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Das sagt der Autor des Artikels, Dominik Rösch über sich:
Dominik Rösch ist studierter Umweltwissenschaftler und Wissenschaftsjournalist. An der Bundesanstalt für Gewässerkunde ist er in einem Forschungsprojekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung tätig und vermittelt zwischen Wissenschaft, wasserwirtschaftlicher Praxis und einer breiten Öffentlichkeit. Zuvor war bei einer PR-Agentur und im Bereich Umweltbildung tätig
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Warnen, Tarnen, Täuschen: Strategien im Akronym-Dschungel der deutschen Forschungslandschaft

 

Wissenschaft - Wenn aus Buchstaben Salat wird
Wissenschaft – Wenn aus Buchstaben Salat wird
Sommer, Sonne und ein kühles Bier – In einer netten Runde beim Geburtstag eines Freundes war es wieder soweit: Nach einem bislang amüsanten und unterhaltsamen Gespräch fragte mein Gegenüber, den ich seit dem Kampf um das letzte Steak am Grill vor einer knappen halben Stunde kannte, was ich beruflich eigentlich mache. Weder schäme ich mich für meinen Job, noch ist irgendetwas Anrüchiges daran. Dennoch mag ich diese scheinbar unvermeidliche Frage nicht. Warum? Weil jeder Satz meist zu weiteren Fragezeichen bei meinem Gesprächspartner führt und im schlimmsten Fall neue Fragen provoziert. Aber das konnte mein neuer Bekannter zum damaligen Zeitpunkt schließlich noch nicht wissen. Ich überlegte also kurz, holte dann tief Luft und legte los: „Ich arbeite im Transfer- und Vernetzungsprojekt ReWaMnet, angesiedelt an der BfG, in der BMBF-Fördermaßnahme ReWaM im Förderschwerpunkt NaWaM im Rahmenprogramm FONA3, begleitet durch PTKA und PtJ.“ Alles klar? Aber das ist erst der Anfang. Der Satz lässt sich beliebig verkomplizieren, zum Beispiel durch das Einstreuen beteiligter Forschungsprojekte und Projektpartner.

Babylonische Sprachverwirrung
Wissenschaftler sprechen oft in ihrer scheinbar eigenen Sprache. Das ist nicht immer gut, hat aber viele sinnvolle Gründe: Denn oftmals drücken wissenschaftliche Fachbegriffe einen Sachverhalt oder einen Prozess sehr viel genauer aus, als es unsere Alltagssprache vermag. Andere Forscher wissen dann genau, von was ihr Kollege gerade spricht und es gibt weniger Missverständnisse – zum Leidwesen der „Nichteingeweihten“. Aber darum soll es an dieser Stelle nicht gehen! Neben Fachtermini gedeihen auch Akronyme prächtig in der deutschen Forschungslandschaft und werden von den Wissenschaftlern mit Hingabe gehegt und gepflegt. Akronyme sind Kurzworte, die aus den Anfangsbuchstaben mehrere Wörter bestehen. „Haribo“ wäre ein solches Kurzwort und steht für den Unternehmensgründer Hans Riegel, der seine Firma in das Handelsregister in Bonn eintragen ließ.

KLIMZUG-NORD, In_StröHmunG oder PlastX – Praktisch alle Forschungsprojekte in Deutschland tragen ein Akronym als Namen. An Kreativität und Erfindergeist scheint es den Urhebern dabei selten zu mangeln. In meinem Blog-Beitrag möchte ich unaussprechliche, skurrile und unfreiwillig komische Projektakronyme vorstellen, die mir bei meiner täglichen Arbeit ins Auge springen. Ich bin überwiegend im Bereich „Wasserforschung“ tätig. Meine kleine Auswahl ist daher sicher nur ein begrenzter Ausschnitt und ich bin überzeugt, dass sich in anderen Disziplinen noch weitere Wortungetüme tummeln. Beispiele aus anderen Forschungsgebieten sind in den Kommentaren also höchst willkommen!

