Ich habe diese Diskussion bei Ludmila mit großem Interesse verfolgt. Und mir natürlich auch meine Gedanken zu diesem Thema gemacht. Die Tatsache, dass viele Menschen einfach nicht wissen, was Wissenschaft ist und wie Wissenschaft heutzutage eigentlich funktioniert, führt zwangsläufig zu einigen Konflikten. Warum Wissenschaft trotzdem kein Glaubensystem ist, erklärt Ludmilas Beitrag sehr schön. Es gibt aber noch eine weitere Komponente, die dort noch nicht angesprochen wurde.
Dort, wo Wissenschaft mit Religion bzw. Glauben gleichgesetzt wird, findet man auch oft das Argument das „Wissenschaft für die alltäglichen Dinge zuständig ist; Religion aber die wichtigen, fundamentalen Fragen des Menschen nach dem Woher und dem Warum beantwortet“. Stimmt das wirklich? Nein – ist zumindest meine Meinung!
Es gibt einige fundamentale Fragen, an denen vermutlich jeder Mensch interessiert ist:
- Woher kommen wir?
- Wie ist alles (das Leben, der Mensch, das Universum) entstanden?
- Warum sind wir hier?
- Wie wird alles enden?
- Was passiert, wenn wir sterben?
- etc…
Das sind im Prinzip alles klassische Fragen, die von der Religion „beantwortet“ werden. Kann Religion aber wirklich verbindliche, gültige und vor allem richtige Antworten geben? Nein, natürlich nicht! Aus ihren verschiedenen Traditionen heraus haben alle Religionen und philosophischen Strömungen unterschiedliche Antworten auf die oben aufgeführten Fragen. Es gibt allerdings keine Möglichkeit, die Gültigkeit dieser Antworten zu bewerten. Deswegen muss man ja auch an eine Religion glauben – es existieren keine Belege, Beweise oder sonstigen Grundlagen, die eine objektive Bewertung möglich machen würden.
Meiner Meinung nach ist Wissenschaft die einzige Methode, die es erlaubt, allgemeingültige Kenntnisse über uns und unsere Umwelt zu erhalten. Und das diese Methode wunderbar funktioniert, zeigt ja unsere heutige, moderne Welt: wenn die Wissenschaft nicht funktionieren würde, gäbe es keine Fernseher, Computer, Telefone, Autos, etc… So gut wie alles, was uns umgibt, ist ein Beweis dafür, das sich mit der wissenschaftlichen Methodik gültiges und anwendbare Informationen erhalten lassen. Ich muss nicht daran glauben, das ein Flugzeug fliegt! Wenn es richtig gebaut ist und die Piloten keinen Fehler machen, dann kann ich mir sicher sein, das es fliegen wird. Genausowenig muss ich daran glauben, das ein Stein, den ich wegwerfe, auf den Boden fällt. Er wird fallen, egal ob ich daran glaube oder nicht.
Religion kann diese Allgemeingültigkeit nicht für sich beanspruchen. Behauptungen (Gott erschuf die Welt; Jesus ist von den Toten auferstanden; usw) werden einfach aufgestellt – und entweder man akzeptiert sie als wahr oder nicht. Auf diese Weise ist kein Informationsgewinn möglich. Und insofern sind auch die Antworten, die die Religion auf die fundamentalen Fragen gibt, keine „echten“ Antworten. Die Aussagen der Religionen können interessant sein; sie können inspirieren und zu weiterem Nachdenken anregen; sie können Menschen extrem beeinflussen (positiv oder negativ) und so natürlich auch die Welt – aber sie können keine allgemeingültigen Antworten sein!
Ist die Wissenschaft aber nun „mächtiger“ als die Religion? Natürlich ist sie das insofern als sie im Gegensatz zur Religion eben „echte“ Antworten geben kann. Aber was ist mit den „wichtigen“ Fragen? Dort, wo auch die Wissenschaft noch keine Antwort hat? (Oder hat sie die vielleicht doch?)
Zu manchen dieser Fragen („Wie ist alles entstanden?“, „Wie ist der Mensch entstanden?“,…) hat die Wissenschaft heute schon sehr umfassende Antworten gefunden. Die Evolutionstheorie erklärt uns, wie wir Menschen uns entwickelt haben; erklärt, wie alles Leben auf der Erde entstanden ist. Die Urknall-Theorie erklärt uns, wie das Universum entstanden ist; wie es sich entwickelt und wie alles darin (Materie, Sterne, Planeten,…) entstanden ist1. Natürlich gibt es immer noch viele Details, die genauer untersucht werden müssen – aber prinzipiell wissen wir über die Entstehung des Universums und des Menschen recht gut Bescheid (Vielen Menschen gefällt dieses Wissen leider nicht – sie sähen es lieber, wenn sich die Aussagen ihrer jeweiligen Religion als wahr herausstellen würden. Aber Wissenschaft funktioniert eben nicht so – Ergebnisse sind Ergebnisse; egal ob sie uns gefallen oder nicht.). Die Fragen nach dem „Warum“ ist allerdings schwieriger zu beantworten: Warum entstand das Universum? Was war „vor“ dem Urknall? Wie endet das Universum? Was passiert „danach“? Einige dieser Fragen machen heute wissenschaftlich gesehen noch überhaupt keinen Sinn (z.B.. die Frage, was vor dem Urknall war); andere sind mit der wissenschaftlichen Methodik nicht zu beantworten.
