Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 460: Antimaterie-Blitze und außerirdische Gewitter
Ein Gewitter ist ein beeindruckendes Ereignis. Zumindest dann, wenn man es wirklich unmittelbar erlebt. Wer schon einmal Blitz und Donner nicht aus der Ferne und der Sicherheit des eigenen Hauses erlebt hat, sondern in freier Natur und mittendrin; wer die Blitze in nächster Nähe einschlagen sehen und den sofort darauf folgende Donner ohrenbetäubend krachen gehört hat, kann nachvollziehen, wieso die Menschen früher davor ernsthaft Angst gehabt haben. Wieso sie sich in Blitz und Donner das Wirken von Göttern vorgestellt haben. Ein Gewitter ist auch heute noch spektakulär und furchteinflößend; daran ändert auch nichts, dass wir wissen, was da passiert.
Die Details der Entstehung eines Blitzes sind erstaunlich kompliziert. Aber alles fängt mit einer Wolke an. Mit einer Cumulonimbuswolke, auf deutsch: einer Gewitterwolke. Sie kann sich bis zu 10 Kilometer hoch auftürmen, dort oben in der kalten Atmosphäre bilden sich aus den Wassertropfen, die die Wolke bilden, Eiskristalle. Dann braucht es noch starken Wind in der Wolke; Luft muss mit 5 bis 20 Meter pro Sekunde nach oben strömen. Das kann passieren, wenn die Luftfeuchtigkeit hoch genug ist, und Wasserdampf zu kleinen Wassertropfen kondensiert. Dabei wird Wärme freigesetzt und die Luft in der Wolke wird wärmer, als sie es in dieser Höhe eigentlich sein sollte. Deswegen steigt sie auf, kühlt sich dabei ab und das verstärkt die Kondensation. Dadurch wird noch mehr Wärme frei; die Luft steigt weiter und noch schneller nach oben. Hoch über dem Boden ist es kalt genug, dass die Wassertropfen gefrieren, die Eiskristalle werden immer größer, bis sie schwer genug sind, um trotz der Aufwinde nach unten zu fallen. Die schweren Hagelkörner kollidieren dabei mit den noch leichteren und nach oben strömenden Eiskristallen. Dadurch werden sie elektrisch geladen; das ist genau so, wie wenn man mit einem Stück Fell an einem Luftballon reibt, der dann statisch geladen ist. Durch die Reibung werden Elektronen aus den Atomhüllen der leichten Eiskristalle herausgelöst und an die größeren Hagelkörner abgegeben. Die einen sind nun also elektrisch negativ geladen, die anderen elektrisch positiv. Die einen sinken nach unten, die anderen steigen nach oben. Am Ende findet man oben und unten in der Wolke große Ansammlungen an Teilchen mit unterschiedlicher elektrischer Ladung. Irgendwann kommt es zu einem Ausgleich dieser Ladungen; es fließt ein elektrischer Strom: Genau das ist ein Blitz. Es kann innerhalb der Wolke blitzen, aber auch zwischen Wolke und Boden. Und ist im Detail noch viel komplizierter, als ich das jetzt dargestellt haben.
Auf jeden Fall aber wird in sehr kurzer Zeit sehr viel Energie frei. Ein typischer Blitz dauert nur einen Sekundebruchteil; es gab aber auch schon Blitze, die über 10 Sekunden gedauert haben. Im Durchschnitt legt der elektrische Strom eine Strecke von ein paar Kilometern zurück, man hat aber auch welche gemessen, die ein paar hundert Kilometer lang waren. Aber egal wo und wie lange es blitzt: Die Luft wird dabei in unmittelbarer Nähe des Blitzes schlagartig auf bis zu 30.000 Grad Celsius erhitzt. Aufgrund der elektrischen Ladung sind Blitz und die Luft im Blitzkanal von einem Magnetfeld umgeben, dass die Ausdehnung der Luft verhindert. Sie wird also extrem erhitzt und die Luftmoleküle wollen sich dadurch sehr schnell bewegen. Sie können aber wegen des Magnetfeldes nirgendwo hin, das heißt, der Druck steigt enorm an. Wenn der Blitz dann eingeschlagen hat und das Magnetfeld verschwindet, kann sich die Luft endlich ausdehnen, was sie dann auch explosionsartig tut. Das Resultat ist der Donnerknall, der jeden Blitzeinschlag begleitet.
