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Sternengeschichten Folge 607: Die mysteriösen Miyake-Ereignisse

Im Jahr 775 stirbt der byzantinische Kaiser Konstantin V. Die Stadt Gotha in Thüringen wird in diesem Jahr das erste Mal in einer Urkunde erwähnt. Karl der Große beschließt einen Feldzug gegen die Sachsen. In der Schlacht von Bagrevand kämpft Armenien gegen das Abbasiden-Kalifat und verliert. Und vermutlich war im Jahr 775 noch jeden Menge mehr los auf der Welt. Was damals vermutlich die wenigsten mitbekommen haben dürften, war ein Ereignis, dem die japanische Doktorandin Fusa Miyake erst im Jahr 2012 auf die Spur gekommen ist. Die Physikerin hat sich damals mit kosmischer Strahlung beschäftigt. Darüber habe ich ja schon ausführlich in den Folgen 317 und 318 der Sternengeschichten gesprochen, aber ich fasse es noch mal kurz zusammen. Aus dem Weltall trifft nicht nur das Licht der Sonne und der anderen Sterne auf die Erde. Sondern auch eine Teilchenstrahlung. Oder anders gesagt: Die Erde wird von Protonen und Elektronen bombardiert (und ein paar andere Teilchen sind ab und zu auch noch dabei). Die meisten dieser Teilchen stammen von der Sonne. In den äußeren Schichten ihrer Atmosphäre ist es so heiß, dass die Atome quasi auseinander fallen, die Elektronen der Atomhülle lösen sich von den Protonen des Atomkerns und die einzelnen Teilchen können durch diverse Prozesse so schnell werden, dass sie von der Sonne weg in Richtung All und unter Umständen auch in Richtung Erde sausen. Die anderen Sterne im Weltraum machen das auch, und auch von ihnen kriegen wir ein bisschen was ab. Und dann gibt es noch diverse andere Prozesse, die Teilchen durch die Gegend schleudern, zum Beispiel Supernova-Explosionen oder schwarze Löcher, die Material in ihrer Umgebung extram stark beschleunigen. Kurz gesagt: Überall im Weltall sausen hochenergetische Teilchen durch die Gegend und das nennt man die „kosmische Strahlung“.

Hier unten auf der Erde kriegen wir davon – zum Glück – wenig mit. Es wäre unangenehm und ungesund für uns Menschen – und auch die restlichen Lebewesen – wenn wir dieser Strahlung ungeschützt ausgesetzt wären. Sind wir aber nicht; das Magnetfeld der Erde und auch unsere Atmosphäre schützen uns davor. Was natürlich sehr gut ist, aber eher schlecht, wenn man diese Art der Strahlung erforschen will. Das muss man vom Weltall aus machen. Oder man probiert es indirekt und das hat Fusa Miyake damals gemacht. Wenn die kosmische Strahlung auf die Erdatmosphäre trifft, dann passiert natürlich etwas. Ich lasse die Details jetzt aus, auch die habe ich früher schon in anderen Folgen erklärt, aber im Wesentlichen passiert dann das gleiche, was wir in unseren Teilchenbeschleunigern mit großer Mühe künstlich herbei führen. Teilchen prallen mit enormer Energie aufeinander – in dem Fall eben die Teilchen der kosmischen Strahlung auf die Atome und Moleküle der Luft – und lösen Kernreaktionen aus. Ein Resultat dieser Vorgänge ist C14. Oder, etwas genauer gesagt, ein spezielles Isotop des Kohlenstoffs. Normaler Kohlenstoff hat im Atomkern sechs Protonen und sechs Neutronen. Es gibt aber auch Kohlenstoffatomkerne, die aus sechs Protonen und acht Neutronen bestehen, also insgesamt 14 Kernbauteilchen und deswegen nennt man ihn Kohlenstoff-14 oder kurz: C14. Im Gegensatz zum normalen Kohlenstoff ist C14 aber nicht stabil; dieser Atomkern ist radioaktiv und zerfällt im Laufe der Zeit. Aber glücklicherweise nicht wahnsinnig schnell, was bedeutet, dass wir C14 nachweisen können.

Fusa Miyake hat sich nun zwei japanische Zedern angesehen. Diese Bäume können erstens sehr alt werden und bestehen zweitens, wie alle anderen Bäume und alle anderen Lebewesen generell, zu einem relevanten Teil aus Kohlenstoff. Außerdem haben Bäume Jahresringe. Man kann, und Miyake hat genau das getan, nun – vereinfacht gesagt – aus jedem Jahresring ein bisschen Kohlenstoff rausholen, messen wie viel davon C14 ist und bekommt dann für jedes Jahr einen entsprechenden Wert. Wenn diese Menge auf einmal sehr viel höher ist also sonst, dann bedeutet das: Es muss mehr kosmische Strahlung auf die Erde getroffen sein, dadurch muss mehr C14 produziert worden sein und dieser Kohlenstoff ist dann von den Lebewesen aufgenommen und im Falle der Zedern in das Holz eingebaut worden. Anders gesagt: Auf diese Weise kann man die Stärke der kosmische Strahlung für jedes Jahr bestimmen, auch ohne ins All zu reisen und dort zu messen und man kann die Stärke der kosmischen Strahlung auch für die Vergangenheit bestimmen, so weit zurück, wie man eben noch passendes Holz findet.

