige Prise Zucker 😉
@Skeptikskeptiker
Man geht davon aus, dass die Planetensysteme zufällig im Raum orientiert sind (kann man vermutlich auch an den Drehachsen der Sterne zeigen, die sich spektroskopisch ermitteln lassen, jedenfalls die Neigung zur Erde oder von ihr weg). Die Wolken, aus denen Sterne entstehen, kollabieren ja ziemlich chaotisch. Dabei ergeben sich alle möglichen lokalen Drehachsen. Ich habe noch nicht gehört, dass die Rotation der Milchstraße dem ganzen eine Vorzugsrichtung gäbe. Aber denkbar wäre das.
Lass‘ ihn Dir schmecken. 🙂
Mich würde ja interessieren wie die Messung konkret gemacht wird. Da solche Verdunkelungen eher kurz sind und gleichzeitig aber eine möglichst hohe Zahl an Sonnen überwacht werden soll, darf auch die Messung nur sehr kurz sein.
Das heißt, das Teleskop müsste sich in sehr kurzen Abständen neu ausrichten, aufzeichnen und vergleichen und dann weiter. Ich vermute mal, dass wenn eine Verdunkelung stattfindet der Stern dann im Fokus bleibt.
Muss mich mal schlau machen.
@Franz: “ Ich vermute mal, dass wenn eine Verdunkelung stattfindet der Stern dann im Fokus bleibt.“
Naja, du kannst natürlich nicht jeden Stern einzeln anschauen. Das geht sowieso rein technisch nicht. Im Bildfeld deines Teleskops hast du immer hunderte bzw. tausende Sterne. Kepler hat ein bestimmtes Zielfeld am Himmel, und macht da Aufnahme um Aufnahme, von allen Sternen. Und die Daten werden dann nachträglich ausgewertet; man muss da ja jede Menge Datenreduktion machen, bis man aus dem Bild der Sterne überhaupt die Werte für die Helligkeit bekommt.