Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 627: Ursa Major III – die kleinste Galaxie (fast) ohne Sterne
Verglichen mit uns Menschen ist alles groß im Universum. Aber wir Menschen sind nicht unbedingt ein universaler Maßstab und es gibt durchaus Unterschiede bei den großen Dingen. Es gibt Dinge, die sind wirklich groß, verglichen mit anderen, die kleiner sind. Und bei den kleinen großen Dingen gibt es welche, die sehr viel kleiner sind, als man es sich denken würde und manche, die so klein sind, dass sie uns vor ein Rätsel stellen. Das klingt jetzt natürlich ein wenig verwirrend, also wird es Zeit, dass wir ein wenig konkreter werden.
Wir fangen an mit einem ganz besonderen großen Ding: Unsere Milchstraße. Die Milchstraße ist eine Galaxie, eine Ansammlung von ein paar hundert Milliarden Sternen und einer dieser Sterne ist unsere Sonne. Die Milchstraße ist eine durchaus große Galaxie, aber natürlich nicht die größte die es gibt. Aber eben auch nicht die kleinste! Ein wenig so, wie Sterne von Planeten umkreist werden und Planeten von Monden umkreist werden können, haben auch Galaxien ihre eigenen Satelliten. Man kann dabei grob zwei Arten unterscheiden: Kugelsternhaufen und Zwerggalaxien. Kugelsternhaufen sind, wie der Name schon sagt, kugelförmige Ansammlungen von Sternen und Zwerggalaxien – ebenso klar am Namen erkennbar – kleine Galaxien. Beide Arten von Sternsystemen befinden sich im Halo von Galaxien wie der Milchstraße. Das ist ein kugelförmiger Bereich der die galaktische Scheibe umgibt. In der Milchstraße sind die Sterne ja in Spiralarmen angeordnet, die sich mehr oder weniger alle in einer scheibenförmigen Region befinden, die gut hunderttausend Lichtjahre im Durchmesser hat und ein paar tausend Lichtjahre dick ist. Darüber und darunter befinden sich jede Menge Kugelsternhaufen und auch Zwerggalaxien.
Wenn wir verstehen wollen, was der Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Sternsystemen ist, müssen wir uns zuerst anschauen, was sie gemeinsam haben. In beiden Fällen handelt es sich um Ansammlungen von Sternen, die durch die Gravitationskraft zusammengehalten werden. Die Sterne dort können nicht jeder für sich ihrer Wege ziehen, die Gravitationskraft die sie aufeinander ausüben hält sie als Gruppe zusammen. In so einem Kugelsternhaufen können ein paar tausend bis zu ein paar Millionen Sterne versammelt sein. Bei Zwerggalaxien können es ein paar tausend bis zu ein paar Milliarden Sterne sein.
Und da wird jetzt der eine oder die andere vielleicht schon verwirrt sein. Wenn es Kugelsternhaufen mit ein paar tausend Sternen gibt und Zwerggalaxien mit ein paar tausend Sternen und beides Systeme sind, wo diese Sterne durch die Gravitationskraft zusammengehalten werden: Was ist dann der Unterschied?
Das ist eine sehr gute Frage und eine, die die Wissenschaft durchaus auch beschäftigt. Für eine Antwort müssen wir uns das ansehen, was wir nicht sehen können. Es geht um die dunkle Materie, die ich ja schon oft hier im Podcast besprochen habe. Nochmal ganz kurz zur Wiederholung: Wir sehen an der Bewegung der Sterne in Galaxien, an der Bewegung von Galaxien in Galaxienhaufen und bei diversen anderen astronomischen Phänomenen, dass sich die Himmelsobjekte nicht so bewegen, wie sie es tun müssten, wenn die sichtbare, leuchtende Materie alles ist, was existiert. Die Himmelsobjekte bewegen sich so, als wäre da sehr viel mehr Gravitationskraft vorhanden, als sich durch die sichtbare Materie erklären lässt. Die Konsequenz: Es muss auch Materie geben, die nicht sichtbar ist und die diese zusätzliche Gravitationskraft ausübt. In Wahrheit ist alles natürlich komplizierter, aber genau darauf läuft alles hinaus, was wir in den letzten gut 100 Jahren über die Bewegung der Himmelskörper gelernt haben.
Alle Galaxien müssen in noch viel größere Wolken aus dunkler Materie eingebettet sein; die leuchtende Materie – also die ganzen Sterne – haben sich im Zentrum der dunklen Materiewolken angesammelt; angezogen durch ihre Gravitationskraft. Die Wolken aus dunkler Materie sind quasi der Ursprung der Galaxien, ohne sie hätten sich die Galaxien gar nicht erst bilden können. Und was für die großen Galaxien wie die Milchstraße gilt, gilt auch für kleinere Zwerggalaxien: Es sind Ansammlungen von Sternen, die sich im Zentrum von Wolken aus dunkler Materie befinden.
Kugelsternhaufen dagegen sind tatsächlich nur Haufen aus Sternen. Wie sie entstehen ist immer noch nicht vollständig verstanden, aber vermutlich liegt ihr Ursprung ebenfalls in großen Wolken, aber diesmal sind es Wolken aus normaler Materie, aus kosmischen Staub und interstellarem Gas und wenn diese Wolken gestört werden und kollabieren, können jede Menge Sterne auf einmal entstehen, die dann als Haufen zusammenbleiben.
