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Sternengeschichten Folge 599: Der lange kosmische Nachmittag

Es gibt Menschen, die ohne Probleme früh am Morgen aufstehen und am Vormittag richtig viel Spaß haben und produktiv sind. Und es gibt Menschen, die erst am Nachmittag so richtig munter werden. Aus kosmischer Sicht sind wir allerdings alle keine Morgenmenschen, denn den Vormittag des Universums haben wir schon lange verpasst und den Mittag genau so. Wir leben im langen kosmischen Nachmittag und dürfen leider auch nicht mit einer spannenden Party am Abend oder einem aufregenden Nachtleben rechnen.

Aber bevor wir uns mit Abend und Nacht beschäftigen, schauen wir lieber mal, was es überhaupt bedeutet, wenn wir vom „kosmischen Nachmittag“ oder dem „kosmischen Mittag“ reden. Es geht dabei um die Entstehung von Sternen. Wir wissen, das Sterne nicht ewig existieren. Sie entstehen, sie existieren eine Zeit lang und dann verschwinden sie wieder. Die Details so eines Sternenlebens habe ich in verschiedenen Folgen der Sternengeschichten schon ausführlicher besprochen. Heute geht es um das große Gesamtbild. Wir schauen uns an, wie viele Sterne im Durchschnitt zu bestimmten Zeitpunkten im Universum entstanden sind.

Der Anfang ist da noch vergleichsweise einfach. Vor 13,8 Milliarden Jahren, als das Universum entstanden ist, gab es noch überhaupt keine Sterne. Es gab jede Menge Wasserstoff und Helium, in gigantischen Wolken überall im Kosmos. Die Details lasse ich jetzt auch hier aus, aber aus diesen Wolken sind irgendwann die allerersten Sterne entstanden die sich in den allerersten Galaxien zusammengefunden haben. Die Frage ist jetzt: Wie geht es weiter?

Zuerst aber ist die eigentliche Frage: Wie will man überhaupt herausfinden, wie viele Sterne entstanden sind, in der Vergangenheit? Das ist nicht einfach, aber es geht. Wir wissen ja, dass wir umso weiter in die Vergangenheit schauen, je länger das Licht, das wir beobachten, bis zu uns unterwegs ist. Wenn wir also Licht von Galaxien untersuchen, dass ein paar Milliarden Jahre durchs All geflogen ist, bis es auf unsere Teleskope trifft, dann sehen wir eine Galaxie, die ein paar Milliarden Jahre alt ist. Oder anders gesagt: Je weiter weg eine Galaxie ist, desto älter ist sie beziehungsweise desto kürzer nach dem Urknall ist sie entstanden. Die Entfernung lässt sich gut messen oder besser gesagt: Die Rotverschiebung des Lichts lässt sich gut messen. Wenn es um Distanzen von Milliarden Lichtjahren geht, ist es nicht mehr einfach oder eigentlich sogar unmöglich, eine eindeutige Entfernung anzugeben. Das Universum hat sich in der ganzen Zeit, in der sich das Licht durchs All bewegt hat, ja ausgedehnt, und das macht alles ein bisschen komplizierter. Aber eben weil sich das Universum ausgedehnt hat, hat sich auch die Frequenz des Lichts verändert. Durch die Expansion des Alls entfernen sich die Galaxien von uns und das streckt die Lichtwellen quasi, wodurch sie röter erscheinen, als sie es ursprünglich waren. Das Ausmaß dieser Rotverschiebung kann man messen und sie ist ein gutes Maß dafür, wie alt die Galaxie ist.

Sternentstehung in der Zwerggalaxie NGC 4449 (Bild: NASA, ESA, A. Aloisi (STScI/ESA), and The Hubble Heritage (STScI/AURA)-ESA/Hubble Collaboration)

Das ist alles noch vergleichsweise einfach; ein bisschen komplizierter wird es, wenn wir wissen wollen, wie viele Sterne in diesen Galaxien entstehen, deren rotverschobenes Licht wird beobachten. Wir müssen die Sternentstehungsrate bestimmen und dafür kann man zum Beispiel den Anteil des Ultravioletten-Lichts bestimmen. Junge Sterne sind heißer als alte Sterne, vor allem ihre Oberflächentemperatur ist hoch und deswegen leuchten sie hell-bläulich beziehungsweise im ultravioletten Licht. Erst wenn die Sterne älter werden, kühlt ihre Oberfläche ab und ihr Licht wird rötlicher. Wenn in einer Galaxie also gerade sehr viele Sterne entstehen, dann sollten wir auch sehr viel ultraviolettes Licht von ihr bekommen. Jetzt kann man natürlich einfach ein Ultraviolett-Teleskop nehmen und damit die Galaxien im Universum beobachten. Das ist auch genau das, was man tut – aber es ist ein wenig schwieriger, als man denken würde. Zuerst einmal wird das UV-Licht von der Atmosphäre der Erde zum größten Teil blockiert. Was super für uns ist, denn UV-Licht ist schädlich für unseren Körper. Das merken wir, wenn wir uns ungeschützt der Sonne aussetzen, denn dann sorgt der UV-Anteil des Sonnenlichts, der es doch durch die Atmosphäre geschafft hat dafür, dass wir einen Sonnenbrand bekommen. Aber wenn wir UV-Astronomie betreiben wollen, dann ist das mit der Erdatmosphäre blöd. Deswegen müssen wir die Teleskope ins Weltall schaffen. Was auch blöd ist, ist das, woraus die Sterne entstehen, wenn sie entstehen: Nämlich aus großen Wolken voll Gas und Staub. Denn die blockieren das UV-Licht, so wie es die Erdatmosphäre auch tut.

