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Sternengeschichten Folge 530: Die Vatikanische Sternwarte
Heute geht es um die Sternwarte des Vatikan. Und vielleicht fragt sich jetzt der eine oder die andere, wieso der Papst ein eigenes Observatorium braucht? Was hat die katholische Kirche mit einer wissenschaftlichen Forschungseinrichtung am Hut? Und was wird da überhaupt erforscht?
Ok – die ersten beiden Fragen sind recht einfach zu beantworten. Ich habe in den vergangenen Folgen immer wieder Mal über Zeitrechnung und Zeitmessung erzählt. Das erscheint uns heute, wo es überall Uhren und Kalender gibt, sehr trivial. Aber früher war es nicht so einfach, einen exakten Überblick über die Uhrzeit oder den Jahreslauf zu haben. Im Alltag war das auch nicht unbedingt dramatisch wichtig. Man ist aufgestanden, wenn es hell wurde und wenns dunkel geworden ist, ging man halt wieder ins Bett. Die Menschen haben keine Terminkalender gehabt, die Minute für Minute durchgeplant war; wenn man verreist ist, war man sowieso ein paar Tage oder Wochen unterwegs und ob man da jetzt ein paar Stunden früher oder später ankommt, war egal. Aber ein paar Situationen gab es dann schon, wo es wichtig war, die genaue Zeit zu kennen. Die Landwirtschaft musste halbwegs genau darüber Bescheid wissen, wann der Frühling anfängt, der Herbst beginnt, und so weiter, um alles entsprechend zu organisieren. Und die Kirche musste wissen, wann die religiösen Feste gefeiert werden müssen. Gerade beim wichtigsten Fest der Christen – Ostern – ist das gar nicht so einfach zu bestimmen; es ist ein bewegliches Fest, das jedes Jahr an einem anderen Tag gefeiert wird und dessen genaues Datum von den Mondphasen, dem Lauf der Sonne, und ein paar anderen Details abhängt. Kurz gesagt: Wer genau wissen will, wie spät es ist und genau wissen will, wie der Kalender läuft, konnte das früher nur durch entsprechende und langwierige astronomische Beobachtungen herausfinden.
Um die Verbindung zwischen Kirche und Astronomie zu sehen, müssen wir ja nur schauen, welchen Kalender wir heute immer noch benutzen. Es ist der sogenannte Gregorianische Kalender und der heißt deswegen so, weil seine Einführung 1582 von Papst Gregor XIII. verordnet worden ist. Der alte, noch aus der Antike stammende julianische Kalender war viel zu ungenau und deswegen brauchte es eine Reform. Und die notwendigen astronomischen Beobachtungen und Berechnungen für einen besseren Kalender. Das dafür eingerichtete Institut, das 1578 auch eine eigene Sternwarte bekam, war der Ursprung der heutigen Vatikansternwarte. Geleitet wurde und wird die Einrichtungen von Mitgliedern des Jesuitenordens. Nach seiner Gründung im Jahr 1534 hat sich dieser Orden auf die Bildung konzentriert, um die Mitarbeiter der Kirche besser ausbilden zu können. Die Jesuiten haben dabei nicht nur auf religiöses Wissen gesetzt, sondern auch die klassischen Wissensdisziplinen des Mittelalters unterricht, zu denen auch Mathematik, Geometrie und Astronomie gehören. Es ist deswegen nicht überraschend, dass sich unter ihnen auch jede Menge Astronomen finden, die wichtige Beiträge zur Forschung geleistet haben.
Zum Beispiel Christoph Clavius, der erste Leiter der Sternwarte der auch die Arbeiten zur Kalenderreform durchgeführt hat. Er war und blieb zwar ein Anhänger des geozentrischen Weltbilds, stellte mit seinen Beobachtungen aber fest, dass die alte Sicht des Universums, nach der der Himmel auf ewig unveränderlich sein muss, nicht stimmen konnte. Sein Nachfolger als Leiter der Sternwarte war Christoph Grienberger. Er war ein Freund von Galileo Galilei und hat dessen Entdeckungen auch privat zugestimmt. Als Vertreter der Kirche schrieb er beim Prozess zu Galileis angeblicher Ketzerei zwar ein eher wohlwollendes Gutachten, das aber dann doch zu zurückhaltend war, um ihn vor der Verurteilung zu schützen. Er war auch an der Erfindung der parallaktischen Montierung beteiligt, eine heute weit verbreitete Art, ein Teleskop zu montieren, so dass man es leicht mit der scheinbaren Bewegung der Sterne mitführen kann.
