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Sternengeschichten Folge 598: Der Gas-Torus von Io

In dieser Folge der Sternengeschichten geht es um den Gas-Torus von Io. Und dafür müssen wir zuerst einmal klären, was ein Gas-Torus ist. Zum Glück ist das einfach: Ein Torus ist ein Ring und ein Gas-Torus ist ein Ring aus Gas. Viel interessanter ist die Frage, warum der Jupitermond Io sowas hat.

Ich habe in Folge 299 schon ausführlich von diesem ganz besonderen Mond erzählt. Jupiter hat ja jede Menge Monde und Io gehört zu den größeren. Mit einem Durchmesser von 3643 Kilometern ist er nicht nur der viertgrößte Mond des Sonnensystems und der drittgrößte Mond des Jupites sondern auch noch ein kleines Stück größer als der Mond der Erde. Io ist aber vor allem deswegen so besonders, weil es dort aktive Vulkane gibt. So aktive Vulkane, dass wir mit unserern Raumsonden immer wieder live zusehen können, wie gerade einer davon ausbricht. Heute soll es aber nicht darum gehen, was auf der Oberfläche von Io passiert, sondern darum, welche Auswirkungen die Vorgänge auf seiner Oberfläche haben.

Io hat eine dünne Atmosphäre, die vor allem aus Schwefeldioxid besteht. Die Quelle dafür ist der Vulkanismus, aber ein so kleiner Himmelskörper wie dieser Mond hat natürlich Schwierigkeiten, mit seiner Anziehungskraft eine Atmosphäre festhalten zu können. Ganz besonders, wenn man einen Nachbarn wie Jupiter hat. Das ist ein sehr wichtiger Punkt: Von den großen Monden des Jupiters ist Io dem Riesenplaneten am nächsten; er ist nur gut 420.000 Kilometer entfernt, also ein bisschen weiter weg als unser Mond von der Erde. Im Gegensatz zur Erde ist der Jupiter aber nicht nur viel größer, er hat auch ein sehr viel stärkeres Magnetfeld und eines, dass sich sehr weit ausdehnt. Tatsächlich reicht es bis zur Bahn des Io hinaus oder anders gesagt: Der Mond bewegt sich mitten durch das starke Magnetfeld des Jupiters hindurch. Und das hat Konsequenzen.

Das ganze läuft so ab: Die Vulkane erzeugen Schwefeldioxid und weil Io so klein ist, verliert er ständig ein bisschen was von diesem Gas. Ungefähr eine Tonne pro Sekunde. Die Moleküle werden durch die UV-Strahlung der Sonne aufgespalten und ionisiert; sie verlieren also Elektronen aus der Hülle ihrer Atome und sind dann nicht mehr elektrisch neutral sondern geladen. Die freien Elektronen können auch mit anderen Molekülen kollidieren und sie ebenfalls ionisieren. Auf jeden Fall verliert der Io jede Menge Zeug, dass dann ionisiert wird. Wir haben also elektrisch geladenes Material in der Umgebung von Io und die Umgebung von Io befindet sich mitten im starken Magnetfeld des Jupiters. Dieses Magnetfeld bewegt sich mit der Rotation des Planeten und Jupiter rotiert schnell. Für eine Drehung um seine Achse braucht er nur 10 Stunden; das ist viel schneller als die Zeit, die Io für eine Runde um Jupiter braucht. Das bedeutet: Die elektrisch geladenen Teilchen die Io ins All verliert werden sofort von Jupiters Magnetfeld eingefangen und beschleunigt. Das ganze Material verteilt sich also entlang der Umlaufbahn von Io, es bildet sich eine ringförmige Wolke aus Plasma, also aus geladenen Teilchen und genau das ist der Gas-Torus von Io.

Man kann sich das wie einen Schweif vorstellen, den Io hinter sich her zieht. Das wäre aber nicht ganz korrekt, denn dieser Ring aus Gas rotiert so schnell wie Jupiter selbst, mit einer Geschwindigkeit von circa 74 Kilometer pro Sekunde. In Bezug auf Io, der sich selbst mit circa 17 Kilometer pro Sekunde um Jupiter bewegt bleibt immer noch eine relative Geschwindigkeit von weit über 50 Kilometer pro Sekunde übrig. Io wird also von seinem Schweif überholt und das mit einer nicht geringen Geschwindigkeit.

Io bewegt sich also durch einen Ring aus Gas. Natürlich ist das Zeug dort jetzt nicht so dicht, dass man es sich wie eine Wolke hier auf der Erde vorstellen kann. Die Teilchendichte im Torus liegt bei circa 2000 pro Kubikzentimeter. Das ist aus unserer Sicht immer noch ein sehr gutes Vakuum. Andererseits aber auch ein bis zwei Größenordnungen dichter als die kosmischen Wolken die wir überall zwischen den Sternen finden. Und dort passieren ja auch jede Menge spannende Dinge. Also warum sollte es uns jetzt interessieren, dass sich der Jupitermond Io in einem Ring aus Gas befindet?

