Wissenschaft ist wichtig. Egal ob man sich dafür interessiert oder nicht: Die Erkenntnisse der Wissenschaft bestimmen, wie das Leben in unserer Gesellschaft abläuft. Wenn man informativ und gestalterisch an diesem Leben teilhaben will, dann lohnt es sich, ein wenig wenig über Wissenschaft Bescheid zu wissen. Wenn man also Wissenschaft vermitteln will, dann sollte man sich nicht nur Gedanken darüber machen, wie man das tut, sondern auch wo. Es ist vergleichsweise einfach, zum Beispiel einen Tag der offenen Tür an einer Universität zu organisieren – die Menschen, die dann zu Besuch kommen, sind die, die sich für Wissenschaft interessieren. Aber eigentlich wäre es ja auch gut, wenn man die Menschen erreichen kann, die noch nicht wissen, dass sie sich für Wissenschaft interessieren. Und deswegen braucht es Strategien, um die Wissenschaft dorthin zu bringen, wo sie sonst eher nicht zu finden ist. Zum Beispiel auf den Fußballplatz.
Das war einer der Gedanken der dazu geführt hat, dass die Fußballmannschaft des USV Furth seit September in Dressen spielt, die von den Science Busters gesponsert werden (und für die Leser:innen aus Deutschland: „Dressen“ heißen hierzulande die Trikots). Ich bin ja seit 2015 Teil dieses Wissenschaftskabaretts, das 2007 gegründet wurde, um genau die Idee umzusetzen, die ich vorhin angesprochen habe: Wissenschaft dorthin zu bringen, wo sie sonst nicht zu finden ist. In diesem Fall eben das Kabaretttheater. Aber da geht noch mehr!
Fußball ist etwas, was nicht nur enorm viele Menschen gerne anschauen, sondern auch sehr viele aktiv betreiben. Es muss ja nicht immer die Bundesliga sein; im Amateurfußball ist das Publikum zwar geringer, aber dafür wird in jedem Dorf und in jeder Stadt gespielt. Woche für Woche treffen sich die Menschen am örtlichen Fußballplatz und nicht nur, um sich den Sport anzusehen, sondern auch, um miteinander zu reden. Und warum soll man da nicht auch ein bisschen über Wissenschaft reden?
Der USV Furth ist genau so ein Verein und passenderweise auch der Verein aus dem Ort, aus dem ich komme und in dem ich aufgewachsen bin. Ich wohne mittlerweile woanders, aber es ist immer wieder schön, wenn ich die Zeit finden kann, um mir ein Spiel des USV anzusehen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass der Verein demnächst in der Championsleague auflaufen wird; der USV spielt in der 2. Klasse Wachau/Donau (und müsste sieben Mal aufsteigen um in der Bundesliga zu landen). Aber die Menschen gehen aus anderen Gründen zum Fußballplatz.
Am 30. September 2023 ist der USV Furth das erste Mal in den neuen Dressen aufgelaufen. Sie sind natürlich rosa, die Markenfarbe der Science Busters. Aber sie haben darüber hinaus noch diverse andere wissenschaftliche Elemente. Da ist – neben unserem Logo – auch ein Asteroid zu finden. Es gibt ein Alpaka, das Lieblingstier des Science-Buster-Gründers Heinz Oberhummer, der immer sehr gerne über die Mikroorganismen geredet hat, die sich im Alpakakot verbergen und unter denen sich Lebewesen finden, die so zäh sind, dass sie selbst die Bedingungen im Weltall aushalten können. Neben dem Vereinslogo des USV ist auch der österreichische Bundesadler zu sehen, allerdings nicht – wie üblich – mit Hammer und Sichel in den Klauen, sondern mit PV-Anlage und Windrad. Denn wenn die Politik in Sachen Klimaschutz nichts weiter bringt, dann können wir zumindest am Fußballplatz zeigen, was möglich werden.
Das beste ist aber vermutlich auch das, was diese Dressen wirklich einzigartig macht. Der USV Furth ist der einzige Fußballverein der Welt (behaupte ich jetzt einfach mal!), der mit einer mathematischen Formel auf der Spielkleidung ausgestattet ist. Und es ist nicht einfach irgendeine Formel, sondern eine, die auch für den Fußball fundamental ist: Das zweite Newtonsche Axiom.
Es lohnt sich also, einen etwas genaueren Blick darauf zu werfen, warum der USV Furth genau mit dieser Formel ausgestattet worden ist.
