Während meiner Auszeit erscheinen hier einige Gastbeiträge von anderen Bloggern. Wenn ihr auch Lust habt, euer Blog (euren Podcast, euer Videoblog, etc) hier vorzustellen oder einfach nur mal einen Artikel schreiben wollt, dann macht mit!
Heute gibt es einen Artikel von Tibor Rácskai.
Sind bemannte Weltraumflüge wirklich nötig? Warum Menschen ins Weltall bringen, wenn wir Sonden schicken können, die uns Daten liefern? Was könnte ein Astronaut auf dem Mars vollbringen, was Curiosity und seine Epigonen nicht leisten können? In der französisch-kanadischen Dokumentation “Kein Mensch mehr im All?“ warnt der Astronaut Jean-Loup Chretien davor, auf die bemannte Raumfahrt zu verzichten. Wir würden uns an der jungen Generation orientieren, die sich immer mehr in einer virtuellen Realität einschließen werde. Der Mensch sei dafür aber nicht bestimmt, er habe Arme, Beine und ein Gehirn, die er zum Laufen, Arbeiten und Überleben einsetzen solle. Der Mensch besitze eine Art Forscher-Gen und würde seine Bestimmung verfehlen, wenn er nur Roboter aussenden würde, das Universum zu erforschen. Er könne sie vorausschicken, aber nur, um ihnen zu folgen.
Ist diese Auffassung der Raumfahrt tatsächlich Ausdruck eines Generationenkonflikts? Sie ist vor allem romantisch und zugleich Symptom einer pessimistischen Weltsicht. Chretien konstruiert einen Gegensatz zwischen dem aktiven und dem passiven Menschen, der so nicht existiert, und er schließt daraus auf einen gesellschaftlichen Verfall. Der Astronaut nimmt dabei die Stelle des frontiersman ein, der die Grenzen der Zivilisation in das Unbekannte hinaus verschiebt. Er erweitert unseren Herrschaftsraum konkret. Er fühlt stellvertretend für diejenigen, die nicht ins All reisen können, weil sie physisch und psychisch nicht dazu in der Lage sind, und er kann zurückkehren, um von seinen Gefühlen zu berichten. Der Physiker und Nobelpreisträger Steven Weinberg weist zu Recht darauf hin, dass Raumfahrt in diesem Sinne eine Art Sport sei, so wie die Besteigung der höchsten Gipfel und die Reise zu den Gräben der Tiefsee. Sie ist eine körperliche, geistige und gesellschaftliche Herausforderung, aber sie ist nicht bewusstseinserweiternd.
Damit einher geht die von Chretien formulierte Furcht vor der äußeren Bewegungslosigkeit der inneren Reise. Dies ist das eine Paradox der bemannten Raumfahrt im Computerzeitalter. Bisher sah sich der homo faber als Gegenpol eines angeblich praxisfernen Denkers, als einer, der an die Machbarkeit nicht nur glaubt, sondern der weiß, wie er sich die Welt im praktischen Sinne Untertan machen kann und es tut. Nun zeigt sich allerdings, dass der Ingenieur, der Abenteurer und der Pilot im Grunde Romantiker sind, die nach individueller Erfüllung ihrer persönlichen, ins Unendliche gerichteten Sehnsucht streben. Ihr Traum von der physischen Präsenz an der Grenze des Unbekannten ist jedoch beinah obsolet geworden. Beinah, denn auf die physische Existenz einer Sonde kann auch der Astronom nicht immer verzichten. Nur, kein Astronaut kann jemals, so wie die Voyager-Sonden, an die Grenzen unseres Sonnensystems vordringen. Der praktische Nutzen dieser Mission scheint gering, aber ihre spirituelle Bedeutung ist weit größer als die eines Fußabdrucks im Staub des Mars.