Wir haben also folgende Situation: In einer Galaxie, in der viele neue Sterne entstehen, muss es viel Gas und Staub geben, aus denen Sterne entstehen können. Die jungen, neuen Sterne leuchten hell im UV-Licht, das wir messen wollen. Aber der Staub blockiert einen Teil des UV-Lichts, weswegen wir nicht genau messen können, wie viel da wirklich ist. Aber auch dafür gibt es eine Lösung. Denn wenn der Staub vom UV-Licht angeleuchtet wird, dann heizt er sich auf. Diese Wärme gibt er in Form von Infrarotstrahlung wieder ab. Wir müssen also die Galaxie zusätzlich noch im Infrarotlicht beobachten und können schauen, ob da mehr Infrarotlicht da ist, als man erwarten würde. Das kann man mit den UV-Beobachtungen kombinieren und mit jeder Menge Mathematik berechnen, wie viel UV-Licht da eigentlich wirklich kommen würde von der Galaxie. Es gibt noch ein paar andere Indikatoren für die Sternentstehungsrate in Galaxien, zum Beispiel die Strahlung, die Wasserstoff erzeugt, wenn er durch hochenergetische UV-Strahlung angeleuchtet wird. Wenn das Licht junger Sterne auf Wasserstoffwolken im interstellaren Raum trifft, können wir das mit dieser Technik also auch beobachten und nutzen, um auf die Sternentstehungsrate zu schließen.

Das alles ist nicht wenig Arbeit, aber wenn man die ganzen Daten zusammenträgt, dann hat man jede Menge Galaxien überall im Universum für die man einerseits die Rotverschiebung kennt und andererseits ihre Sternentstehungsrate. Wenn man das jetzt in ein Diagramm einzeichnet, dann sieht man, wie sich die Sternentstehungsrate in Abhängigkeit von der Rotverschiebung verändert. Oder anders gesagt: Man sieht, wie sich die Sternentstehungsrate im Laufe der Zeit verändert hat.

Madau-Lilly-Plot (Bild: Madau&Dickinson (2014))

Die ersten, die so ein Diagramm erstellt haben, waren die Astronomen Piero Madau und Simon Lilly, plus jede Menge Kolleginnen und Kollegen, und zwar im Jahr 1996. Seitdem ist dieses Madau-Lilly-Diagramm, wie es mittlerweile genannt wird, immer wieder mit neuen Daten aktualisiert worden und wir haben ein recht gutes Bild bekommen. Wenig überraschend fängt die Kurve im Diagramm zuerst unten an und steigt dann nach oben. Was bedeutet: Wenn wir weit in die Vergangenheit des Universums blicken, waren da zuerst wenig neue Sterne in den Galaxien und dann sind es immer mehr geworden. Dieser erste Anstieg hat sich in den ersten zwei bis drei Milliarden Jahren nach dem Urknall abgespielt. Da war noch jede Menge Gas vorhanden – nach dem Urknall gab es ja nix anderes. Das Universum war auch noch kleiner als heute und die Galaxien sind öfter miteinander kollidiert und verschmolzen, was die ganzen Gaswolken durcheinander gewirbelt hat, was dazu geführt hat, dass die Wolken kollabiert und daraus neue Sterne entstanden sind. Diese erste Phase wird der „kosmische Vormittag“ genannt oder die „kosmische Morgendämmerung“, wenn man es etwas poetischer haben will. Auf jeden Fall scheint das Universum kein Problem mit viel Aktivität in der Frühzeit gehabt zu haben. Der Höhepunkt der Sternentstehung ist dann natürlich der „kosmische Mittag“ und danach ist die Sternentstehungsrate wieder gesunken. Es war weniger Gas verfügbar als noch am kosmischen Morgen. Die Supernova-Explosionen der sterbenden Sterne haben viel Gas aus den Galaxien rausgepustet, genau so wie es die aktiven Galaxienkerne getan haben. Mittlerweile haben sich in den Galaxien ja die supermassereichen schwarzen Löcher in den Zentren gebildet; und das ganze Gas in den jungen Galaxien ist da rumgewirbelt und reingefallen. Bei diesem Rumwirbeln ist jede Menge hochenergetische Strahlung entstanden und die hat ebenfalls verhindert, dass sich große Gaswolken zu Sternen zusammenballen.

Es sind immer noch neue Sterne entstanden, aber bei weitem nicht mehr so viele wie noch am kosmischen Vormittag. Die bis zum Mittag steil ansteigende Kurve nimmt am Nachmittag weniger steil ab. Der kosmische Nachmittag dauert deutlich länger als der Vormittag und es ist genau dieser Nachmittag, der unsere Gegenwart ist. Wir leben in einer Zeit, in der das Universum schon den Höhepunkt seiner Sternentstehung hinter sich hat. Oder anders gesagt: So hell wie es jetzt im Universum ist, wird es nicht mehr werden. Ab jetzt wird es immer dunkler, bis irgendwann alle Sterne entstanden sind, die entstehen können und die kosmische Nacht anbricht. Auf die dann leider kein neuer kosmischer Morgen mit einem neuen Anstieg der Sternentstehungsrate folgen wird. Der Nachmittag ist alles, was wir haben – also machen wir das beste daraus!

Ein Gedanke zu „Sternengeschichten Folge 599: Der lange kosmische Nachmittag“
  1. Wir leben im langen kosmischen Nachmittag und dürfen leider auch nicht mit einer spannenden Party am Abend oder einem aufregenden Nachtleben rechnen.

    Nun, folgt man Douglas Adams wird es im Restaurant am Ende des Universums sehr wohl „eine spannende Party am Abend“ geben und sicher auch ein aufregendes Nachtleben.

    Wir werden sehen .. 😉

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