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Sternengeschichten Folge 529: Das galaktische Antizentrum

Im Zentrum unserer Galaxie ist jede Menge los. In einer Kugel mit circa 3 Lichtjahren Durchmesser rund um das Zentrum drängen sich 10 Millionen Sterne – und dass das sehr viele Sterne sind, sieht man schnell, wenn man sich überlegt, dass zwischen unserer Sonne und dem ihr nächstgelegenen Stern ein Abstand von vier Lichtjahren ist. Inmitten dieses Sterngewusels im Zentrum der Milchstraße sitzt ein gewaltiges schwarzes Loch das vier Millionen mal mehr Masse hat als unsere Sonne. Seine Schwerkraft schleudert die Sterne mit enormen Geschwindigkeiten herum; die Bewegung der Sterne im Zentrum ist generell eher chaotisch und die ganze Gegend nicht sonderlich lebensfreundlich. Wenn einer der Sterne als Supernova explodiert, dann werden seine vielen nahen Nachbarn dadurch ebenfalls beeinflusst und die gesamte kosmische Strahlung all dieser dicht an dicht stehenden Sterne wäre für die Existenz von Leben ebenfalls nicht sehr zuträglich. Wir können froh sein, dass wir gut 25.000 Lichtjahre vom Zentrum entfernt sind, in den äußeren Bereichen der Milchstraße geht es ein wenig beschaulicher zu. Wäre unsere Galaxie eine Stadt, dann würden wir in Vororten leben, quasi im Speckgürtel der Milchstraße.

Aus unserer Sicht ist es spannend, auf das Zentrum zu blicken; gerade weil dort so viel passiert. Genau so spannend kann es aber auch sein, in die entgegengesetzte Richtung zu blicken. Also, um im Bild zu bleiben, nicht hinein ins wuselnde Stadtzentrum sondern hinaus, aufs platte Land, dort wo wirklich gar nichts mehr los ist. Zumindest scheinbar, denn wenn es um die Milchstraße geht, kann man aus der Beobachtung des galaktischen Antizentrums überraschend viel lernen.

Und dazu sollten wir vielleicht klären, was mit einem „Antizentrum“ überhaupt gemeint ist. Das Zentrum ist klar; dass ist die Mitte und bei einer im Wesentlichen scheibenförmigen Struktur wie unserer Milchstraße ist das auch einigermaßen leicht zu definieren. Da kann es nur ein Zentrum geben – aber was ist das Gegenteil der Mitte? Der Rand? Ja, und Nein. In der Astronomie wird als „galaktisches Antizentrum“ einfach der Punkt bezeichnet, der von uns aus gesehen dem galaktischen Zentrum genau gegenüberliegt. Wir können dafür wieder auf das praktische Bild der Himmelskugel zurückgreifen. Wir tun so, als wären wir in der Mitte des Universums und sehen alle Sterne und andere Himmelskörper wie auf einer großen Kugelschale um uns herum. So schaut es ja auch tatsächlich aus, wenn wir zum Himmel blicken und lange Zeit hat man auch geglaubt, dass die Welt exakt so organisiert ist und die Sterne wirklich nur Lichter sind, die auf irgendeiner fernen Kristallsphäre montiert sind. Die Realität ist natürlich eine andere, aber es ist in manchen Fällen praktisch, so zu tun, als würde es die Himmelskugel tatsächlich geben. Auf dieser fiktiven Sphäre sehen wir das Zentrum der Milchstraße auf jeden Fall dort, wo sich das Sternbild Schütze am Himmel befindet. Und wenn wir uns jetzt einmal um 180 Grad drehen, dann schauen wir auf die Sternbilder Fuhrmann und Stier. Genau an der Grenze zwischen ihnen findet wir den Stern Elnath, der zu den 50 hellsten Sternen des Himmels gehört und daher gut zu sehen ist. Wenn wir auf diesen Stern schauen, dann schauen wir fast genau auf das galaktische Antizentrum.

Galaktisches Antizentrum (Bild: Background: ESA/Hubble, Sketch: ESA/Gaia/DPAC)

Schön und gut – aber warum sollte uns das interessieren? Dort sitzt kein schwarzes Loch um das sich alles dreht; dort sausen keine Sterne wild herum. Dort ist, wie es sich für ein Antizentrum gehört – nicht viel los. Aber genau das ist auch der Grund, warum diese Gegend für die Forschung interessant ist. Wir können ein weiteres Mal den Vergleich zwischen Stadt und Land verwenden. In der Stadt und vor allem im Stadtzentrum passiert jede Menge. Da geschehen neue Dinge; es eröffnen neue Geschäfte; es schließen Geschäfte, die neuen Filme und Theaterstücke werden dort als erstes aufgeführt, und so weiter. Es ist alles sehr lebendig und die Dinge ändern sich schnell. Draußen am Land läuft alles ein wenig langsamer ab. Es gibt weniger Veränderung und manchmal kommt es einem so vor, als wäre die Zeit dort stehen geblieben. Das ist, wenn es um den Vergleich von Stadt und Land geht, natürlich ein wenig übertrieben. Aber auch nicht völlig falsch und beim galaktischen Antizentrum definitiv korrekt.

