Der Anblick des Mondes am Himmel ist uns vertraut. Kein Wunder – der Mond sieht auch immer gleich aus. Von der Erde aus zeigt er uns immer die gleiche Hälfte (und ja, er dreht sich trotzdem um seine Achse). Die Rückseite des Mondes haben wir erst gesehen, als 1959 die sowjetische Raumsonde Lunik 3 dorthin flog und Bilder machte. Überraschenderweise sah sie ganz anders aus, als die Vorderseite. Ok, es war immer noch der Mond; als im wesentlichen eine leblose Gesteinswüste mit jeder Menge Krater. Aber es fehlten die dunklen Maria, die „Meere“, die wir als große Flecken auf der Vorderseite beobachten können. Die entstanden als der Mond noch jung war und jede Menge Magma über seine Oberfläche floss. Mittlerweile wissen wir, dass die Kruste auf der uns abgewandten Seite viel dicker ist. Die Dicke der Mondkruste beträgt dort circa 150 Kilometer; im Gegensatz zu den knapp 70 Kilometern auf der Vorderseite. Durch diese dicke Kruste konnte früher auch weniger geschmolzenes Gestein an die Oberfläche gelangen und darum fehlen dort die Meere.

Warum aber der Mond so asymmetrisch ist, weiß man nicht. Das „lunar farside highlands problem“, also die Frage nach dem Ursprung der dickeren Kruste auf der erdabgewandten Seite des Mondes, ist ungelöst. Aber natürlich gibt es einige plausible Hypothesen und kürzlich kam eine besonders überzeugende dazu.

Topografie des Mondes: Links die zugewandte Seite, rechts die abgewandte Seite (Bild: Mark A. Wieczorek,CC-BY-SA 3.0)
Topografie des Mondes: Links die zugewandte Seite, rechts die abgewandte Seite (Bild: Mark A. Wieczorek,CC-BY-SA 3.0)

Eine sehr spektakuläre Lösung für das Problem habe ich schon im August 2011 vorgestellt. Da haben Astronomen aus der Schweiz und Kalifornien die Entstehung des Mondes am Computer simuliert und gezeigt, dass es kurzfristig vielleicht zwei Monde gab, die dann zu einem Mond verschmolzen und dabei der Unterschied zwischen Vor- und Rückseite verursacht wurde. Angesichts der chaotischen Entstehungsgeschichte des Mondes ist das nicht unmöglich: Der Mond entstand, als vor 4,5 Milliarden Jahren die noch junge und unfertige Erde mit einem etwa marsgroßen ebenfalls noch unfertigen Planeten (dem man heute den Namen „Theia“ gegeben hat) kollidiert ist. Theia wurde dabei völlig zerstört und auch ein Teil der Erde hat den Zusammenstoß nicht überlebt. Aus den Trümmern hat sich dann der Mond gebildet, den wir heute sehen können. Und es ist absolut möglich, dass die Überreste des Zusammenstoßes sich nicht sofort zu einem einzigen Mond geformt haben, sondern zuerst zwei oder mehrere kleine Monde gebildet haben, die dann ebenfalls miteinander kollidiert sind.

Aber um das Problem der unterschiedlichen Mondhälften zu erklären, braucht es diesen Umweg über einen zweiten Mond gar nicht, wie Arpita Roy und ihre Kollegen von der Pennsylvania State University zeigen konnten. In ihrer Arbeit mit dem Titel „Earthshine on a Young Moon: Explaining the Lunar Farside Highlands“ erklären die Astronomen, dass es vielleicht die Erde war, die den Unterschied zwischen Vorder- und Rückseite des Mondes verursacht hat.

Die Idee dahinter ist eigentlich ziemlich simpel und von der Art, dass man sich wundert, dass noch niemand vorher darauf gekommen ist. Zuerst haben Roy und ihre Kollegen berechnet, wie lange es gedauert haben muss, bis Erde und Mond nach der Bildung durch die Gezeiten aneinander gebunden waren. Denn die Gezeitenkräfte zwischen Erde und Mond sind es ja, die dafür gesorgt haben, dass der Mond uns immer die selbe Hälfte zeigt (ich habe das hier ausführlich erklärt). Damals war der Mond der Erde noch viel näher und die Gezeitenkräfte entsprechend stark. Schon knapp 100 Tage nach seiner Entstehung wäre der Mond also durch die Gezeiten „gefangen“ gewesen und hätte seine Rotation so angepasst, das er immer die gleiche Hälfte in Richtung Erde zeigt.

Es ist auch wenig überraschend, dass die Temperaturen damals noch ein wenig höher waren. Immerhin hatte die Erde gerade erst eine gewaltige Kollision hinter sich und war noch komplett aufgeschmolzen. Die Kugel aus zähflüssigen Gestein hatte eine Temperatur von knapp 8000 Grad und das hatte vielleicht auch Folgen für den Mond. Seine Vorderseite bekam die Infrarotstrahlung der heißen Erde voll ab und kühlte deswegen wesentlich langsamer ab als die im Schatten liegende Rückseite. Dort konnte sich die feste Mondkruste früher bilden und deswegen auch dicker werden als auf der Vorderseite.

