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Sternengeschichten Folge 604: Noctcaelador – Die Psyche und der Nachthimmel

Der Nachthimmel ist schön. Zumindest dann, wenn man die vielen Sterne funkeln sehen kann und nicht alles voller Wolken ist. Obwohl auch Wolken ihren ganz eigenen ästhetischen Wert haben können, aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte. Aber wir können uns vermutlich darauf einigen, dass die allermeisten Menschen, die nachts zum Sternenhimmel blicken, diesen Anblick ästhetisch schön finden und nicht mit „Ihh – was soll das denn!“ reagieren.

Dafür gibt es auch jede Menge Belege in der Geschichte der Menschheit. Egal welche Kultur zu welcher Zeit und an welchem Ort wir betrachten: Der Sternenhimmel hat immer eine wichtige Rolle gespielt. Jede Kultur hat ihre ganz eigenen Mythen über die Sternen entwickelt; ihre eigenen Helden, Götter und Monster in den Lichtern am Himmel gesehen und sich Geschichten darüber ausgedacht. Die Sterne haben die Kultur beeinflusst, die Religion und die Gesellschaft als Ganzes. Diese Verbindung zum Himmel haben wir erst in den letzten Jahrzehnten verloren; seit wir in einer Welt leben, in der die Nacht in vielen Gegenden nicht mehr richtig dunkel wird und wir den faszinierenden Anblick des Sternenhimmels gar nicht mehr sehen können.

Das bedeutet aber nicht, dass es nicht immer noch genug Menschen gibt, die zu den Sternen schauen und auch in unserer lichtverschmutzten Welt der Gegenwart ist der reduzierte Sternenhimmel immer noch schön. Das alles ist keine große Neuigkeit und ich muss den Menschen, die diesen Podcast hören, vermutlich auch nicht extra erklären, dass der Sternenhimmel schön und spannend ist. Aber vielleicht steckt da noch mehr dahinter.

Das dachte sich zumindest der amerikanische Psychologe William Kelly. 2003 führte er eine kleine Studie an 46 Studentinnen und Studenten seiner Universität durch. Er stellte ihnen Fragen wie „Schaust du oft zum Nachthimmel?“, „Fühlst du dich besser oder ruhiger wenn du den Nachthimmel betrachtest?“ oder „An was denkst du, wenn dir der Begriff ‚Nachthimmel‘ begegnet?“.
Die Antworten waren vorerst mehr oder weniger erwartbar. Die Mehrheit der jungen Menschen schaute regelmäßig zum Nachthimmel; aber gut – es waren ja auch Studentinnen und Studenten und da treibt sich vermutlich öfter des Nachts herum als andere Leute. Aber Kelly fand in den Antworten auch starke Hinweise darauf, dass auf viele die Beobachtung des Nachthimmels beruhigend wirkt und Gedanken an Ruhe und Frieden wurden auch oft mit dem Nachthimmel assoziiert.

Kelly vermutete als Ursache eine Art emotionale Verbindung zum nächtlichen Himmel, genau so wie es ja definitiv auch das psychologische Phänomen der emotionalen Verbindung zu einem Ort gibt. Das haben sicher die meisten schon erlebt; wir alle kennen bestimmte Orte, die in uns gefühlsmäßig irgendwas auslösen. Für viele ist es der Ort an dem sie aufgewachsen sind: Selbst wenn man jahrelang anderswo verbracht hat, fühlt man sich dort oft immer noch besonders wohl und sicher. Der Nachthimmel ist jetzt zwar kein physischer Ort, aber, so Kelly, vielleicht gibt es da ähnliche psychologische Effekte.

Sterne beobachten ist super! (Bild: ESO/H. Dahle, CC-BY 4.0)

