Der erste Monat des neuen Jahres ging schneller vorbei als man es denken möchte (so wie alle Monate in letzter Zeit). Und bevor er ganz vorbei ist, muss ich noch – wie immer – darüber berichten was ich in den vergangenen Wochen gelesen habe. Das waren erfreulicherweise nur Bücher, die ich euch problemlos empfehlen kann.
Rückkehr aus dem Marianengraben
In „Marianengraben“ von Jasmin Schreiber geht es nur am Rande um die tiefste Stelle der Erde aus dem Titel des Buchs. Eigentlich geht es um den Tod. Das ist ein doofes Thema; mit dem will man sich nicht beschäftigen. Das will man verdrängen und mir geht es da nicht anders.
Ich weiß zwar, dass ich irgendwann sterben muss und alle die ich kenne und gern habe ebenso. Aber ich will darüber nicht mehr als nötig nachdenken müssen. Das Buch von Jasmin Schreiber zwingt einen aber genau dazu und das ist gut. Denn früher oder später müssen wir uns mit dem Tod auseinandersetzen. Und vor allem auch mit der Trauer. Denn darum geht es in „Marianengraben“ eigentlich. Die Biologie-Studentin Paula verliert ihren kleinen Bruder bei einem Unfall. Und kommt damit nicht klar. Sie verliert sich in einer Depression, die so tief ist wie die tiefste Stelle des Meeres. Sie findet keinen Weg, mit der Trauer um den Verlust umzugehen. Das ändert sich erst, als sie bei einem nächtlichen Besuch auf dem Friedhof auf Helmut trifft. Der alte Mann hat seine ganz eigenen Erfahrungen mit dem Tod gemacht und seinen eigenen Weg gefunden, damit umzugehen. Wozu auch das heimliche Ausgraben der Asche seiner Lebensgefährtin gehört. Die sich daran anschließende Reise führt bis Südtirol, ist voller sehr berührender Szenen und voll mit Verzweiflung angesichts des Todes. Aber auch durchsetzt mit absolut skurrilen Episoden und genau diese Erlebnisse von Paula und Helmut sind es, die das Buch so beeindruckend machen. Immer wenn man kurz davor ist, sich selbst in unschönen Gedanken über den Tod zu verlieren, reißen einen die absurden Abenteuer von Paula und Helmut wieder raus.
Und wenn man das Buch zu Ende gelesen hat, dann hat man – gemeinsam mit Paula – doch wieder ein wenig Hoffnung angesichts der Sterblichkeit dieser Welt entwickelt. „Marianengraben“ ist ein sehr schönes Buch über ein Thema, das uns alle früher oder später treffen wird. Lest es. (Übrigens: Die Autorin betreibt auch gemeinsam mit Lorenz Adlung den sehr hörenswerten Podcast „Bugtales: Die Abenteuer der Campbell-Ritter, oder: Geschichten aus Natur und Wissenschaft!“)
Die Welt hinter der Realität
Adrian Tchaikovsky gehört zu den originellsten Autoren in der aktuellen Science-Fiction-Literatur. Über einige seiner Bücher habe ich ja schon früher berichtet. Im Januar habe ich „The Doors of Eden“ (erscheint auf deutsch unter „Portal der Welten“) gelesen. Auch hier geht es um ein klassisches Genre-Thema, das Tchaikovsky sehr kreativ umdeutet: Parallelwelten. Die beiden jungen Frauen Lee und Mal sind Fans „geheimnisvoller Phänomene“. Sind sind auf der Suche nach Nessie, Bigfoot und ähnlichen „Monstern“. Bei einem ihrer Ausflüge passieren dann aber sehr reale und sehr verwirrende Dinge und Mal ist plötzlich verschwunden. Dann ist da noch die Mathematikerin Kay Amal Khan, die irgendwelche sehr mysteriösen Forschungen anstellt und vom britischen Geheimdienst überwacht wird. Und während man sich fragt, wo das alles hin führen soll, bekommt man im Buch zwischen den Kapitel scheinbar zusammenhanglose Vorlesungskripten präsentiert, in dem eine nicht näher vorgestellte Wissenschaftlerin beschreibt, wie sich intelligente Lebewesen auf alternativen Versionen der Erde entwickelt haben könnten.
