Dieser Artikel ist Teil der blogübergreifenden Serie „Running Research – Denken beim Laufen“, bei der es um die Verbindung von Laufen und Wissenschaft geht. Alle Artikel der Serie findet ihr auf dieser Übersichtseite
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Gestern habe ich nichts getan. Heute tue ich nichts. Und morgen werde ich Bier trinken. Nichtstun und Bier trinken scheinen auf den ersten Blick nicht sonderlich gut in eine Artikelserie zu passen, in der es um Laufen und Wissenschaft geht. Aber das Nichtstun ist enorm wichtig! Auch wenn es manchmal schwer fällt; viel schwerer als das Bier trinken…
Morgen werde ich beim Linz Marathon mitlaufen. Es wird mein erster Marathon in diesem Jahr sein und überhaupt mein erster Laufwettbewerb seit dem Silvesterlauf im letzten Jahr. Ich bin äußerst gespannt, wie ich den Lauf hinter mich bringen werde. Seit dem Herbst des letzten Jahres bin ich ja fast ständig beruflich unterwegs und kaum mal länger als drei bis vier Tage an einem Ort (bzw. zuhause in Jena). Das macht ein gezieltes Training schwer (und über diese Probleme habe ich ja schon in der letzten Folge geschrieben). Es macht aber auch eine gezielte Ruhe schwer!
Ich neige dazu, die nötigen Ruhephasen zwischen den Trainingseinheiten zu unterschätzen. Normalerweise laufe ich jeden Tag; mal länger und mal kürzer. Und eine Pause mache ich dann, wenn ich merke, dass ich erschöpft bin. Das hat bis jetzt gut funktioniert; aber auch nur deswegen, weil ich mir meine Termine ziemlich frei einteilen konnte. Durch meine vielen Reisen klappt das nicht mehr so gut. Wenn ich wieder einmal einen ganzen Tag im Zug oder mit Proben für einen Auftritt verbringen muss, dann wird mir die (sportliche) Ruhe aufgezwungen; egal ob ich gerade bereit dafür bin oder nicht. Für die aktiven Tage gilt das gleiche; sie werden mir mehr oder weniger von außen diktiert und nicht durch meine jeweilige Form.
Wenn es nun nur darum ginge, Spaß am Laufen zu haben und halbwegs fit zu bleiben, wäre das nicht so tragisch. Aber wenn man gezielt für einen Wettbewerb trainiert, ist die richtige Mischung aus Training und Ruhe wichtig. Besonders in den Tagen direkt vor einem Marathonlauf sollte man sich so viel Ruhe wie möglich gönnen. Ein Trainingsrückstand lässt sich dann sowieso nicht mehr aufholen und weitere Laufeinheiten nehmen einen höchstens die Kraft für den Wettkampf.
Also sitze ich momentan in Linz und probiere mich zu erholen. Was in Linz ganz gut geht; Linz ist eine schöne Stadt und je öfter ich dort bin, desto besser gefällt es mir hier. Über den berühmten Linzer „Leberkäs-Pepi“ habe ich ja schon mal berichtet aber Leberkäse ist nicht unbedingt das, was man am Tag vor einem Marathon zu sich nehmen sollte… Gleich neben der Verkaufsstelle der deftigen Spezialitäten findet sich aber eine weitere Linzer Berühmtheit: Johannes Kepler!
Im April 1612 übersiedelte der große Astronom von Prag nach Linz und blieb dort bis 1627. Sein Wohnhaus steht dort heute noch und ich hatte schon mehrmals die Gelegenheit im dortigen Kepler Salon einen Vortrag zu halten. Mit dem Marathonlauf hat Kepler wenig zu tun; aber durchaus ein wenig mit dem, was danach kommt!
Kein Marathonläufer wird widersprechen wenn ich sage, dass der schönste Moment der ganzen Veranstaltung die Ankunft im Ziel ist. Natürlich ist auch der Lauf an sich nett. Beziehungsweise kann es sein, sofern man sich gut vorbereitet hat. Beim Wien Marathon 2015 hatte ich genau das erlebt; damals habe ich die Mischung aus Training und Ruhepause anscheinend sehr gut erwischt. Die Stimmung entlang der Strecke war super und mir ging es so gut, dass ich die letzten 10 Kilometer deutlich schneller als die 32 Kilometer davor laufen konnte. Es war ein großartiges Gefühl, links und rechts die Mitläuferinnen und Mitläufer hinter mir lassen zu können und immer schneller das letzte Stück bis ins Ziel zu gelangen. Nicht so großartig war das Gefühl bei meinem letzten Marathon (dem Wachaumarathon im September 2015). Hier hatte ich davor wohl zu viel trainiert, denn ab Kilometer 30 haben mich die Kräfte komplett verlassen und diesmal lief der Rest des Feldes links und rechts an mir vorbei während ich Schwierigkeiten hatte, überhaupt noch laufend und ohne Gehpausen ins Ziel zu kommen.
