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Sternengeschichten Folge 619: Neith, der nicht-existierende Venusmond
Die Venus ist unser Nachbarplanet im Sonnensystem. Sie ist ungefähr so groß wie die Erde und nach Sonne und Mond ist sie das hellste Objekt am Himmel. Sie ist so hell, dass man sie kaum übersehen kann und als strahlenden Morgen- oder Abendstern in der Dämmerung leuchtet. Wir haben die Venus immer schon betrachtet, zuerst nur mit unseren Augen und später natürlich auch mit dem Teleskop. Der erste, der die Venus im Fernrohr beobachtet hat, war Galileo Galilei zu Beginn des 17. Jahrhunderts und bei dieser Beobachtung hat er gesehen, dass die Venus Phasen zeigt; es also analog zu „Vollmond“ oder „Halbmond“ auch „Vollvenus“ oder „Halbvenus“ gibt. Das war eine revolutionäre Entdeckung, weil sie belegt hat, dass sich die Venus um die Sonne bewegt, die damit das Zentrum des Sonnensystems ist und nicht die Erde, wie man damals immer noch weitestgehend geglaubt hat.
Ein bisschen weniger revolutionär war das, was der italienische Astronom Francesco Fontana, ein Zeitgenosse von Galilei am 11. November 1645 gesehen hat. Nämlich zwei kleine leuchtende Punkte, die neben der Venus herlaufen. Ein paar Wochen später konnte er nur noch einen davon sehen, der aber blieb aber auch später noch sichtbar. Fontana kam zu dem Schluss, dass er einen Mond der Venus entdeckt hatte; so wie ja Galileo ein paar Jahrzehnte vorher schon vier Monde des Jupiters. Seine Zeitgenosse waren eher skeptisch was das angeht, vor allem auch deswegen, weil sie selbst diesen Mond nicht sehen konnten, was aber auch an ihren schlechteren Teleskopen gelegen haben könnte.
Sehr viel mehr Aufmerksamkeit als die Entdeckung von Fontana bekam die Beobachtung von Giovanni Domenico Cassini. Er wurde 1669 Direktor der Sternwarte in Paris mit einem der besten Teleskope der damaligen Zeit. Bei seiner Arbeit fand er 1671 einen Mond des Saturns – Iapetus – und 1672 einen zweiten, Rhea. Er war außerdem der erste, der feststellte, dass es Lücken in den Ringen des Saturn gibt, die heute deswegen als „Cassini-Teilung“ bezeichnet werden. Und 1672 sah auch er in seinem Teleskop einen Mond der Venus. Vermutlich war ihm diese Entdeckung selbst nicht ganz geheuer, denn er hielt sie geheim. Erst als er 1686 den Venusmond ein zweites Mal sah, hat er die Beobachtung öffentlich gemacht, blieb aber immer noch zurückhaltend. „Es ist mir nie gelungen, ihn zu sehen, sieht man von diesen beiden Fällen ab und deswegen erlaube ich mir hier kein Urteil“, schrieb er ein seinen Memoiren.
In den folgenden Jahren und Jahrzehnten war der Mond der Venus ein Thema, dass die Astronomie weiter beschäftigt hat, aber der Mond war nie richtig greifbar. Manche Astronomen wie der schottische Teleskopbauer James Short oder der Deutsche Andreas Mayer bestätigten, dass sie ihn ebenfalls gesehen hatten. Andere, wie der schottische Astronom und Mathematiker David Gregory blieben skeptisch. Und alle warteten gespannt auf den 6. Juni 1761. An diesem Tag würde ein seltenes Ereignis stattfinden, ein Venustransit. Von der Erde aus gesehen würde man die Venus direkt vor der Sonnenscheibe vorüberziehen sehen können und warum das so ein wichtiges Ereignis für die Wissenschaft ist, habe ich ja schon ausführlich in Folge 539 der Sternengeschichten erzählt. Insbesondere aber sollte man auch einen Mond der Venus sehen können, als zweiten, kleinen dunklen Fleck der gemeinsam mit dem Planeten an der Sonne vorüber zieht. Der Venustransit von 1761 wurde überall auf der Welt beobachtet, von Forschenden genau so wie von Enthusiasten ohne wissenschaftliche Ausbildung. Und es gab tatsächlich 2 Meldungen über die Beobachtung eines Venusmonds. Die stammten aber beide von Amateuren, deren Methoden und Instrumente vergleichsweise schlecht waren, weswegen man diese „Entdeckung“ auch vorerst nicht weiter ernst genommen hat.