Spoiler möchte ich – wie üblich – weitestgehend vermeiden. Aber ich sage nicht zu viel, wenn ich andeute, dass sich diese hypothetischen Evolutionslinien im Laufe des Buches als alles andere als hypothetisch herausstellen. Und dass die Welt, wie wir sie kennen, ein paar „Löcher“ hat, durch die man anderswo hin gelangen kann. Durch die aber auch alles zu uns kommen kann. Die zusammengewürfelten Protagonisten müssen sich im Laufe der Geschichte darauf einstellen, nicht nur eine Welt zu retten sondern gleich unzählige davon. Und an dieser Rettungsmission sind nicht nur Menschen beteiligt (und ebensowenig nur menschenähnliche Lebewesen…).
„The Doors of Eden“ ist klassische Science-Fiction mit einem originellen Twist, die einem weit über das Ende des Buches zum Nachdenken anregt. Was auch nötig ist, denn man kann es kaum aus der Hand legen und ist schneller an diesem Ende angelangt als man es sich wünschen würde.
Was wäre wenn…
Matt Haig schreibt Bücher, die man als „Ratgeber-Fantasy“ beschreiben könnte. Es dreht sich immer irgendwie um Ratschläge, wie man mit dem Leben an sich und Problemen in diesem Leben klar kommen kann. Aber im Gegensatz zu den Unmengen an meist eher schlechten echten Ratgebern, bettet Haig seine Sicht auf die Dinge in sehr berührende und spannende Geschichten ein. Das hat er schon in „Ich und die Menschen“ (hier besprochen) und in „How to stop time“ (hier besprochen) getan. Und das tut er in „The Midnigt Library“ (auf deutsch: „Die Mitternachtsbibliothek“) ebenso. Es geht um Nora, die ein unaufregendes bis deprimierendes Leben führt. Niemand interessiert sich für sie; sie hat keine Freunde, einen Job den sie nicht mag und dann stirbt auch noch ihre Katze. Die wachsende Unzufriedenheit mit ihrem Leben wird zu Verzweiflung und schließlich zu absoluter Hoffnungslosigkeit. Nora nimmt sich das Leben. Und landet überraschenderweise in einer Bibliothek in der es immer genau Mitternacht ist. Die Bücher dort beschreiben alternative Leben, die Nora führen hätte können, wenn sie bestimmte Entscheidungen anders getroffen hätte. Es ist quasi die Verkörperung der Viele-Welten-Theorie der Quantenmechanik, nur das Nora in der Lage ist, all diese anderen Leben „auszuprobieren“. So lange, bis sie eines findet, dass sie behalten möchte. Oder ihre Verzweiflung und der endgültige Tod doch die Oberhand gewinnt.
Mit einem Setting wie in diesem Buch kann man natürlich viel Quatsch machen. Es hätte ein wenig ambitioniertes Buch werden können; es hätte ein schlechtes Buch werden können; es hätte ein triviales Buch oder ein schnulziges Buch werden können. Aber Haig hat ja schon in seinen vorherigen Werken gezeigt, dass er solche Gefahren gut umgehen kann. Natürlich ist es amüsant zu sehen, wie Nora alle möglichen Leben testet; wie sie herausfindet, welche großen Folgen kleinste Entscheidungen haben können. Aber es ist keine Nummernrevue und am Ende der Lektüre stellt sich ein ähnliches Gefühl ein wie bei „Marianengraben“: Man ist ein wenig mehr mit dem Leben versöhnt als vorher – und mit dem Tod ebenso.