Die Biologie der Akronyme
Es gibt Projekte, die täuschen mit leuchtenden Lettern ihre Kompliziertheit vor, während andere sich möglichst gut in ihrem Lebensraum zu tarnen und im Grundrauschen unterzugehen versuchen. Bei der Beschäftigung mit den Akronymen fiel mir auf, dass sich viele Wissenschaftler bei der Namensfindung bewährter Strategien aus dem Tierreich bedienen:

Um meine gewagte These zu verdeutlichen, beginne ich mit einem kleinen Experiment: Woran denken Sie spontan, wenn Sie das Wort „RESI“ lesen? Die Hobby-Köche und Gärtner unter Ihnen haben sicher die Tomatensorte vor Augen. Ich persönlich muss dabei jedoch unweigerlich an Dirndl, Zöpfe, blauen Himmel und Alpen denken. Also durchweg positive Assoziationen. Wenn ich Ihnen nun verrate, dass es ein Projekt mit diesem Namen gibt, winken Sie müde ab. Aber wenn Sie ehrlich zu sich sind, können Sie sich nur schwer vorstellen, dass hier möglicherweise „dröge“ Wissenschaft betrieben wird. Das Ausnutzen des Kindchenschemas ist eine besonders perfide und häufig genutzte Strategie bei der Benennung von Projekten. Weitere Beispiele sind Inka, LiLa, MoMo und mein persönlicher Liebling REINER. Wenn Sie das nächste Mal auf einen REINER stoßen, können Sie ihm verraten was der Name eigentlich bedeutet: „Steigerung der Energieeffizienz in Wassernetzen durch neue Beurteilungstools und optimierte Reinigung“. Wobei Sie den Part mit der „optimierten Reinigung“ besser nur undeutlich nuscheln.

Warnen, Tarnen, Täuschen
Eine weitere Taktik, um Sinn und Zweck eines Forschungsprojekts zu verschleiern, ist die Mimese. Bei der Mimese ahmen Tiere Teile ihrer Umgebung nach. Bei Insekten können dies Pflanzen oder Steine und bei Tintenfischen der Meeresboden sein. Der Grund dafür ist, dass die Tiere von ihren Fressfeinden nicht entdeckt werden wollen. Dem Wissenschaftler hingegen schenkt Tarnung Ruhe vor neugierigen Journalisten sowie Bloggern, außerdem wird die Konkurrenz im eigenen Fach abgelenkt – soweit das mögliche Kalkül. Exemplarisch sei hier das Projekt KLEE (Klimaanpassung Einzugsgebiet Este) genannt, das nur im Weitesten Sinne mit Wald- und Wiesenforschung zu tun hat. Das ist aber natürlich kein Einzelfall: Perfektioniert haben dieses Prinzip die Namensgeber des Projekts nofdp (Nature-Oriented Flood Damage Prevention), die sich vom Namen einer politischen Partei inspirieren ließen. Ein weiteres Beispiel ist das Projekt PRiMaT, jedoch nicht zu verwechseln mit dem Projekt RiMaTH. Was mich zur nächsten Strategie führt, die ich gerne präsentieren möchte: Mimikry ist eine weitere Form der Tarnung. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Schwebfliege, die zur Abschreckung die Warntracht von Biene und Wespe angenommen hat. Eine ganze Reihe von Projektnamen besitzen eine auffallend große Ähnlichkeit zu anderen Projekten – Verwechslungsgefahr inklusive. Thematisch und dem Namen nach verwandt sind die Projekte KLIWAS, KLIWA, CLIMA und Climax. Einige Wissenschaftler scheinen gezielt auf das Prinzip der Abschreckung zu setzen und lassen ihre Forschungsprojekte bewusst giftig oder ungenießbar erscheinen: Dazu gehören die Projekte AGRO, NiddaMan, noNitriNox und TransRisk.

Manche Projekte sind auch schlicht unaussprechlich und entziehen sich bislang einer weiteren Einordnung. Dazu zählen DAPACLIP, ERA_CLIM2, MiKlip – DecReg. Es besteht daher dringender Forschungsbedarf nach weiteren Kategorien zur Einordnung von Projekt-Akronymen.

25 Gedanken zu „Warnen, Tarnen, Täuschen: Strategien im Akronym-Dschungel der deutschen Forschungslandschaft“
  1. REINER (…) „Steigerung der Energieeffizienz in Wassernetzen durch neue Beurteilungstools und optimierte Reinigung“

    Hä??