Bedeutet das, dass die Wissenschaft nie eine Antwort auf diese Fragen finden wird? Ich persönlich denke, das noch einige der fundamentalen Fragen von der Wissenschaft beantwortet werden (auch wenn ich keine Idee habe, wann das sein wird). Andere Fragen lassen sich vielleicht prinzipiell nicht beantworten. Ich habe irgendwie das Gefühl, das z.B. die Frage nach der Ursache des Urknalls und dem „davor“ so eine ist. Ich glaube fast, das der Mensch (physisch und psychisch) schlicht und einfach nicht dazu fähig ist, solche Antworten zu formulieren bzw. zu verstehen. Aber auch hier kann mich irren. Aber bei einem bin ich mir ziemlich sicher: Wenn es Antworten auf diese Fragen gibt und wenn sie gefunden werden, dann wird es die Wissenschaft sein, die diese Antworten liefert!
Und nun würde mich eure Meinung interessieren: Wie mächtig ist die Wissenschaft? Welche Antworten kann sie liefern? Welche nicht? Das könnte eine spannende Diskussion werden…
Fussnoten:
1Die neuen Ergebnisse der WMAP Mission haben unser Wissen über das frühe Universum nochmal extrem erweitert. So lässt sich z.B. das Alter des Universums mittlerweile sehr genau angeben: es ist 13,73 Milliarden Jahre alt, plus oder minus 120 Millionen Jahre – das ist ein Fehler von nicht einmal einem Prozent!
Wissenschaft kann eine einzige Klasse von Fragen definitiv beantworten: Was passiert wenn..? Also streng empirische Sachen. Das ist die Basis. Für das, was landläufig als Wissenschaft bezeichnet wird (also Theorien über allgemeine Gesetze und Abläufe) bedarf es schon einiger Axiome, die selbst nicht streng begründbar sind.
Das ist kein Problem in den Wissenschaften, die Vorhersagekraft haben: In Physik oder Chemie kann man auf der Basis der Theorie Vorhersagen über den Ausgang eines Experiments machen und das dann konkret überprüfen.
Allerdings kann man schon bei diesen „harten“ Wissenschaften nicht mehr davon reden, dass die Theorie (d.h. Aussagen über die Gründe bestimmter Beobachtungen) streng wahr sei. Sie ist dann nur in Übereinstimmung mit allen empirischen Befunden. Das ist ein Unterschied.
Noch viel problematischer wird es, wenn man Theorien nicht in überprüfbare Vorhersagen umsetzen kann, sondern sich auf Modelle verlassen muss, die die Realität möglichst gut abbilden, z.B. teilweise in Kosmologie und Astronomie. Da wär ich sehr vorsichtig mit…
Und die physikalische Deutung mathematischer Beschreibungen sollte sowieso verboten werden. Da kommt der größte Unfug bei raus, zum Beispiel die Vielwelten-Theorie. Das ist bloß ein mathematischer Formalismus (sum over histories), den irgendwer mal für bare Münze genommen hat. Seitdem ist der Kram Popkultur geworden und wir werden ihn nicht wieder los. Aber das nur am Rande…
Wissenschaft funktioniert am besten, wenn sie so einigermaßen in der Nähe empirischer Befunde und Vorhersagen bleibt.
Die wirklich interessante Frage ist deswegen: Was kann man prinzipiell messen? Über Dinge, die man nicht messen kann sind keine falsifizierbaren Aussagen möglich. Das ist die prinzipielle Grenze der Wissenschaft.
Wir sind nach 250 Jahren Wissenschaft aber noch nicht mal ansatzweise an der Grenze des wissenschaftlich Erfassbaren angekommen; da dürfte noch einiges kommen.
„Die wirklich interessante Frage ist deswegen: Was kann man prinzipiell messen? Über Dinge, die man nicht messen kann sind keine falsifizierbaren Aussagen möglich. Das ist die prinzipielle Grenze der Wissenschaft.“
Das ist eine gute Formulierung! Natürlich ist Messbarkeit die Grundlage, um wissenschaftliche Aussagen treffen zu können. Aber auch hier erstaunt es mich immer wieder, was alles gemessen werden kann (z.B. die WMAP Mission, die die minimalen Variationen der kosmischen Hintergrundstrahlung gemessen hat und so die bisher genauesten kosmologischen Aussagen über das Alter des Universums und andere Faktoren ermöglicht hat).
Zur Unterscheidung zwischen „wahr“ und „in Übereinstimmung mit den empirischen Befunden“: Ja, es ist wohl richtig, das sich hier keine absolute Wahrheit ableiten lässt. Aber darauf wollte ich auch gar nicht hinaus. Mir ging es um die Qualität der Aussagen und die Behauptung mancher anderer Denkrichtungen (Religion, Esoterik,…) das es neben der Wissenschaft noch andere Methoden gibt, Erkenntnisse über unsere Umwelt zu erlangen. Und hier hat die Wissenschaft – meiner Meinung nach – eindeutig die stärkere Position; religiöse „Theorien“ können nicht den selben Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben (was sie aber oft tun).
