Eines der ersten Dinge, die mich an der Mathematik wirklich fasziniert haben, war die Mengenlehre von Georg Cantor. Ich weiß nicht mehr in welchem Buch ich das erste Mal auf sein berühmtes zweites Diagonalargument gestoßen bin. Aber ich fand es enorm faszinierend. Und unheimlich. Ich finde es auch heute noch fantastisch. Cantor konnte zeigen, dass „unendlich“ nicht alles ist. Er zeigte, dass es Mengen gibt, die mehr Elemente enthalten, als eine normale unendliche Menge. Es gibt mehr reelle Zahlen als natürliche Zahlen (1,2,3,4 usw) – obwohl es von denen schon unendlich viele gibt! Und es gibt Mengen, die mehr Elemente enthalten, als die reellen Zahlen. Und Mengen, die noch größer sind als diese. Und so weiter. „Unendlich“ heißt nicht einfach nur: „viel mehr als man sich vorstellen kann“. Es gibt verschieden große Unendlichkeiten – unendlich viele.
Das neueste Video von minutephysics demonstriert Cantors Argument recht schön:
Mann! Das kannst Du nicht mit mir machen! Ich habe schon UNENDLICH so nicht verstanden!
So ähnlich muss es sich auch mit dem Internet verhalten: Es egibt dort „unendlich“ viel Müll und Unsinn, und doch sprießen zwischen zwei Unsinnsseiten immer noch ungezählte neue unsinnige Seiten. Also ist der Müll im Netz überabzählbar unendlich, und die guten Seiten – wie hier – leider nur endlich oder bestenfalls abzählbar unendlich… 🙂
Aber ulf_der_freak, es geht doch nicht ums Verstehen des Unendlichen, sondern ums Zählen bis unendlich. Chuck Norris hat das auch schon geschafft.
Mehrfach.
ha! Du magst unendlich sein, ich bin aber überabzählbar!
Sehr schöner Beitrag, danke.
Ich habe mich erst letzte Woche selber nochmals nach längerer Zeit mit Cantors zweitem Diagonalisierungsargument beschäftigt und stimme absolut zu, das ist faszinierend.
Allerdings finde ich, dass zu dem Thema noch einiges mehr – auch hier – gesagt werden sollte. Wenn ich Leuten dieses Konzept der Überabzählbarkeit nahebringe, fange ich – das Interesse meines Gesprächspartners natürlich vorausgesetzt – meine Erläuterung mit dem ersten Diagonalisierungsargument an um dann mit Euklids Beweis der irrationalität der Wurzel Zwei schlüssig zu argumentieren, dass R\Q != {}, es also irrationale Zahlen gibt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Cantors_erstes_Diagonalargument
https://de.wikipedia.org/wiki/Euklids_Beweis_f%C3%BCr_Irrationalit%C3%A4t_von_Wurzel_2
Dann davon ausgehend gibt es weitere schöne Beobachtungen, die über die Unendlichkeit getroffen werden können. Siehe etwa
https://de.wikipedia.org/wiki/Achilles_und_die_Schildkr%C3%B6te
https://de.wikipedia.org/wiki/Pfeil-Paradoxon
Viele Grüße,
Marcus
Die Faszination über Cantors Diagonalargument kenne ich, war zu Beginn meiner Mathevorlesungen im Informatikstudium.
Mir ist damals auch sofort ein Gegenargument eingefallen – ich warte eigentlich noch drauf, dass mir jemand mal ausführlich erklärt, wo ich da in Gedanken falsch liege. Vielleicht ist ja ein Mathematiker anwesend, der das kann:
Reelle, nicht rationale Zahlen sind zwar nicht als Bruch oder periodische Zahl aufschreibbar, aber sie sind ja trotzdem irgendwie aufschreibbar. Etwa als unendliche Reihe, unendliche Summe o.ä.. Man könnte dafür sicher irgendwie eine einheltiche Syntax definieren, entweder mit mathematischen Symbolen oder auch als Programmquellcode oder ähnliches.
Nun könnte man diesen „Aufschrieb“ digitalisieren (je nach Form in Pixeln oder durch übersetzung der Symbole, egal) – eine „Digitalisierung“ ist aber wiederum als natürliche Zahl aufschreibbar. Und somit hätten wir eine Abbildung von R auf N.
Wie gesagt: Ich weiß selbst nicht, wo mein Denkfehler liegt.
@Hanno So verkehrt ist deine Idee sicher nicht. Aber finde eine einheitliche Schreibweise, mit der du alle reellen Zahlen darstellen kannst und dann zeige, dass sie bijektiv auf die natürlichen Zahlen abbildbar ist. Ich befürchte leider, das wird unmöglich sein
Abgesehen von der Verfeinerung irrational -> algebraisch / transzendent ist der Beweis der Überabzählbarkeit zwingend. Punkt.
@Hanno: Ganz einfach. Dein Algoririthmus produziert nacheinander reelle Zahlen x1, x2, x3, … Cantors zweites Diagonalargument sagt aber gerade, dass eine solche auflistung nicht vollständig ist. Der von dir gewünschte Algorithmus kann nicht existieren. (Der Rest der Überlegung wäre aber korrekt).
@Hanno Eine vielleicht etwas logischere Idee noch: Du willst deine reellen Zahlen einfach nur in einem anderen System darstellen. Das produziert aber logischerweise Zahlenbeschreibungen, die eineindeutig auf Zahlen des herkömmlichen Dezimalsystems abbildbar sind. Daher existiert hier eine Bijektion. Die Mächtigkeit der Menge deiner „neuen Zahlen“ ist also zwingend so groß wie die der reellen Zahlen. Damit kannst du auch die herkömmlichen Dezimalzahlen betrachten und dein neues System bringt dir gar nichts
Sehr schön formuliert und im großen und ganzen verständlich.