Danke Erde! (Bild: Thomas Fietzek, CC-BY-SA 3.0)
Danke Erde! (Bild: Thomas Fietzek, CC-BY-SA 3.0)

Eine elegante und erstaunlich einfache Lösung für dieses Problem! Aber Eleganz und Einfachheit reichen leider noch nicht, um herauszufinden, ob die Hypothese auch richtig ist. Dazu braucht es vermutlich noch ein paar quantitative Abschätzungen (der Artikel von Roy und ihren Kollegen ist mehr eine kurze Notiz als eine komplett ausgearbeitete Theorie) die sich dann mit Beobachtungsdaten und geologischen Untersuchungen von Mondgestein überprüfen lassen. Aber es hat irgendwie etwas poetisches, wenn vor Milliarden Jahren das helle Licht der Erde für das Aussehen des Himmelskörpers verantwortlich war, dessen helles Licht wir heute in klaren Nächten bewundern…

27 Gedanken zu „Das Licht der Erde und der Anblick des Mondes“
  1. “ dass die Kruste auf der uns zugewandten Seite viel dicker ist. Die Dicke der Mondkruste beträgt dort circa 150 Kilometer; im Gegensatz zu den knapp 70 Kilometern auf der Vorderseite.“
    Das müsste doch dann die von uns ABgewandte Seite sein, oder?

    Ansonsten: Spannender Artikel, das klingt irgendwie abenteuerlich – bin schon auf weitere Erkenntnisse dahingehend gespannt 🙂

  2. Was ist denn genau die Mondkruste? Die Erdkruste ist meinen Verständnis nach das, was über dem geschmolzenen Inneren liegt, aber der Mond hat doch kein geschmolzenes Inneres. Was genau ist da gemeint, und wie unterscheidet es sich vom restlichen Inneren?

    1. @Christian: Die Erdkruste liegt über dem Erdmantel (ein paar 1000 km dick) der über dem Erdkern liegt. Das ist nicht einfach nur der Unterschied zwischen „fest“ und „geschmolzen“; da geht es auch um die geologische Zusammensetzung etc. Genau so wie beim Mond – der vermutlich übrigens auch einen flüssigen Eisenkern hat.

  3. Vielleicht mach ich mich jetzt total lächerlich, aber ich muss trotzdem fragen:
    Wieso sehen wir immer die selbe Seite des Mondes, wenn sich der Mond dreht? Dreht sich der Mond mit der selben Geschwindigkeit? Wenn ja, dann müssten wir ja einen anderen Teil des Mondes sehen, wenn man von Europa in die USA reist… ! Könnte mir das jemand verständlich erklären? Oder gibt es eine anschauliche Animation, in der man das logisch erklärt bekommt? Ich hab mich das schon so oft gefragt, aber nie eine plausible und für mich logische Erklärung bekommen…. wär super von euch…

    1. @Hannes: „Könnte mir das jemand verständlich erklären? Oder gibt es eine anschauliche Animation, in der man das logisch erklärt bekommt? I“

      Im Text habe ich dazu doch einen Artikel verlinkt. Der Mond braucht für einen Umlauf um die Erde exakt so lange wie für eine Drehung um seine Achse. Und genau deswegen sehen wir immer die selbe Seite. Hab ich zum Beispiel hier erklärt: https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2009/10/08/der-mond-dreht-sich/

  4. Manchmal echt erstaunlich wie einfach Lösungen sein können wenn die Theorie denn bewiesen werden kann.
    Da denkt man immer gleich daran selber auch Wissenschaftler zu werden. Auf so einfache Ideen kann ich auch kommen 😉

  5. Vielleicht könnte man das mal simulieren:

    Wenn man sich neben der Anziehungskraft noch die Fliehkraft vorstellt und sich der Mond, ähnlich eines Hammers beim Hammerwurf (beim Drehen vor dem Abwurf), um die Erde dreht und die Oberfläche des Mondes zähflüssig bis fest, während der Kern noch eher flüssig ist – … Kann es da nicht sein, dass die zunehmend erkaltete, fester werdende Oberfläche sich auf der Rückseite „ansammelt“ und sich auftürmt, und die der Erde zugewandte Seite eher „flacher“ ist? Ich könnte mir vorstellen, dass dies so geschehen sein könnte. Vor allem wenn sich die Dichte von flüssigem und erkalteten Gestein unterscheiden und Fliehkräfte anders auswirken, oder wenn die feste Kruste nicht mehr absinken kann und sich dann eben an einem Punkt sammeln, an dem sich, durch Gravitation und Fliehkraft induzierte Strömungen, treffen?
    Soweit meine Leihenspekulation. Aber ist das möglich?

    1. @kamy: Ich glaube nicht, dass die Fliehkraft auf diese Weise asymmetrisch wirken würde.