    Zimbo-Wurst fällt mir noch ein: Zimmermann Bochum.
    Noch viel doller treiben es ja unsere Angloamerikanischen Freunde. Was die an aussagekräftigen und gut passenden Akronymen bauen find ich immer wieder faszinierend. Mir scheint, dass die englische Sprache einfach vielseitiger und flexibler ist als das Deutsche (gibt’s da generell mehr Synonyme?).

    Inspirierendes Thema. Den Artikel finde ich einmal mehr zu kurz, da wäre noch Potential drin gewesen.

  2. Hmm, schlimmer als die ganzen Akronyme finde ich den derzeitigen Drang danach absolut alles möglichst auf englisch auzudrücken. sogar dann, wenn es dadurch länger wird (worst case scenario ist länger als schlimmestenfalls) oder wenn es sogar zu sehr verallgemeinernd ist (devices anstatt die jeweilige Geräteklasse) oder einfach nur ersetzend (Bacon statt Speck oder sour creme anstatt Schmand). Akronyme mache da sogar noch eher Sinn, sie kürzen Dinge ab, die man, wenn man in der Materie nicht bewandert ist nicht verstehen muß, einfach ab, bei den Anglizismen muß man aber das Wort kennen um den Sinn im Satz zu verstehen.

  3. „Perfektioniert haben dieses Prinzip die Namensgeber des Projekts nofdp (Nature-Oriented Flood Damage Prevention), die sich vom Namen einer politischen Partei inspirieren ließen.“

    Das war/ist ein europäisches Projekt, eine deutsche Partei da als Inspirationsquelle zu vermuten finde ich eher abstrus. Die Entstehung des Akronyms aus Aneinanderreihung der Anfangsbuchstaben der Langform der Projektbezeichnung erscheint mir um einiges plausibler.

  4. @Universallaie, #3

    Tatsächlich ist auch Deutschland in der EU und es gibt entsprechend auch europäische Projekte, die von deutschen Forschern geleitet werden. So auch nofdp:
    https://3b.nweurope.eu/page/projet.php?p=31&id=554
    Deutschland und die Niederländer. Ich denke, dass jeder einzelne, der bei der Antragstellung beteiligt war, sich voll darüber bewusst war, dass das Akronym doppeldeutig ist.
    Trotzdem auch ein schöner Wink an die Kommission. Die Angabe eines Akronyms ist nämlich Pflicht, wenn man europäische Fördermittel verbraten will. Und da ein gutes zu finden ist gar nicht so einfach.

  5. OSIRIS gibt’s gleich vierfach:

    OH-Suppressing Infrared Integral Field Spectrograph

    Optical System for Imaging and low Resolution Integrated Spectroscopy

    Optical, Spectroscopic, and Infrared Remote Imaging System

    Origins Spectral Interpretation Resource Identification Security – Regolith Explorer
    (OSIRIS-REx)

  6. @Markus #4

    Über die deutsche Beteiligung an ’nofdp‘ war ich mir durchaus im klaren, als ich #3 schrieb.Ich kann mir auch gut vorstellen, dass sich die Beteiligten über den politischen Bezug amüsiert haben. Nur bezweifle ich nach wie vor, dass Mimese bei der Akronymfindung die angedeutete Rolle spielte.

  7. @dampier 🙂
    Das tolle ist dass passt sogar auf deutsch.
    Also spezielles hoch intensiviertes training.
    Aber so richtig deutsch müsste es heissen: Mehrfache Übung leistungorientierter Lebensweise.
    Kurz M.Ü.L.L

  8. @tomtoo

    Noch schlimmer sind ja die three-letter acronym’s.

    I’ve been thinkin‘ ‚bout my ISP
    my POP and my PPC
    the DSP on my PDA
    the NAB and the NRA
    the CEO, the COO, the CFO and an IPO
    I got a JPG of an MIA
    It was an FTP from the CIA

    Shut the hell down

    I’m being cleared by the DOJ
    the FBI and the FAA
    the ATF and the NEA
    PTL and the PTA
    the FCC, the FTC, the FDA and the DMV
    the IRS and the NRC
    the AMA and the DOD

    I have strange dreams caused by ADD
    I saw FDR in an SUV
    A UFO over NYC sucked SNL out of NBC
    Met JFK, RFK, MLK and heard LBJ say
    The LDS don’t use LSD
    They use DSL out in SLC

  9. Oh, there’s a much more ‚compressed‘ one in German (Germans like acronyms):

    ARD, ZDF, C&A
    BRD, DDR und USA
    BSE, HIV und DRK
    GbR, GmbH – ihr könnt mich mal
    THX, VHS und FSK
    RAF, LSD und FKK
    DVU, AKW undKKK
    RHP, USW, LMAA
    PLZ, UPS und DPD
    BMX, BPM und XTC
    EMI, CBS und BMG
    ADAC, DLRG – ojemine
    EKZ, RTL und DFB
    ABS, TÜV und BMW
    KMH, ICE und Eschede
    PVC, FCKW – is’nich’o.k.