Das Multiversum der Vergangenheit
Zum Schluss gibt es dann auch noch ein Sachbuch: „The Number of the Heavens: A History of the Multiverse and the Quest to Understand the Cosmos“ von Tom Siegfried nähert sich dem Thema „Multiversum“ aus wissenschaftlicher und vor allem historischer Sicht. Ich hab das Buch begonnen und mir eigentlich einen Überblick über Quantenmechanik, Kosmologie und Relativitätstheorie erwartet; eine Abhandlung über String-Theorie, Inflation und die Viele-Welten-Hypothese. Also all das, was man in vielen anderen populärwissenschaftlichen Büchern mehr oder weniger schon genau so gelesen hat. Zum Glück hat Siegfried ein völlig anderes Buch geschrieben. Die moderne Wissenschaft kommt zwar auch vor; der Fokus liegt aber auf der sehr viel weiter entfernten Vergangenheit. Siegfried beginnt in der Antike und arbeitet sich über Mittelalter und Neuzeit langsam durch die Vorstellungen, die wir Menschen vom Universum hatten und haben. Von den allerersten mythologischen Ideen über die Weltsysteme der griechischen Philosophen bis hin zu den religiösen Gelehrten des Mittelalters liefert er ein sehr detailliertes Bild unseres kosmischen Verständnis. Denn auch wenn das Multiversum wie wir es heute verstehen natürlich ein Resultat der modernen Wissenschaft ist, haben sich die Menschen immer schon Gedanken darüber gemacht, ob es neben unserer Welt noch andere Welten gibt. Im Vorbeigehen klärt Siegfried noch ein paar Mythen auf, zum Beispiel den, dass die Leute im Mittelalter alle nur gebetet haben und keine Forschung stattgefunden hat. Oder dass die Kirche immer und strikt die Existenz von Welten und Lebewesen außerhalb der Erde geleugnet hat. Vor allem zeigt Siegfried aber, wie sehr die Gedanken der Vergangenheit dem ähnlich sind, was wir heute über die Natur des Multiversums/Universums denken – oder zu denken glauben.
Das Buch ist ein wunderbarer historischer Überlick mit jeder Menge Details die einen auch dann noch überraschen, wenn man denkt, man hätte zu dem Thema eigentlich eh schon alles gelesen. Was zum Beispiel ich mir gedacht habe, weil ich in meinem Buch „Eine Neuentdeckung des Himmels“ einen sehr ähnlichen (aber natürlich kürzeren) Überblick über genau diese Thematik gegeben habe. Aber mit dem was ich dank Siegfried gelernt habe, hätte ich mindestens noch ein paar Kapitel darüber schreiben können…
Das wars
Das wars für den Januar. Ich bin froh, dass ich diesmal kein schlechtes Buch erwischt habe und wünsche mir auch für den Februar so viel Glück. Wenn ihr dem mit euren Empfehlungen helfen wollt, dann immer raus damit!
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Habe gerade „Der korrumpierte Mensch“ von Jonathan Aldred gelesen. Das Buch behandelt prominente Wirtschaftswissenschaftler im 20. Jahrhundert im Zusammenhang mit dem homo oeconomicus-Modell. Ich fand es informativ und spannend, es gibt inzwischen einige solcher biografisch aufgebauter Wirtschaftshistorien.
Da sind ein paar interessante Titel dabei … der Tschaikovski würde mich z.B. sehr interessieren. Und dafür hätte ich auch einen Tipp für Dich (oder andere, die das hier lesen); vorausgesetzt, dass man Jugendbuch-Dystopien wie „Tribute von Panem“ mag:
Die „The Atlantis Grail“ Serie von Vera Nazarian – bestehend aus den 4 Büchern Qualify, Compete, Win und Survive.