1850 hat Angelo Secchi die Leitung der Sternwarte übernommen, der sich dort mit der damals gerade in Entstehung begriffenen Spektroskopie beschäftigt hat. Er gehörte zu den ersten, die das Sternenlicht mit optischen Instrumenten in seine Bestandteile aufspaltete. Heute ist das eine der wichtigsten Methoden in der modernen Astronomie, wenn man herausfinden will, woraus ein Stern besteht. Damals war es komplettes Neuland; Secchi fand aber bei seiner Forschung immerhin ein paar markante Unterschiede die er für eine erste Einteilung der Sterne anhand ihrer Spektralklassen nutzte. Sie wurde zur Grundlage der heute immer noch verwendeten Harvard-Klassifikation, bei der die Sterne in die Spektralklassen O, B, A, F, G, K und M unterteilt werden, wie ich in Folge 132 ja schon ausführlich erklärt habe. Neben den fernen Sternen hat sich Secchi auch mit der Sonne beschäftigt und bei der Sonnenfinsternis im Jahr 1860 das erste Foto der Sonnenkorona gemacht, also der äußersten Schicht der Sonnenatmosphäre die normalerweise zu schwach leuchtet, um beobachtet zu werden.
Ein paar Jahre nach Secchis Tod musste die Sternwarte übersiedeln; der alte Kirchenstaat wurde vom 1870 neu entstandenen Königreich Italien aufgelöst und musste große Bereichen seiner ehemaligen Fläche abgeben. Dazu hat auch das Gelände der Sternwarte gehört, weswegen der damalige Papst Leo XIII einen Neubau angeordnet hat. Zuerst noch innerhalb von Rom, Anfang des 20. Jahrhunderts ist man dann aber ins Castel Gandolfo übersiedelt, wo sich die Sommerresidenz des Papstes befindet, die ebenfalls und heute immer noch Eigentum des Vatikans ist, obwohl sich das Gebiet 25 Kilometer außerhalb von Rom befindet. So wie anderswo auf der Welt in den großen Städten war es auch in Rom längst nicht mehr möglich, wirklich gute astronomische Beobachtungen anzustellen; dafür war es dort mittlerweile viel zu hell. Draußen auf dem Land aber war es noch dunkel und die Forscher an der Vatikansternwarte wollten gute Daten haben, um sich am internationalen Projekt der „Carte du Ciel“ beteiligen zu können. Ich habe davon in Folge 301 mehr erzählt; es war eines der ersten wirklich großen, internationalen Vorhaben in der Astronomie. Ziel war es, den gesamten Himmel mit fotografischen Aufnahmen zu katalogisieren, mit einheitlichen Methoden und Instrumenten. Um den kompletten Himmel abzudecken, waren Sternwarten auf der ganzen Welt nötig und die Vatikansternwarte war eine davon.