C14-Anstieg in japanischen Zedern (Bild: Miyake et al, 2012)

Fusa Miyake war natürlich nicht die Erste, die das gemacht hat. C14-Messungen wurden auch davor schon durchgeführt. Aber Miyake hat sich mit den zwei japanischen Zedern den Zeitraum zwischen den Jahren 750 und 820 sehr genau ansehen können. Und konnte nachweisen, dass die Menge an C14 zwischen den Jahren 774 und 775 um circa 1,2 Prozent angestiegen ist. Das klingt nach wenig, ist aber 20 Mal mehr als die übliche Variation. Irgendwas hat also um das Jahr 775 herum dafür gesorgt, dass sehr viel mehr kosmische Strahlung auf die Erde getroffen ist als das überlicherweise passiert. Aber was?

Die allermeiste kosmische Strahlung kommt von der Sonne; es liegt also nahe, erst mal dort nach einer Ursache zu suchen. Ich habe ja erst in Folge 602 von den Sonnenstürmen erzählt, die immer wieder mal sehr viel Zeug durch die Gegend schleudern können. Aber selbst ein Sonnensturm würde keinen so starken Anstieg über diesen Zeitraum verursachen. Auch eine Supernova-Explosion in unserer Ecke der Milchstraße kann man eigentlich ausschließen, denn dann sollte man eigentlich noch Spuren davon irgendwo beobachten können. Um die Stärke des Anstiegs erklären zu können, müsste da relativ nahe bei uns ein Stern explodiert sein und die Überreste dieses Sterns sollten wir auch heute noch gut beobachten können, wenn sie denn da wären.

Die Messungen aus den Zedern konnten Miyake und andere Forscherinnen und Forscher auch mit ähnlichen Messungen in Eisbohrkernen bestätigen. Auch dort können sich diverse radioaktive Atome ansammeln, die durch die komische Strahlung in der Atmosphäre produziert werden und auch Eisschichten lassen sich, wenn auch ein bisschen komplizierter als Bäume, entsprechend datieren.

Später fand man dann auch ähnliche Anstiege von C14 in anderen Jahren, die mittlerweile „Miyake-Ereignisse“ genannt werden. Mit Sicherheit gab es ein Miyake-Ereignis in den Jahren 7176, 5259 und 660 vor Christus. Und neben dem im Jahr 775 auch eines im Jahr 993. Es gibt noch ein paar andere, wo die Datenlage nicht ganz so klar ist, aber klar ist auf jeden Fall: Miyake-Ereignisse kommen öfters vor. Und die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass sie typischerweise ein paar Jahre lang dauern, was wieder gegen die Sonne als Verursacherin spricht. Denn ein Sonnensturm dauert höchstens ein paar Tage und sollte – wie schon gesagt – auch nicht so heftig sein, wie es die Daten der Miyake-Ereignisse nahe legen. Auch eine statistische Analyse aus dem Jahr 2022, bei dem man den Verlauf der Sonnenaktivität mit den Miyake-Ereignissen abgeglichen hat, hat keinen Zusammenhang gefunden.

Vielleicht hat das ganze mit Vorgängen außerhalb des Sonnensystems zu tun; vielleicht sind extreme Gammablitze dafür verantwortlich; also gewaltige Explosionen die beim Tod sehr großer Sterne auftreten oder bei der Kollision von Neutronensternen. Oder es sind doch sehr seltene, starke Sonnenstürme. Oder etwas ganz anderes. Oder eine Mischung von allem. Wir brauchen mehr Daten, wir wissen aber auf jeden Fall auch, dass wir uns eher nicht wünschen sollten, recht bald wieder ein Miyake-Ereigniss zu erleben. So viel kosmische Strahlung; so ein enormer Sonnensturm – oder was auch immer die Ursache sein mag – wäre für uns Menschen zwar nicht lebensgefährlich; immerhin schützt uns ja die Atmosphäre vor der direkten Strahlung. Aber wenn so viel Strahlung auf unsere Magnetfeld trifft, dann könnte das kurzfristig so stark gestört werden, dass unsere moderne Technik durchaus in Mitleidenschaft gezogen wird. Ein Miyake-Ereignis wird die Welt nicht untergehen lassen, aber großflächige Stromausfälle oder ähnliches wären nicht unwahrscheinlich. Da wäre es besser, wir kommen vorher noch drauf, was da genau passiert. Dann können wir es immer noch nicht verhindern – aber uns vielleicht besser darauf vorbereiten.

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