Oder anders gesagt: Der Unterschied zwischen Kugelsternhaufen und Zwerggalaxien liegt nicht unbedingt in der Anzahl der Sterne, aus denen sie bestehen. Sondern in der Frage, ob diese Sterne in eine Wolke aus dunkler Materie eingebettet sind, oder nicht.
Und das ist alles sehr spannend und interessant, wenn man die Entwicklung der großen Dinge im Universum verstehen will. Aber wenn wir dunkle Materie nicht sehen können, wie können wir dann Kugelsternhaufen und Zwerggalaxien unterscheiden? Das ist nicht leicht, aber es geht und es kann sehr überraschende Ergebnisse liefern. Womit wir jetzt bei Ursa Majoris III angelangt sind, dem Ding, das auch im Titel dieser Folge vorkommt und das wir deswegen irgendwann besprechen müssen.
Ursa Majoris III oder kurz UMa3 befindet sich gut 30.000 Lichtjahre von uns entfernt. Es befindet sich außerhalb der Scheibe der Milchstraße, in ihrem Halo, also genau dort, wo sich die Satelliten der Milchstraße aufhalten. Entdeckt hat man es im Jahr 2024 und bevor ich jetzt noch einmal „es“ oder „das Ding“ sage, sollte ich vielleicht sagen, ob es sich um einen Kugelsternhaufen oder eine Zwerggalaxie handelt. Womit wir genau bei dem Punkt sind, um den es geht. Beobachtungen, die man mit dem Keck-Teleskop der Maunakea-Sternwarte auf Hawaii angestellt hat, haben gezeigt, dass UMa3 eine Masse von knapp 16 Sonnenmassen hat. Und nein, ich habe mich nicht versprochen. Es sind keine 16.000 oder 16 Millionen Sonnenmassen. Sondern tatsächlich 16 Sonnenmassen. Und das ist wenig. Es gibt einzelne Sterne, die sehr viel mehr als die 16fache Masse der Sonne haben! Die Sterne in UMa3 sind kleiner, aber es sind nur circa 60 Stück. Wir haben da also ein System mit ein paar Dutzend Sternen die insgesamt nicht mehr Masse haben, als 16 Sterne wie die Sonne. Wie kommt man da überhaupt auf die Idee, dass es etwas anderes sein könnte, als ein kleiner Sternhaufen. Eine Galaxie, selbst eine Zwerggalaxie, kann doch nicht so enorm winzig sein?
Die Beobachtungen am Keck-Teleskop haben aber zuerst einmal eindeutig gezeigt, dass es nicht einfach nur eine zufällige Anordnung von Sternen ist, sondern tatsächlich eine echte Gruppe; alle in mehr oder weniger derselben Entfernung – sie gehören zusammen. Die Beobachtungen haben darüber hinaus aber auch gezeigt, dass diese Sterne sich schnell bewegen. So schnell, dass sie eigentlich gar keine zusammenhängende Gruppe bilden könnten, wenn es nur die Gravitationskraft der Sterne selbst wäre, die sie zusammenhält. Damit sie zusammenhalten können, muss es sehr, sehr viel mehr Masse dort geben, als die Handvoll an Sternen. Oder anders gesagt: Die Handvoll Sterne muss in eine sehr große Wolke aus dunkler Materie eingebettet sein. Oder noch einmal anders gesagt: UMa3 muss eine Galaxie sein, die fast nur aus dunkler Materie besteht.
Natürlich kann es auch anders sein. Theoretisch wäre es möglich, dass es wirklich nur ein Sternhaufen ist, den wir zufällig gerade kurz vor dem Moment beobachten, an dem er tatsächlich auseinander fliegt. Aber das wäre sehr unwahrscheinlich. Und wenn es sich bei UMa3 wirklich um eine dunkle Zwerggalaxie handelt, wäre das natürlich auch viel spannender. Das würde uns viel über die Entstehung der Milchstraße verraten, also die Phase, in der sich die Sterne in den Zentren der Wolken aus dunkler Materie bilden und dann die vielen Satelliten anziehen, die sie später umkreisen. Dass bei UMa3 so gut wie keine Sterne mehr vorhanden sind, muss etwas mit ihrer Entwicklung zu tun haben und mit den dynamischen Prozessen, die bei der Entstehung der Milchstraße und ihren Satellitensystemen abgelaufen sind. Was genau, das wissen wir noch nicht. Aber wenn wir besser verstehen, wie UMa3 und ähnliche Sternensysteme, die wir kennen, funktionieren, dann werden wir auch die Entstehung der Milchstraße besser verstehen. Deswegen müssen wir auch weiter ganz genau hinschauen. Wir müssen die Sterne, die wir sehen können, noch besser und genauer beobachten, ihre Geschwindigkeiten noch besser und genauer messen. Denn nur dann können wir uns sicher sein, dass es sich wirklich um eine Zwerggalaxie mit dunkler Materie handelt und nicht vielleicht doch um einen Sternhaufen, bei der ein oder zwei Sterne vielleicht eine überdurchschnittlich hohe Geschwindigkeit haben – oder wo die Geschwindigkeitsmessung vielleicht einfach nur fehlerhaft war.
Am Ende ist es wie immer in der Wissenschaft: Wir haben ein paar faszinierende Ideen und ein paar äußerst spannende Beobachtungen. Aber wir müssen noch mehr Daten sammeln, um verlässliche Antworten zu bekommen. Die dann mit Sicherheit zu noch mehr Fragen führen werden. Aber vielleicht bringt uns gerade diese Galaxie, die nur aus einer Handvoll an Sternen besteht, ein paar dieser Antworten näher…