Nicht erst die Technik hat dem Menschen ermöglicht, virtuelle Reisen zu unternehmen, aber gestützt auf Beobachtungen und Messungen modernster Instrumente hat der Mensch sein geistiges Hoheitsgebiet bis an die Grenzen des Universums und der Zeit ausdehnen können, ohne sich in eine Raumkapsel zwängen zu müssen. Was vorher nur gedacht werden konnte, hat sich bestätigt, und einiges, was noch nicht gedacht worden ist, wurde so entdeckt. Das ist natürlich eine Beleidigung für den Piloten und scheint seine Mühen und Verdienste zu schmälern.
Steven Weinberg führt als Beispiele für bewusstseinserweiternde Leistungen des Menschen Liebe, Kunst und die Erforschung der Natur an. Jedes davon hat eine physische und eine geistige Komponente. Ist die Physis der Psyche überlegen? Selbstverständlich nicht. Auch die virtuelle Reise kann nicht in jedem Fall die physische Erfahrung ersetzen, aber man muss akzeptieren, dass dem Körper engere Grenzen gesetzt sind als dem Geist. Eine Reise zum Mars ist möglich, vielleicht kann auch Wirklichkeit werden, wofür Kubrick in „A Space odyssey“ schon die Bilder geliefert hat, aber wo liegt die Grenze? Noch ist der Warp-Antrieb eine Fiktion. Die Macht der Bilder suggeriert seine Machbarkeit, aber Science-Fiction bebildert dennoch weiterhin nur romantische Phantasien. Bemannte Raumfahrt muss letztlich den Körper überwinden, um weite Räume überwinden zu können, aber sie wird dabei nie transzendent werden, sondern nur unethisch.
Richard Heidman, ein ehemaliger Raumfahrtingenieur und Leiter der Pariser Sektion der Mars-Society, beschreibt ein Konzept einer experimentellen Marskolonie: Angesichts der Schwierigkeiten, die es bereitet, eine Gruppe erwachsener Menschen auf den Mars und gesund wieder zurück zu bringen, sei es vielleicht besser, Embryonen zu schicken, die, wie auch immer das möglich sein soll, dann auf dem Mars aufgezogen würden. Die eigentliche Frage sei, so Heidman, ob sie unter den dortigen Bedingungen überlebensfähig seien. Das ist offensichtlich falsch, denn die eigentliche Frage ist nicht die nach der Überlebensfähigkeit des menschlichen Körpers auf dem Mars, sondern die nach den ethischen Konsequenzen eines solchen Experiments. Irgendwann wird es ohne Zweifel technisch möglich sein, Embryonen zum Mars zu bringen und sie aufzuziehen, aber ob eine Gesellschaft dies auch durchführen wird, hängt davon ab, welchen Wert sie dem Individuum und seiner Menschenwürde zumisst. Manche Nationen scheinen in beiderlei Hinsicht auf dem besten, also aus humanistischer Sicht auf dem schlechtesten Weg zu sein. Dies ist das zweite Paradox der bemannten Raumfahrt. Zum einen verachtet der Astronaut den nur virtuell reisenden Astronomen und unterstellt ihm, den Menschen seiner Natur zu entfremden, zum anderen muss der künftige Astronaut seine Natur überwinden, um noch Astronaut sein zu können.
Es scheint also, so die Autoren der Dokumentation, dass zukünftige Forschungsreisen allein im Geiste stattfinden werden. Der Astronaut wird, wenn er eine Zukunft haben sollte, nicht mehr sein als er jetzt schon ist: der Repräsentant einer Industrie im Weltraum und ein lebendiges (und daher zwangsläufig der Rationalisierung anheimfallendes) Werkzeug, das ein paar hundert Kilometer über der Erde Ersatzteile montiert. Nicht sehr romantisch.
Die Dokumentation „Kein Mensch mehr im All?“ wird am Samstag, den 18. August auf ARTE wiederholt und ist noch bis zum 16. August in der ARTE-Mediathek zu sehen: https://videos.arte.tv/de/videos/kein_mensch_mehr_im_all_-6849208.html
Vielen Dank für den interessanten Bericht – die Dokumentation werde ich mir bestimmt ansehen.
Gerade wenn es um Reisen an den Rand unseres Sonnensystems geht, wird – sollte nicht so etwas wie ein WARP-Antrieb existieren – die bemannte Raumfahrt kaum noch praktikabel sein.
