Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
Mehr Informationen: [Podcast-Feed][Apple]Spotify][Facebook]
Wer den Podcast finanziell unterstützen möchte, kann das hier tun: Mit PayPal, Patreon oder Steady.
Sternengeschichten Folge 642: Sternentriebwerke und Astro-Engineering
Wenn ich heute von Astro-Engineering spreche, also quasi „Astro-Technik“, dann meine ich damit nicht, dass wir jetzt irgendwelche Satelliten zusammenbasteln, Raketen bauen oder Teleskope konstruieren. Es geht tatsächlich um astronomische Vorhaben und „astronomisch“ sind sowohl die Größenskalen auf denen sich das abspielt, als auch die beteiligten Objekte. Es geht um die Frage, ob wir ganze Sterne „umbauen“ oder modifizieren können, um dadurch diverse Probleme zu lösen. Zum Beispiel, wenn unser Sonnensystem durch eine nahe Supernova bedroht wird und wir der ausweichen wollen: Wären wir dann in der Lage, die Sonne zu verschieben?
Und die Antwort lautet natürlich: Nein! Selbstverständlich können wir das nicht! Wir haben es gerade mal geschafft, kleine Raumstationen in unmittelbarer Nähe der Erde zu bauen und noch kleinere Raumsonden zu den Planeten des Sonnensystems zu schicken. Wir sind definitiv nicht in der Lage, einen Stern zu verschieben! Aber von solchen Realitäten lässt sich die Wissenschaft ungern aufhalten. Nur weil wir etwas jetzt noch nicht können ist das ja noch lange kein Grund, nicht darüber nachzudenken, wie man es vielleicht trotzdem irgendwann mal anstellen kann. Und deswegen haben sich im Laufe der Zeit jede Menge Menschen Gedanken über genau so ein Astro-Engineering gemacht. Die einen, weil sie spannende Science-Fiction-Geschichten schreiben wollten. Und die anderen aus wissenschaftlichem Interesse. Auf jeden Fall aber wissen wir heute, wie wir es anstellen müssten, wenn wir zum Beispiel vorhaben, ein stellares Triebwerk zu bauen, also eine Maschine, mit der sich ein Stern verschieben lässt. Und wenn ich sage, wir wissen, wie man es anstellen müsste, dann meine ich nicht, dass da irgendwo fix-fertige Baupläne in der Schublade liegen. Ich meine, dass wir wissen, wie ein stellares Triebwerk funktionieren könnte, ohne dabei irgendwelche Naturgesetze zu verletzen. Wie man sowas dann konkret baut, ist wieder eine ganz andere Frage.
Diese Frage ignorieren wir jetzt einfach. Und schauen uns an, was wir tatsächlich wissen. Also: Wie kann man einen Stern gezielt bewegen. Und wenn ich im folgenden sage, dass wir einen Stern bewegen oder die Sonne bewegen, dann meine ich immer auch gleichzeitig, dass wir damit das ganze Sonnensystem bewegen. Die Erde und die restlichen Planeten sind durch die Gravitationskraft an die Sonne gebunden und folgen ihr, wohin auch immer sie sich bewegt. Aus unserer Sicht von der Erde aus, spüren wir nichts von der Bewegung der Sonne, so wie wir ja auch jetzt nichts davon spüren, dass sich die Sonne mit gut 200 Kilometer pro Sekunde um das Zentrum der Milchstraße bewegt. Also: Wie bewegen wir die Sonne und damit das ganze Sonnensystem? Im Prinzip gilt hier das, was auch bei allen anderen Antriebsarten gilt, die wir im Weltraum benutzen, nämlich die Newtonschen Bewegungsgesetze. Sehr vereinfacht gesagt: Wenn ich irgendwas in die eine Richtung werfe, bewege ich mich dadurch in die andere Richtung. So funktioniert ja auch ein Raketenantrieb: Treibstoff wird verbrannt und die entstehende Abgase ausgestoßen. Das Resultat: Die Rakete bewegt sich in die andere Richtung.
