Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 524: Das Geheimnis der Barium-Sterne
Im Sternbild Steinbock findet man einen durchschnittlich hellen Stern; mit bloßem Auge kann man ihn halbwegs gut sehen. Er ist 386 Lichtjahre weit weg und trägt die offizielle Bezeichnung „Zeta Capricorni“. 1897 hat die Astronomin Antonia Maury dort die Existenz des chemischen Elements Barium nachgewiesen. Das ist an sich erstmal nicht außergewöhnlich; so wie die meisten anderen chemischen Elemente wird auch Barium in Sternen produziert. In diesem Fall nicht durch die normale Kernfusion, durch die zum Beispiel im Inneren der Sterne Wasserstoff zu Helium wird, sondern durch den sogenannten s-Prozess. Davon habe ich in Folge 412 ausführlich erzählt; es geht dabei um Vorgänge, die in Sternen ablaufen, die sich schon dem Ende ihres Lebens nähern. Diese alten Sterne haben den Wasserstoff in ihrem Kern schon verbraucht. Sie fusionieren dann das Helium, das sich dort angesammelt hat, wodurch es ein wenig heißer wird. Das führt dazu, dass nun auch in den äußeren Schichten des Sterns, wo noch genug Wasserstoff vorhanden ist, die nötigen Temperaturen für eine Kernfusion erreicht werden. Diesen Vorgang nennt man „Schalenbrennen“, weil sich im Laufe der Zeit quasi unterschiedliche Fusionsprozesse in Schalen um den Kern anordnen. Ist nämlich das Helium im Kern auch verbraucht, setzten weitere Fusionsprozesse ein, die die bei der Heliumfusion entstandenen Elemente nutzen, und zum Beispiel Kohlenstoff oder Sauerstoff fusionieren. Wodurch es nochmal heißer wird und das Helium in den äußeren Schichten fusionieren kann und der Wasserstoff in den noch weiter liegenden Schichten. Und so weiter – am Ende kriegt man einen Stern, bei dem in jeder Schicht unterschiedliche Fusionsreaktionen ablaufen; je nach Temperatur die erreicht werden kann und die hängt davon ab, welche Masse der Stern hat – je mehr Masse, desto heißer.
Für den s-Prozess ist aber nur wichtig, dass bei vielen dieser Reaktionen Neutronen entstehen. Das sind die elektrisch ungeladenen Bauteile des Atomkerns und die können nun auf die Atomkerne treffen, die sonst noch so im Stern rumliegen. Wenn sich aber zu viele Neutronen an einen Atomkern anlagern, dann wird er instabil. Er zerfällt und bei diesem Zerfall können wieder neue Elemente entstehen; Elemente wie Barium die bei den normalen Kernfusionsprozessen nicht gebildet werden können.
Soweit, so klar. Wenn Zeta Capricorni Barium enthält, dann muss es sich um einen ausreichend großen Stern am Ende seines Lebens handeln, wo genau dieser s-Prozess abläuft. Aber wenn das so wäre, dann würde ich mich ja nicht damit aufhalten, eine Sternengeschichten-Folge dazu aufzunehmen. Zeta Capricorni ist tatsächlich ein großer Stern, aber keiner, der sich schon so weit dem Ende seines Leben genähert hätte, dass dort der s-Prozess ablaufen könnte. Eigentlich dürfte es dort also kein Barium geben. Der Natur ist es aber ziemlich egal, was wir glauben, dass dort passieren dürfte. Dort passiert, was passiert und wenn wir etwas beobachten von dem wir denken, dass es nicht beobachtbar sein dürfte, dann heißt das nur, dass wir etwas falsch verstanden haben.
Dass Zeta Capricorni kein seltsamer Einzelfall ist, haben die beiden amerikanischen Astronomen William Bidelman und Philip Keenan im Jahr 1951 erkannt. In einer Arbeit mit dem etwas technischen Titel „Die Ba II Sterne“ haben sie eine ganze Gruppe von Sternen identifiziert, die vergleichsweise viel Barium enthalten, aber aufgrund ihrer Entwicklung eigentlich nicht enthalten sollten. Sie waren aber nicht in der Lage zu erklären, was der Grund für die Existenz dieser Barium-Sterne ist. Man brauchte mehr Daten und die wurden im Laufe der Zeit auch gesammelt.
Schauen wir wieder auf Zeta Capricorni: Im Jahr 1980 fand die in Deutschland geborene amerikanische Astronomin Erika Böhm-Vitense heraus, dass Zeta Capricorni einen Partner hat. Eine weißen Zwerg, ungefähr so schwer wie die Sonne und beide kreisen mit einer Periode von 6,5 Jahren umeinander. Auch das ist an sich noch nicht besonders; interessant wurde es aber, als man rausfand, dass alle Barium-Sterne Teil eines Doppelsternsystems sind, sehr oft mit einem weißen Zwerg als Partner wie bei Zeta Capricorni und das kann eigentlich kein Zufall sein.