Magnetfeld von Jupiter und Plasmatorus von Io (Bild: NASA/GSFC/Jay Friedlander)

Erstens natürlich, weil es gut ist, Bescheid zu wissen. Zweitens, weil es cool ist, Bescheid zu wissen! Ich meine: Ein vulkanischer Mond der einen gigantischen Gasplaneten umkreist dessen Magnetfeld die Atmosphäre des Mondes zerpflückt und entlang seiner Umlaufbahn verteilt – das ist schon ein ziemliches cooles Phänomen. Unser Mond macht sowas nicht und wenn es anderswo passiert, dann lohnt es sich, darüber Bescheid zu wissen. Io und Jupiter sind zwar außergewöhnlich, aber in der Hinsicht nicht einzigartig. Auch andere Riesenplaneten haben starke Magnetfelder und große Monde. Es gibt Hinweise, dass auch der weiter außen liegende Jupitermond Europa einen Gas-Torus erzeugt, ebenso wie der Saturnmond Enceladus, obwohl es in diesen Fällen keine ionisierten Teilchen sind und die Wechselwirkung mit dem Magnetfeld keine so große Rolle spielt.

Den Gas-Torus von Io zu erforschen lohnt sich also vor allem deshalb, weil man dadurch mehr über die Beziehung zwischen großen Gasplaneten und ihren Monden erfährt. Und wem das noch nicht genug ist: Es lohnt sich auch, weil man dadurch ein bisschen besser verstehen kann, wie Plasma funktioniert. Das mag komisch klingen, denn Plasma ist jetzt nicht so exotisch wie es klingt. Plasma, also ein Gemisch aus freien Elektronen und geladenen Teilchen, kann man hier auf der Erde ohne größere Probleme herstellen. Wenn wir eine Energiesparlampe oder eine Leuchtstoffröhre in die Fassung schrauben und einschalten, dann leuchten die Dinger, weil sie Plasma enthalten. Wir können mit Plasma schweißen, es gibt Plasmabildschirme, und so weiter. Wir haben Plasma so gut verstanden, dass wir jede Menge technische Anwendungen dafür und daraus entwickelt haben. Das heißt aber nicht, dass wir dieses Phänomen letztgültig verstanden haben.

Plasma ist ein höchst kniffliges Zeug, vor allem dann, wenn es mit Magnetfeldern wechselwirkt. Denn die geladenen Teilchen des Plasmas erzeugen ein Magnetfeld, wenn sie sich bewegen. Magnetfelder beeinflussen aber auch wie sich Plasma bewegen kann. Es gibt als jede Menge komplexe Rückkopplungseffekte und das ganze ist alles andere als einfach zu verstehen. Das merken wir zum Beispiel in der Fusionsforschung. Auch darüber habe ich in früheren Folgen ja schon oft gesprochen: Wenn wir Kernfusion künstlich herbei führen und daraus zum Beispiel Energie gewinnen wollen, dann müssen wir in der Lage sein, die Bewegung eines Plasmas durch Magnetfelder zu kontrollieren. Und deswegen ist es schlau, alle Informationen über Plasma zu erforschen, die wir kriegen können. Der Gas-Torus von Io ist eines der ganzen wenigen Plasma-Systeme, das wir in seiner Gesamtheit überblicken und untersuchen können. Wir können erforschen, wie sich dieser Millionen Kilometer lange Strom aus Plasma um den Jupiter windet, wie die Dynamik des Magnetfelds ihn beeinflusst, und so weiter. Klar, Jupiter ist weit weg – aber es ist ein bisschen so wie bei der Klimaforschung. Es ist wichtig, dass wir mit Wetterstationen direkt vor Ort sind und Daten sammeln. Es ist aber ebenso wichtig, mit Erdbeobachtungssatelliten Daten aus der Ferne zu sammeln und das Gesamtbild zu untersuchen.

Also werden wir auch den Gas-Torus weiter untersuchen. Mit immer neuen Methoden und die sind mehr als nur ausgeklügelt. Im Jahr 2016 hat zum Beispiel die Raumsonde Juno den Jupiter erreicht und sie ist auch immer wieder an Io vorbei geflogen. So eine Raumsonde muss natürlich mit der Erde kommunizieren; Bilder und Daten zurück zu uns schicken, Kurskorrekturen empfangen, und so weiter. Diese Kommunikation findet mit Radiowellen statt und wenn diese Radiowellen sich durch ein Plasma bewegen, gibt es Störungen. Beziehungsweise Verzögerungen, die um so größer sind, je dichter das Plasma ist, durch das sich die Radiosignale bewegen. Das kann man natürlich messen und das hat man auch gemessen: Aus einer Analyse der Verzögerungen in der Kommunikation zwischen Juno und der Erde konnte man Informationen über die genaue Form und Ausdehnung des Gas-Torus bei Io gewinnen. Und das ist nur eine von vielen Methoden, mit denen wir dieses seltsame Phänomen erforschen.

Es wäre jetzt natürlich übertrieben, wenn ich behaupten würde, dass die Beherrschung der künstlichen Kernfusion eine direkte Konsequenz der astronomischen Forschung an Ios Gas-Torus sein könnte. Das ist nicht so und deswegen behaupte ich das nicht. Ios Gas-Torus zu verstehen ist Grundlagenforschung. Wir wissen danach mehr als vorher und das ist erst mal alles. Aber je mehr wir wissen, desto besser stehen die Chancen, dass irgendwann mal etwas mit diesem Wissen passiert, mit dem wir noch gar nicht gerechnet haben. Und DAS ist, worum es in der Forschung geht.

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