Der Titel so mancher wissenschaftlichen Arbeit klingt langweilig, technisch oder gar abschreckend. Manchmal muss man erst etwas genauer hinsehen, um die faszinierenden Wissenschaft zu erkennen, die dahinter steckt. Ein Beispiel dafür ist die Arbeit mit dem Titel „Detection of atomic carbon [CII] 158 micron and dust emission from a z=7.1 quasar host galaxy„.
Formeln. Zahlen. Komische Klammern. Und was soll an irgendeiner Kohlenstoff-Emission interessant sein? Also: Lasst uns den Titel Stück für Stück auseinander nehmen! Dann wird schnell klar, dass es sich hier wirklich um sehr coole Forschung handelt.
Die erste wichtige Information steckt in der Gleichung „z=7,1“. z steht in der Astronomie meistens für den Wert der sogenannten „Rotverschiebung“. Das Universum dehnt sich aus und die Galaxien entfernen sich voneinander und zwar um so schneller, je weiter sie voneinander entfernt sind. Diese Expansion misst man über eine Verschiebung der Spektrallinien, die um so stärker in Richtung des roten Ende des Spektrums verschoben sind, je schneller sich eine Galaxie bewegt. Ich habe das in diesem Artikel ganz ausführlich erklärt. Je größer die Rotverschiebung, desto weiter entfernt ist die Galaxie. Je weiter entfernt eine Galaxie ist, desto länger braucht auch ihr Licht bis zu uns. Bei einer weit entfernten Galaxie blicken wir also auch immer tief in die Vergangenheit.
In diesem Fall sagt uns der Titel der wissenschaftlichen Arbeit, dass eine Galaxie behandelt wird, die einen Quasar beherbergt („quasar host galaxy“) und eine Rotverschiebung von 7,1 aufweist. Das bedeutet, dass wir die Galaxie so sehen, wie sie circa 740 Millionen Jahre nach dem Urknall ausgesehen hat. Das sind gerade einmal 5 Prozent der gesamten Lebensdauer des Universums (es ist knapp 13,7 Milliarden Jahre alt). Die Galaxie ist also wirklich noch sehr jung. Sie ist auch noch aktiv. Das bedeutet, in ihrer Mitte sitzt ein supermassereiches schwarzes Loch, das von Gas und Staub umgeben ist. Dieses Material kreist um das Loch und fällt hinein. Dabei wird viel Strahlung frei und die macht das Zentrum der Galaxie enorm hell. So ein aktives Galaxienzentrum nennt man „Quasar“.
Die Wissenschaftler aus Großbritannien und Deutschland, die die Arbeit mit dem Titel „Detection of atomic carbon [CII] 158 micron and dust emission from a z=7.1 quasar host galaxy„ veröffentlicht haben, haben also eine Galaxie mit einem aktiven supermassereichen schwarzen Loch entdeckt, die noch sehr jung ist. Daran ist erstmal noch nichts allzu dramatisches. Aber da ist ja noch der Teil mit der „carbon and dust emission“. Es wurde also Staub entdeckt, der das schwarze Loch umgibt. Auch das ist nicht weiter überraschend – wenn keine umfangreiche Scheibe aus Gas und Staub existiert, die das schwarze Loch umgibt, dann ist es auch nicht aktiv und man kann es – vor allem in so einer Entfernung – nicht sehen. Es ist der Kohlenstoff („carbon“), der die Sache so wirklich interessant macht. In der Scheibe um das schwarze Loch haben die Wissenschaftler also Strahlung gemessen, die zeigt, dass dort Kohlenstoff existiert. Und das ist wirklich überraschend.
Denn Kohlenstoff gibt es nur, weil es Sterne gibt. Beim Urknall selbst entstand nur Wasserstoff, Helium und ein bisschen Lithium. Alle anderen chemischen Elemente wurden erst durch die Kernfusionsprozesse erzeugt, die im Inneren von Sternen ablaufen. Wir sehen also eine Galaxie, die viel Kohlenstoff enthält und trotzdem sind seit dem Urknall erst 740 Millionen Jahre vergangen. In diesen 740 Millionen Jahre muss es also schon massive Sternentstehung gegeben haben. Diese Sternen haben in ihrem Inneren Kohlenstoff produziert. Als sie dann am Ende ihres Lebens explodierten, haben sie den Kohlenstoff ins All gepustet und er hat sich in der großen Staub- und Gasscheibe um das supermassereiche schwarze Loch der beobachteten Galaxie angesammelt.
