Richard Feynman war nicht nur ein bemerkenswerter Physiker, er war auch ein äußerst interessanter Mensch. Wer sein bekanntes Buch Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman!: Abenteuer eines neugierigen Physikers gelesen hat, weiß darüber Bescheid. Es gibt aber auch ein zweites, etwas weniger bekanntes Buch, das die faszinierende private Seite von Feynman fast noch besser illustriert: Tuva or Bust! Richard Feynman’s Last Journey, geschrieben von Feynmans Freund Ralph Leighton. Ich habe es schon vor Jahren gelesen, dann irgendwann mal bei einem Umzug verloren und nachdem es mir ein sehr netter Blogleser kürzlich zum Geschenk gemacht hat, mit großer Freude wieder gelesen. Das solltet ihr auch tun!
Die Geschichte beginnt mit einer Konversation beim Abendessen. Feynman und Ralph Leighton diskutieren über Geografie. Leighton war Lehrer und Feynman meinte, er würde gerne Geografie unterrichten. Alle wollten ihr geografisches Wissen demonstrieren und irgendwann stellte Feynman die Frage, mit der alles begann: „Okay, then what ever happened to Tannu Tuva?“ Als Kind hatte er Briefmarken gesammelt und ein paar besonders schöne stammten aus einem Land namens „Tuva“. Heute schien dieses Land niemand mehr zu kennen. In einem Atlas fanden die beiden schließlich eine sowjetische Provinz: „Tuvinskaya ASSR“, die sich als das vermisste Land herausstellt.
Zwischen 1921 und 1944 war Tuva tatsächlich ein eigenständiges Land bevor es dann nach dem 2. Weltkrieg von der Sowjetunion verschluckt wurde. Feynman, Leighton und der Rest der Tischgesellschaft waren jedenfalls begeistert von diesem Land:
„Look at this“, remarked Richard. „The capital is spelled K-Y-Z-Y-L.“
„That’s crazy,“ I said. „There’s not a legitimate vowel anywhere!“
„We must go there,“ said Gweneth.
„Yeah!“ exclaimed Richard. „A place that’s spelled K-Y-Z-Y-L has just got to be interesting!“
Richard and I grinned at each other and shook hands.
Feynman und Leighton beschlossen also, nach Tuva zu reisen. Das war natürlich nicht so einfach. Es herrschte der tiefste kalte Krieg und Amerikaner konnten nicht so einfach auf eigene Faust in eine abgelegene sowjetische Provinz fahren. Noch komplizierter wurde die Sache, als sich herausstellte, dass die Sowjets dort Uran abbauten. Der berühmte Richard Feynman, der in den 1940er Jahren am Bau der amerikanischen Atombombe beschäftigt war, will also auf einmal die sowjetische Uranabbauregion besuchen. Und er behauptet, er würde das tun, weil man die Hauptstadt dort „K-Y-Z-Y-L“ buchstabiert. Das würde ihnen der KGB niemals abkaufen, meinte Feynman…
Sie überlegten aber natürlich trotzdem weiter, wie sie dort hin gelangen könnten. In den 1970er und 1980er Jahren waren die Dinge natürlich nicht so einfach wie heute. Heute braucht man nur 5 Sekunden im Internet suchen und schon findet man einen langen Artikel bei Wikipedia mit jeder Menge Literaturangaben. Man kann sich direkt auf der Homepage der tuvinischen Regierung informieren. Man kann den Leuten dort eben mal eine Email schicken. Auf YouTube gibt es haufenweise Videos und vermutlich existiert sogar irgendwo eine Webcam die Livebilder aus Tuva zeigt. Feynman und Leighton mussten sich ihre Infos damals mühsam und Stück für Stück zusammensuchen. Sie mussten die gefundenen Informationen oft erst aus dem russischen übersetzen. Sie schickten Briefe an irgendwelche Leute in Kyzyl um so Kontakte aufzubauen.
Es ist wirklich faszinierend, was Feynman und seine Freunde alles unternommen haben, um einmal nach Tuva zu gelangen. Im Zuge ihrer Bemühungen hatten sie es sogar geschafft, eine Ausstellung tuvinischer Kunst in den USA zu organisieren, die erste sowjetische Ausstellung, die in den USA stattfand! Als Organisatoren der Ausstellung hofften sie, auch nach Tuva reisen zu dürfen…
Lest das Buch unbedingt! Mit Physik hat es zwar kaum etwas zu tun – aber die Abenteuer von Feynman und seinen Freunden in Finnland, in Moskau und dem Rest der Welt sind absolut lesenswert. Das Buch macht deutlich klar, was für ein außergewöhnlicher Mensch Feynman war, wie interessiert er an der Welt war und wieviel Spaß er am Leben hatte.
