Nachtrag: 23.03.2023: Mittlerweile ist das passiert, was ich im Artikel ausführlich beschreibe. Wir haben nun genug Beobachtungen gesammelt um mit Sicherheit sagen zu können, dass der Asteroid NICHT mit der Erde kollidieren wird.
Bevor es los geht: Es besteht keine dringende Gefahr und niemand muss sich Sorgen machen!
Ein Asteroid wurde entdeckt. Das ist nicht weiter außergewöhnlich, das passiert fast täglich – es gibt ja auch genug davon im Sonnensystem. Dieser spezielle Asteroid aber kommt immer wieder in der Nähe der Erde vorbei. Auch das ist noch kein Grund für Aufregung; auch so etwas passiert immer wieder. Im Fall des am 23. Februar 2023 entdeckten Asteroids mit der Bezeichnung 2023 DW sagt die Berechnung seiner Bahn aber eine mögliche Kollision mit der Erde für das Jahr 2046 voraus. Und das ist Grund genug, ein wenig genauer hinzusehen. Vor allem, um durch die mediale Aufregung zu blicken, die solche Ereignisse immer begleitet.
Wenn es um Asteroideneinschläge geht, dann sind Medien und öffentliche Wahrnehmung leider nachhaltig durch Science-Fiction-Filme verdorben. Das fängt bei der Entdeckung der Asteroiden an und geht in allen anderen Aspekten weiter. Wenn im Hollywood-Film ein Asteroid entdeckt wird, dann braucht es meist nur ein wenig Tipperei am Computer-Keyboard und sofort steht fest: Es kommt zu einer Kollision! Und das ist im Kino gleichbedeutend mit: Die Menschheit steht ihrer Auslöschung gegenüber.
Das ist verständlich, denn niemand will einen Film sehen, der davon handelt, dass ein Asteroid vielleicht mit der Erde kollidiert, vielleicht auch nicht und wenn er kollidieren sollte, passiert ein bisschen was, vielleicht aber auch nicht und überleben werden wir es auf jeden Fall. Das Kino braucht Action, Helden und den drohenden Untergang. Die Realität ist aber anders. Schauen wir auf die Entdeckung von Asteroiden: Wie jede wissenschaftliche Beobachtung und jedes Experiment ist auch der Fund eines neuen Himmelskörpers zwangsläufig mit Fehlern behaftet. Als die Astronomen Georges Attard und Alain Maury am 23. Februar 2023 die Entdeckung des Asteroiden 2023 DW bekannt gegeben haben, wusste man kaum mehr als dass da ein Punkt auf einer Fotografie des Nachthimmels war, der sich während ein paar Stunden ein bisschen bewegt hat und dessen Position mit der keines anderen bekannten Objekts übereinstimmt. Über seine Umlaufbahn wusste man da noch wenig und über seine exakte Umlaufbahn noch gar nicht.
Um zu wissen, wie genau sich ein Himmelskörper um die Sonne bewegt und ob dabei die Gefahr einer Kollision besteht, muss man das Objekt über einen längeren Zeitraum beobachten. Kennt man nur ein paar Bilder, die ein paar Stunden auseinander liegen, dann kann man zwar grob sagen, wo sich das Ding ungefähr hinbewegen wird; ist aber noch weit entfernt von einer genauen Bahnbestimmung. Also beobachtet man weiter und in diesem Fall hatte man bis zum 28. Februar 2023 immerhin schon 38 Aufnahmen zu unterschiedlichen Zeitpunkten gemacht. Das war ausreichend um festzustellen, dass der Asteroid sich am 14. Februar 2046 der Erde nähern wird; so nahe, dass man mit den vorliegenden Daten eine Kollision nicht völlig ausschließen kann. Die Wahrscheinlichkeit für einen Zusammenstoß konnte mit 1:830 angegeben werden. Das entspricht einer Kollisionswahrscheinlichkeit von 0,12 Prozent beziehungsweise einer Wahrscheinlichkeit von 99,88 Prozent, dass der Asteroid an der Erde vorbei fliegt.