Die Entstehung der ersten Sterne hat also schon relativ kurz („kurz“, gemessen in astronomischen Maßstäben) nach dem Urknall begonnen. Die Wissenschaftler haben außerdem herausgefunden, dass in der Galaxie immer noch Sterne entstehen und das mit einer hundert Mal höheren Rate als heute in unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße. Eine ziemlich coole Entdeckung – und das trotz des auf den ersten Blick eher etwas langweiligen Titels 😉
Den Rekord für „faszinierende Wissenschaft hinter langweilig klingendem Titel“ hält ja wohl immer noch „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“… 😉
@Bjoern: Stimmt – obwohl „A Measurement of Excess Antenna Temperature at 4080 Mc/s.“ auch ein heißer Kandidat für den Rekord ist 😉 https://articles.adsabs.harvard.edu//full/1965ApJ…142..419P/0000419.000.html
Hallo. Eine kurze Verständnisfrage von einem absoluten Laien:
„Die Wissenschaftler haben außerdem herausgefunden, dass in der Galaxie immer noch Sterne entstehen und das mit einer hundert Mal höheren Rate als heute in unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße.“
Damit ist doch (nur) die heutige Beobachtung der besagten Galaxie gemeint, denn AKTUELL gibt es dort „hinten“ doch bestimmt keine Galaxie mehr, in der noch irgend etwas entsteht. Oder habe ich da etwas falsch verstanden?
Danke für eine Antwort/Aufklärung.
Wladimir
Das ist genau richtig. Wenn man ferne Galaxien beobachtet, blickt man in die Vergangenheit, da das Licht dieser Galaxien sehr lange zu uns unterwegs war. Man kann über diese Galaxien nur aussagen, was man anhand dieses „sehr alten“ Lichts aus der Vergangenheit sieht. Wie es dort heute aussieht, kann man nicht beobachten.
Man beobachtet solche Galaxien aber nicht, weil man speziell an diesen Galaxien interessiert ist. Vielmehr geht man davon aus, dass sich das Weltall überall gleich entwickelt hat. Eine Beobachtung einer solch fernen Galaxie sagt uns also etwas über die Entwicklung von Galaxien nach dem Urknall insgesamt aus. Auch in unserer Galaxis hat es demnach zu Beginn eine viel höhere Sternentstehungsrate als heute gegeben. Einfach, weil anfangs viel Gas noch nicht in Sternen gebunden war.
Heute ist das meiste Gas in Sternen gebunden und wird lediglich bei deren Tod zum Teil wieder in den Weltraum geblasen, so dass daraus neue Sterne, Planeten, und vielleicht auch Lebewesen entstehen können. Auch die meisten Atome in unserem Körper haben mindestens einen solchen Zyklus hinter sich und sind einmal bei Millionen Graden in einem Stern entstanden, den es heute nicht mehr gibt.
Das spricht aber gegen die gleichmäßige kosmische Hintergrundstrahlung. Müsste es da nicht mehr Konzentrationen geben ?
Wundervoll erklärt, und cool ist das wirklich! Und mich plagt der Verdacht, dass Naturwissenschaftler Kurse im Überschriften finden brauchen, obwohl die “ Zur Elektrodynamik bewegter Körper“ doch gelungen ist 🙂
@JensL
Warum? Was soll die damit zu tun haben?
@JensL: „Das spricht aber gegen die gleichmäßige kosmische Hintergrundstrahlung.“
Ne, das hat damit nichts zu tun. Aus der Hintergrundstrahlung lässt sich die Sternentstehung nicht ablesen. Außerdem ist sie ja nicht exakt gleichmäßig…
Exakt nicht, aber es sind nur auch paar milliprozentchen Abweichung, wenn es aber zu so frühen Sternbildungen gekommen ist, hätte ich da auch ein gröbere Streuung vermutet. Interessant ist es allemal, da für Kohlenstoff ja schon etwas Temperatur und Druck notwendig ist.
@Bjoern
Also ich finde so einen unaufgeregten Titel geradezu köstlich und erstrebenswert.
Ich sehe mich durch den, anscheinend allgemein als notwendig empfundenen, Wettbewerb zum immer noch mehr marktschreierisch übersteigerten Titel mit gefährlicher Nähe zur Hysterie, immer nur noch mehr abgeschreckt.
@Florian
Ein interessanter Artikel mit akzeptablem Titel . Die Geschichte mit dem Titel der Forschungsarbeit ist aber dafür sehr schön von Dir beobachtet.
^_^
Das finde ich nicht so verwunderlich. Frühe Sterne geringer Metallizität waren vorzugsweise Giganten mit extrem kurzer Lebensdauer. Die müssen das Universum schon viel eher mit Kohlenstoff geflutet haben!!!