Aber egal wie man bei einem Marathon ins Ziel kommt: Ist man erst einmal dort, fühlt man sich großartig. Und möchte dann meistens auch etwas trinken. Und hier kommt nun wieder Johannes Kepler ins Spiel! Man kennt ihn ja vor allem als den großen Astronom, der er ja auch war. Aber er hat sich auch mit anderen Sachen beschäftigt; zum Beispiel der Aufbewahrung alkoholischer Getränke. 1613 heiratete Kepler in Linz das zweite Mal. Bei der Hochzeits gab es auch damals schon jede Menge zu trinken und Kepler musste einige Fässer Wein einkaufen. Dafür musste der Weinhändler vorher natürlich messen, wie viel Wein im Fass ist; also im wesentlichen das Volumen bestimmen. Das tat er immer mit der gleichen Methode, obwohl die Fässer alle eine unterschiedliche Form hatten.
Man steckte damals einfach eine Messlatte durch das Spundloch des Fasses, das sich in der Mitte befand. Damit maß man den Abstand von der Mitte bis zu den beiden Böden des Fasses und bestimmte daraus sein Volumen. Kepler fand das komisch:
„Ich wunderte mich, dass die Querlinie durch die Fasshälfte ein Maß für den Inhalt abgeben könne und bezweifelte die Richtigkeit der Methode, denn ein sehr niedriges Fass mit etwas breiteren Böden und daher sehr viel kleinerem Inhalt könnte dieselbe Visierlänge besitzen.“
Und er nahm sich vor:
„Es schien mir als Neuvermähltem nicht unzweckmäßig, ein neues Prinzip mathematischer Arbeiten, nämlich die Genauigkeit dieser bequemen und allgemein wichtigen Bestimmung nach geometrischen Grundsätzen zu erforschen und die etwa vorhandenen Gesetze ans Licht zu bringen.“
Nun, normalerweise haben frisch verheiratete Menschen eher anderes im Sinn als sich mit „geometrischen Grundsätzen“ zu beschäftigen… Aber Kepler war eben Kepler und schrieb eine kleine wissenschaftliche Abhandlung (aus der auch die obigen Zitate stammen) zum Thema: „Nova stereometria doliorum vinariorum“ (auf deutsch: „Neue Stereometrie der Weinfässer“). Damit wollte er das Problem der Volumensbestimmung von Weinfässern allgemein und vernünftig lösen.
Das Resultat ist das, was man heute die „Keplersche Fassregel“ nennt: Eine Formel mit der man aus der Höhe des Fasses, dem Radius des Deckels, dem Radius des Bodens und dem Radius auf halber Höhe des Fasses seine Querschnittsfläche und daraus dann sein Volumen berechnen kann. Das, was Kepler da getan hatte, war eigentlich nichts anderes als eine Integration zur Bestimmung der Fläche unter einer Kurve. Beziehungsweise eine numerische Näherungsformel für diese Integration, denn die Integralrechnung wurde erst ein paar Jahrzehnte später von Isaac Newton und Gottfried Leibnitz entwickelt. Keplers Fassregel ist, in ihrer weiter entwickelten Form als Simpsonsregel heute übrigens immer noch ein wichtiges numerisches Verfahren bei der Berechnung von Integralen.
Wein werde ich nach meiner Ankunft im Ziel vermutlich nicht trinken. Aber mit Sicherheit ein schönes Bier – vielleicht auch noch frisch vom Fass!