      @Higgs-Teilchen: Heute nicht mehr; zumindest gibt es kein dauerhaftes Magnetfeld mehr. Früher aber mit ziemlicher Sicherheit schon.

  6. @Florian

    Wenn der Mond einen flüssigen Eisenkern hat, hat er dann auch ein Magnetfeld?

    Lg H.

    PS. Super interessanter Artikel. Danke….

  7. Könnte die Dicke der Kruste nicht auch etwas mit den Gezeitenkräften der Erde und der der Dichte des Krustenmaterials zu tun haben? Das Material der Kruste ist ja weniger dicht (d.h. leichter) als das darunter liegende Material. Irgendwie erscheint es mir da intuitiv einleuchtend, dass das Leichtere Material auf der Erdabgewandten Seite landet, wo die Erdanziehungskraft geringer auf den Mond wirkt, oder liege ich da komplett falsch?

  8. @Franz: Die 100 Tage für den ‚lock‘ sind die Obergrenze, aus einer Pi mal Daumen Rechnung, wenn man für den anfänglichen Mondspin 1.8 Stunden berechnet. Das ist schon ne sehr schnelle Rotation. Und 100 Tage sind so schnell, dass ein Fehler von nem Faktor 10 mit dem so eine grobe Abschätzung verbunden ist, nicht wirklich ne Rolle spielt, da die Abkühlung selbst Jahrtausende oder länger dauert. Es ist also recht plausibel, dass der Mond gelockt war, während er abkühlte. Und darauf kommt es an.

    @Florian: Hmm, ich hab den Artikel irgendwie anders verstanden. Was zur unterschiedlichen Krustendicke ist der Temperaturunterschied zwischen der erhitzten erdzugewandten und kühleren Erdabgewandten Seite, was bei einem flüssigen Magma-Meer natürlicherweise einen Fluß von der heißen zur kalten Seite verursacht, wo das Zeugs auch eine höhere Chance hat auszukristallisieren. Und die Idee ließe sich auch experimentell überprüfen, weil die Forscher auch einen Unterschied in den Konzentration bestimmter Moleküle – Al2O3 und CaO – zwischen Tag und Nachtseite postulieren (falls es keine globale vertikale Umwälzbewegung gab, die den Tag-Nachtseiten-Unterschied verwischte). Wobei das allerdings ein wenig widersprüchlich ist. Es kann auch sein, dass die Anreicherung von Al2O3 eine Folge der dickeren Kruste ist und nicht eine Signatur eines Flusses in die Richtung, die dann zu einer Verdickung der Kruste führte. Ich seh hier ein Henne-Ei-Problem, kenne mich aber nicht wirklich gut mit der Gesteinschemie aus, von daher: Keine wirkliche Ahnung.

    2012 gab es zumindest einen Nature geosience Artikel basierend auf Messungen von Kaguya, die eine unterschiedliche chemische Zusammensetzung nahe legen
    https://adsabs.harvard.edu/abs/2012NatGe…5..384O

    Ich find die Studie jedenfalls auch sehr spannend, weil – wie Du bereits sagtest – das eine recht elegante Idee ist um das far side highland problem zu lösen ohne weitere Zusatzannahmen zu postulieren.

    1. @Ludmila: „Hmm, ich hab den Artikel irgendwie anders verstanden. Was zur unterschiedlichen Krustendicke ist der Temperaturunterschied zwischen der erhitzten erdzugewandten und kühleren Erdabgewandten Seite, was bei einem flüssigen Magma-Meer natürlicherweise einen Fluß von der heißen zur kalten Seite verursacht, wo das Zeugs auch eine höhere Chance hat auszukristallisieren. „

      So hätte ich es auch verstanden. Hab ich es falsch vereinfacht?

  9. @Florian: Das fragst Du mich? Das ist ja die Krux, wenn frau zu tief drin steckt: schwer zu beurteilen für mich 😉

    Für mich klang es so also, ob da was fehlt. Nach dem Motto: Hinterseite kühlt schneller ab und wird dort dicker. Punkt. Könnte mensch da nicht auf die Idee kommen, dass die Kruste einfacher tiefer in den Mantel geht?

    Dass da auch gleichzeitig mehr Zeugs ist, weil das von der Vorderseite da hinfloss, ist jetzt nicht so einsichtig, oder?

    Ich könnte auch einfach auf hohem Niveau mäkeln 😉

    1. @Ludmila: Ja, soweit ich mich erinnere, steht im paper ja auch was von der „Atmosphäre“ aus verdampften Gestein, die unterschiedlich schnell kondensiert ist. Aber ich wollte jetzt hier nicht zu sehr in die Details gehen, vor allem weil es ja such nur ein vierseitiger Letter war der schon an sich nicht viele Details enthalten hat…

    1. @Higgs: Kann ich so spontan gar nicht sagen. Ich weiß auch nicht, wie stark das Sonnenmagnetfeld beim Mars ist. Aber ist gut m,öglich.

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