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Sternengeschichten Folge 614: Die Vela-Supernova

„Ein außergewöhnlich langer Strahl aus extrem schwachen Licht.“ So lautet der Eintrag mit der Nummer 3145 in einer sehr langen Tabelle, die der britische Astronom John Herschel im Jahr 1847 veröffentlicht hat. Die Beobachtungen dazu hat er aber schon am 1. März 1835 durchgeführt und zwar als er einige Jahre in Südafrika verbrachte, um dort den Himmel der südlichen Hemisphäre zu katalogisieren. Auf den ersten Blick ist dieser Eintrag jetzt nicht sonderlich spektakulär. Herschel hat in den Jahren zwischen 1834 und 1838 nicht nur jede Menge Sterne sondern auch Sternhaufen und „Nebel“ beobachtet und klassifiziert. Und einer dieser vielen, vielen Nebel war eben der, der aussieht wie ein „außergewöhnlich langer Strahl aus schwachem Licht“. Später wurde dieser „Bleistiftnebel“, wie man das Objekt wegen seiner Form genannt hat, dann auch von anderen und mit besseren Teleskopen beobachtet. Bis man aber herausgefunden hat, worum es sich dabei handelt, hat es noch ein wenig gedauert.

Der Bleistiftnebel – der auf den modernen Aufnahmen eher wie ein Besen aussieht und deswegen auch ab und zu „Hexenbesen“ genannt wird – ist nur eine von vielen nebligen Strukturen in dieser Himmelsregion und sie alle zusammen sind das Resultat einer gewaltigen Explosion, die dort vor langer Zeit stattgefunden hat. Eine Explosion, durch die wir überhaupt erst gelernt haben, was mit diesen Explosionen überhaupt los ist, warum sie stattfinden und was sie für Folgen haben.

Fangen wir aber am besten mal mit den grundlegenden Dingen an. Den Bleistiftnebel hat Herschel im „Segel des Schiffs“ entdeckt. So heißt ein Sternbild des Südhimmels, das im 18. Jahrhundert eingeführt wurde, als man das antike Sternbild „Argo Navis“ auseinander genommen hat. Argo war ein Schiff; das Schiff der Argonauten aus den griechischen Mythen. Da es den modernen Astronomen aber zu viel Platz am Himmel eingenommen hat, hat man es in drei neue Sternbilder unterteilt: Carina, den „Kiel des Schiffs“, Puppis, das „Achterdeck des Schiffs“ und Vela, das „Segel des Schiffs“. Alle drei gehören auch heute noch zu den offiziellen Sternbildern und ich erzähle das vor allem deswegen, weil wir den Begriff „Vela“ im folgenden noch sehr oft brauchen werden. „Vela“ ist der latenische Begriff für „Segel“ und so wie es in der Astronomie üblich ist beziehungsweise damals noch viel mehr üblich war, bekommen Himmelsobjekte eine Bezeichnung, die sich unter anderem zusammensetzt aus dem lateinischen Begriff des Sternbilds, in dem sie am Himmel zu sehen sind.

Bleistiftnebel (Bild: ESO, CC-BY 3.0)

Und deswegen hat der Astronom Henry Risbeth dann auch die Bezeichnungen Vela-X, Vela-Y und Vela-Z verwendet, als er 1958 genau in der Region des Bleistiftnebels drei sehr starke Quellen von Radiostrahlung entdeckt hat. Der sowjetische Astronom Iossif Schklowski hat diese Objekte dann 2 Jahre später in einer Arbeit erwähnt, die den vielversprechenden Titel „Die Natur der Supernovae“ trägt. Heute wissen wir ja schon recht gut, worum es sich dabei handelt: Um die gewaltigen Explosionen am Ende eines Sternenlebens. Wir unterscheiden zwei grundlegend unterschiedliche Arten. Supernovae vom Typ I, bei denen zwei Sterne einander umkreisen. Der eine ist schon am Ende seines Lebens angekommen und hat kein Material für die Kernfusion mehr. Wenn jetzt aber der andere Stern recht nahe ist, kann von dort neuer Wasserstoff auf den schon toten Stern gelangen, wodurch die Kernfusion jetzt erneut und enorm heftig einsetzt: Der Stern explodiert.

Supernovae vom Typ II entstehen, wenn sehr massereiche Sterne das ganze Material in ihrem Inneren für die Kernfusion verbraucht haben. Wenn die dann aufhört und keine Energie mehr von innen nach außen dringt, kollabiert der ganze Stern unter seinem eigenen Gewicht und das passiert so schnell und heftig, dass gewaltige Energiemengen frei werden und der Stern ebenfalls explodiert. Übrig bleibt, wenn überhaupt, nur ein sehr kleiner aber dafür sehr dichter und massereicher Rest, ein Neutronenstern; ein Objekt so schwer wie die Sonne, aber nur ein paar Dutzend Kilometer groß.