Heute werde ich mich dagegen vom Bier fernhalten und es lieber mit Erholung probieren. Und morgen dann hoffen, den Marathon ohne körperliche Schwierigkeiten zu überstehen. Ich kann dieses Mal wirklich kaum einschätzen, wo ich stehe. Der vorletzte lange Trainingslauf über 35 Kilometer lief genau nach Plan. Der letzte lange Trainingslauf über 35 Kilometer dagegen überhaupt nicht und ich musste nach km 31 eine Gehpause einlegen. Ob mein kurzer Wanderurlaub während der Osterfeiertage der Form eher förderlich oder schädlich war, lässt sich schwer sagen. Aber ich werde morgen einfach mal an den Start gehen und schauen, wie es läuft. Ich habe nicht vor, eine neue persönliche Bestzeit zu laufen; das ist momentan komplett unrealistisch. Ich würde mich freuen, wenn ich am Ende nicht länger als 4 Stunden bis ins Ziel brauche. Noch mehr freue ich mich, wenn ich wieder in die Nähe meiner letzten Marathonzeit von 3h30min komme. Aber am allermeisten freue ich mich, wenn ich – egal in welcher Zeit – angekommen bin und am Linzer Hauptplatz mit Blick auf Keplers Wohnhaus ein kaltes Bier trinken kann!
Na dann, toi, toi, toi!
Ich hab’s wohl mit den Ruhepausen nicht ernst genug genommen, bin zweimal 21 km an aufeinander folgenden Sonntagen gelaufen und hab‘ jetzt (vermutlich) eine Sehne im Fuß entzündet. Kann seit 2 Wochen nicht mehr richtig gehen. Wann ich wieder laufen kann, weiß ich nicht, kann wohl 6 bis 8 Wochen werden. Versuche derweil, das Gewicht durch Schwimmen zu halten. Mist, wo’s jetzt abends länger hell bleibt und das Wetter schön wird. 🙁
Einen guten erfolgreichen Lauf wünsch ich Dir.
Ich drück dir die Daumen, dass es gut läuft.
(Wenn ja, müsstest du jetzt gerade im Ziel angekommen sein …)
Lass dir das Bier schmecken :9
@Dampier: Danke! Hat überraschend gutfunktioniert. Meine offizielle Zeit ist 3:31. Meine Laufuhr sagt mir, dass ich nen halben km mehr als die 42,2km gelaufen bin und den Marathon schon in 3:27 beendet hätte, was meine aktuelle PB wäre. So oder so – es war besser als ich es mir erwartet habe! Und das Bier nach dem Lauf hab ich direkt vor Keplers Haus getrunken: https://www.facebook.com/florian.freistetter/posts/10209161426537314?comment_id=10209161674103503¬if_t=feed_comment¬if_id=1459683345513409
Gingen sie diesmal vielleicht auf Nummer sicher ;-), ach diese Linzer !
https://www.runnersworld.de/marathon/strecke-beim-linz-marathon-zu-kurz.175025.htm
> #4, Florian Freistetter, 3. April 2016
> Meine offizielle Zeit ist 3:31.
Drei Minuten über der persönlichen Bestzeit ist immer ein gutes Ergebnis!
> Meine Laufuhr sagt mir, dass ich nen halben km mehr als die 42,2km gelaufen bin und den Marathon schon in 3:27 beendet hätte, was meine aktuelle PB wäre.
Die Strecke des Linzer Marathons ist AIMS-vermessen. Der Schätzwert der Streckenlänge beträgt somit 42195 + 42 = 42237 m. Somit ist sichergestellt, dass sie mindestens 42195 m lang ist und die erzielten Zeiten bestlistentauglich sind: https://aimsworldrunning.org/measurement/MeasurementOfRoadRaceCourses.pdf
Für den heutigen Lauf wurde keine Abweichung von der offiziell vermessenen Strecke berichtet.
@karl alderamin: ich meinte ja nicht das die Strecke falsch vermessen wurde sondern das ICH länger gelaufen bin. Idealline geht ja bei so vielen Leuten nicht;zweimal bin ich Umwege ins Gebüsch zwecks Klopause gelaufen usw. Natürlich gilt die offizielle Zeit mit der ich auch sehr zufrieden bin.
@Florian
Gratulation, tolle Leistung !!!
Was die Laufuhr betrifft, da würde ich mich eher auf die offizielle Messung verlassen. GPS ist ja mit einer gewissen Ungenauigkeit jeder Einzelmessung behaftet, die durch Mittelung weggerchnet wird. Das bedeutet dann aber, dass an Ecken möglicherweise zu stark geglättet wird. Oder Insgesamt zu wenig. Und natürlich kommt es darauf an, ob man immer genau die Ideallinie laufen kann. Als ich meinen 10 km gelaufen bin, hatte ich auch 250 Meter mehr auf der Anzeige (und 12 Sekunden weniger, hab‘ nicht beim Startschuss, sondern beim Überschreiten der Startlinie die Uhr gestartet). Ich denke schon, die 10 km stimmten ziemlich genau. Waren viele rechte Winkel entlang der Strecke.
