Die dunkle Materie ist immer für eine Überraschung gut. Zuerst man ihre Existenz bei Messungen an Galaxien und Galaxienhaufen bemerkt. Dann haben neue Satellitenmessungen Hinweise auf ihre Natur und Existenz gegeben. Und vor kurzem gab es erste Hinweise darauf, dass die dunkle Materie direkt detektiert werden kann.

Und nun kann man die Auswirkungen der dunklen Materie vielleicht sogar direkt in unserem Sonnensystem sehen!

Die dunkle Materie ist nicht nur irgendwo im fernen All – wenn sie da ist, dann ist sie auch in unserem Sonnensystem. Dort ist sogar mehr dunkle Materie als außerhalb: durchschnittlich erwartet man 10-25 Gramm dunkle Materie pro Kubikzentimer in unserer Milchstrasse. Für das Sonnensystem selbst beträgt der Wert 10-19 Gramm/cm³.

Und da dunkle Materie gravitativ wechselwirkt, ist so vor allem dort, wo viel Masse ist – also in der Nähe der Sonne. Und während die Sonne sich durch die Milchstrasse bewegt, sammelt sie noch mehr dunkle Materie auf. Die Menge an dunkler Materie um die Sonne sollte also kontinuierlich anwachsen.

Aber müsste das nicht auch Auswirkungen auf die Bahnen der Planeten haben? Immerhin sammelt sich im Zentrum immer mehr Masse an. Genau das hat der Italiener Lorenzo Iorio vom Nationalen Institut für Kernphysik in Pisa untersucht.

In seiner Arbeit Effect of Planet-Bound DarkMatter on Satellite Dynamics in the Solar System hat er nachgerechnet, wie sich die variable Masse der Sonne auf die Dynamik der Planeten auswirken würde.

Sein Resultat: Die Planeten würden näher an die Sonne heranrücken! Für die inneren Planeten (Merkur, Venus, Erde und Mars) wäre der Effekt nur gering. In den bisherigen 4,5 Milliarden Jahren in denen unser Sonnensystem existiert hat, haben sich ihre Bahnen nur um einen kleinen Wert verringert; die Änderungen werden aber bei den äußeren Planeten (Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun) sehr groß (die Einheit in der Tabelle ist die astronomische Einheit, abgekürzt AU – das ist die mittlerer Entfernung zwischen Erde und Sonne):

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Tabelle 2 aus Iorio (2010)

Die Bahn von Neptun könnte also bis zu neunmal neun Astronomische Einheiten größer gewesen sein als heute! Und der Prozeß dauert weiter an. In den nächsten knapp 8 Milliarden Jahren – der erwarteten Lebensdauer der Sonne – schrumpfen die Bahnen um folgende Beträge:

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Tabelle 3 aus Iorio (2010)

Iorio hat außerdem berechnet, dass dadurch die große Halbachse der Erdbahn um 2 bis 5 Zentimeter pro Jahr wachsen muss. Das klingt nach einem Widerspruch. Iorio selbst sagt:

In fact, no real contradiction exists because it has been shown that the osculating semimajor axis of a gradually shrinking trajectory around a mass-increasing central body gets, in fact, larger.

Die oskulierende große Halbachse wird also größer, wenn die Bahn um einen Körper mit Massenzuwachs schrumpft… Ok – ich gehe mal nicht davon aus, das Iorio hier Unsinn erzählt 😉 Aber darüber muss ich erst nochmal ein bisschen nachdenken; das erschließt sich mir nicht spontan…

(Nachtrag: Hier wird diese Frage auch diskutiert. Soweit ich das sehe geht es darum, dass ein Anwachsen der astronomischen Einheit – die ja der Massstab ist – zu einem Schrumpfen der Distanzen führt. Ich finde Iorios Formulierung aber dann immer noch etwas verwirrend.)

Aber wenn wir von dem Zuwachs der großen Halbachse der Erde ausgehen, dann wirds interessant! Denn genau so ein Zuwachs ist gemessen worden! In ihrer Arbeit Secular increase of astronomical unit from analysis of the major planet motions, and its interpretation haben die Russen Krasinsky und Brumberg festgestellt, dass sich die astronomische Einheit tatsächlich ändert – und zwar um 15 ± 4 cm pro Jahr. Spätere Untersuchungen ergaben einen Wert von 7 bzw. 5 Zentimeter pro Jahr.