Es ist wichtig, sich klar zu machen, was das bedeutet. Das heißt nicht, dass der Asteroid sich im Februar 2046 vielleicht plötzlich doch noch entscheidet, ein wenig zu nahe an die Erde heran zu fliegen und wir bis dahin abwarten und hoffen müssen. Es heißt, dass die Beobachtungsdaten die Bestimmung seiner Bahn nur innerhalb gewisser Fehlergrenzen erlauben. Wir bestimmen also keine exakte Bahn, sondern eher einen „Korridor“; einen dreidimensionalen Schlauch quasi. Irgendwo dort durch wird sich der Asteroid bewegen und die Erde liegt innerhalb dieses Schlauchs. Je mehr Beobachtungsdaten wir aber sammeln, desto enger wird der Korridor. Und erst wenn der Korridor enger als der Durchmesser der Erde geworden ist und immer noch genau auf unseren Planeten zeigt, können wir mit Sicherheit sagen, dass es eine Kollision geben wird. Andererseits kann schon eine kleine Verbesserung der Genauigkeit reichen um zu zeigen, dass der Schlauch an der Erde vorbei führt und dann ist es egal, ob wir noch genauere Daten kriegen oder nicht: Wir können eine Kollision auf jeden Fall ausschließen.
Kurz nach der Entdeckung eines Asteroiden hat man zwangsläufig noch wenig Daten und der Schlauch ist sehr groß. Es kommt immer wieder mal vor, dass man deswegen eine Kollision nicht ausschließen kann. In den meisten Fällen reichen aber ein paar Nachfolgebeobachtungen um festzustellen, dass der Himmelskörper an der Erde vorbei fliegen wird. In ganz seltenen Fällen läuft es anders; dann führen weitere Daten und eine genauere Bahnberechnung zu einer Erhöhung der Kollisionswahrscheinlichkeit und erst wenn die Daten noch genauer werden, kann man einen Zusammenstoß ausschließen. So war es zum Beispiel beim Asteroid Apophis, bei dem nach der Entdeckung 2004 eine Kollision immer wahrscheinlicher schien.
Dieses Bild zeigt, warum es zuerst so aussehen kann, als würde eine Kollision immer wahrscheinlicher, obwohl sie dann doch plötzlich ausgeschlossen werden kann:
Die Ellipsen zeigen den Querschnitt des „Schlauchs“ an, durch den sich der Asteroid auf jeden Fall bewegen muss (es handelt sich um eine Illustration und nicht um konkrete Berechnungen für 2023 DW). Die äußerste Ellipse zeigt den Zustand kurz nach der Entdeckung: Der Asteroid kann einer Vielzahl möglicher Flugbahnen durch die Ellipse folgen und da die Erde innerhalb der Ellipse liegt, ist eine Kollision nicht ausgeschlossen. Dann gibt es mehr Daten und eine kleinere Ellipse (die in der Mitte). Die Erde liegt aber immer noch darin und deswegen ist die Kollisionswahrscheinlichkeit jetzt größer. Erst wenn die Ellipse noch kleiner schrumpft und die Erde nicht mehr darin liegt, ist ein Zusammenstoß ausgeschlossen. Ob die Kollisionswahrscheinlichkeit gleich von Anfang an mit besseren Daten schrumpft oder zuerst ansteigt, hängt – vereinfacht gesagt – davon ab, in welche Richtung die Ellipse schrumpft.
Das bedeutet übrigens nicht, dass Kollisionswahrscheinlichkeiten in allen Fällen im Laufe der Zeit sinken müssen. Es ist ja eine Tatsache, dass Asteroiden mit der Erde zusammenstoßen – das haben sie in der Vergangenheit getan und sie werden es auch in Zukunft tun. Aber es sind trotzdem Ereignisse die nicht so oft vorkommen; vor allem wenn es um große Objekte geht, die in der Lage sind, die Menschheit auszulöschen. So etwas passiert alle paar hundert Millionen Jahre. Rein statistisch ist es daher wahrscheinlicher, dass man es mit einem ungefährlichen Objekt zu tun hat. Und 2023 DW ist definitiv kein Asteroid, der einen Weltuntergang verursachen kann. Er hat einen Durchmesser von circa 50 Metern, was gerade groß genug ist, dass er nicht vollständig in der Atmosphäre auseinanderbricht. Er kann den Erdboden erreichen und dort durchaus jede Menge Zerstörung anrichten. Die ist aber lokal begrenzt und betrifft nicht den kompletten Planeten. Außerdem ist der Großteil der Erdoberfläche unbesiedelt und die Wahrscheinlichkeit, dass der Asteroid zum Beispiel genau auf eine Stadt trifft und sie zerstört, ist gering. Aber es könnte prinzipiell passieren und genau deswegen lohnt es sich, genauer hinzusehen.