Wenn wir jedoch an Reisen zum Rand des Sonnensystems planen, werden wir bereits Möglichkeiten gefunden haben, das Bewusstsein eines Menschen vom Gehirn in einen Computer zu übertragen.
(Inwieweit der eigentliche Mensch stirbt und nur eine Kopie weiterlebt ist wie beim Beamen auch ein anderes ethisches Dilemma…)
Dies wird bis dahin sicher von vielen Menschen praktiziert, sei es um unsterblich zu sein, Krankheiten zu entrinnen oder einfach nur schnell reisen zu können.
In so einer fernen Zukunft wird es imho eher darauf hinauslaufen, dass Maschinen zu fernen Planeten reisen und das Bewusstsein der „Astronauten“ bei Ankunft der Maschinen in künstliche Körper verschoben bzw. kopiert (wieder ein ehtisches Dilemma) wird.
Dass ein menschlicher Körper aus Fleisch und Blut zu Forschungszwecken jemals so weit reisen wird, bezweilfe ich.
Sehr schön, danke für den Tipp.
Tja…bemannte Raumfahrt ist immer so eine Sache. Ich denke, es kommt darauf an, wo man (d.h. die Staaten, die die Raumfahrtagenturen bezahlen) die Prioritäten setzt. Den Weltraum erforschen kann man zunächst auch ohne Menschen.
Gerade z.B. eine bemannte Marsmission o.Ä. stelle ich mir schwierig vor, nicht von der technischen Machbarkeit her, sondern in Bezug auf den Menschen an sich.
Nehmen wir an, eine Marsmission würde etwa 3 Jahre dauern: 9 Monate Hinflug, 1,5 Jahre Verbleiben auf dem Mars, bis die Erde wieder in der Nähe ist, und dann 9 Monate Rückflug.
Dass das Raumfahrzeug eine rotierende Einheit besitzt, die eine künstliche Gravitation erzeugt, ist wohl noch das geringste Problem.
Denn es müssten psychisch wirklich sehr stabile Menschen sein, die nur wenig beunruhigen kann. Nur leicht zweifelnde, pessimistische oder sozial unverträgliche Menschen würden spätestens beim Aufenthalt auf dem Mars iwann einfach einen an der Waffel kriegen… man denke sich die Angst, iwas könnte beim Rückflug schiefgehen. Dann würde die Crew bis auf Weiteres auf dem Mars festsitzen: SciFi-Horror par excellence. Oder auch Fehden innerhalb der Crew…
Nunja…trotzdem muss es einfach iwann so weit sein, bemannte Missionen in weite Teile des Sonnensystems durchzuführen. Immerhin könnte sie die Vorboten einer Kolonialisierung sein, die vllt iwann nötig sein wird. Beim Mars wäre es z.B. sinnvoll, vorher durch einige Robotermissionen Habitate und Gewächshäuser aufbauen zu lassen, damit die Menschen keine leere Wüste vorfinden wie Curiosity.
Ich bin gespannt^^
Hallo. Wie sieht es denn aus mit zukünftigen bemannten Mars Missionen ist bei diesen geplant das die Besatzung auch wieder nach hause kommt?
Zur Zeit können wir noch nicht abschätzen wie verbreitet das Leben im Universum ist. Nachdem wir aber noch keine außerirdischen Radiosignale o. ä. empfangen kann man leicht den Standpunkt vertreten dass intelligentes außerirdisches Leben wohl sehr selten ist. Ich sehe daher die bemannte Raumfahrt als sehr wichtig an. Mittelfristig sollte sie der Menschheit ermöglichen sich auch auf anderen Planeten anzusiedeln. Sonst werden wir hier auf der Erde früher oder später aussterben. Ich bin für mehr Redundanz!