Die unzähligen Aufnahmen zu vermessen und die Daten zu berechnen war natürlich auch jede Menge Arbeit. Heute würde man so etwas mit Computern erledigen und damals hat man das auch getan. Nur das mit dem Wort „Computer“ keine Maschinen bezeichnet worden sind, sondern Menschen, die für die Rechenarbeit zuständig waren. Und sehr oft waren diese Menschen Frauen. Vor allem und leider deswegen, weil man ihnen damals deutlich weniger Gehalt bezahlen musste als Männern und so die viele Arbeit billiger erledigen konnte. Diese Frauen waren aber nicht nur mechanische Rechnerinnen; sie machten sich durchaus auch Gedanken über das, was sie da taten und wir verdanken ihnen jede Menge wichtige Entdeckungen. An der Harvard-Sternwarte in den USA gab es eine ganze Gruppe von ihnen, unter anderem Henrietta Swan Leavitt, die heraus fand, wie man die Entfernung zu bestimmten Sternen messen kann und damit die Grundlage legte, um zum Beispiel die Expansion des Universums entdecken zu können oder die Messung der Distanz zu anderen Galaxien. Im Vatikan musste man sich nicht so viele Gedanken über die Bezahlung der Mitarbeiter machen, aber auch hier setzte man Frauen ein, um die aufwendigen Rechenarbeiten zu erledigen. Vier Nonnen wurden rekrutiert, um die hunderttausenden Sterne aus den Carte-du-Ciel-Fotografien zu vermessen. Insgesamt waren es 481.215 Sterne und es war ein wenig peinlich, dass man zwar diese Zahl kannte, aber lange Zeit nicht die Namen dieser Frauen. Erst 2016 fand Sabino Maffeo, damals immerhin schon 93 Jahre alt, beim Ordnen von Unterlagen in der Vatikansternwarte ein paar alte Dokumente und darin die ganze Geschichte.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der österreichische Jesuit und Astronom Johann Hagen Direktor der Sternwarte. Er war zwar ein guter Astronom, aber nicht so gut beim Rechnen und Auswerten der Daten. Also schrieb er an diverse Nonnenklöster und fragte dort nach Frauen, die ein gutes Sehvermögen, Geduld und einen Hang zu methodischer Arbeit hatten. Die Klöster waren davon nicht so begeistert, denn astronomische Arbeit gehörte nicht zu ihrem Aufgabengebiet und man wollte die Nonnen lieber für anderes einsetzen. Ein Kloster aber schickte zwei Schwestern und dann später zwei weitere und diese vier Frauen arbeiteten 11 Jahre lang an der Vatikansternwarte bei der Auswerung der Daten. Dafür bekamen sie 1920 sogar eine Privataudienz beim Papst und einen goldenen Kelch als Dank. Dann sind ihre Namen aber in Vergessenheit geraten und erst 2016 dank der Entdeckung von Sabino Maffeo wieder bekannt: Emilia Ponzoni, Regina Colombo, Concetta Finardi und Luigia Panceri.
Die Vatikansternwarte ist heute ein sehr moderne Einrichtung die nicht nur von Italien aus arbeitet. Seit 1993 betreibt sie am Mount Graham in Arizona gemeinsam mit der dortigen Universität das Vatican Advanced Technology Telescope (VATT), das immerhin einen 1,8m großen Spiegel hat. An der Vatikansternwarte werden alle modernen astronomischen Themen erforscht, von Asteroiden über Galaxien bis hin zu dunkler Materie, Exoplaneten und Kosmologie. Es mag immer noch seltsam erscheinen, dass die katholische Kirche eine solche Forschungseinrichtung betreibt. Immerhin kann man definitiv nicht leugnen, dass sich die Kirche immer wieder dem wissenschaftlichen Fortschritt in den Weg gestellt hat. Aber ebenso wenig kann man die wissenschaftliche Arbeit der diversen Angehörigen der Kirche in den letzten Jahrhunderten leugnen. Die Welt ist halt nicht so schwarz/weiß wie wir uns das oft vorstellen. José Gabriel Funes, der bis 2015 Direkter der Sternwarte war, hat in einem Interview einmal gesagt: „Wir leben in einem Universum von 100 Milliarden Galaxien. Schon das ist ja eigentlich nicht mehr zu glauben. Da ist es eine sehr menschliche und tiefe Frage: warum gibt es so viele Galaxien und nicht einfach Nichts? Als Wissenschaftler können wir den Ursprung der Galaxien untersuchen und erklären, wie sie sich geformt haben. Wie es zu Sternen und Planeten kam. Ich habe keine Antwort, wie es zu diesem wundervollen Universum kam. Doch vor allem erzählt und spiegelt für mich die Schönheit des Universums die Schönheit des Schöpfers.“
An einen Schöpfer und dessen Schönheit kann man glauben. Oder nicht. Aber dass auch die Kirche von der Schönheit des Universums beeindruckt ist und sich damit beschäftigen will, ist absolut verständlich.