Die Sterne, die sich dort draußen, am Rand der Milchstraße befinden, bewegen sich viel langsamer als die, die weiter drinnen ihre Runden ziehen. Die Abstände zwischen den Sternen sind viel, viel größer und damit auch die gravitativen Störungen, die sie aufeinander ausüben. Das bedeutet, dass wir dort auch die Vergangenheit der Milchstraße besonders gut erforschen können. Unsere Galaxis war ja nicht immer genau so, wie wir sie heute sehen. Es würde zu weit führen, jetzt die gesamte Geschichte einer Galaxie zu erzählen. Die Milchstraße ist alt, fast so alt wie das Universum selbst. Aber bei ihrer Entstehung war sie – so wie alle anderen Galaxien – noch nicht so groß wie heute sondern eine vergleichsweise kleine Gruppe von Sternen. Sie ist durch die Verschmelzung mit anderen kleinen Galaxien gewachsen und dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Wie ich in Folge 418 erzählt habe, wird sie in ein paar Milliarden Jahren mit der Andromedagalaxie verschmelzen und eine noch größere Galaxie werden. Es ist schwer, heute noch Spuren dieser vergangenen Wachstumsschritte zu finden. Die Sterne haben sich im Laufe der Zeit miteinander vermischt und wenn wir ins hektische Zentrum der Milchstraße schauen, finden wir gar keine Spuren mehr von dem, was früher vielleicht war.

In den Außenbereichen läuft es aber – wie gesagt – ein wenig langsamer ab. Unterschiede zwischen verschiedenen Sternengruppen können dort unter Umständen immer noch beobachtet werden; es war noch zu wenig Zeit, als dass sich auch dort alles vermischt hat. Störungen wirken sich nur langsam aus und die aus der Verschmelzung zweier Galaxien entstandenen Besonderheiten bleiben länger bestehen. Beim Blick nach außen können wir auch nicht nur die Außenbereiche der galaktischen Scheibe beobachten sondern gleichzeitig auch den Halo, also die große kugelförmige Region um die Scheibe der Milchstraße herum. Dort befinden sich jede Menge alte Kugelsternhaufen, Gaswolken und alte Einzelsterne und auch die Sternströme, von denen ich in Folge 177 erzählt habe und die die letzten Überreste von fremden Galaxien sind, die die Milchstraße früher mal verschluckt hat.

Dazu kommt: Der Blick ins Zentrum der Milchstraße ist uns fast komplett durch Staubwolken verstellt und wir brauchen Radio- und Infrarotteleskope, um dort etwas zu sehen. In Richtung Antizentrum ist naturgemäß weniger los und wir können sehr viel besser und genauer beobachten, was dort passiert. Zum Beispiel mit dem GAIA-Weltraumteleskop, dass bei seiner exakte Vermessung von knapp 2 Milliarden Sternen der Milchstraße natürlich auch das galaktische Antizentrum untersucht hat. Wir wissen jetzt, wie schnell und in welche Richtung sich die Sterne dort bewegen und die Daten sind äußerst interessant. Ich spare mir die mathematisch-wissenschaftlichen Details dieser Analyse – aber ein Ergebnis besteht zum Beispiel in der Erkenntnis, dass die Scheibe der alten, quasi ursprünglichen Scheibe der Milchstraße sehr viel kleiner ist als die heutige. Die Sterne, die aus der Verschmelzung der Milchstraße mit der Gaia-Enceladus-Galaxie vor gut 9 Milliarden Jahren stammen, reichen weit über diese ursprüngliche Scheibe hinaus (davon habe ich im Detail in Folge 480 gesprochen). Man hat auch entdeckt, dass die Scheibe der heutigen Milchstraße in den Außenbereichen ein wenig verbogen ist und hat auch diverse andere Hinweise auf gravitative Störungen und Einflüsse entdeckt. Worin sie genau bestehen, ist noch nicht eindeutig bekannt.

Aber auch hier wird die weitere Erforschung des Antizentrums neue Erkenntnisse bringen. Es ist wirklich ein ganz besonderer Ort. Wenn es um das Verständnis von Galaxien an sich geht, haben wir ja enorm viel aus der Beobachtung anderer Galaxien gelernt. Lange bevor wir wussten, welche Form unsere eigene Milchstraße hat, haben wir die vielen unterschiedlichen Möglichkeiten bei anderen, weit entfernten Sternensystemen gesehen. Wir sitzen ja mitten in der Galaxis und so wie man mitten im Wald vor lauter Bäumen kaum etwas über die Form des Waldes sagen kann, ist es schwer, die Milchstraße von innen heraus zu verstehen. Aber wenn es um die Außenbereiche einer Galaxie geht, hilft uns die Beobachtung ferner Objekte nicht viel. Denn dort befinden sich nunmal wenig Sterne und es ist schon schwer genug, weit entfernte Galaxien zu beobachten, weil von da nur so wenig Licht zu uns kommt. Die noch viel lichtschwächeren Außenbereiche dieser Galaxien sind im Detail so gut wie gar nicht zu untersuchen. Bei unserer Milchstraße klappt das aber recht gut; wir sitzen ja quasi auf halben Weg zwischen Zentrum und Rand. Und wenn wir den Blick vom Trubel in der Mitte abwenden und auch ab und zu mal in die scheinbar langweiligen Regionen draußen am galaktischen „Land“ werfen, können wir dort Dinge lernen, die wir nirgendwo anders herausfinden können.

Ein Gedanke zu „Sternengeschichten Folge 529: Das galaktische Antizentrum“
  1. @Florian:

    Die Abstände zwischen den Sternen sind viel, viel größer und damit auch die gravitativen Störungen, die sie aufeinander ausüben.

    Uff, äh … öh. Ich dachte, hier läge eine inverse Abhängigkeit vor. Hast du das so im Podcast gesagt?

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