Damals, in den 1960er Jahren, waren die Grundprinzipien dieser Vorgänge zwar auch schon bekannt, aber das Thema war doch noch vergleichsweise neu und es gab viele offene Fragen. Aus seiner Untersuchung der Strahlung von Vela-X, Vela-Y und Vela-Z, zusammen mit den Daten über die ganzen nebelartigen Dinger in der Region konnte Iossif Schklowski aber bestimmen, dass dort genau so eine vorhin beschriebene Supernova vom Typ II stattgefunden haben muss. Der Bleistiftnebel und die anderen Wolken, die man dort sehen kann, sind die Überreste des Sterns, die bei der Explosion ins All geschleudert werden. Und die Radioquellen gibt es, weil die Sternenreste nicht langsam und friedlich durchs All wabern, sondern mit enormer Geschwindigkeit durch die Gegend sausen. Dabei leuchtet das Material und es leuchtet auch im Radiolicht.

Noch besser konnte man die Sache dann in den 1970er Jahren verstehen, denn da gab es die ersten guten Röntgendaten über die Region in Vela. Röntgenastronomie ist ja schwierig; viele Himmelsobjekte und Prozesse erzeugen Röntgenstrahlung, aber die ist nicht in der Lage, die Atmosphäre der Erde zu durchdringen. Heute haben wir gute Weltraumteleskope, die Röntgenastronomie betreiben können. Aber damals war die Sache noch ein wenig schwieriger. Zwei wissenschaftliche Arbeiten aus dem Jahr 1971 beschreiben, wie man vorgehen musste. Man packte Röntgendetektoren auf Raketen, die recht martialische Namen tragen, in dem Fall Nike-Tomahawk und Terrier-Sandhawk. Das war kein Zufall, denn diese Raketen waren tatsächlich eigentlich Boden-Luft-Raketen, die von Kampfschiffen aus abgefeuert wurden. Die hat man dann aber auch als untere Stufe für Höhenforschungsraketen benutzt, um so etwas wie Röntgenstrahlung aus dem All zu messen. So oder so ist es damit gelungen zu zeigen, dass aus den nebligen Überresten der Vela-Supernova starke Röntgenstrahlung kommt. Sehr stark; mehr als man fast überall sonst am Himmel messen konnte. Das hat aber genau zu dem gepasst, was drei andere Astronomen schon 1968 entdeckt haben. Mit dem Radioteleskop der Universität Sydney konnte man in der Gegend der Vela-Supernova einen Pulsar finden. Davon habe ich ja in Folge 142 schon sehr ausführlich erzählt. Diese Himmelskörper waren damals noch sehr neu, zumindest für uns. Erst ein Jahr vor der Beobachtung in Australien hat die britische Astronomin Jocelyn Bell überhaupt erst entdeckt, das es sowas wie Pulsare überhaupt gibt. Sie konnte extrem starke und vor allem extrem periodische Radiosignale vom Himmel empfangen, so regelmäßig, dass man kurzfristig sogar dachte, es könnten Botschaften von Aliens sein.

Waren sie aber nicht; was die Pulsare aber tatsächlich waren, war zu der Zeit noch ein wenig unklar. Es gab die Vermutung, es könnte sich um sehr schnell rotierende Neutronensterne handeln. In den äußeren Bereichen dieser Objekte wird jede Menge Radio- und Röntgenstrahlung erzeugt und Neutronensterne haben auch ein starkes Magnetfeld, dass diese Strahlung quasi fokusiert. Wenn der Neutronenstern jetzt gerade so rotiert, dass die magnetischen Pole in Richtung Erde zeigen, kriegen wir dort periodische Signale zu sehen. Wie der Lichtkegel eines Leuchturms streicht der Strahlungskegel des Neutronensterns dann bei jeder Rotation einmal über die Erde.

Klingt alles sehr plausibel. Aber damals wusste man nicht, ob das auch wirklich so ist. Geändert hat das erst die Erforschung der Vela-Supernova. Der Fachartikel, den die australischen Forscher geschrieben haben, trägt den Titel „Ein Pulsar-Supernova-Zusammenhang?“ und stellte fest, dass der neu entdeckte Pulsar genau da sitzt, wo man schon vorher die nebligen Reste der Supernova gefunden hat. Wo also vermutlich ein Neutronenstern sein muss. Und dass das jetzt doch ein wirklich guter Beleg dafür sein könnte, dass Pulsare tatsächlich schnell rotierende Neutronensterne sind. Und so war es dann auch. Der Vela-Pulsar – wie er heute genannt wird – ist das, was vom kollabierenden Stern übrig geblieben ist und der Bleistiftnebel und die anderen Wolken dort sind das, was dieser Stern bei seiner Explosion hinaus ins All geschleudert hat.