Ich glaube, in dieser Analyse gibt es eine Reihe von Denkfehlern. Würde man dieser Argumentation folgen, so wüssten wir heute zwar, dass der Amerikanische Kontinent existiert, aber wir hätten keine Möglichkeit geschaffen, dorthin zu reisen. Die Reise wäre teuer, gefährlich und aufwändig, es müssten große, hochseetüchtige Schiffe gebaut werden, und es müssten Seeleute speziell für diese Mission ausgebildet werden. Das ist ja geradezu undenkbar. Und bewusstseinserweiternd wäre diese Reise eventuell auch nicht. Zu Kolumbus‘ Zeiten hätte man vielleicht für diese Sichtweise Verständnis gehabt, aber heute sicher nicht mehr.
Das gleiche Szenario könnte man ein paar tausend Jahre früher anwenden, als der erste Mensch beschloss, sich auf die Reise in das benachbarte Tal zu machen, von dessen Existenz er durch einen Blick vom Baum neben seiner Höhle wusste.
Vor diesem Hintergrund halte ich Weinbergs Argumentation der fehlenden Bewusstseinserweiterung für absurd. Wodurch hat der Mensch eine Möglichkeit, sein Bewusstsein zu erweitern, wenn nicht durch eine Reise zu einem fernen Ort?
Natürlich kann man angesichts einer jahrelangen Reise zum Mars die berechtigte Frage stellen: Was bringt mir das? Aber diese Frage führt uns unvermeidbar zur nächsten Frage: Was _will_ ich denn überhaupt? Reicht mir Fortpflanzung, Bier trinken und Fußball schauen (was auf auf einen gewissen Teil der Menschheit vielleicht zutrifft), oder will ich doch mehr? Reisen zum Mars werden alleine deswegen irgenwann stattfinden, weil es Menschen geben wird, die dorthin *wollen*, aus welchen Gründen auch immer.
Vorausgesetzt, das ganze ist technisch überhaupt möglich. Aber vor tausend Jahren hätte auch niemand geglaubt, dass es irgenwann Aluminiumröhren geben wird, die uns in wenigen Stunden zum gegenüberliegenden Rand der Scheibe bringen.
Wir haben gerade erst angefangen zu denken und zu laufen, und wir werden sicher nicht wieder damit aufhören wollen.
Die Aussage von John F. Kennedy, 12. September 1962 ist doch deutlich:
Bei der bemannten Raumfahrt geht es nicht um die Erforschung des Weltalls sondern um die Erforschung der Raumfahrttechnologie aus welchen Gründen auch immer. Die Formulierung der Forschungsaufgaben für diese Raumfahrer war immer sekundär. Die Frage, ob dieselben Forschungsergebnisse mit unbemannten Sonden auch oder besser zu erreichen gewesen wären, spielte aus politischen Erwägungen keine Rolle.
@ Ludger „Bei der bemannten Raumfahrt geht es nicht um die Erforschung des Weltalls sondern um die Erforschung der Raumfahrttechnologie“
Das stimmt heute nicht mehr. Sie haben insofern Recht, dass Raumfahrt immer auch politischen Zielen und nationalen Interessen dient, die wenig mit Wissenschaft zu tun haben. Die Präsenz von Fahnen auf dem Mond und im Orbit hat ihren Preis, aber sie hat selbstverständlich auch zu wissenschaftlichem Fortschritt in der Raumfahrttechnologie geführt, da man jetzt weiß, wie eine Toilette beschaffen sein muss, dass sie in der Schwerelosigkeit funktioniert. Dass außer den USA und Russland nun auch andere Nationen „ihren Mann“ im All haben wollen, hat weder mit der Erforschung des Alls noch mit der Verbesserung der Raumfahrttechnologie zu tun, sondern ausschließlich mit politischen und ökonomischen Herrschaftsansprüchen.
Nur, Hubble wurde bewusst so konstruiert, dass bemannte Missionen notwendig sind, um das Teleskop funktionsfähig zu erhalten. Die Kosten für mehrere „Einweg-Teleskope“ wären den Experten zufolge nicht höher.