Dieser Zuwachs stimmt überraschend gut mit den Ergebnissen von Iorios Rechnungen überein. Auch das ist natürlich noch kein Beweis für die dunkle Materie. Aber es ist auf jeden Fall interessant!

33 Gedanken zu „Verändert dunkle Materie die Bahn der Erde?“
  1. Korrigiere mich, hab gerade gesehen, dass das ganze ja international betrachtet wird. AU sicher Unit, mhm hab ich noch nie gehört, aber die Italiener wissen schon was sie machen 😀

  2. Ich verstehe dabei aber nicht, wie das mit dem Konzept des Dark-Matter-Halos um Galaxien zusammenpassen soll. Da geht man ja davon aus, dass die Dunkle Materie im Gegensatz zur baryonischen Materie nicht weiter gravitativ kollabiert, weil sie mangels Interaktion keine Bewegungsenergie mehr loswerden kann und deswegen schlicht zu heiß ist.

    Demnach müsste die Teilchengeschwindigkeit der Dunklen Materie doch weit über der Fluchtgeschwindigkeit der Sonne liegen – wie sollen sie sich dann ansammeln?

  3. die Auswirkung dunkler Materie – auf kleinen (= unser SoSy) Skalen messbar? Mit einigen cm Einfluss auf die große Halbachse unserer Erde? Wow – das würde ja heissen, dass alle bis dato durchgeführten numerischen Simulationen zur Stabilität (oder vielleicht besser gesagt, zur Dynamik) von Planetenbahnen (und monden und anderer Kleinkörper) unseres SoSy’s noch mal mit einem Korrekturterm bez. dunkler Materie durchgeführt werden müssten?

  4. @Fischer: Hu – das kann wohl ein Teilchenphysiker besser erklären. Aber auch Sterne sollen einen DM-Halo haben; so wie die Galaxien selbst. Ich hab jetzt nicht alle Referenzen aus Iorios Artikel gelesen – aber da scheint es doch jede Menge Möglichkeiten zu geben, wie sich DM im Sonnensystem bzw. der Nähe der Sonne und der Planeten ansammeln kann.

  5. 0,13 bis 0,32 AU Änderung für den Bahnradius der Erde nennst du einen geringen Effekt, Florian? Das sind immerhin 13 bis 32% Änderung! Alles andere als „gering“…

    … und das führt dazu, dass das sog. „faint young sun paradox“ noch verstärkt wird: wenn die Erde früher deutlich weiter von der Sonne weg war, hat sie natürlich noch weniger Strahlung empfangen, als man auf Grund der „faint young sun“ eh schon erwarten würde. Wie kann man dann erklären, dass es trotzdem auch schon vor Milliarden von Jahren auf der Erde Temperaturen gab, die groß genug waren, dass flüssiges Wasser existieren konnte?

  6. @Ludmila: Ich weiß, dass ein höherer Treibhauseffekt zur Erklärung des „hot young sun paradox“ herangezogen wird – aber reicht diese Erklärung auch noch für erträgliche Temperaturen auf der Erde aus, wenn der Erdbahnradius früher 1,13 oder gar 1,32 AU war?

  7. Aber wenn sich die Bahnen der Gasplaneten (insbesondere des Jupiters) doch so gravierend unter dem Einfluss von DM ändern können, müsste das doch erheblichen Einfluss auf die Dynamik der Entwicklung stabiler Orbits der inneren Planeten haben? oder auch auf die Streuung von Kleinkörpern aus dem Asteroidengürtel?

    @Nice Modell der planetaren Migration: da gehts, glaube ich, um den Drehimpulstransport durch die Streuung von Kleinkörpern aus dem SoSy – und damit um eine Wanderung des streuenden Planeten nach innen (und der Kleinkörper nach außen) ? Vielleicht sind hier unterschiedliche Zeitskalen, auf denen die Streuung von Kleinkörpern einerseits und das Sammeln von DM andereseits passiert, wirksam? Soll heißen: solange es genügend Kleinkörper gibt, also z.B. in der Frühzeit des SoSy, dominiert die Migration – hat sich das SoSy erst mal konsolidiert, überwiegt dann die DM….

