Ich stöbere ja sehr gerne in den alten astronomischen Zeitschriften. Das man dabei oft auf sehr interessante Sachen stößt, habe ich ja letztens schon gezeigt. Gerade die alten Ausgaben der astronomischen Fachzeitschriften haben den Vorteil, das ihre Inhalte oft vollständig digitalisiert und vor allem frei im Internet erhältlich sind. Die Datenbank ADS (Astrophysics Data System) erlaubt ein einfaches Stöbern und man kann sich die Artikel dort auch gleich ansehen.
Beim Durchsehen einiger alter Ausgaben der Astronomischen Nachrichten (1821 gegründet und damit die älteste noch existierende astronomische Fachzeitschrift) bin ich heute auf einen Artikel von Percival Lowell gestoßen. Lowell, ein reicher Hobbyastronom, der unter anderen das Lowell-Observatory gründetet (das auch heute noch hervorragende astronomische Forschung durchführt), veröffentlichte 1905 in der Ausgabe 169 der Astronomischen Nachrichten eine kurze Notiz mit dem Titel „The Canals of Mars – Photographed“. Darin teilt er mit, das es Carl Otto Lampland, ein am Lowell-Observatory arbeitender Astronom, gelungen war, die Marskanäle zu fotografieren, die bisher nur anhand Beobachtungen mit dem Teleskop nachgezeichnet werden konnten. Dieses Foto konnte ich bis jetzt noch nicht finden; ich habe aber eine Aufnahme von E.C. Slipher von 1907 gefunden, der ebenfalls am Lowell-Observatory arbeitete. Auch dieses Foto sah Lowell als Beleg für die Existenz von Kanälen auf dem Mars an; auch, da es seinen Zeichungen (unteres Bild) der Kanäle sehr ähnlich sah.
Was hat es aber nun mit diesen Marskanälen auf sich? Heute wissen wir ja, das es auf dem Mars keine Kanäle oder sonstige künstliche Strukturen gibt.
Die Geschichte beginnt 1877, als der italienische Astronom
Giovannni Schiaparelli den Mars beobachtete. Er meinte, Kanäle auf der Oberfläche zu sehen. Besser gesagt, er sah Strukturen, die ihn an Flussbetten oder andere natürlich Rillen erinnerten. Er hielt sie also für natürliche Strukturen. Er selbst nannte diese Strukturen Canali, auf englisch wurde daraus Canals – und es entstand der missverständliche Eindruck, das es sich dabei um künstliche Bauten handeln würde. Aus heutiger Sicht mag das lächerlich klingen – aber damals wusste man praktisch nichts über die genau Beschaffenheit der anderen Planeten. Der einzige Planet, über den man genau Bescheid wusste, war die Erde. Und auf der war Leben absolut nichts außergewöhnliches. Die Annahme, das auf dem Mars (oder auch der Venus) Leben existiert, widersprach daher nicht dem damaligen Stand der Wissenschaft. Percival Lowell war von dieser Vorstellung jedenfalls sehr fasziniert – und begann selbst den Mars zu beobachten. Er fertigte viele Zeichnungen an und vermaß die Position der Kanäle und Seen, die er zu erkennen meinte. Hier findet man eine sehr ausführliche Arbeit von Lowell zu diesem Thema (Annals of the Lowell Observatory, Vol. 1, p. 253-292). Die Existenz einiger dieser Strukturen wurde auch von anderen Astronomen bestätigt. Man beobachtete auch, das sich die Strukturen im Laufe des Jahres verfärbten. Die großen, sehr breiten Kanäle wurden deshalb für breite Vegetationsgürtel gehalten; Lowell selbst hielt die schmaleren Kanäle für ein Bewässerungsprojekt, um Wasser aus den Polregionen des Mars umzuleiten. Bessere Beobachtungen im Laufe der Zeit zeigten allerdings, das sich die Form der kleineren Kanäle änderte; man begann zu glauben, das es sich eventuell um optische Täuschungen handeln könnte (Linienverstärkung bei besonderen Kontrastverhältnissen). Die größeren „Kanäle“ können heute als große Canyons (wie z.B. die Valles Marineris auf dem linken Bild). Trotzdem waren die Astronomen eigentlich bis in die Mitte der sechziger Jahre davon überzeugt, das es auf dem Mars zumindest simples, pflanzliches Leben geben könnte. Dann allerdings besuchte Mariner 4, eine Raumsonde der NASA, den Mars und machte die ersten detaillierten Aufnahmen. Die Existenz von Marskanälen und höherem Leben konnte dadurch definitiv ausgeschlossen werden. Die heutige Bilder der Marsmissionen zeigen uns eine rote Steinwüste und die Chance, dort Leben zu finden, sind sehr gering. Komplett ausgeschlossen ist es allerdings auch heute noch nicht, das sich auf dem Mars in bestimmten Regionen z.B. flüssiges Wasser und damit eventuell auch sehr einfaches Leben finden lässt (gefrorenes Wasser wurde schon 2004 in den polaren Regionen am Mars entdeckt).
Die „Entdeckung“ der Marskanäle durch Schiaparelli kann man eigentlich aus heutiger Sicht größtenteils positiv einschätzen. Auch wenn sie sich als nicht existent herausgestellt haben: sie haben nicht nur die Phantasie und den Forscherdrang der Astronomen beflügelt sondern auch zahlreiche Science-Fiction Romane inspiriert. Dazu gehört auch H.G. Wells berühmtes Werk „Krieg der Welten“ das in der Hörspiel Adaption von Orson Wells tausende Amerikaner davon überzeugte, das tatsächlich Außerirdische vom Mars die Erde angreifen. Die „Marsmännchen“ sind eine direkte Folge von Schiaparellis und Lowells Beobachtungen.
Und auch in Zukunft sind einige weitere Missionen zum Mars geplant, die dort nach Leben suchen. Auch wenn sich Lowells Kanäle als optische Täuschung herausgestellt haben, kann der Mars immer noch einige große Überraschungen für uns bereit halten…
hmm… Krieg der Welten… das Hörspiel ist sooooooo toll! *love*
ein seltenes beispiel, in dem Wissenschaft mal der Sci-Fi voraus war 😛
naja – ich würde mal behaupten, das generell die wissenschaft der sci-fi voraus aus 😉
sci-fi autoren beziehen wahrscheinlich wesentlich mehr inspiration aus der wissenschaft als wissenschaftler aus der sci-fi.
die wissenschaftler haben ja den „nachteil“, das sie sich mit der realität beschäftigen müssen – sci-fi autoren können sich ausdenken, was sie wollen 😉
Jeder verteidigt seine Heimdisziplin, das freut mich *freu* 🙂
naja – es geht nicht darum, eine „disziplin“ zu verteidigen (abgesehen davon, das science-fiction nicht als „wissenschaftsdisziplin“ durchgeht).
aber aus meiner erfahrung als wissenschaftler, der sich mit einem für die sci-fi sehr relevanten gebiet beschäftigt (astronomie) kann ich dir versichern, das zwar sehr viele astronomen sci-fi fans sind – aber sicher nicht ihre forschungsthemen aus der sci-fi literatur auswählen. oder gar gezielt probieren, sci-fi themen wissenschaftlich aufzugreifen. natürlich kommts immer mal vor, das es überschneidungen gibt – beide sind aber grundverschiedene angelegenheiten!
es ist eher so, das sich sci-fi autoren an den aktuellen wissenschaftlichen themen orientieren und diese dann literarisch verwerten und weiterentwickeln…