Die Wissenschaft braucht die bemannte Raumfahrt nicht mehr. Aber wie auch immer, mir ging es um die ethischen Konsequenzen einer Entscheidung für bemannte Missionen, denn auch eine nichtexperimentelle Mission mit richtigen Astronauten wirft diese Frage auf. Umso mehr, wenn einmal auf allen Planeten dieses Sonnensystems Flaggen aufgestellt werden sollen – nur weil man es kann.
Schon richtig: Technologie ist auch eine Wissenschaft und auch die derzeitige Marsmission mit Curiosity steht auf den Schultern der Mondmissionen. Nur auf der to do -Liste steht die Lösung des Toilettenproblems deutlich vor den Forschungsaufgaben der Astronauten. Welche Forschung machen denn die Astronauten der ISS zur Zeit besser und billiger als es eine unbenmannte Station könnte? Derzeitige Marschrichtung: wir bringen Menschen in den Orbit/ zum Mond/ auf den Mars – was die dann dort machen sollen, wird sich zeigen.
Bei einer Kosten/Nutzen-Analyse wird die bemannte Raumfahrt sicherlich immer durchfallen. Aber der wirtschaftliche Nutzen spielt eigentlich gar keine Rolle. Ein gewisser Prozentsatz der Menschen ist von Natur aus Neugierig und hat den Drang das Unbekannte zu erforschen. Dieses Bedürfnis wird am besten Befriedigt wenn man persönlich überall hin fliegt und sich alles ansehen kann. Das heisst jetzt nicht das man unbedingt Steuermittel dafür einsetzten sollte.
Wer mehr zu den konkreten Plänen und Vorbereitungen für einen bemannten Marsflug wissen will, kann viel Interessantes unter mars500 finden:
https://www.esa.int/SPECIALS/Mars500/
Ganz klar wird man mit den psychologischen Faktoren das grösste Fragezeichen am Wickel haben.
Ich finde es auch ziemlich schwierig, eine klare Haltung zur bemannten Raumfahrt zu haben, das ist aber sicher zu aller erst mal dem Fakt geschuldet, dass ich keine Sachkunde zu habe sondern „nur“ ein neugieriger Mensch bin, der (die) sich nachts gerne den Hals verrenkt, um Sterne zu kucken.
Dass Astronauten allerdings nur mehr lebende Reparaturapparate sein sollen, nein, das ist, glaube ich, ein bisschen ungerecht.
Viele haben einen eigenen wissenschaftlichen Hintergrund und sehen sich als Teil eines grossen Projektes, und sind bereit, sich ganz in den Dienst dieser Forschung zu stellen.
Allein der Sektor Weltraum-Medizin hat schon einiges an Erkenntnissen auch hier für uns Erdenkrabbler gebracht (Quelle war ein Interview mit Dr. Trümper in einer Folge des Raumzeit-Podcast, müsste ich nochmal nachschauen wenn jemand mehr wissen will).
@Tibor: Diesen Satz hier aus Deinem Artikel verstehe ich nicht so richtig:
„Zum einen verachtet der Astronaut den nur virtuell reisenden Astronomen und unterstellt ihm, den Menschen seiner Natur zu entfremden, zum anderen muss der künftige Astronaut seine Natur überwinden, um noch Astronaut sein zu können.“
Wieso verachtet der Astronaut den „virtuell reisenden Astronomen“?
Wieso sollte er ihn überhaupt verachten?
Ohne Astronomie keine Raumfahrt, egal ob mit Menschen in Raumschiffen oder Robotern…und ohne neugierige Menschen keine Astronomie und so weiter und so weiter…
Sicher darf man die ethischen Faktoren nicht vergessen, und Vorschläge wie die Ansiedelung von menschlichen Embryonen auf dem Mars…das ist schon ganz schön weit gedacht, das kannte ich noch gar nicht.
Das gleiche Problem (der Ethik) hat man aber fast in jeder Naturwissenschaft.
Wie weit darf man gehen um der Erkenntnis willen?
Auch hier auf der Erde bewegen wir uns ja immer wieder in Grenzgebieten, wenn es z.B. um Neurologie oder Genetik geht.
Viele Menschen ängstigt es, wie weit man mittlerweile ist und was man bereit ist zu tun, um noch weiter zu kommen.