  8. Hallo,
    kleine Frage zu folgendem Satz:
    „Die Bahn von Neptun könnte also bis zu neunmal größer gewesen sein als heute!“
    (bezieht sich auf delta r =3,82-9,55 AU)
    Neptun hat ne Halbachse von ca. 30 AU, da wären doch dann 9,5 AU ca. 1/3 und nich das neunfache.
    Oder hab ich die Tabelle falsch verstanden?
    Ansonsten sehr interessanter Artikel
    LG

  9. @Fischer: Ich habe mich gerade gefragt, warum die DM sich nicht selbst zusammenzieht und sowas wie „DM-Sterne“ bildet, wenn das Uiversum eh schon zum größten Teil aus DM besteht. Also laut Deinem Posting, weil sie keine Bewegungsenergie mehr abgeben kann und sich stattdessen aufheizt, habe ich das richtig verstanden? Hast Du einen Link dazu?

  10. @Bjoern: „0,13 bis 0,32 AU Änderung für den Bahnradius der Erde nennst du einen geringen Effekt, Florian? Das sind immerhin 13 bis 32% Änderung!“

    Ich nenne 5 cm/Jahr einen geringern Effkt. Die 0.13 bis 0.32 AU sind der gesamte Effekt für 4,5 Milliarden Jahre! Und ich hab auch dazu gesagt, dass es für die meisten Anwendungen vernachlässigbar ist – nicht für alle. Aber wenn mich z.B. nur die Dynamik der erdahen Asteroiden interssiert und ich hier typischerweise Simulationen von ~500000 Jahren Laufzeit habe, dann sind diese 5cm/a wirklich völlig egal.

  11. @Oliver: „da wären doch dann 9,5 AU ca. 1/3 und nich das neunfache. „

    Du hast natürlich recht. „kann bis zu neun AU größer gewesen sein“ sollte da eigentlich stehen. K.A. warum ich „bis zu neunmal“ geschrieben habe. Danke für den Hinweis!

  12. @Oliver S
    Das Gleiche ist mir auch aufgefallen. Ich würde es auch so verstehen, wie du. Bei der Erde steht ja zum Beispiel auch 0,13-0,31 AU. Das hieße ja, angelehnt an Florians Logik, dass der Radius der Erde auf das bis zu 10-fache angestiegen wäre und das bezweifel ich sehr stark. Vor allen Dingen ist ja noch die Einheit AU angegeben, sodass es sich bei den Tabellenwerten um keine Koeffizienten handeln kann.
    @Florian
    Was sagst du dazu? Täuschen Oliver und ich uns?

  13. @Florian:

    viele dynamische Effekte unter Einfluss der Gravitation in unserem SoSy sind ohne Einfluss der DM modelliert worden – und sehr viel konnte damit plausibel erklärt werden. Mir fällt’s jetzt grad schwer, eine Grenze zu finden, warum gerade jetzt der Einfluss der DM zu finden ist: ich stelle mir die Frage, warum z.B. in numer. Simulationen nicht schon eher aufgefallen ist, dass da ‚etwas fehlt‘ ?

  14. @Florian:
    Das grundsätzliche Problem ist m.E. schon das Sammeln – schon dazu muss die DM Energie loswerden. Aber dann würden wir sie sehen. Ich muss mir das mal selbst durchlesen, aber ich bin skeptisch.

    @schlappohr
    Eine Quelle dafür habe ich jetzt nicht greifbar. Evtl irgendein Standardwerk über Kosmologie.

  15. @adenosine: Naja, den normalen Staub kann man ja sehen – die DM nicht.

    @richard: Ich bin mir nicht sicher, ob so ein kleiner Effekt (cm/a) in den üblichen numerischen Simulationen auftauchen würde. Denke nicht – vor allem weil ja auch die Rechengenauigkeit meist nicht hoch genug ist.