Cantor wurde doch dann leider auch verrückt.
Er war der festen Überzeugung, seine Mengenlehre wäre göttlicher Herkunft und ihm eingegeben worden und jede Kritik daran Gotteslästerung.
Wahnsinn ist unter Mathematikern aber zum Glück normal.
Mein Liebling ist da aber Oliver Heaviside, der ist äußerlich bis auf seine pink lackierten Fingernägel verwahrlost und seine Wohnung mit Granitblöcken zugestellt.
@Hanno: Der umgekehrte Schluss hier ist die Nichtexistenz einer Möglichkeit, alle reellen Zahlen in einem endlichen Wort niederzuschreiben, egal welche Symbolik oder Algorithmik man wählt. Es gibt immer unendlich viele reelle Zahlen, die in dem gewählten System nicht niedergeschrieben werden können (oder das Wort wird eben unendlich lang).
@Hanno
Deine Argumentation zeigt, dass die berechenbaren reellen Zahlen (d.h. solche reellen Zahlen, die von einem Computerprogramm Dezimalstelle fuer Dezimalstelle ausgegeben werden koennen) nur abzaehlbar viele sind. Insbesondere sind alle „fast alle“ reellen Zahlen nicht berechenbar.
Als Bonus gibt es dann noch das folgende: Es gibt keine berechenbare Aufzaehlung der berechenbaren reellen Zahlen – denn dagegen koennte man ja auch wieder Diagonalisieren.
Wenn ich mich recht erinnere, wurde das auch sehr intensiv in einem der „Gelehrten der Scheibenwelt“- Büchern beschrieben. Da war auch nen Beispiel mit einem Hotel mit unendlich vielen Räumen und so. Ich fands zwar sehr faszinierend, aber für mich recht schwer zu folgen.
@Adromir: Das Hotel heißt Hilbert’s Hotel und wird z.B. hier erklärt:
https://www.youtube.com/watch?v=faQBrAQ87l4
Ich als mathematisch komplett Unbedarfter verstehe das nicht so ganz: Geht es darum eine Einteilung vorzunehmen, die eine unendlich lange Linie unterteilt, und dann die Unterteilung nochmals zu unterteilen? So daß doppelt soviele Werte herauskommen, obwohl anfangs sowieso schon unendlich viele Werte herauskamen?
@Jean-Louise: „So daß doppelt soviele Werte herauskommen, obwohl anfangs sowieso schon unendlich viele Werte herauskamen? „
Nein, mit Verdoppelung hat das nichts zu tun. Unendlich plus Unendlich ist Unendlich (und zwar genau gleich „viel“ unendlich). Cantor hat gezeigt, dass die Menge der reellen Zahlen nicht abzählbar ist. Selbst wenn ich mit 1,2,3 anfange und bis in alle Ewigkeit weiterzähle, werde ich immer noch unendlich viele reelle Zahlen nicht gezählt haben.
Da muss ich jetzt unwillkürlich an den alten Chuck-Norris-Klassiker denken:
Chuck Norris hat komplett bis unendlich gezählt….zweimal! 😀
*räusper* und ein fröhliches ‚Guten Morgen!‘, Piepsi 😉
Die Argumentation von Cantor’s 2. Diagonalargument ist m.E. löchrig wie ein Schweizer Käse und alles andere als beweiskräftig (mir ist übrigens auch noch nie eine Formalisierung jenes „Beweises“ untergekommen).
Widerlegt werden soll (durch Widerspruchsbeweis) die Abzählbarkeit von IR, d.h., dass es eine Folge gibt, welche sämtliche reellen Zahlen enthält.
Cantor möchte nun – qua Konstruktion – die Existenz einer Diagonalzahl d zeigen, welche nicht in dieser Folge enthalten sei. Offenbar wäre d aber in jedem Fall reell, träte gemäß Voraussetzung (!) also ebenfalls (an irgendeinem Index) in obiger Folge auf – und dieser Schluss ist stringent. Cantor behauptet hier also die Existenz einer reellen Zahl („Diagonalzahl“), welche sich an mindestens einer Stelle auch von sich selbst unterscheide, was aber unmöglich der Fall sein kann. Das Konstruktionsverfahren ist folglich als widersprüchlich und der Beweis als ungültig zurückzuweisen.
Auch unter renommierten Mathematikern ist Cantors Beweis übrigens auf diverse Kritik gestoßen und bis heute umstritten, wobei ich die Diskussion hierzu jetzt allerdings (und leider) nicht im Detail kenne. Aber es steckt schon eine gewisse Ironie dahinter, dass gerade jemand, der sich sonst so gerne als Skeptiker und Vertreter eines kritischen Zeigeistes versteht, hier so unkritisch, unreflektiert, auch noch viel zu knapp, aber fast schon pathetisch („faszinierend“, „unheimlich“, „fantastisch“) über das 2. Cantor’sche Diagonalargument schwadroniert.
Ich schätze, dieser Blogeintrag schreit förmlich nach einer Fortsetzung… ;p
@Noumenon
Mir schon und zwar z.B.
Im Buch von Jech, Kapitel 3, Theorem 6 (ab Seite 22)
Nein, der Beweis ist deswegen nicht ungültig, sondern die Voraussetzung, dass $\latex \mathbb R$ abzählbar ist. Damit ist bewiesen, dass $\latex \mathbb R$ überabzählbar ist.
Kannst du einen renommierte Mathematiker aus der Gegenwart nennen, der Cantors Beweis ablehnt?
Außerdem – Hilbert’s Hotel funktioniert ja bereits mit abzählbar unendlichen Mengen.