Die Newtonschen Axiome kann man durchaus als die Grundlage der modernen Physik bezeichnen. Es sind die fundamentalen Regeln, die Isaac Newton im 17. Jahrhundert aufgestellt hat, um die Welt zu verstehen. Newton war derjenige, der aus der unorganisierten Suche nach Wissen, die davor existiert hat, die moderne Naturwissenschaft gemacht hat, die wir heute kennen. Sein revolutionäres Buch „Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie“ hat das erste Mal gezeigt, dass es allgemeingültige Naturgesetze gibt, die objektiv und mathematisch beschrieben werden können. Und in diesem Buch beginnt Newton damit, ein paar Regeln festzulegen, die beschreiben, wie sich Dinge bewegen. Diese „Newtonschen Axiome“ oder „Newtonschen Gesetze“ sind auch heute noch die Grundlage der klassischen Physik.
Das erste davon ist auch unter dem Namen „Trägheitsgesetz“ bekannt und besagt, dass ein Körper seinen Bewegungszustand nicht ändert, solange er nicht durch eine Kraft dazu gebracht wird. Das klingt offensichtlich: Wenn der Fußball vor dem Anpfiff des Spiels auf der Mittelauflage liegt, dann bleibt er da auch liegen. Erst wenn der erste Fuß auf eine Kraft auf ihn ausübt, bewegt er sich. Dass mehr hinter dem Trägheitsgesetz steckt, kann man sehen, wenn man probieren würde im Weltall Fußball zu spielen. Nehmen wir an, wir kicken einen Ball von der internationalen Raumstation hinaus ins Weltall. Dann bewegt er sich, so wie sich auch der Ball am irdischen Fußballplatz bewegt. Aber im Weltall wird der Ball einfach immer weiter fliegen. Auf der Erde übt der Luftwiderstand eine Kraft auf den Ball aus beziehungsweise der Widerstand, der beim Rollen des Balls über den Boden entsteht und irgendwann sorgt diese Kraft dafür, dass der Ball aufhört zu rollen. Aber im Weltall gibt es weder Boden noch Luft und daher auch keine Kraft, die die Bewegung des Balles verändern kann. Wenn wir mal die Gravitationskraft von Planeten und Sternen ignorieren und die Wechselwirkung des Balles mit den vereinzelten Molekülen der interstellaren Materie, dann würde er in einem leeren Universum tatsächlich bis in alle Ewigkeit weiterfliegen. Man könnte einen Elfmeter also auch aus 11 Lichtjahren Entfernung verwandeln. Oder 11.000 Lichtjahren (ein bisschen Ahnung von Himmelsmechanik und galaktischer Dynamik sollte man dann aber schon haben…).
Das zweite Newtonsche Axion wird auch als „Grundgesetz der Dynamik“ bezeichnet und dieser Name sagt schon, wie wichtig es ist (und deswegen ist es auch auf den Dressen des USV Furth gelandet). In seiner wissenschaftlichen Formulierung lautet es: „Die Änderung der Bewegung ist der Einwirkung der bewegenden Kraft proportional und geschieht nach der Richtung derjenigen geraden Linie, nach welcher jene Kraft wirkt“. In einer etwas verkürzten Variante kann man aber auch „Kraft ist Masse mal Beschleunigung“ sagen und genau das ist, in entsprechenden mathematischen Symbolen, auch auf den Hosen der Spieler des USV Furth abgebildet. Will man also, dass der Fußball beim Ankick seinen Bewegungszustand verändert; ihn also von einem ruhenden in einen sich bewegenden Zustand bringen, dann muss man eine Kraft anwenden. Und je größer diese Kraft ist, desto stärker ist auch die Veränderung der Bewegung. Oder noch einmal anders gesagt: Wenn der Ball wirklich weit fliegen soll, muss man ordentlich dagegen treten. Denn Kraft ist Masse mal Beschleunigung. An der Masse des Fußes, der die Kraft ausübt, kann man nicht viel ändern. Also muss man mit der Beschleunigung arbeiten, wenn man die Stärke der Kraft bestimmen will. Je fester man kickt, desto weiter fliegt der Ball. Gleiches gilt auch für den Fall, dass man die Kraft nicht auf den Ball ausüben will, sondern auf einen Gegenspieler. Wenn ein Stürmer auf einen Verteidiger zuläuft und eine Kraft auf ihn ausüben will, um ihn aus dem Weg zu räumen, sollte er das entweder mit hoher Beschleunigung tun. Oder aber über ausreichend Masse verfügen.