Donner und Blitz begleiten uns Menschen schon von Anfang an. Gewitter gab es schon lange, bevor das erste Leben auf der Erde sich entwickelt hat. Jeden Tag schlagen ein paar Millionen Blitze auf der Erde ein; ein paar 100 pro Sekunde. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt toben ein paar tausend Gewitter irgendwo auf dem Planeten. Die Wissenschaft hat sich schon immer intensiv mit den Gewittern beschäftigt – aber trotz der langen Forschungsgeschichte finden wir immer wieder etwas Neues heraus. Zum Beispiel, dass bei Gewittern Antimaterie erzeugt wird! Das wissen wir dank des Fermi-Gammastrahlenteleskops. Das Ding fliegt durchs Weltall und sucht eigentlich nach Gammablitzen im fernen Universum, zum Beispiel weil irgendwo in einer anderen Galaxie zwei Neutronensterne kollidieren. 2011 hat das Fermi-Weltraumteleskop aber auch Gammastrahlung in der Nähe von Gewitterwolken auf der Erde entdeckt. Das ist überraschend, weil Blitze zwar natürlich leuchten. Auch ein bisschen im hochenergetischen Gammalicht. Darüber hinaus hatte die von Fermi beobachtete Gammastrahlung aber eine ganz bestimmte Energie, nämlich genau die, die frei wird, wenn Elektronen mit ihren Antiteilchen, den Positronen, kollidideren, sich dabei auslöschen und so in reine Energie umwandeln. 2017 haben Forscherinnen und Forscher aus Japan die Sache dann im Detail untersucht. Und festgestellt, was passiert. Zuerst erzeugt die Blitzentladung ein kleines bisschen Gammastrahlung. Das ist normal und war zu erwarten. Die hochenergetische Strahlung kann nun aber ein Neutron aus dem Atomkern von Stickstoffatomen in der Luft herausschlagen. Dadurch entsteht ein radioaktives Isotop des Stickstoffs, das zu Kohlenstoff zerfällt. Dabei wird ein Proton im Atomkern in ein Neutron umgewandelt und bei dieser Kernreaktion wird ein Positron frei. Also das Antiteilchen des Elektrons und wenn beide aufeinandertreffen, löschen sie sich aus und erzeugen Strahlung mit der von Fermi beobachteten charakteristischen Energie.
Ein Gewitter ist also nicht nur ein beeindruckendes Naturereignis, sondern eines, das wie ein Teilchenbeschleuniger Kernreaktionen auslösen und Antimaterie produzieren kann. Und wenn schon hier bei uns auf der Erde so verrückte Sachen passieren, wie muss es dann erst auf anderen Planeten aussehen? Aber gibt es dort überhaupt Gewitter?
Damit ein Gewitter stattfinden kann, braucht es eine Atmosphäre. Damit fällt der Merkur schon mal raus, genau so wie der Mond, die ja beide keine Atmosphäre haben. Aber was ist zum Beispiel mit dem Mars? Der hat eine Atmosphäre; die ist aber extrem dünn und reicht eigentlich nicht für die Bildung von Gewitterwolken. Es gibt aber immer wieder große Staubstürme und die Staubteilchen in der Marsatmosphäre können im Prinzip eine elektrische Ladung aufbauen. Es könnte also Blitze auf dem Mars geben. 2009 glaubte man auch, konkrete Hinweise auf Blitzentladungen am Mars entdeckt zu haben. Man hat nicht die Blitze selbst beobachtet, aber Mikrowellenstrahlung die aus einem Staubsturm zu kommen schien. Weitere Beobachtungen konnten das aber nicht bestätigen. Laborexperimente mit Staubteilchen haben gezeigt, dass der niedrige Luftdruck der Marsatmosphäre verhindert, dass sich wirklich starke elektrische Ladungen aufbauen. Wenn es auf dem Mars tatsächlich blitzen sollte, dann sind die Gewitter dort auf jeden Fall sehr schwach.