Mit einem Stern können wir so etwas ähnliches anstellen und sogar auf unterschiedliche Weise. Stellen wir uns dazu zuerst einen riesigen Spiegel vor. Einen wirklich riesigen Spiegel, größer als die Sonne selbst. Diesen Spiegel positionieren wir jetzt auf eine bestimmte Weise im All. Auf so einen Spiegel wirken nämlich zwei unterschiedliche Kräfte: Einerseits die Gravitationskraft der Sonne, die den Spiegel anzieht. Und andererseits auch der Strahlunsdruck. Das ist die Kraft, die durch die Lichtteilchen der Sonne übermittelt wird. Licht hat zwar keine Masse, aber einen Impuls. Wenn Licht irgendwo auftrifft dann wird dadurch eine Kraft übertragen. Die ist normalerweise klein, aber wenn man es mit so enorm viel Licht zu tun hat, wie es von der Sonne kommt, dann ist diese Kraft durchaus relevant. Ich habe mehr darüber in Folge 507 erzählt, als es um das Sonnensegel ging.
Der Strahlungsdruck der Sonne schiebt den Spiegel also weg, die Gravitationskraft der Sonne zieht ihn an. Und wenn wir den Spiegel richtig positionieren, halten sich beide Kräfte die Waage und er bleibt ganz von selbst dort, wo er ist. Was passiert dann? Die Sonne leuchtet weiter wie bisher. Sie schickt ihr Licht in alle Richtungen. Aber in der einen Richtung steht jetzt eben dieser riesige Spiegel und reflektiert dieses Licht zurück in die andere Richtung. Oder anders gesagt: Durch den Spiegel wird die Abstrahlung der Sonne asymmetrisch und damit auch der Strahlungsdruck. Oder noch einmal anders gesagt: Wir haben die selbe Situation wie bei einem Raketenantrieb, nur das es hier keine heißen Abgase sind, die den Schub verursachen, sondern die Strahlung der Sonne. Durch den Spiegel strahlt die Sonne nicht mehr in alle Raumrichtungen sondern nur noch in eine und bewegt sich dadurch selbst in die andere. Und der Spiegel folgt dieser Bewegung, wir haben ihn ja vorher extra so eingerichtet, dass sich Gravitationskraft und Strahlungsdruck immer die Waage halten müssen.
Natürlich gibt es bei der Sache ein paar Komplikationen. Wir müssen zuerst einmal dafür sorgen, dass die vom Spiegel reflektierte Strahlung nicht komplett auf die Sonne zurück fällt. Das würde unseren Stern aufheizen und die Leuchtkraft der Sonne würde sich erhöhen, was unter Umständen unangenehm für uns auf der Erde wäre. Und dann müssen wir auch aufpassen, dass der Spiegel das Sonnenlicht nicht auf die Erde selbst reflektiert, das wäre ebenfalls ungut für uns. Das heißt, wir müssen den Spiegel über der Ebene des Sonnensystems positionieren, also über einen der Pole der Sonne. Das schränkt dann aber natürlich auch wieder die Richtungen ein, in die wir mit dieser Art von Antrieb fliegen können. Und recht schnell ist der Antrieb auch nicht. Nach der ersten Million Jahre wären wir damit gerade einmal drei Zehntel Lichtjahre weit gekommen. Aber nach einer Milliarde Jahre hätten wir dann immerhin schon mehr als 30.000 Lichtjahre hinter uns gebracht.
So ein Shkadov-Triebwerk, benannt nach dem russischen Wissenschaftler Leonid Shkadov, ist also vielleicht nicht unbedingt die beste Möglichkeit, um schnell ausweichen zu können, wenn sich da irgendwo eine böse Supernova oder ein anderes Hindernis in unseren Weg stellt. Es gibt aber natürlich andere Möglichkeiten: Man könnte ja einfach auch die ganze Sonne in eine Kugel hüllen, deren Innenseite verspiegelt ist. Dann könnten wir die ganze Energie der Sonne einfangen und damit irgendeine Art von Antrieb nutzen. Ich habe in früheren Folgen der Sternengeschichten immer wieder Mal über solche „Dyson-Sphären“ gesprochen, also Konstruktionen, bei denen eine Kugelschale um die Sonne gebaut wird. Das Problem daran ist aber, dass solche Dyson-Sphären nicht stabil sind und enorm viel Baumaterial benötigen, für das wir vorher vermutlich ein paar Planeten auseinander nehmen müssten. Und das waren bei weitem nicht die einzigen Probleme. Dyson-Sphären sind deutlich mehr Science-Fiction als es die Shkadov-Triebwerke sind, also werde ich sie in dieser Folge nicht weiter behandeln.