> #7, Alderamin, 4. April 2016
> GPS ist ja mit einer gewissen Ungenauigkeit jeder Einzelmessung behaftet, die durch Mittelung weggerchnet wird. Das bedeutet dann aber, dass an Ecken möglicherweise zu stark geglättet wird. Oder Insgesamt zu wenig. Und natürlich kommt es darauf an, ob man immer genau die Ideallinie laufen kann.
Bezüglich der Ungenauigkeit hilft im Einzelfall immer eine Karte weiter, hier ein Beispiel mit Google Maps: https://www.nefkom.net/charlemagne/20160403225101-81129-map.html
Die Abweichungen von der Ideallinie werden gerne überschätzt und spielen in der Praxis meist keine Rolle. Die Glättungsalgorithmen sind stark vom Modell der Laufuhr abhängig: https://fellrnr.com/wiki/Best_Running_Watch
Im Herbst kamen statt nominal 50.000 m insgesamt 50.150 m heraus. Die Messfehler kompensieren sich recht gut. Die tatsächliche Länge ist ja unbekannt und somit auch der Fehler. Die Plausibilität der Daten ergibt sich dem Vergleich des Tracks mit den Luftbildern von Google.
Mein Garmin 310XT ärgert mich gelegentlich mit der Quickfix-Technik zum schnelleren Auffinden des GPS-Signals. Da wird manchmal voreilig Erfolg verkündet. Während des Laufs korrigiert sich die Uhr und zieht manchmal hundert Meter ab. Der Fehler in der Startposition ist aber auf der Karte leicht auszumachen.
Glückwunsch zum überstandenen Marathon (und der erreichten Zeit).
Wirklich sehr schwer. Und es ist für jene, die nicht mit dem Laufvirus infiziert sind nicht einfach zu verstehen, dass es sich nicht um einen „Humblebrag“ handelt, sondern dass es effektiv ein Problem ist.
o_O
Du hast nerven. Bringt dich das nicht total aus dem Rhythmus? Im Training ist das ja kein Problem, aber bei einem Rennen? Und dann trotzdem noch so nah an deiner PB?
@ali: Meine PB hab ich auch mit Klopausen gelaufen 😉 Klar wäre es ohne besser. Aber ich trinke beim Bewerb so viel mehr als im Training, dass es nötig ist. Noch mehr als Klopausen nervt nämlich der Harndrang…
Aber wenn ich mir dir Facebook-Kommentare ansehen, beschweren sich da einige über (angeblich) falsch aufgestellte km-Markierungen und Probleme bei der Zeitmessung…
#11 einfach laufen lassen beim laufen 😉
Florian wurde bei den Herrn übrigens 230. von 713. die die Marathonstrecke gefinisht haben (nur Herren, Damen finishten 141).
Florian, waren eigentlich die insgesamt 20000 Teilnehmer (alle Kategorien) wirklich schon zu viel? Hab wo gelesen, dass sich manche Läufer beschwerten, es sei schon zu überlaufen und die Organisatoren hätten den Lauf schon zu sehr gebusht. Weniger wäre also vielleicht schon mehr ?
@Christian: „Florian, waren eigentlich die insgesamt 20000 Teilnehmer (alle Kategorien) wirklich schon zu viel? „
Auf der Strecke hatte ich zumindest Platz; aber die 1/4-Marathonläufer hatten wohl Probleme, ins Ziel zu kommen und mussten dort Schlange stehen weil die Weiterleitung in den Erholungsbereich schlecht/eng war. Und die Zeitmessungsfirma hat offensichtlich nicht wirklich gut gearbeitet…
Da hätte ich mich aber ziemlich genervt. Habe nun ein paar Rennen gelaufen die letzten zwei Jahre aber sowas habe ich noch nie gesehen.
War doch nicht das erste Mal, dass dieses Rennen stattfand, oder?
Da hilft nur möglichst schnell Laufen. Ist man schnell genug, kommt man auch nicht in den Stau.