Wie sieht es auf unserem anderen Nachbarplaneten aus, der Venus? Die hat ja mehr als genug Atmosphäre; sie ist extrem dicht, viel dichter als auf der Erde. Wolken gibt es dort auch. Und Blitze? Diverse Raumsonden haben immer wieder mal entsprechende Radiogeräusche beobachtet, die auf Gewitter hindeuten könnte. Die japanische Raumsonde Akatsuki hat 2020 einen Lichtblitz in der Atmosphäre der Venus gesehen, der ein Blitz gewesen sein könnte. Aber es fehlt auch hier ein eindeutiger Nachweis. Die Wolken der Venus sind auch nicht mit den Wolken der Erde zu vergleichen. Sie bestehen nicht aus Wasser und sie bewegen sich vor allem viel, viel schneller. Sie sausen um den Planeten herum, mit enormer Geschwindigkeit und das könnte die Entstehung echter, sich horizontal auftürmender Gewitterwolken verhindern.
Bei Jupiter lässt sich die Frage nach außerirdischen Blitzen dagegen mit einem definitiven Ja! beantworten. Der größte Planet des Sonnensystems ist ja quasi ausschließlich Atmosphäre, ein Gasplanet ohne feste Oberfläche. Seit wir in den 1970er Jahren die Voyager-Sonden zu den Gasplaneten des äußeren Sonnensystems geschickt haben, beobachten wir auch Gewitter in der Atmosphäre des Jupiter. Das erste Mal 1979, fotografiert von Voyager 1 und seitdem immer wieder von allen möglichen Raumsonden. Die dabei frei werdenen Radiowellen passten aber nicht zu dem, was wir von den Blitzen auf der Erde kennen. Erst die Raumsonde Juno konnte 2016 ein wenig Licht auf die Angelegenheit werfen. Juno war näher an Jupiter dran als die Raumsonden zuvor und konnte mit ihren Instrumenten die Radiostrahlung der Blitze genauer vermessen als alle anderen. Und dabei feststellen, dass sich die Blitze im Prinzip so verhalten wie Blitze auf der Erde. Sie finden nur ganz woanders statt: Bei uns gibt es die meisten Gewitter in den Tropen, in der Nähe des Äquators. An den Polen der Erde blitzt es dagegen eher selten. Auf Jupiter ist es genau umgekehrt. Der Grund dafür hat vermutlich mit der Wärmeverteilung zu tun: Die Erde kriegt ihre Wärme von außen; von der Sonne. Die Sonnenstrahlung ist am Äquator am stärksten und an den Polen am schwächsten. Dort wo die meiste Wärme in der Atmosphäre sitzt, finden auch die meisten Gewitter statt. Jupiter ist viel weiter von der Sonne weg; die Sonnenstrahlung spielt dort also keine so große Rolle. Die aus dem Inneren des Riesenplaneten kommende Wärme dafür viel mehr. Oder genauer gesagt: Die äußere und die innere Wärme wirken auf Jupiter ganz anders zusammen als auf der Erde. Die Sonnenstrahlung ist auch bei Jupiter am Äquator stärker als an den Polen. Durch die von außen zugeführte Energie sind die äquatorialen Atmosphärenschichten stabiler; die an den Polen aber nicht. Dort kann das warme Gas aus den tieferen Schichten von Jupiter deshalb leichter aufsteigen; die Atmosphäre ist dort turbulenter und Gewitterwolken können sich einfacher bilden. Die Daten von Juno zeigen, dass Gewitter insgesamt auf Jupiter so häufig sind wie auf der Erde.