Nach 55 Beobachtungen wurde die Wahrscheinlichkeit für eine Kollision auf 1:710 erhöht, nach 60 Beobachtungen lag sie bei 1:543 und am 12. März 2023 wurde nach 77 Beobachtungen eine Bahn berechnet, die mit einer Chance von 1:360 zu einem Zusammenstoß mit der Erde führen kann – was immer noch bedeutet, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,7 Prozent nichts passiert. Aber 1:360 ist eine Kollisionswahrscheinlichkeit die man nicht jeden Tag findet. Und deswegen gab es jede Menge weitere Beobachtungen und die haben genau das gebracht, was ich vorhin erzählt habe. Nach 99 Beobachtungen sank die Kollisionswahrscheinlichkeit am 14. März 2023 wieder auf 1:770. Und es ist davon auszugehen, dass noch mehr Daten in den nächsten Tagen zeigen werden, dass die Gefahr eines Einschlags vernachlässigbar gering ist.
Um die Gefahr von Asteroiden für die Erde verständlich anzugeben, hat die Astronomie die sogenannte „Turiner Skala“ entwickelt, die ich hier genauer erklärt haben. Man weiß dem Asteroid eine Zahl von 0 bis 10 zu und nur bei Werten von 8, 9 oder 10 ist eine Kollision definitiv fix. Der Asteroid 2023 DW hat auf dieser Skala momentan einen Wert von 1. Die offizielle Beschreibung dafür lautet:
„Eine routinemäßige Neuentdeckung, für die ein Vorbeiflug vorhergesagt wird, der keine ungewöhnliche Gefahr darstellt. Die aktuellen Berechnungen ergeben, dass eine Kollision extrem unwahrscheinlich ist. Weitere Beobachtungen werden höchstwahrscheinlich zu einer Rückstufung in die Klasse 0 führen. „
Als tatsächlich „Bedrohlich“ werden Asteroiden erst ab einem Wert von 5 auf der Turiner Skala bezeichnet und bis jetzt haben wir noch kein Objekt gefunden, dass so klassifiziert werden musst. Den höchsten Wert hat der oben schon genannte Asteroid Apophis erreicht, als er kurzfristig mit „4“ klassifiziert wurde.
Fazit
Der Asteroid 2023 DW wird höchstwahrscheinlich NICHT mit der Erde kollidieren. Weitere Beobachtungen in den nächsten Tagen und Wochen werden eine genauere Bahnbestimmung möglich machen und es ist damit zu rechnen, dass wir dann eine Kollision ausschließen können. Sollten wir dagegen feststellen, dass der Asteroid im Jahr 2046 tatsächlich mit der Erde kollidieren wird, dann müssen wir NICHT mit einem Weltuntergang rechnen. Bei einer Kollision wird der Asteroid höchstwahrscheinlich mitten im Pazifik landen. Und wenn nicht, dann irgendwo in unbewohntem Gebiet. Im wirklich unwahrscheinlichsten Fall der Kombination von Kollision und Einschlag in besiedelten Gebiet ist dann aber auch nur dieses Gebiet betroffen. Der Asteroid ist zu klein, um globale oder auch nur regionale Zerstörung anzurichten. Kurz gesagt: Bis zum Jahr 2046 gibt es sehr viel mehr andere Dinge über die wir uns Sorgen machen können und sollen als eine Kollision mit 2023 DW.
Naja, ehrlich gesagt könnten die Presseerklärungen von Astronomen auch so anfangen: Asteroid wird und zu 99,7% verfehlen. Statt: „Asteroid entdeckt. Kollision nicht ausgeschlossen“. Dass die Wissenschaft auch gerne jedes bisschen PR mitnimmt das sie kriegen kann gehört halt auch zum Spiel; es wird gespielt, obwohl natürlich auch Astronomen bzw. ihre Institute eigerntlich wissen, was medial aus solchen Nachrichten gemacht wird.
Komischerweise habe ich noch nie Horrornachrichten zu den Perseiden gehört, dabei treffen die uns schön regelmäßig alle Jahre wieder. Ist wie mit Pflanzen: Es gibt eben Nutzpflanzen, das sind die guten und Unkräuter das sind die bösen. Vielleicht sollte man Asteroiden in Nutz-Brocken und Fies-Brocken unterteilen 😉
Danke euch für die unterhaltsame Sendung. Kann immer einiges dabei lernen.
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