Vor und nach dem Transit wurden ebenfalls Venusmondbeobachtungen gemeldet. Man hat die Venus zu der Zeit natürlich genau im Blick gehabt, die Instrumente für den großen Tag getestet beziehungsweise auch danach noch zur Venusbeobachtung genutzt. Der berühmte Astronom Louis Lagrange, nach dem die Lagrangepunkte benannt sind, über die ich hier schon oft gesprochen habe, hat den Venusmond im Februar 1761 gesehen, aber danach gemeint, dass er sich vermutlich doch geirrt hat. Und in Kopenhagen gab es eine sehr interessante Beobachtungsreihe, die Christian Horrebrow und Peder Roedkiær durchgeführt haben. Sie sahen den Venusmond gleich mehrmals im Laufe des Jahres und konnten auch sehen, dass er Phasen hat, wie die Venus selbst. Horrebrow hat den Mond auch in den Jahren nach dem Transit gesehen, das letzte Mal im Januar 1768 .
Aus heutiger Sicht klingt das alles ein wenig komisch. Was war da los mit den Leuten? Entweder da ist ein Mond oder da ist keiner. Und wenn da einer ist, dann sieht man den entweder oder man sieht ihn nicht. Aber es ist halt nicht so einfach wie heute. Heute kann man ein Bild machen und das in Ruhe analysieren. Man kann eindeutig festellen, ob da jetzt ein Lichtpunkt neben der Venus ist oder nicht. Damals war das nicht möglich; man hat nur die Augen gehabt um durch das Teleskop zu schauen und konnte keine dauerhaften Aufzeichnungen machen bzw. wenn, dann nur Zeichnungen. Und nur weil man einen Punkt neben der Venus sieht, muss das ja noch lange kein Mond sein. Dazu muss man lange genug beobachten und den Punkt immer und immer wieder neben der Venus sehen um sicher sein zu können, dass der potentielle Mond der Venus folgt und beispielsweise kein Hintergrundstern ist.
Es war damals also viel leichter, sich zu täuschen und genau darauf hat der österreichische Astronom Maximilian Hell im Jahr 1766 hingewiesen. Er veröffentlichte eine Arbeit, in der er zeigen konnte, dass ein helles Objekt wie die Venus eine Art von „Geisterbild“ erzeugt. Wenn man auf die richtige – oder in dem Fall eher die falsche – Weise und in einem bestimmten Abstand durch ein Teleskop schaut, dann kann das helle Licht des Planeten eine Reflexion erzeugen, die auf das Auge fällt und so aussieht wie ein Mond, mit den selben Phasen die die Venus gerade hat.
Der Venusmond war also nur eine Illusion und damit könnte die Geschichte schon zu Ende sein. Ist sie aber nicht. Im 19. Jahrhundert konnte er – kurzfristig – ein Comeback feiern. Der belgische Astronom Jean-Charles Houzeau hat sich in den 1880er Jahren alle Daten nochmal genau angesehen und eine neue Idee gehabt. Was, wenn es gar kein Mond der Venus ist, den man da gesehen hat. Sondern ein noch unbekannter Planet, mit fast derselben Umlaufbahn wie die Venus? Wenn er eine Umlaufperiode von 283 Tagen hat, dann befindet er sich nur ein Stück außerhalb der Venusbahn und die beiden Planeten würden immer wieder scheinbar nahe am Himmel beieinander stehen, so das es von der aussieht, als wäre da ein Mond neben der Venus. Houzeau hat diesem neuen Planeten auch gleich einen Namen gegeben, nämlich Neith, nach einer ägyptischen Kriegsgöttin und dieser Name wurde dann nachträglich auch ganz allgemein für einen potentiellen Venusmond verwendet. „Die Schreckliche“, wie man diesen Namen übersetzen kann, hatte aber kein langes Leben vor sich. Die Hypothese passt zwar zu den Daten, aber nur, wenn man sich – wie Houzeau es gemacht hat – die passenden Daten raussucht und die nicht passenden einfach ignoriert. Die belgische Akademie der Wissenschaften hat sich die Sache dann nochmal ganz genau angesehen und festgestellt, dass insbesondere die Beobachtungen, die damals in Kopenhagen gemacht worden sind, ganz einfach erklärt werden können. Die Venus stand zu den fraglichen Zeitpunkten in der Nähe unterschiedlicher Sterne, die Horrebrow und Roedkiær nicht also solche erkannt haben.