  16. „Sein Resultat: Die Planeten würden näher an die Sonne heranrücken!“
    auch nicht schlecht, die tage werden länger (stichwort schaltsekunde/gezeitenreibung) und die jahre kürzer (bei herrschenden maßstäben für uns wohl kaum relevant!). die venus dürfte, im ungünstigsten fall, dann wohl in grob 1mrd jahren das schicksal von merkur erleiden (tidal lock).
    interessante notiz am rande: auch das in der gesamtdauer der „wanderschaft“ die erde komplett die habitale zone durchquert (bei relativ statischer hab.zone).
    p.s.: wegen der etwas verwirrenden geschichte mit größerer halbachse, bzw. au und kleinerer umlaufbahn, im forum auf astronews.com gibt es ein wenig aufklärung 😉

  17. @Florian: Wenn man nur Zeitskalen von 500 000 Jahren anschaut, dann sind 5 cm pro Jahr natürlich nicht besonders viel.

    Aber ich hatte ja schon ein Beispiel gebracht, wo weit größere Zeitskalen relevant werden: es ist bekannt, dass es schon vor mehreren Milliarden von Jahren auf der Erde flüssiges Wasser gegeben hat (sonst könnte schlecht vor ca. 3,8 Milliarden Jahren schon Leben entstanden sein…). Vor mehreren Milliarden Jahren hätte laut der Hypothese von Iorio die Erde aber mind. eine Abstand von 1,1 AU von der Sonne gehabt, hätte also nur ca. 83% der heutigen Menge an Strahlungsenergie von der Sonne empfangen.

    Nimmt man dann noch die „faint young sun“ dazu, was nochmals zu etwa 30% weniger Strahlungsenergie führt, sind es gerade mal noch ca. 58% der heutigen Menge. Reicht da ein höherer Treibhauseffekt wirklich noch aus, um damals erträgliche Temperaturen gehabt zu haben…?

  18. @Bjoern: Ich hab nur von numerischen Simulationen der Bahndynamik geredet. Du fragst ja eher nach Planetologie und Atmosphärenphysik. Das ist eine ganz andere Baustelle – da kann dir Ludmila mehr dazu sagen.

  19. @Florian: Danke für den Hinweis. 🙂 Ich denke halt auf etwas größeren Zeitskalen, weil die Kosmologie ein Hobby von mir ist…
    @Ludmila: Gestern hast du schon den „Treibhauseffekt“ erwähnt – aber bist bisher nicht darauf eingegangen, ob der wirklich so groß ist, dass er zusätzlich zur „faint young sun“ nun auch noch diesen Effekt erklären könnte…

  20. @Bjoern: Aber hallo und wie. Die Venus ist ja auch dank Treibhauseffekt der heißeste Planet im Sonnensystem und nicht der Merkur. Außerdem wissen wir, dass der Mars, der ja noch weiter weg ist, vor einigen Milliarden Jahren als er ne dichtere Atmosphäre hatte, flüssiges Wasser in nicht geringem Maße beherbergte. Es hängt halt alles von der Dichte und Zusammensetzung der Lufthülle ab.

    Und wir wissen, dass Planeten anfangs geologisch sehr aktiv sind und daher im Vergleich zu heute verhältnismäßig viel Treibhausgase in der Atmosphäre hatten und die Lufthülle auch dichter war. Deswegen ist ja auch die dichte Hülle von Titan so interessant für die Planetologen. Man nimmt an, dass der der frühen Erde recht ähnlich ist. Ich hab nicht mehr im Kopf, ob die Wärme aus der Bildungszeit der Planeten vor Milliarden Jahren noch ne Rolle spielt. Also als zusätzliche Heizung fungiert.

    Weil also die geologische Aktivität eines Planeten hier eine nicht unerhebliche Rolle spielt, deswegen verschiebt sich auch die habitable Zone um sonnenähnliche Sterne im Laufe der Jahrmilliarden. Man geht ja davon aus, dass die Planeten unmittelbar nach dem Zentralstern entstanden sind. Vor einigen Milliarden Jahren lag daher Mars z.B. noch in der habitablen Zone (wenn auch ziemlich am Rande), weil der Planet noch geologisch aktiv war. Inzwischen liegt er außerhalb.

  21. „…hat er nachgerechnet, wie sich die variable Masse der Sonne auf die Dynamik der Planeten auswirken würde.

    Sein Resultat: Die Planeten würden näher an die Sonne heranrücken!“

    Nun hat doch die dunkle Materie glatt den Nobelpreis und hochpräzisen ART „Beweis“ um PSR 1913 verschluckt.

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