    Mfg mit freundlichen Grüssen, […]

    usw., usf., etc. pp. ….

    https://www.clipfish.de/musikvideos/video/1776027/die-fantastischen-vier-mfg/

    😉

  10. Selbstverständlich treiben es die Germanen mit den Abkürzungen am intensivsten – sprichwörtlich geworden als AbküFi; dafür gibt es ebenso selbstverständlich im Englischen kein Three-Letter-Acronym, sondern ausschließlich TLAs.
    Und Vorsicht bei den Wortteil-Abkürzungen (die völlig unverständlicherweise ‚Silbenwörter‘ genannt werden, obgleich bis auf sehr seltene Ausnahmen keine Silben genommen werden): Ob die auch zu den Akronymen sortiert werden sollen oder ausschließlich die Initialwörter ist nicht gerade einheitlich geregelt… Besonderer Scherz am Rande: Im wiki sind als Beispiele auch Initialwörter aufgeführt – da sind die trotz offensichtlicher Fehlzuordnung ziemlich änderungsresistent, wie sich herausgestellt hat.

    Woran denken Sie spontan, wenn Sie das Wort „RESI“ lesen?

    Traktor. Zugegeben nur eine gräßliche Beeinflussung diverser Nervensägen, aber derart tief ins Hirn gegraben, daß zu befürchten steht, es könnten demnächst Generationen aufwachsen, bei denen es von Geburt an festverdrahtet ist.

  11. Produziert die US-Politik nicht auch mit Vorliebe Akronym-Gesetze, so etwas wie den „USA PATRIOT Act“? Der steht übrigens für

    Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism Act of 2001

  12. Es gibt aber auch durchaus gute Gründe Akronyme zu verwenden. Für den internen Gebrauch ist ein Akronym einfach effizienter als ein allgemeinverständlicher Titel. Dabei ist es wichtig, ein möglichst eindeutiges und trotzdem aussprechbares Akronym zu finden. Das ist heutzutage bei der Vielzahl an Akronymen im Umlauf gar nicht so einfach. Dass dabei des öfteren für Außenstehende lächerlich wirkende Akronyme herauskommen ist unglücklich aber schwer vermeiden. Problematischer finde ich irreführende oder zweideutige Akronyme.

    Außerdem schreiben viele Geldgeber wie z.b. die EU bei der Beantragung von Forschungsgeldern die Vergabe eines Akronyms für jedes Projekt vor. Das hilft sowohl den Wissenschaftlern als auch den Geldgebern, den Überblick zu behalten und Missverständnisse vermeiden.

    Eine nützliche und lustige Webseite ist übrigens der Akronym creator

  13. @RainerO
    Hab‘ lange nicht mehr hier gelesen, und dann über meine Lieblingsabkürzung zu stolpern war unerwartet!

    Mein Lösungsvorschlag ist dieser:
    A…n A…n A…t A…m A…e

    Einverstanden?

  14. @Till

    Für den internen Gebrauch ist ein Akronym einfach effizienter als ein allgemeinverständlicher Titel. Dabei ist es wichtig, ein möglichst eindeutiges und trotzdem aussprechbares Akronym zu finden.

    Das wundert mich immer, dass manche Akronyme praktisch unaussprechbar sind – ok, das sind dann eher einfach Abkürzungen, aber manche machens einem echt schwerer als nötig. Ich frage mich bei manchen Projektkürzeln, wie die Beteiligten das wohl aussprechen.

    Irgendwie ergibt es ja keinen Sinn, wenn die Abkürzung gar nicht kürzer auszusprechen ist … Bestes Beispiel: „DoubleyouDoubleyouDoubleyou“ vs. „WorldWideWeb“

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