Wer bestimmt, wo und wann Schluss ist mit weiter forschen?
@Tibor: Diesen Satz verstehe ich auch nicht so ganz:
„Bemannte Raumfahrt muss letztlich den Körper überwinden, um weite Räume überwinden zu können, aber sie wird dabei nie transzendent werden, sondern nur unethisch.“
Will Raumfahrt überhaupt transzendent sein?
Ich dachte, es geht um das Sammeln von Fakten.
Den Körper kann man sowieso nicht „überwinden“, höchstens anpassen/bestmöglich schützen.
Und wie ist das an dieser Stelle mit „unethisch“ gemeint?
Sorry, wenn ich da ein bisschen auf der Leitung stehe, vielleicht ist es für andere ganz offensichtlich.
Den Film werde ich mir auf jeden Fall anschauen, klingt spannend!
LG Meike
@wissenslücke
Es geht wohl um die physischen Beschränkungen unseres (heutigen) Körpers, die es zu überwinden gilt. Das betrifft Dinge wie mentale Festigkeit, das Meistern gesundheitlicher Probleme wie Strahlung, Knochenabbau, Vitaminmangel, wie auch die Möglichkeit, lange Flugzeiten zu überbrücken. Um zu anderen Sternen zu fliegen, sind so lange Flugzeiten nötig, dass es am sinnvollsten wäre, die Besatzung für den größten Teil der Zeit irgendwie einzufrieren oder in Winterschlaf zu versetzen, nur sind wir dazu nicht in der Lage, und unser Körper ist möglicherweise nicht dazu geeignet, obwohl z.B. viele Säugetiere winterschlafen können – bei verringerter Körpertemperatur und reduziertem Stoffwechsel. Vielleicht wäre eine Veränderung unseres Genoms in der Lage, uns den Winterschlaf zu ermöglichen, uns strahlungsfester zu machen oder dem Knochenabbau vorzubeugen. Das bringt uns aber direkt zu ethischen Fragen:
Ist es ethisch vertretbar, Menschen zu „züchten“, die für den Weltraumflug besser geeignet sind? Ist es ethisch vertretbar, ein Generationenschiff auf den Weg zu einem anderen Stern zu schicken, wobei Generationen von Kindern geboren werden, die nie gefragt wurden, ob sie überhaupt an einem solchen Unternehmen beteiligt sein wollen? Ganz zu schweigen von den Fragen, die entstehen, wenn man auf außerirdische Lebensformen trifft (das müssen nicht mal intelligente Aliens sein; schon das Einbringen irdischer Bakterien in eine fremde Ökosphäre, die möglicherweise auch nur Bakterien umfasst, wirft ethische Fragen auf).
Ich denke, in diesem Sinne ist der Satz zu verstehen.
@ Alderamin, Danke, genauso ist es.
@ wissenslücke
„Wieso verachtet der Astronaut den ‚virtuell reisenden Astronomen‘“?
Chretien hat es doch deutlich gesagt: Der Verzicht auf die bemannte Raumfahrt bedeute, dass der Mensch seiner Natur entfremdet werde. Da die Astronomie den Astronauten nicht mehr benötigt, ist sie die Verursacherin des von Chretien konstatierten gesellschaftlichen Verfalls. Dazu kommt, dass der Ingenieur/der Pilot als Typus sich als Macher versteht und den passiven Denker ablehnt. Das ist natürlich pauschalisierend und trifft auf viele der heutigen Wissenschaftler-Astronauten sicher nicht zu, aber alle, die von der ISS zurückkehren, beschreiben die Faszination der sinnlichen Erfahrung und die Notwendigkeit ihrer Wiederholung. Die hat jedoch keinen wissenschaftlichen Wert, der über das subjektive Erleben hinausgeht.
„Ohne Astronomie keine Raumfahrt“
Sicher, aber ohne Raumfahrer durchaus Astronomie. Im Übrigen waren die ersten Raumfahrtmissionen alles andere als zivil-wissenschaftlich motiviert. Bis zum Ende des kalten Krieges war Raumfahrt (und ist es heute sicher nicht weniger) ein Bereich des militärischen Komplexes, da machen auch die Mondlandungen und das Space Shuttle-Programm keine Ausnahme. Astronomen wurden immer als ‚Zulieferer‘ der militärisch nutzbaren Raumfahrt betrachtet.