Bei solchen Aktionen darf man aber auch das dritte Newtonsche Axiom nicht vergessen: Zu jeder Kraft gibt es imme einer gleich große, aber entgegengerichtete Kraft. Oder, etwas vereinfacht ausgedrückt: Jeder Aktion erzeugt eine Reaktion. Damit ist aber nicht gemeint, dass der Schiedsrichter als Reaktion auf das Stürmerfoul eine rote Karte zeigt. Aber der Stürmer wird es auf jeden Fall spüren, wenn er gegen den Verteidiger prallt. Genau so wie es der Tormann spürt, wenn er einen scharf geschossenen Ball stoppt. Er hat ja eine Kraft auf den Ball ausgeübt, um seinen Bewegungsszustand zu ändern und seinen Flug zu stoppen. Das dritte Newtonsche Axiom sagt, dass der Ball dann auch eine gleich große Kraft auf den Tormann ausübt. Dass der Goalie den Ball dennoch festhalten kann liegt nur daran, dass die Kraft (siehe Axiom Nummer 2) aus dem Produkt von Masse und Beschleunigung besteht und die Masse eines Fußballs deutlich geringer als die eines Menschen ist.
Man könnte noch sehr viel mehr über Newtons Axiome und Fußball erzählen; sehr viel mehr über Wissenschaft und Fußball allgemein. Die gesamte moderne Naturwissenschaft ließe sich mit Beispielen vom Fußballplatz erläutern, wenn man ein wenig kreativ wird. Aber das ist nicht unbedingt nötig. Es war ja auch nicht das Ziel, dass jetzt der komplette Fanblock des USV Furth die Details der Newtonschen Mechanik lernt. Es ist ja immer noch Fußball und keine Physikvorlesung! Aber vielleicht fragt doch mal der eine oder die andere, was denn die Formel auf dem Dress zu bedeuten hat und vielleicht ergibt sich daraus ein Gespräch über Wissenschaft. Oder auch nicht – aber die Menschen können auf jeden Fall sehen, dass Wissenschaft auch beim Fußball ihren Platz hat. Und das ist schon ein wichtiger Schritt: Denn nicht nur der Fußball ist überall, sondern auch die Wissenschaft!
Übrigens: Die Premiere der neuen Dresse war ein voller Erfolg. Der USV Furth hat 4:0 gegen den ESV Vorwärts Krems gewonnen. Das erste Tor schoß Sebastian Polland in der 54. Minute und wird damit in die Geschichte als erster Torschütze im Science-Busters-Dress eingehen.
P.S. Wer die Dressen gerne kaufen möchte: Das ist möglich! Wenn ihr Interesse habt, dann schreibt bitte eine Email an den Obmann des Vereins, dort gibt es alle weiteren Infos.
freistetter.org redirected übrigens noch nach https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/
„Goalie“, „Dressen“ – sind das Austriazismen? Ersteres kenne ich hier in Piefkistan als „Torwart“, letzteres entweder nur im korrekten englischen Plural, also „dresses“ – oder in diesem speziellen Fall als „Trikothosen“.
Ja, König Fußball regiert die Welt… oder zumindest einen großen Teil davon. Es gibt allerdings eine Reihe recht bedeutender Länder auf diesem Planeten, die nicht unter seiner Herrschaft stehen – angefangen bei den USA (wo „Soccer“ im Vergleich zu American Football, Baseball oder Basketball so unbedeutend ist, dass es bei der Fußball-WM 1998, als das US-Team von den Iranern(!) nach allen Regeln der Kunst vom Platz gefegt wurde, mitnichten zu einer weltpolitischen Krise kam), China (wo man sich eher für Tischtennis begeistert), Indien (Cricket, was denn sonst? Soll ja jetzt endlich mal wieder olympische Disziplin werden…), schließlich noch ein zumindest für mich bedeutendes Land, nämlich das mit den hohen Bergen und langen Bärten, das anfangs zwar durchaus eine gewisse Fußballtradition entwickelte, der aber seit gut 30 Jahren durch das beim südöstlichen Nachbarn ebenfalls auf Platz 1 der Popularität stehende Cricket der Rang abgelaufen wird (ganz kürzlich konnte das Cricket-Nationalteam von Hochberglangbartland sogar England(!!!, die haben es immerhin erfunden!) besiegen… hach, tat das mal gut, neben all den Horrornachrichten, die sonst aus besagtem Land kommen!… na ja, und der eigentliche Nationalsport, diese unnachahmliche archaische Mischung aus Polo und Rugby, die von den Einheimischen nur „Ziegeziehen“ genannt wird, dürfte sich schon aus Tierschutzgründen international eher nicht durchsetzen… aber wer weiß, vielleicht auf (Elektro-)Motorrädern? Wäre auch hierzustadt mal eine Attraktion, „Motokashi-Club Bactria Bickendorf“, immer wieder gern gesehen auf der Weidenpescher Pferderennbahn…
Bis bald im Khyberspace!