Optische Täuschungen, schlechte Teleskope und Fehler bei der Beobachtung: Am Ende geht die Geschichte des hypothetischen Venusmonds recht unspektakulär zu Ende. Heute können wir mit Sicherheit sagen, dass unser Nachbarplanet ohne Mond ist. Spannend bleibt die Angelegenheit dennoch. Unsere Erde hat einen Mond, der Mars hat gleich zwei und die äußeren Planeten des Sonnensystems zum Teil mehr als hundert. Warum hat gerade die Venus, die doch der Erde ansonsten in Größe und Masse so ähnlich ist, keinen Mond? Die Antwort darauf lautet: Das wissen wir nicht. Es gibt natürlich diverse Spekulationen: Vielleicht hatte die Venus einen Mond, aber die Gezeitenkräfte zwischen den beiden haben dazu geführt, dass der Mond schon vor langer Zeit mit der Venus kollidiert ist? Vielleicht gab es in der Frühzeit des Sonnensystems eine große Kollision, die den Mond zerstört hat? Vielleicht waren die Bedingungen in der Umgebung der Venus nie so beschaffen, dass sich da ein Mond bilden hätte können? Es gibt sogar die Hypothese, dass Merkur, der sonnennächste und kleinste Planet und so wie die Venus ebenfalls ohne Mond in Wahrheit früher der Mond der Venus war. Und irgendein katastrophales Ereignis in der Frühzeit des Sonnensystems dazu geführt hat, dass er aus seiner Umlaufbahn geschleudert wurde.
Das Rätsel des Venusmondes ist mittlerweile gelöst. Den gibt es nicht. Aber das viel größere Rätsel der Nicht-Existenz des Venusmondes bleibt vorerst weiterhin ohne Antwort.
Wie immer sehr interessant. Vielen Dank für Ihren Blog!
„Was, wenn es gar kein Mond der Venus ist, den man da gesehen hat. Sondern ein noch unbekannter Planet, mit fast derselben Umlaufbahn wie die Venus?“
Wäre das himmelsmechanisch denkbar? Also stabil.
Versuch einer Erklärung. Das Planetensystem dreht sich von oben gesehen immer linksrum. Die Planeten um die Sonne, die Monde um die Planeten und die Planeten selbst. Was, wenn nun ein Planet einen Himmelskörper einfängt und dieser auf den Planeten stürzt? Wenn er von außen, also einer größeren Umlaufbahn kommt, wird er bei der Annäherung schneller, weil er potentielle Energie verliert. Wenn er auf den Planeten trifft, wird er diesen linksherum beschleunigen. So darf man sich wohl die sehr schnellen Rotationen der Gasriesen Jupiter und Saturn vorstellen. Diese haben Material von außen einkassiert. Anders hingegen die Venus. Sie dreht sich kaum und daher können wir annehmen, dass sie überwiegend Material aus dem sonnenahen Bereich eingefangen hat.
Ein von dort kommender Himmelskörper hat dann fast keine Chance, ein Mond zu werden. Denn er wir bei der Annäherung an die Sonne langsamer und hat dann nicht mehr die Fliehkraft, um sich auf einer Bahn zu halten.