Ein weißer Zwerg ist ein Stern, der sein Leben schon beendet hat. Soll heißen: Ein Stern, bei dem die Fusionsprozesse aufgehört haben und der in den letzen Phasen seines Lebens seine äußeren Schichten ins All gepustet hat, so dass nur noch der heiße und extrem dichte Kern übrig geblieben ist. Oder anders gesagt: Der weiße Zwerg hat die Phase mit dem Schalenbrennen und dem s-Prozess schon hinter sich. Er hatte also die nötige Zeit, um Elemente wie Barium zu produzieren. Die behält er aber nicht einfach so für sich. Ich hab vorhin gesagt, dass ein weißer Zwerg seine äußeren Schichten ins All gepustet hat. In diese Phase müssen wir jetzt nochmal genau schauen. Beim Schalenbrennen werden ja diese äußeren Schichten deutlich heißer als sie es vorher waren. Der Stern dehnt sich also massiv aus. Er wird zu einem roten Riesenstern und wenn er allein im All ist, passiert erstmal nichts weiter. Irgendwann kann er seine äußeren Schichten mit seiner eigenen Gravitationskraft nicht mehr festhalten und das ganze Zeug verflüchtigt sich in den Weltraum hinaus. Ist aber ein zweiter Stern ausreichend nahe, dann kann ein Teil des Materials von ihm angezogen und eingefangen werden. Oder andes gesagt: Der noch aktive Stern schnappt sich ein paar der chemischen Elemente, die er eigentlich noch gar nicht besitzen dürfte.
Barium-Sterne wie Zeta Capricorni machen sich also quasi älter, als sie es sind und sie erreichen das, weil sie chemische Elemente von ihrem sterbenden Partner bekommen, die sie selbst noch nicht produzieren können. Es ist auch kein Wunder, dass sie uns erst so spät aufgefallen sind und wir nicht so viele von ihnen kennen. Zuerst einmal braucht man zwei Sterne, die nicht nur ausreichend nahe beieinander liegen, sondern auch jeweils die richtige Masse haben müssen. Der eine gerade so viel mehr als der andere, dass er erstens sehr viel früher mit dem s-Prozess anfangen kann und zweitens auch so viel, dass er das überhaupt kann (nicht alle Sterne entwickeln sich auf diese Weise). Der Zeitraum, in dem ein Stern Elemente wie Barium produziert ist, im Vergleich mit einem Sternenleben auch recht kurz und wenn der zweite Stern nicht ausreichend viel länger lebt als der erste, dann kriegen wir von dem Transfer auch gar nichts mit; dann sehen wir nur zwei weiße Zwerge, die einander umkreisen. Wenn überhaupt, denn wir müssen unter all den Sternen da draußen ja noch die richtigen finden. Der Stern muss hell und/oder nahe genug sein, dass wir überhaupt messen können, dass das Barium drin ist, das nicht drin sein sollte. Und so weiter: Es gibt wenig Barium-Sterne und sie sind schwer zu finden.
Aber wenn man sie gefunden hat und wenn man sie untersuchen kann, dann sind sie äußerst lohnende Beobachtungsziele. Man kann von ihnen einiges über die Entwicklung von Sternen und der gesamten Milchstraße lernen. Zum Beispiel: Damit das im Inneren des Sterns erzeugte Barium überhaupt zum anderen Stern kommen kann, muss es ja zuerst einmal irgendwie an dessen Oberfläche gelangen. Die Details sind komplex, aber aus den Beobachtungsdaten der Bariumsterne und theoretischen Modellen zum s-Prozess und der Sternentwicklung kann man berechnen, wie sich das Material im Inneren des sterbenden Sterns durchmischt und wie stark der Sternwind ist, mit dem er das Zeug hinaus ins All pustet. Diese Sternwinde haben aber natürlich alle Sterne, die sich am Ende ihres Lebens ausdehnen; sie sind eine wichtige Quelle für die sogenannte interstellare Materie, also das Material das sich zwischen den Sternen befindet. Das ist zwar nicht viel, gar nicht viel, genau genommen, aber ein bisschen was ist schon da und das würde man gerne verstehen. Die Barium-Sterne erlauben uns, die Prozesse zu studieren, die dazu führen, dass sterbende Sterne Material hinaus ins All schleudern und damit wissen wir auch mehr über die interstellare Materie.
Und mit ausreichend Daten kann man noch mehr Details rauskriegen. Bei Zeta Capricorni hat man zum Beispiel nicht nur Barium gefunden, sondern auch das Element Niob. Das ist aus einem radioaktiven Isotop von Zirkonium entstanden, das wiederum aus den s-Prozessen des ehemaligen Sterns kommt. Weiß man, wie viel Niob heute noch da ist und kennt man die Rate, mit der das radioaktive Zirkonium zu Niob zerfällt, kann man ungefähr abschätzen, wann der Massentransfer zwischen den beiden Sternen stattgefunden hat. Das Resultat: Zeta Capricorni ist erst vor gut 3 Millionen Jahren zum Barium-Stern geworden. Also quasi erst gestern, nach astronomischen Maßstäben. Ein Glück, das wir rechtzeitig schlau genug geworden sind, ihn zu verstehen.
Die Mustererkennung im Gehirn produziert aber bei diesem Bild einer Molekülwolke eigenartige Assoziationen.
Wahrscheinlich fühlen sich die Astronomen auch manches Mal vom Universum verschaukelt – um es mal so zu formulieren.
Ja, der „Mittelfinger-Nebel“. 😀 Warum den nicht jemand offiziell so genannt hat, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Immerhin könnte man damit belegen, daß in der Astronomie der Stoff „Humor“ doch in mehr als homöopathischen Dosen vorkommt.
Im Universum: ja, schon aufgrund seiner unergründlichen Ausmaße
Im Dunstkreis Astronomie: nö, ich sag nur: This rotation of the earth makes my day!