Auch auf Saturn hat man Gewitter beobachtet. Die Raumsonde Cassini konnte dort Gewitterstürme sehen, die monatelang dauerten. Auch auf Uranus blitzt es. Bleibt noch Neptun: Der fernste Planet des Sonnensystems ist dem Uranus sehr ähnlich. Aber Gewitter hat man dort noch nicht gesehen. Man hat zwar ein paar Ereignisse aufgezeichnet, die auf Blitze hindeuten. Aber viel zu wenig, um sicher sein zu können. Das muss nicht heißen, dass es dort keine Gewitter gibt. Es wäre überraschend, wenn das der Fall wäre, denn – wie gesagt – Uranus und Neptun sind sich sehr ähnlich. Aber eben nicht identisch; vielleicht sorgt die leicht unterschiedliche chemische Zusammensetzung der Atmosphären dafür, dass Gewitter bei Neptun ein wenig seltener sind als bei Uranus. Und dann ist Neptun ja auch viel weiter entfernt als Uranus; und dadurch auch schwerer zu beobachten. Wir müssten endlich mal wieder Raumsonden dort hinaus schicken; dann würden wir sicher auch die Blitze in der Atmosphäre von Neptun beobachten können.
Es gibt noch viele Orte, an denen wir nach Gewittern suchen können. Viele andere Sterne haben Planeten; manche davon haben Atmosphären und wo Atmosphären sind, kann es auch Blitz und Donner geben. Es ist zwar schwer, die Gewitter auf den Planeten anderer Sterne nachzuweisen. Dazu müssten wir Radiosignale von dort empfangen und dafür sind unsere Instrumente nicht gut genug. Aber irgendwann klappt es vielleicht und es wäre durchaus interessant, über die extrasolaren Gewitter Bescheid zu wissen. Aus der Häufigkeit und der Verteilung von Blitzen kann man einiges über die Vorgänge in der Atmosphäre herausfinden, in der sie stattfinden. Extrasolare Gewitter können uns also sagen, wie das Wetter auf anderen Planeten ist, wie und ob sich dort Wolken bilden, und so weiter. Wenn wir die Gewitter über längere Zeit hinweg beobachten könnten, dann könnten wir vielleicht sogar Aussagen über das Klima dort machen. Und – wie ich anfangs erzählt habe – Blitze können auch Kernreaktionen in der Atmosphäre auslösen; sie können Einfluss auf die chemische Zusammensetzung haben. Und ganz unabhängig von den besonderen Prozessen bei denen Antimaterie frei wird: Blitze sind Energie. Je mehr freie Energie verfügbar ist, desto mehr und speziellere chemische Reaktionen können stattfinden. Und wenn die chemischen Reaktionen irgendwann SEHR speziell werden, wird aus der Chemie vielleicht irgendwann Leben…
Sehr interessanter und informativer Beitrag. Eine Frage hätte ich dazu: Es hieß, dass das Magnetfeld um den Blitz die Ausdehnung der Luft verhindere. Dann müsste die Luft doch aber elektrisch geladen sein, sonst hätte das Magnetfeld doch keine Wirkung. Oder habe ich da etwas übersehen?
Eigentlich sollte es bei dieser Temperatur doch gar keine Luftmoleküle mehr geben, sondern Plasma? Das würde dann auch entsprechend auf die Magnetfelder reagieren.
moin T-Truckle&Rob, bereits der Kanal für den Vorblitz entsteht durch Ionisierung der Luft mittels Runaway-Elektronen, allerdings werden die 30k°C erst beim Hauptblitz erreicht.
Und ja, das ist Plasma, anfangs schon und bei der Hauptshow sowieso…
Und ich habe noch in der Schule gelernt, dass der Donner dadurch entsteht, dass durch die plötzliche Ausdehnung der Luft im Blitzkanal ein extrem geringer Luftdruck herrscht, der nach dem Erlöschen wieder ausgegelichen wird, was dann den Knall verursacht, also Quasi eine Implosion. Wieder was dazugelernt.
@schlappohr
Plasma hat eine große elektrische Leitfähigkeit, die sogar in die Nähe von Kupfer kommt. Wenn im Blitzkanal ein sehr geringer Luftdruck herrschen würde, wäre dies gleichbedeutend mit wenig Teilchen im Kanal. Und das wäre für dem Ladungstransport überhaupt nicht gut. Eine Blitzentladung wäre unmöglich.
Damit ist bewiesen, dass Lehrer Menschen sind und grobe Fehler machen. 😉