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Sternengeschichten Folge 527: Orcus und Vanth

Am 17. Februar 2004 beobachteten die amerikanischen Astronomen Mike Brown, Chad Trujilo und David Rabinowitz mit dem Teleskop der Palomar-Sternwarte in Kalifornien wieder einmal den Weltraum. Sie waren auf der Suche nach transneptunischen Objekten, also Himmelskörpern, die sich außerhalb der Umlaufbahn von Neptun um die Sonne herum bewegen. Das erste dieser Objekte wurde schon 1930 gefunden und als neunter Planet des Sonnensystems mit dem Namen „Pluto“ klassifiziert. Danach dauerte es bis in die 1990er Jahre bevor ein weiterer dieser fernen Himmelskörper gefunden werden konnte. Aber Anfang der 2000er Jahre hatte man schon eine Handvoll von ihnen gefunden und man wollte noch weitere entdecken, denn aus ihrer Beobachtung kann man viel über die Geschichte des Sonnensystems lernen. Dort draußen, fern von der Sonne, gibt es sehr viel mehr Asteroiden als im klassischen Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Die Objekte bewegen sich alle deulich langsamer als die sonnennäheren Himmelskörper und zwischen ihnen ist viel mehr Platz. Und das ist auch der Grund für die Existenz des Asteroidengürtels hinter der Neptunbahn: In der Entstehungszeit des Sonnensystems, vor 4,5 Milliarden Jahren, ging es dort einfach zu ruhig zu, als das große Planeten entstehen hätten können. Die langsamen und weit voneinander entfernten Objekte kollidierten viel zu selten miteinander um zu großen Himmelkörpern heranwachsen zu können. Und blieben kleine Himmelskörper.

Das ist einer der Gründe, der sie interessant macht. Sie bestehen aus einem sehr ursprünglichen Material; aus dem Stoff, aus dem alles andere entstanden ist und aus Material, das kaum durch Kollisionen und andere dramatische Ereignisse verändert worden ist. Ein weiterer Grund der sie für die Forschung so spannend macht, sind ihre Umlaufbahnen. Denn auch wenn es da draußen ruhiger zugeht als in der Nähe der Sonne: Ein bisschen Dynamik existiert schon. In den Folgen 68 und 374 der Sternengeschichten habe ich von der „planetaren Migration“ erzählt; also davon, wie die äußeren Planeten des Sonnensystems während und kurz nach ihrer Entstehung sich ein Stück von der Sonne entfernt haben. Sie sind weiter innen im Sonnensystem entstanden als sie sich heute befinden. Bei ihrer Wanderung nach außen haben sie natürlich die Bahnen der fernen Asteroiden gestört und ihnen dynamische Muster aufgeprägt, die wir heute noch erforschen können. Pluto zum Beispiel befindet sich in einer 2:3 Resonanz mit Neptun; macht also zwei Runde um die Sonne in der selben Zeit die Neptun für drei Umrundungen benötigt. So etwas passiert nicht von selbst und ist ein Zeichen dafür, dass Neptun an einem anderen Ort entstanden ist und bei seiner Wanderung Pluto quasi in diesem resonanten Zustand eingefangen hat.

Jedenfalls: Man war auch der Suche nach weiteren Objekten hinter der Neptunbahn und am 17. Februar 2004 waren Brown, Trujilo und Rabinowitz ein weiters Mal erfolgreich. Zwei Tage später wurde ihr Fund offiziell bekanntgegeben; der Himmelskörper den sie entdeckt hatten bekam die für Asteroiden typische vorläufige Bezeichnung aus Zahlen und Buchstaben; in diesem Fall „2004 DW“. Der Asteroid braucht 246 Jahre für eine Runde um die Sonne und bewegt sich auf einer stark elliptischen Bahn. Am sonnennächsten Punkt der Umlaufbahn ist er 30mal weiter von ihr entfernt als die Erde, am sonnenfernsten Punkt beträgt der Abstand aber das 48fache der Distanz zwischen Erde und Sonne. Wer mit den Zahlen im Sonnensystem vertraut ist, wird vielleicht bemerken, dass die Umlaufzeit dieses Asteroiden ziemlich nahe an der des Pluto liegt. Und tatsächlich befindet er sich – wie Pluto – in einer 2:3 Resonanz mit Neptun. Was aber nicht heißt, dass die beiden sich nahe kommen. Sie befinden sich immer auf unterschiedlichen Seiten der Sonne und aufgrund der resonanten Bahn bleibt diese Konfiguration auch erhalten.

