So war das nicht geplant... (<a href="https://appel.nasa.gov/2011/08/29/ata_4-6_genesis_launches-html/">Bild: NASA</a>)

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Sternengeschichten Folge 603: Genesis und der Sternenstaub

Die Geschichte von Genesis beginnt am 8. August 2001. Und in Wahrheit beginnt sie natürlich schon viel früher. Nicht weil mit „Genesis“ das erste Buch der Bibel gemeint ist, das tatsächlich mit der Schöpfung der Welt beginnt, sondern weil ich heute von der Raumsonde „Genesis“ erzählen möchte, die zwar am 8. August 2001 vom Cape Canaveral mit einer Delta-II-Rakete ins All geflogen ist, aber natürlich nicht an diesem Zeitpunkt begonnen hat zu existieren.

Genesis ist Teil des Discovery-Programms der NASA. Das wurde 1990 gestartet, um, wie es der damalige NASA-Chef Daniel Goldin gesagt hat, „schnellere, bessere und billigere“ Missionen zur Erforschung des Sonnensystems zu realisieren. „Genesis“ war die fünfte Mission des Discovery-Programms und ihr Ziel war die Erforschung des Sonnenwindes. Ich habe in den Sternengeschichten schon oft davon erzählt, dass die Sonne ja nicht nur Licht oder besser gesagt, elektromagnetische Strahlung ins All sendet, sondern auch einen stetigen Strom aus geladenen Teilchen. Und das sind gar nicht mal so wenig Teilchen: Die Sonne verliert durch diesen Sonnenwind circa eine Million Tonnen ihrer Masse und das in jeder Sekunde. In den äußersten Schichten der Sonnenatmosphäre, der Korona, über die ich in Folge 134 ausführlich gesprochen habe, sind die Temperaturen enorm hoch und die Teilchen bewegen sich entsprechend schnell. Ein paar davon sind so schnell, dass sie die Anziehungskraft der Sonne überwinden können und sie sind es, die den Sonnenwind bilden. Da die Sonne im Wesentlichen aus Wasserstoff und Helium besteht, muss auch der Sonnenwind aus Wasserstoff und Helium bestehen. Der Wasserstoff ist aber ionisiert, das heißt das Elektron, das die Hülle eines Wasserstoffatoms bildet ist von dem Proton, das den Wasserstoffatomkern darstellt, getrennt. Und auch das Helium ist in Elektronen und Heliumatomkerne (die auch Alpha-Teilchen genannt werden) aufgespalten.

Der Sonnenwind besteht also aus Elektronen, aus Protonen und aus Alpha-Teilchen. Und wenn das schon alles wäre, dann wäre die Sache nicht wahnsinnig interessiert. Aber die Sonne besteht eben nicht nur aus Wasserstoff und Helium. Sie enthält auch andere chemische Elemente, in sehr geringen Mengen zwar, aber auch sie tragen einen kleinen Teil zum Sonnenwind bei. Und das wollen wir dann schon ein bisschen genauer wissen. Wenn wir die Zusammensetzung des Sonnenwinds messen, dann verstehen wir auch besser, was im Inneren der Sonne passiert; wie sie entstanden ist, wie sie sich entwickelt, was da alles tief unter ihrer Oberfläche abläuft, und so weiter. Nur: Wie misst man den Sonnenwind?

Es handelt sich ja um elektrisch geladene Teilchen und die werden vom Magnetfeld der Erde und auch von ihrer Atmosphäre abgehalten. Das ist gut so, weil das für uns unter Umständen ein wenig unangenehm werden könnte, wenn wir einem ständigen Bombardement dieser kosmischen Strahlung ausgesetzt wären. Aber es ist ein wenig doof für die Astronomie. Wenn wir den Sonnenwind direkt messen wollen, müssen wir ins Weltall. Und da sind wir ja auch hin. Diverse Raumsonde haben immer wieder den Sonnenwind erforscht; die Apollo-Missionen haben auf der Oberfläche des Mondes entsprechende Experimente aufgebaut. Aber im Weltall sind unsere Forschungsmöglichkeiten zwangsläufig immer eingeschränkt. Deswegen hat man sich gedacht: Wir holen uns einfach ein bisschen Sonnenwind auf die Erde, damit wir das dort in unseren Labors so ausführlich wie möglich erforschen können.

Genau das war das Ziel der Genesis-Mission. Die Raumsonde hatte zuerst einmal die üblichen Instrumente an Bord, mit denen man Sonnenwind erforschen kann. Es gab Detektoren, die die Geschwindigkeit, Dichte, Temperatur und Energie der Sonnenwindpartikel messen konnten. Es gab aber nicht nur Detektoren sondern auch Kollektoren. In ihnen sollte der Sonnenwind nicht nur gemessen werden, sondern gesammelt. Teilchen des Sonnenwinds konnten auf die Kollektoren auftreffen und dort dann – vereinfacht gesagt – stecken bleiben. In einer speziellen Kapsel sollten sie zurück zur Erde gebracht und dort dann wieder rausgeholt und erforscht werden.