Aber es gibt noch eine weitere interessante Möglichkeit, die auf der Science-Fiction-Skala irgendwo zwischen Shkadov und Dyson liegt. Die Idee stammt vom amerikanischen Astronom Matthew Caplan und funktioniert so: Die Sonne schickt ja nicht nur Licht ins All, sondern auch den Sonnenwind, also Teilchen aus ihren äußeren Schichten. Dabei handelt es sich um Wasserstoff- und Heliumatome und die könnten wir einsammeln. Dazu brauchen wir irgendeine Maschine in der Nähe der Sonne, die das Zeug – vermutlich mit starken Magnetfelder – sammelt. Das Helium könnten wir dann in einem Fusionskraftwerk zu Sauerstoffatomen fusionieren. Und wir nehmen deswegen das Helium und nicht den Wasserstoff für die Fusion, weil die Energie und Temperaturen, die bei der Heliumfusion entstehen, deutlich höher sind. Wir können den entstandenen Sauerstoff also deutlich schneller ausstoßen und Sauerstoffatome haben auch eine größere Masse als die Heliumatome, die wir bei der Wasserstofffusion kriegen würden. Und je größer die Masse von dem ist, was wir ausstoßen und je schneller wir das tun, desto stärker ist die Kraft, die uns antreibt. Also: Deswegen fusionieren wir das Helium aber wir sind noch nicht fertig. Wir müssen ja irgendwie auch die Sonne bewegen. Im Gegensatz zum Shkadov-Antrieb ziehen wir jetzt aber nicht an ihr, sondern schieben sie. Das heißt, der Strahl aus fusioniertem Sauerstoff ist von der Sonne weg gerichtet. Und damit unser Antrieb nicht sofort mit der Sonne kollidiert, brauchen wir noch eine weitere Komponente. Wir nehmen den Wasserstoff, den wir ja auch eingesammelt haben, beschleunigen die Atome sehr stark und schicken einen Wasserstoffstrahl von der Maschine auf die Sonnenoberfläche, der sie daran hindert, mit ihr zu kollidieren.
Zusammengefasst haben wir jetzt also ein Ding, das Material von der Sonne sammelt, in der einen Richtung Sauerstoff ausstösst und Wasserstoff in die andere und so in der Lage ist, die Sonne durch die Gegend zu schieben. Allerdings nur, wenn es auch genug Sonnenwind sammeln kann und das, was die Sonne von selbst abgibt, reicht dafür bei weitem nicht. Wir müssen also noch einen Ring aus Spiegeln konstruieren, die wir um die Sonne herum positionieren. Sie werfen die Sonnenenergie auf die Sonne zurück, heizen sie dadurch auf und erzeugen mehr Sonnenwind, als die Sonne von selbst produzieren würde. Das ist alles deutlich aufwendiger als der simple Spiegel beim Shkadov-Antrieb. Aber dafür würde man mit so einem Caplan-Antrieb nach einer Million Jahre schon 33 Lichtjahre zurück gelegt haben, also über 1000 mal mehr als beim Shkadov-Antrieb.
Wie gesagt: All diese stellaren Triebwerke sind nicht unmöglich. Nichts davon widerspricht den Naturgesetzen und theoretisch könnten wir so etwas bauen. Praktisch natürlich nicht, weil wir keine Ahnung haben, wie wir solche gewaltigen Maschinen konstruieren können, wo wir das Material dafür her kriegen sollen, und so weiter. Aber wer weiß, wie sich die Welt entwickelt. Vielleicht schaffen wir es in ferner Zukunft ja vielleicht doch, die Sonne gezielt zu bewegen. Dann könnten wir durch die Milchstraße reisen, ohne die Erde verlassen zu müssen. Und die Erde ist immerhin das einzige Raumschiff, auf dem alle Menschen mitfliegen können.