Animation von Röntgenbeobachtungen des Vela-Pulsars (Bild: NASA/CXC/Univ. of Toronto/M. Durant, et al.)

Aus der Geschwindigkeit, mit der sich diese Reste bewegen und aus dem Raum, den sie derzeit einnehmen kann man auch – zumindest grob – zurückrechnen, wann sie sich auf den Weg gemacht haben, also wann die Supernova stattgefunden hat. Nämlich vor ungefähr 19.000 Jahren, es kann aber auch ein paar 1000 Jahre früher oder später gewesen sein; so genau sind die Daten leider doch nicht. Aber auf jeden Fall war das zu lange her, als das wir davon irgendwo alte Aufzeichnungen finden könnten. Und auch sonst nichts: Der Vela-Pulsar ist mit einer Entfernung von gut 1000 Lichtjahren zwar vergleichsweise nahe, zumindest wenn es um große Supernova-Explosionen geht. Aber es besteht keine Chance, dass irgendwas von dem Material das die Explosion ins All geschleudert hat, auf die Erde gelangt ist. Es bewegt sich zwar schnell, aber natürlich nicht mit Lichtgeschwindigkeit und 1000 Lichtjahren sind, was das angeht, eine sehr große Distanz. Es kann sein, dass wir in der Vergangenheit ein bisschen mehr Gammastrahlung abbekommen haben, die von der Vela-Supernova stammt – aber auch das hat vermutlich keine großen Auswirkungen gehabt.

Die Auswirkungen der Supernova auf die Wissenschaft waren dagegen sehr viel größer. Nicht nur, dass wir dadurch verstanden haben, wie Pulsare und Neutronensterne zusammenhängen. Auch in Zukunft werden wir noch viel vom Vela-Pulsar lernen können. Wir beobachten dort nämlich immer wieder sogenannte „Glitches“. So nennt man ein Phänomen, bei dem sich die Rotationsgeschwindigkeit eines Pulsars kurzfristig erhöht und dann wieder langsamer wird. Eigentlich rotiert so ein Pulsar ja extrem regelmäßig. Extrem schnell – ein paar hundert bis tausend Umdrehungen pro Sekunde oder noch mehr sind völlig normal – aber eben auch sehr regelmäßig. Über lange Zeiträume hinweg verliert der Pulsar Schwung und wird langsamer, aber bei einem Glitch passiert etwas anderes. Die Rotationsgeschwindigkeit wird um circa ein Millionstel schneller, bleibt ein paar Dutzend Sekunden lang auf diesem erhöhten Wert, bevor sich die Geschwindigkeit dann in den nächsten paar Monaten wieder dem normalen Wert annähert. Wir vermuten, dass das irgendwas mit den Vorgängen im Inneren des Neutronensterns zu haben muss und mit den extremen Zuständen, die die Materie dort haben muss. Aber wirklich erklären können wir das noch nicht; dazu verstehen wir diese extremen Zustände zu wenig und wissen auch noch zu wenig über die Natur der Neutronensterne. Aber der Vela-Pulsar ist – neben einem anderen, dem Pulsar im Krebsnebel – der einzige, bei dem wir schon mehrere dieser Glitches beobachten konnten. Der Vela-Pulsar schickt auch immer wieder Mal Gammastrahlung mit überraschend hoher Energie ins All, mehr als man von einem Objekt dieser Art erwarten würde. Das hat vermutlich mit spontanen Änderungen seines Magnetfeldes zu tun, aber auch hier wissen wir noch nicht Bescheid. Aber wenn wir irgendwann Bescheid wissen, was im Inneren eines Neutronensterns passiert, dann werden wir das mit Sicherheit den Beobachtungen des Vela-Pulsars zu verdanken haben. Nicht schlecht für etwas, das mit
einem langen Strahl aus extrem schwachen Licht angefangen hat.

Ein Gedanke zu „Sternengeschichten Folge 614: Die Vela-Supernova“
  1. Ein Gedanke fehlt mir da immer: der Pulsar muss ja elektridsch geladen sein, um ein Magnetfeld zu haben. Wäre er elektrisch neutral, hätte er keins, egal wie schnell er sich dreht.

    Ein starkes elektrisches Feld initiiert auch den Schwinger-Effekt. Die ständig im Vakuum erzeugten Teilchenpaare leben hier länger, weil sie sich des Feldes wegen voneinander entfernen. Das könnte das Leuchten erklären.

    https://www.spektrum.de/news/quantenfluktuationen-teilchen-entstehen-blitzschnell-aus-dem-nichts/2171484

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