Genesis beim Sammeln (Künstlerische Darstellung: NASA/JPL)

So etwas ist natürlich nicht leicht zu bauen; die Kollektoren müssen extrem rein sein, damit man auch nur das findet, was man finden will und nichts, was man schon von der Erde mitgebracht hat. Aber so etwas konnte man bauen und so etwas hat man gebaut. Und am 8. August 2001 ins All geschickt. Genesis musste aber noch knapp 3 Monate lang fliegen, bis sie an ihrem Bestimmungsort angekommen war: Dem Lagrange-Punkt L1. Das ist ein Punkt auf der Verbindungslinie zwischen Erde und Sonne; vereinfacht gesagt der Punkt, an dem sich die Kräfte die von Sonne und Erde wirken gerade gegenseitig aufheben. Diesen Punkt begann Genesis am 16. November 2001 zu umkreisen. Am 3. Dezember öffnete die Sonde ihre Kollektoren und hat angefangen, Teilchen des Sonnenwinds zu sammeln. Das hat bis zum 1. April 2004 gedauert. In den Kollektoren waren jetzt – hoffentlich! – jede Menge Partikel des Sonnenwinds. Aber sie musste ja noch zurück zur Erde…

Das war am 8. September 2004 geplant. Das hat auch am 8. September 2004 stattgefunden. Aber leider nicht so, wie es geplant gewesen wäre. Der Sammelbehälter mit den Proben wurde so auf den Weg gebracht, dass er über der Wüste bei Salt Lake City runter kommt. Dabei wollte man besonders sorgfältig sein. Eine simple Landung mit Fallschirm wäre vielleicht immer noch zu heftig gewesen. Deswegen sah der Plan so aus: 33 Kilometer über dem Boden sollte ein Bremsschirm entfaltet werden um die Kapsel abzubremsen. Wenn sie dann nur noch 6,7 Kilometer vom Boden entfernt ist, würde man einen großen Fallschirm einsetzen, um sie noch langsamer zu machen und ihre Flugbahn zu stabilisieren. Und dann würde man einen Helikopter schicken, der die Kapsel mit einem langen Haken einfängt, noch bevor sie den Boden berühren kann.

Ein guter Plan. Das Problem: Die Fallschirme wurden nicht ausgelöst. Die Sonde raste, nur gebremst durch den Luftwiderstand, auf den Wüstenboden zu, wo sie mit einer Geschwindigkeit von circa 310 Kilometer pro Stunde definitiv eingeschlagen und nicht gelandet ist. Sieht man sich Bilder der halb im Boden eingegrabenen Kapsel an, kann man die Wucht nachvollziehen. Die Kapsel ist dabei auch aufgebrochen und auch Teile der Probenbehälter sind beschädigt worden.

Definitiv nicht das, was man sich erhofft hatte. Und noch dazu verursacht durch einen sehr vermeidbaren Fehler. Der Beschleunigsmesser, der den Fallschirm auslösen sollte, war verkehrt herum eingebaut worden… Und ein Fun Fact am Rande: Das berühmte „Murphys Law“, das besagt „Alles, was schief gehen kann, wird auch schiefgehen“, geht auf den Ingenieur Edward Murphy zurück, der es 1949 aufgestellt hatte, als man bei einem Test der US Air Force sämtliche – jawoll! – Beschleunigungsmesser falsch herum eingebaut hatte.

So war das nicht geplant… (Bild: NASA)

Aber so schlimm die zertrümmerte Sonde am Wüstenboden von Utah auch ausgesehen hat: Es war nicht alles verloren. Ein paar der Kollektoren war überraschenderweise ganz geblieben. Und konnten in den Labors untersucht werden. Es war nur eine sehr geringe Menge an Sonnenwindpartikeln gesammelt worden, nur drei bis vier Mikrogramm. Aber die haben uns einiges verraten. Wir haben zum Beispiel Neon und Argon gefunden, in ziemlich der gleichen Menge wie wir sie auch in Proben aus Mondgestein nachgewiesen haben. Die Steine vom Mond waren 100 Millionen Jahre alt und das heißt: Zumindest in den letzten 100 Millionen Jahren hat sich die Zusammensetzung des Sonnenwinds kaum geändert.

Ein besonderes Ziel war es von Anfang an, im Sonnenwind auch Sauerstoff-Atomkerne nachweisen zu können. Sauerstoff haben wir nämlich auch im Gestein der Erde, des Mondes, des Mars und in Meteoriten gefunden. Im Sonnenwind war aber mehr Sauerstoff als bei Erde, Mond, Mars und Meteoriten. Das ist überraschend, denn die Sonne und die anderen Himmelskörper sind ja aus der selben Wolke an kosmischen Gas und Staub entstanden. Zuerst die Sonne, die dann von einer Scheibe aus Material umgeben war, aus der sich die Planeten gebildet haben. Aber die relativen Mengen der Elemente sollten trotzdem gleich sein. Dass es nicht so ist bedeutet, dass zwischen der Entstehung der Sonne und der der Planeten irgendwas passiert ist, was dazu geführt hat, dass sich die Menge an Sauerstoff verringert hat.

Auch wenn Genesis nicht so gelaufen ist, wie es geplant war: Am Ende haben wir trotzdem noch etwas gelernt, was wir vorher nicht gewusst haben. Und darauf kommt es an. Trotz der alles anderen als sanften Landung hat Genesis am Ende so gut wie alle vorab gesetzten wissenschaftlichen Ziele erfüllt.

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