Die Entdeckung von Orcus (Bild: gemeinfrei)

2004 DW war also auf jeden Fall ein spannender Himmelskörper. Und brauchte bald eine bessere Bezeichnung als „2004 DW“. Wenn ein Asteroid entdeckt und seine Bahn ausreichend gut bekannt ist, dürfen die, die ihn entdeckt haben, ihm auch einen Namen geben. Mike Brown und seine Kollegen schlugen „Orcus“ vor. Das ist, in der römischen Mythologie, einer von mehreren Namen für den Gott der Unterwelt; so wie Pluto. Und wenn da draußen schon Pluto herum fliegt, kann man auch gleich noch einen weiteren Totengott dazu setzen, dachten sich Brown und seine Kollegen. Die Unterwelt ist aber nur eine Verbindung zu Plutos Namen; es gibt auch eine weitere, wenn auch etwas unwissenschaftlichere Parallele. Als damals ein Name für den heute „Pluto“ genannten Himmelskörper gesucht wurde, hat man sich natürlich – so wie bei den anderen Planeten – an der griechisch-römischen Mythologie orientiert. Entdeckt hat Pluto zwar der amerikanische Astronom Clyde Tombaugh; er führte damals aber quasi die Arbeit von Percival Lowell weiter. Der war schon im 19. Jahrhundert auf der Suche nach Planeten hinter der Bahn von Neptun und hat für diesen Zweck eine eigene Sternwarte gegründet. Als Tombaugh 1930 den Pluto fand, war Lowell zwar schon über 10 Jahre tot – aber noch lange nicht vergessen. Es war vermutlich nicht der Hauptgrund für die Wahl des Namens, aber dennoch ein schöner Zufall, dass die ersten beiden Buchstaben von Pluto auch die Initialen von Percial Lowell waren. Als man 1978 den großen Mond von Pluto fand, nannten die Entdecker ihn „Charon“, nach dem Fährmann, der in der griechischen Mythologie die Toten in das Reich des Totengottes führt. Thematisch absolut passend und schlau vom Entdecker James Christy gewählt, denn die ersten vier Buchstaben von Charon bilden den Spitznamen seiner Frau Charlene. Der Name der Frau von Mike Brown lautet nun zwar Diane, was absolut nichts mit Orcus zu tun hat. Aber Diane lebte während ihrer Jugend auf Orcas Island, vor der Küste von Washington und die beiden verbringen noch heute viel Zeit dort. Die Benennung des Asteroiden nach Orcus war also auch ein kleines Geschenk von Mike Brown an seine Frau.

Aber lassen wir mal die Namensgebung und schauen auf Orcus selbst. Neben der Umlaufbahn will man ja vor allem wissen, wie groß so ein Ding ist, wenn man es gerade frisch entdeckt hat. Was schwierig ist, wenn man nur einen schwachen Lichtpunkt auf einem Bild sehen kann. Anhand der ersten Daten schätzte man seinen Durchmesser auf 1600 bis 1800 Kilometer. Das ist ein ordentlicher Brocken und 2004 wäre das – nach Pluto – der größte bekannte Himmelskörper hinter Neptun gewesen. Und da 2004 auch Pluto selbst noch als Planet geführt wurde, hätte man durchaus auch Orcus als Planeten klassifizieren können. Hat man aber nicht, sondern 2006 die Entscheidung getroffen, Pluto aus der Gruppe der Planeten zu entfernen. Was durchaus sinnvoll war, wie ich ja in Folge 90 schon ausführlicher erklärt habe. Aber egal ob Planet oder Asteroid: Auf den wissenschaftlichen Wert der Erforschung von Orcus hat das natürlich keinen Einfluss. Und vermutlich ist er auch nicht so groß, wie anfangs gedacht. Man weiß immer noch nicht exakt, wie groß er ist; die Werte schwanken zwischen knapp 1000 Kilometer und um die 800 Kilometer. Aber die wahrscheinlichste Größe liegt vermutlich bei rund 920 Kilometer Durchmesser.