„Wir sind nach 250 Jahren Wissenschaft aber noch nicht mal ansatzweise an der Grenze des wissenschaftlich Erfassbaren angekommen; da dürfte noch einiges kommen.“
Da stimme ich auch absolut zu! Auch wenn es zeitweilig mal „Mode“ war, vom baldigen Ende der Physik zu reden. Ich hab irgendwo noch ein Buch von Stephen Hawking rumliegen mit seiner Antrittsvorlesung in Cambridge. Dort meinte er, in ein paar Jahrzehnten wäre die „theory of everything“ gefunden und die Physik mehr oder weniger fertig mit ihrer Arbeit. Aber ich glaube auch er hat sich mittlerweile von dieser Aussage wieder distanziert…
Ich denke, die Wissenschaft hat wie alles andere auch Grenzen.
Natürlich werden wir diese Grenzen immer noch ein bisschen dehnen und noch ein bisschen dehnen, aber immer mehr Kraft dafür benötigen (also mehr Maschinen, größere Maschinen, kompliziertere Maschinen) um das gleiche Ergebnis (den gleichen Fortschritt) zu erzielen.
Das ist nicht weiter schlimm, denn wenn es mal soweit ist werden wir so ziemlich alle relevanten Fragen geklärt haben, denke ich.
Einige Fragen bleiben natürlich vorerst (und höchstwahrscheinlich für immer oder zumindest noch für sehr sehr lange Zeit) ungeklärt (zum Beispiel die „vor dem urknall“-Frage).
Für solche Fragen, die (noch) außerhalb der Reichweite der Wissenschaft liegen gibt es die Relegion.
Sie gibt denjenigen Antworten, die das „ich weiß es nicht“ einfach nicht ertragen können und eine Antwort auf das wissenschaftlich unbeantwortbare wollen.
Wichtig ist für mich aber, dass die Religion einer wissenschaftlichen Erkenntnis nachgibt und das Feld räumt, wenn es in einem Gebiet dann einmal eine wissenschaftlich anerkannte Erklärung gibt.
Andylee
„Wichtig ist für mich aber, dass die Religion einer wissenschaftlichen Erkenntnis nachgibt und das Feld räumt, wenn es in einem Gebiet dann einmal eine wissenschaftlich anerkannte Erklärung gibt.“
Ja, das wäre wünschenswert. Aber leider ist das selten der Fall, wie die Kontroverse zwischen Evolution und Kreationismus in den USA zeigt.
Irgendwo hab ich mal ein sehr gutes Zitat des Dalai Lamas zu diesen Thema gelesen, das im Prinzip genau diese Einstellung (Religion soll wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht entgegenstehen) ausdrückt. Ich finde es aber im Moment nicht 🙁
Nun, da will ich aber doch erwähnt haben (und ich bin Atheist!), dass die Evolution immer noch eine Theorie ist (wenn auch eine, die nur sehr schwer zu widerlegen scheint) 😉
Der Unterschied zwischen Relition und Wissenschaft besteht ja auch darin, dass die Wissenschaft per definition theoretisch in allen Teilen widerlegt werden kann, die Religion aber den Wahrheitsanspruch stellt.
Ui… bitte nicht auf die gleiche Art und Weise argumentieren wie die Kreationisten, die immer behaupten „Evolution ist ja nur eine Theorie“ – und Kreationismus und Intelligent Design sind ja auch Theorien – also ist eh alles gleichwertig…
„Theorie“ hat in der Wissenschaft eine ganz andere Bedeutung als in der Umgangssprache. Wenn ich da sage „Ich hab da so eine Theorie…“ dann meine ich damit etwas, das vielleicht möglich sein könnte, wo es aber nur wenig bis keine Hinweise darauf gibt, das es richtig ist. In der Wissenschaft ist das was völlig anderes. Eine Theorie MUSS empirisch belegt sein; sie MUSS konkrete Vorhersagen machen können. Eine „Theorie“ wie die von Newton bzw. Einstein erlaubt es uns heute, Raumsonden punktgenau in ein Ziel zu steueren, das Milliarden Kilometer von der Erde entfernt liegt. Eine „Theorie“ wie die Quantentheorie erlaubt es, hochkomplexe Geräte zu bauen, die heutzutage überall verwendet werden. Eine wissenschaftliche Theorie ist etwas, worauf man sich verlassen kann (auch wenn natürlich immer klar ist, das jede Theorie immer nur eine Annäherung an die Wirklichkeit ist und jederzeit verbessert werden kann).
Leider ist dieser Unterschied zur umgangssprachlichen Verwendung den meisten Leuten nicht bewußt. Und das wird natürlich von den Kreationisten ausgenutzt, die mit genau diesem Argument versucht, Evolution auf die gleiche Stufe wie den Kreationismus zu stellen.