Mehr Informationen findet ihr auf der Homepage Friends of Tuva, die Leighton eingerichtet hat. Es gibt auch eine Dokumentation über Feynman und Tuva. Hier ist der erste Teil:
P.S. Ich kann auch die Band Yat-Kha sehr empfehlen – eine coole Mischung aus Rock, Punk und traditioneller tuvinischer Musik.
Mir ist beim Zusammenräumen vor kurzem „Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman! auch wieder in die Hände gefallen – ein guter Anlass um das Buch nochmal zu lesen und dann gleich weiterzulesen. Merci für die Buchempfehlung 🙂
Spannend, werde ich mal auf meine Leseliste setzen, direkt nach „Krawumm!“
Sehr schöner Hinweis! Ich habe schon im Studium gern von und über Feynman gelesen. Er war einfach eine großartige Persönlichkeit! Und dieses Buch scheint des Lesens Wert zu sein! Danke!
Noch ein Hinweis: Im Zitat soll es in der 4. Zeile sicher „got to“ und nicht „got ti“ heißen, oder?
Gruß,
Dirk
Die Musik am Anfang von dem Video hört sich sehr ähnlich der Musik an, die ich vor ein paar Jahren mal in der Küche des Studentenwohnheims gefunden habe. Das war eine Kassette aus Ingolstadt.
Die Musik ist faszinierend, Obertongesänge aber gewöhnungsbedürftig.
Ich konnte es aber nicht lassen einmal zu suchen. Kyzyl liegt wahrlich etwas weit ab, immerhin, den Wetterbericht findet man ( auf der Friends of Tuva Seite u.a.), aber Webcams nicht …
also: „Near webcams to Kyzyl: Perm webcam 560 km“
Ja, das ist mal eine Definition von nah … 🙂
Und dann gibt es noch „What do you care what other people think?“, auch lesenswert.
Die nordasiatischen Regionen sind wirklich interessant, landschaftlich und kulturell (trotz der katastrophalen Auswirkungen der sozialistischen Diktaturen).
Wer mag kann ja mal nach Por-Bazhyn (Пор-Бажын) googeln, nicht zuletzt nach (Luft)-Aufnahmen.
Das liegt im südlichen Tuva, auf einer Gletscher-Insel in einem See. Eine herrliche nordasiatische Landschaft, die Ich auch gerne einmal sehen würde. (Am nächsten dran war ich 1984 in der transsibirischen Eisenbahn nach Irkutsk bzw. Baikal-See und dann wohl über Tuva hinweg auf dem Flug von Irkutsk nach Tashkent (Usbekistan).
Por-Bashyn ist eine ungefähr rechtwinklige Anlage, 2-3 Hektar gross, die die durch den Klimawandel bedrohte, geschrumpfte Insel inzwischen fast ganz bedeckt. Sie wurde erst vor einigen Jahren entdeckt und wird ins 8. Jh. n.u.Z. datiert. Wozu die Anlage diente, ist bis heute unklar.
@Florian: Solche Artikel sind der Grund warum Ich jeden Tag auf deinen Blog schaue.
Einen kleinen Nachtrag häte Ich noch: Wer mehr über Feynmal erfahren möchte,kann sich mal in diesen Podcast reinhören, in dem der Author von „Quantum Man“, einer Feinman Biographie interviewt wird. U. a. bekommt man gleich am Anfang einen Bongo spielenden und singenden Feynman zu hören ( und der Mann hat gerockt – wortwörtlich).
https://www.pointofinquiry.org/search/152f91b08cb6bb62383a4f8b8bcb96d5/
Und wo hat Feynman Bolgo spielen gelernt? Brasilien. Wo sonst.
Ach so und wer wissen will wie so eine legendäre Fesynman Vorlesung ausschaut, bite sehr:
https://www.youtube.com/watch?v=_Kab9dkDZJY
Ich hab SIe schon gesehen und find Sie absolut lohnenswert.
zum thema tuva unbedingt zu empfehlen: der film „genghis blues“, eine dokumentation über den blinden blues-sänger paul pena, der sich das obertonsingen selber beigebracht hat und auf einladung eines der besten tuvinischen sängers nach tuva fährt, am frisch gegründeten nationalen wettbewerb teilnimmt und den publikumspreis sowie den ersten preis in seiner kategorie gewinnt. koproduzent und ebenfalls mit auf der reise: Ralph Leighton!
unglaublich berührend und schön gemacht und ist erstaunlicherweise sogar für den oskar nominiert worden.
Eine schöne Geschichte. Ich kannte Tuva wie so viele auch noch nicht. Aber gleichzeitig ist es doch auch eine Reise in ein fremdes Land im Kalten Krieg und noch dazu (und viel besser): eine Kuriosität! Ich frage mich aber was mit „geografischer Mittelpunkt Asiens gemeint ist?
Hat diesen Comic über Feynman schon jemand hier gelesen?
Klingt doch interessant.