Trotz dieser immer noch ansehlichen Größe ist es schwer, Details über Orcus herauszufinden. Denn der 900 Kilometer große Brocken ist halt immer noch hinter der Neptunbahn. Wir wissen aus der Art wie der das Sonnenlicht reflektiert, dass es dort sehr viel Eis an der Oberfläche geben muss. Nicht nur gefrorenes Wasser, sondern auch Methan- und Ammoniakeis, immerhin liegt die Temperatur dort bei gut -230 Grad Celsius! Da kann auch so etwas wie Ammoniak fest zu Eis gefroren sein. Es ist aber erstaunlich, so etwas auf der Oberfläche eines transneptunischen Objekts zu finden; so etwas findet man dort so gut wie gar nicht. Ebenso wie klassisches Wassereis. Beziehungsweise findet man das natürlich schon, aber meistens nicht in kristalliner Form, so wie wir es auf der Erde gewöhnt sind. Die kleinen Asteroiden haben keine Atmosphäre die kosmische Strahlung abhält und diese Strahlung, die ungehindert auf das Eis trifft, sorgt in ein paar Millionen Jahren dafür, dass es sich in amorphes Eis verwandelt, also Eis, in dem die Wassermoleküle nicht mehr in einer regelmäßigen Struktur angeordnet sind. Wir wissen aber aus der Beobachtung von Orcus, dass es dort kristallines Wassereis gibt. Es ist also möglich, dass es dort Phasen von Kryovulkanismus gibt; dass also frisches Eis aus dem Inneren des Himmelskörperns wie Magma aus der Erdinneren an die Oberfläche tritt. Es ist sogar nicht einmal auszuschließen, dass es unter einer dicken Kruste aus Eis im Inneren von Orcus flüssiges Wasser gibt.

Bild: gemeinfrei

Was Orcus darüber hinaus auch noch hat, ist ein Begleiter. 2007 fanden Mike Brown und sein Team einen weiteren Himmelskörper, der sich um Orcus herum bewegt. Dieser Mond hat einen Durchmesser von circa 442 Kilometern und ist damit fast halb so groß wie Orcus selbst. Er befindet sich 9000 Kilometer von Orcus entfernt um braucht 9,5 Tage für eine Runde herum. Auch dieser Himmelskörper hat natürlich einen Namen: Mike Brown forderte die Leserinnen und Leser einer Zeitungskolumne die er schrieb dazu auf, einen Namensvorschlag einzureichen. Gewonnen hat die Einsendung der amerikanischen Schriftstellerin Sonya Taaffe: Vanth. So hieß bei den Etruskern, also quasi den Vorläufern der Römer, die Begleiterin des Totengottes. Vanth war eine Art Dämonin, die den Verstorbenen den Weg ins Jenseits anzeigt. Ein passender Name und einer der, zumindest soweit bekannt, keine irgendwie geartete Beziehung zu Taaffe oder ihrer Familie hat.

Über Vanth weiß man, abgesehen von seiner Existenz, noch nicht so viel. Da die beiden sich so nahe sind und beide zusammen der Erde so fern, ist es schwer, Vanth getrennt von Orcus zu beobachten. Beide sind nur winzige Lichtpunkte auf den Aufnahmen selbst der besten Teleskope. Wenn wir mehr wissen wollen, müssen wir hinfliegen und nachsehen. Was sich mit Sicherheit lohnen würde; denn die Gegend hinter der Bahn von Neptun ist noch so gut wie komplett unerforscht. Wir haben eine Raumsonde, die kurz an Pluto vorbei geflogen ist und ein paar detaillierte Bilder gemacht hat. Die gleiche Sonde – New Horizons – hat ein paar Jahre später auch noch den transneptunischen Asteroid Arrokoth aus der Nähe fotografiert. Aber abgesehen davon war bis jetzt nicht viel los dort draußen. Es wartet immer noch eine neuen Welt darauf, entdeckt zu werden, voller faszinierender Himmelskörper wie Orcus und Vanth.

5 Gedanken zu „Sternengeschichten Folge 527: Orcus und Vanth“
  1. @FF
    Sehr interessante Geschichte. Mich würde noch interessieren, wieviele transneptunische Himmelskörper bisher bekannt sind. Weißt du das zufällig?

  2. @FF
    Sehr interessante Geschichte. Mich würde noch interessieren, wieviele transneptunische Himmelskörper bisher bekannt sind. Weißt du das zufällig?
    Das ist ein neur Kommentar. Ich habe hier bisher noch gar nix kommentiert.

    1. Ich habe diesen Kommentar nur geschickt, weil ich beim Abschicken des ersten Kommentars die Meldung bekommen hatte, dass der bereits von mir eingereicht worden war, was aber nicht stimmte. Ich weiß nicht, ob in der Software irgendwas faul sein könnte?

  3. Man hat ja inzwischen eine weitere Methode, um Massen im Sonnensystem festzustellen. Die Erde dreht sich ja nicht um die Sonne, sondern um das Baryzentrum des Sonnensystems. Kommt sie dem Baryzentrum näher, wird sie schneller. Ihre Bewegung in drei Dimensionen kann aber mithilfe von Pulsaren sehr genau bestimmt werden:
    https://www.spektrum.de/news/planeten-wiegen-von-merkur-bis-saturn/1043410
    Das lässt sich theoretisch ja beliebig verfeinern und man könnte damit dann auch weit enfernte Massen feststellen. Vielleicht sieht man ja über die Gravitation mehr als mit der Optik?
    Wurde das schon versucht?

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