„Will Raumfahrt überhaupt transzendent sein?“
Transzendenz meint Selbstüberschreitung im Sinne des Überwindens des bloß sinnlich Erfahrbaren. Bis auf Weiteres ist der Mensch aufgrund seiner körperlichen Beschränkungen nicht in der Lage, über eine bestimmte Grenze hinaus sinnliche Erfahrungen zu machen, also zum Beispiel radioaktive Strahlung zu fühlen oder zum Jupiter zu reisen. Diese Grenze kann in manchen Bereichen wie der Raumfahrt vielleicht hinausgeschoben, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nie gänzlich aufgehoben werden. Wie gesagt, hat aber z.B. Voyager inzwischen eine Bedeutung, die über das reine Faktensammeln hinausgeht, und ist also, warum nicht: ein transzendentes Wesen.
Schönen Gruß!
hm…
Danke für Eure Antworten.
Kapieren tu es allerdings ich immer noch nicht so richtig.
„Der Verzicht auf die bemannte Raumfahrt bedeutet, dass der Mensch seiner Natur entfremdet wird“
Versteh nur Weltraum-Bahnhof.
Es wird doch sonst immer anders herum argumentiert:
Die Technik, die man benutzt, die „künstliche Umgebung“ die wir uns mit einer Raumstation o.ä. erschaffen, das empfinden doch viele Menschen als Entfremdung von unserem irdischen Dasein.
Und nun soll ausgerechnet das Verzichten auf die bemannte Raumfahrt den Menschen von der Natur entfremden?
Bin verwirrter als vorher 😉
noch ein Satz mit Fragezeichen:
„Dazu kommt, dass der Ingenieur/der Pilot als Typus sich als Macher versteht und den passiven Denker ablehnt.“
Was ist ein „passiver Denker“? Wer ist damit in diesem Kontext gemeint?
@ wissenslücke
Die erste Formulierung bezieht sich auf die Annahme, die Natur des Menschen sei es, in die Welt hinaus zu gehen und aktiv zu sein, zu entdecken und etwas aufzubauen, kurz: Wissen zu sammeln und Fortschritt zu generieren.
Die andere Formulierung ist etwas schräg geraten, ja, aber ‚passiv‘ steht hier im Gegensatz zu ‚machen‘, wer also nur denkt und nicht im obigen Sinne etwas ‚macht‘, ist angeblich kein richtiger Mensch. Das haben uns ja schon Generationen von Sportlehrern eingebleut.
So.
Film angeschaut.
Sorry, wenn ich den Film vorher gekuckt hätte, hätte ich meine Fragen gar nicht stellen müssen…
Die verschiedenen Positionen fand ich eigentlich ganz gut vertreten.
Steve Weinberg bringt es eigentlich auf den Punkt:
Die Menschen suchen einfach Herausforderungen, und solange sich Geldgeber finden lassen, werden sie`s machen.
Warum man allerdings keine Bewusstseinserweiterung erfahren soll, wenn man den Fuß auf einen anderen Planeten setzt oder die Erde aus der ISS sehen kann – ok, das ist wohl subjektiv sehr verschieden.
Die Sache mit der Ethik…ja, die werden wir immer wieder neu aufrollen müssen.
Nicht nur in Sachen All, auch hier auf der Erde.
Ich bin wirklich gespannt, ob es weiter gehen wird mit den Menschen im All.
Der tolle Beitrag von Alderamin hier: https://www.scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2012/08/uber-die-beinahe-unmogliche-interstellare-raumfahrt.php
klärt ja ganz wunderbar auf über alles Mögliche und Unmögliche rund um interstellare Flüge.
Ist eine super Ergänzung, wenn man gerade sowieso das Thema am Wickel hat – egal ob mit oder Menschen im Raumschiff.