Der Rahmen ist folgender: Atlantis gab es wirklich und die alten Atlanter, die ins All geflohen sind, sind nach 12.000 Jahren zurückgekehrt, weil ein gewaltiger Asteroid auf die Erde zurast – so einer, wie er den Dinos zum Verhängnis wurde. Leider ist es selbst den Atlantern nicht möglich, diesen aufzuhalten oder abzulenken … aber sie sind bereit, 10 Millionen Menschen (die aus Gründen, die im Lauf der Serie erklärt werden, Teenager sein müssen) auf ihren neuen Kolonialplaneten – der ebenfalls Atlantis heißt – mitzunehmen. Doch weil es natürlich deutlich mehr als 10 Millionen Teenager auf der Erde gibt, müssen diese sich qualifizieren … Die ganze Geschichte (also: alle 4 Bücher) spielt zwischen Frühjahr 2047 und Ende 2048 und wird dabei übrigens ausschließlich aus der Sicht einer – zu Beginn – 16 Jahre jungen Frau namens Gwenevere Lark erzählt.
Wie gesagt – es ist eine Dystopie; aber in ihrem Grundton ist sie trotzdem weitaus optimistischer als die Werke von z.B. Suzanne Collins oder Veronica Roth – und vor allem in den späteren Büchern ist sie auch mit einem heftigen Schuß Romantik gewürzt – ohne, dass es dabei kitschig wird.
Auf Deutsch sind die Bücher bisher leider noch nicht erschienen 🙁 – was ich sehr schade finde, weil sie in meinen Augen den „Tributen von Panem“ mindestens das Wasser reichen können. Mindestens …
Oha, da gehts ja wohl letztlich auch um mich^^ Zu interessant, um nicht reinzuschauen.
Macht dann zwei anstehende durch-hier-Neuerwerbungen bisher, denn (von früher-hier ;•) ) Tchaikovskys ‚Children of *‘ sind zu interessant geschrieben, um nicht auch das neue Werk auf die Liste zu setzen.
Tchaikovsky ist sehr gut, kann ich auch nur empfehlen.
Lieblingsbücher in letzter Zeit:
Die Murderbot Serie von Martha Wells (Cyborg goes rogue und es geht in eine andere Richtung als das übliche). Fängt mit All Systems Red an.
The Raven Tower von Ann Leckie. Fantasy, Götter-Mythen, di:er Erzähler:in ist ein angebeteter Stein.
Wenn man Krimis und schottische Akzente mag: Die Frey & McGray Reihe von Oscar de Muriel. Versnobter, englischer Polizist wird im viktorianischem Zeitalter nach Schottland zwangsversetzt, in eine Art Akte X Abteilung.
Claire North: Touch. Person kann seit Jahrhunderten durch bloße Berührung die Körper anderer Menschen übernehmen und springt von Mensch zu Mensch.
Die Dublin Trilogie (4 eigentlich) von Caimh McDonnell. Beginnt mit A Man With One Of Those Faces. Irisches Lokalkolorit, Krimi… Einführung in die Figur Bunny McGarry.
Oh, und:
Die Rampart Trio von MR Carey, The Book of Koli und The Trials of Koli (dritter Teil The Fall of Koli kommt noch). Post-Apokalypse in ferner Zukunft, beginnt in einem kleinem Dorf mit Resten Technologie, die sie nicht verstehen und somit mythifizieren. Erzähler kommt über einen uralten MP3 Player / Smartphone Dings in Kontakt mit einer KI.
Sehr spannend der Schreibstil des Erzählers, weil Entwicklung und Vereinfachung von Sprache dargestellt wird.
Bin sehr gespannt auf den abschließenden Teil.
(Seine Zombie-Variation The Girl With All The Gifts ist übrigens auch toll)
[…] Mauersegler” ist das dritte Buch von Jasmin Schreiber. Ihren ersten Roman “Mariannengraben” habe ich Anfang des Jahres schon sehr empfohlen und ihr hervorragendes Sachbuch “Abschied von Hermine” über den Tod im April allen […]