Er hat dieser emotionalen Verbindung den Namen „Noctcaelador“ gegeben; ein Kunstwort das aus dem lateinischen Worten „nocturnus“ für Nacht, „caelum“ für Himmel und „ador“ für Bewunderung zusammengesetzt ist. Und Kelly hat dieses Phänomen weiter erforscht. Er stellte zum Beispiel eine Verbindung zwischen Alpträumen und der nächtlichen Himmelsbeobachtung fest. Was nicht bedeutet, dass das eine die Ursache des anderen ist. Aber vielleicht gibt es eine gemeinsame Grundlage; irgendwas, was mit dem Management unserer Gefühle zu tun hat. In einer weiteren Forschungsarbeit konnte Kelly eine Verbindung von Noctcaelador mit Versunkenheit beziehungsweise Vertieftheit zeigen und schlug vor, dass man sich Noctcaelador als eine Art von hypnotischer Verbindung zum Nachthimmel vorstellen kann. Die Forschung legt nahe, dass die Beobachtung des Nachthimmels als eine Art ästhetischer komplexer, hynotischer Anreiz wirkt. Und für Menschen mit einer flexiblen, durchlässigen Psyche könnte das ein sicheren Ankerpunkt sein. Die vertiefte Interaktion mit dem Nachthimmel ist ein Weg, um die Psyche zu regulieren, für bestimmte Menschen zumindest. Denn die Forschung zeigt auch, dass Beobachtung des Nachthimmels eine positive Stimmung fördert und den wahrgenommenen Stress verringert. Und bei Menschen, bei denen das so ist, ist es verständlich, dass sie eine intensive Verbindung zum Nachthimmel entwickeln die stabiler ist, als bei anderen psychologischen Anreizen.

Nicht alle Menschen entwicklen Noctcaelador, die bisherige Forschung zeigt, dass das vor allem die betrifft, deren Psyche gewissermaßen dünnere Grenzen hat und die in der Lage sind, hypnotische Effekte intensiver erfahren zu können. Menschen, die Noctcaelador erleben haben auch eine größere Ambiguitätstoleranz; können also Unsicherheiten und Mehrdeutigkeit besser ertragen; sie sind tendenziell kreativer als andere und besser darin, Probleme zu lösen.

Das bedeutet natürlich nicht, dass man auch völlig unabhängig dieses speziellen psychologischen Effekts den Nachthimmel mit Gewinn betrachten und schön finden kann. 2024 haben Christopher Barnes und Holli-Anne Passmore von den Unis in Derby und Edmonton den Night Sky Connectedness Index entwickelt, um die Verbindung der Menschen zum Nachthimmel unabhängig von psychologischen Einstellungen zu messen. Aber auch sie haben in ihren Daten gesehen, dass Menschen, die eine starke Verbindung zum Nachthimmel haben, eher mental stabiler und glücklicher sind. Und dass Menschen, die dort leben, wo der Nachthimmel wegen der Lichtverschmutzung schlecht zu sehen ist, eine geringere Verbindung zum nächtlichen Himmel haben.

Psychologische Forschung ist schwierig; wir Menschen sind so viel komplizierter als ein Stern. Vielleicht ist das Phänomen des Noctcaelador auch nicht so relevant, wie William Kelly gedacht hat. Aber es ist auf jeden Fall klar, dass es vielen Menschen gut tut, den Sternenhimmel zu beobachten. Das sollte Grund genug sein, uns dafür einzusetzen, dass wir den faszinierenden Anblick des sternenübersäten Nachthimmels auch in Zukunft noch genießen können.

2 Gedanken zu „Sternengeschichten Folge 604: Noctcaelador – Die Psyche und der Nachthimmel“
  1. „…ein Kunstwort das aus dem lateinischen Worten „nocturnus“ für Nacht, „caelum“ für Himmel und „ador“ für Bewunderung zusammengesetzt ist.“

    In römischen Mythologie heißt die Göttin der Nacht Nox. Diese Gottheit heißt in der griechischen Mythologie Nyx. Diese Gottheit ist sehr interessant, weil sie im Zusammenhang mit dem Schöpfungsmythos steht ->

    https://www.mythologie-antike.com/t70-nyx-gottin-der-nacht-zentraler-bestandteil-der-genesis-in-der-griechischen-mythologie

  2. Ja, diese Gefühle kenne ich…
    Braune Zwerge, Weiße Zwerge, rote, gelbe, weiße und blaue Hauptreihensterne, Unterriesen, Riesen, Überriesen, Hyperriesen…

    …und fast alle haben sie Planeten, viele hundert Milliarden Planeten alleine in unserer Milchstraße!

    Was mag alles auf diesen Planeten leben? Wer mag dort irgendwo nachts seine Photo-Biosensoren zum Himmel richten und sich fragen, ob es da draußen noch Andere gibt?

    Ach, könnten wir es doch erfahren…

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