Was macht man, wenn man für ein Medium arbeitet, das von Click-Bait und boulevardesken Inhalten lebt, immer wieder mal Texte über Wissenschaft verfassen muss und in der New York Times einen Artikel über Neuigkeiten aus der Asteroidenforschung findet? Richtig: Man übersetzt die wesentlichen Inhalte daraus, verwendet aber nicht das Wort „Asteroid“ sondern schreibt stattdessen von „Unbekannten Flugobjekten“. Dann klingt alles gleich viel dramatischer, nämlich so: „Unbekannte Flugobjekte in Asteroidengürtel entdeckt – sie sollten nicht dort sein“. Das ist auf jeden Fall die Schlagzeile des zugehörigen Textes, den Dana Neumann auf futurezone.de verfasst hat; ein Internetmedium, das regelmäßig in meiner Serie über „Schlechte Schlagzeilen“ auftaucht.
Diesmal ärgere ich mich nicht unbedingt nur aus den üblichen Gründen über die Missachtung, die Medien wie futurezone.de einer vernünftigen Berichterstattung über Wissenschaft entgegenbringen. Ansonsten beschäftigen sich die einschlägigen Texte ja mit Themen wie „Ein Asteroid kommt der Erde nahe. Oh Gott, oh Gott, wir werden vielleicht alle sterben!!1!“. In diesem Fall handelt es sich aber um ein sehr spannendes und wichtiges Stück astronomischer Forschung, dass auf futurezone.de so verzerrt dargestellt wird, dass es eigentlich eine Frechheit ist. Es geht um die Arbeit „Discovery of two TNO-like bodies in the asteroid belt“ von Sunao Hasegawa und seinen Kolleg*innen. Was darin steht, kann man eigentlich ohne große Probleme kurz und verständlich zusammenfassen:
- In unserem Sonnensystem gibt es jede Menge Asteroiden. Sie sind aus der Zeit der Planetenentstehung vor 4,5 Milliarden Jahren übrig geblieben. Man findet sie im inneren Bereich des Sonnensystems, vor allem zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter. Und noch zahlreicher im äußeren Sonnensystem, hinter der Bahn des Neptun.
- Im Prinzip sind Asteroiden Felsbrocken, auf und in denen sich Eis befindet. Die Details ihrer Zusammensetzung hängen aber von dem Ort ab, an dem sie entstanden sind: Fern der Sonne oder näher dran.
- Die Zusammensetzung eines Asteroiden beeinflusst, wie er Sonnenlicht reflektiert. Manche reflektieren blaues Licht stärker; bei manchen ist es rotes Licht. Das können wir beobachten, auch wenn wir den Asteroid selbst im Detail nicht sehen können.
- Asteroiden die sich im äußeren Sonnensystem befinden, sind tendenziell röter, d.h. sie reflektieren rotes Licht sehr gut. Das liegt daran, dass sie fern der Sonne entstanden sind, wo es sehr kalt ist. Dort gab es viel Eis und in/aus diesem Eis konnten sich durch die Einstrahlung der Sonne im Laufe der Zeit und in Kombination mit anderen Atomen, die da vielleicht noch rumschwirren, komplexe Moleküle bilden, wie zum Beispiel Methan u.ä. Diese Moleküle sorgen dafür, das rotes Licht besser reflektiert wird. Asteroiden die näher an der Sonne entstanden sind, haben solche komplexen Moleküle nicht.
- In der aktuellen Arbeit wurde bei einer Untersuchung des reflektierten Lichts diverser Asteroiden im inneren Sonnensystem zufällig entdeckt, dass der Asteroid (203) Pompeja extrem rot ist (schon früher hatte man herausgefunden, dass das auch für den Asteroid (269) Justitia gilt. Pompeja wurde 1879 entdeckt, Justitia im Jahr 1887 – sie sind also schon SEHR lange bekannt. Bis jetzt wusste man aber nicht über ihre spezielle rötliche Färbung Bescheid.
- So rote Asteroiden wie Pompeja und Justitia erwartet man eigentlich nicht im inneren Sonnensystem. Wenn sie nun aber genau dort beobachtet werden können, muss es einen Grund geben, warum sie da sind. Man geht davon aus, dass sie im äußeren Sonnensystem entstanden und erst später näher an die Sonne gelangt sind.
- Es muss in der Frühzeit des Sonnensystems also eine Phase gegeben haben, in der es ziemlich chaotisch zuging und in der sich Himmelskörper weit von ihren ursprünglichen Umlaufbahnen entfernt haben. Das wissen wir auch aus diversen anderen Gründen. Im sogenannten Nizza-Modell wird genau diese chaotische Phase beschrieben. Die Asteroiden Pompeja und Justitia könnten nun konkrete Hinweise auf die Gültigkeit dieses Modells liefern bzw. Anregungen, wie man es modifizieren muss.
Die Beobachtung von Pompeja könnte uns also neue und sehr wichtige Hinweise auf das liefern, was vor 4,5 Milliarden Jahren im Sonnensystem passiert ist, als die Planeten noch jung und gerade im Entstehen begriffen waren. Wir können lernen, wie chaotisch die Dinge damals waren und was am Ende dazu geführt hat, dass sich Himmelskörper wie die Erde gebildet haben. Pompeja ist damit auch zu einem höchst attraktiven Ziel für zukünftige Raumfahrtmissionen geworden; es wäre äußerst cool, eine Sonde auf diesem circa 110 Kilometer großen Brocken abzusetzen und seine Zusammensetzung im Detail erforschen zu können.
Man könnte sehr spannende Artikel über diese Forschung schreiben. Es geht immerhin um die Entstehung der Erde, es geht um Chaos, es geht um Raumfahrt, um unerwartete Entdeckungen, und so weiter. Aber das war futurezone.de anscheinend zu mühsam. Und wenn man nur auf ein paar schnelle Klicks aus ist, dann lohnt es sich natürlich, aus den Asteroiden „Unbekannte Flugobjekte“ zu machen und auch im Rest des Artikels immer so zu tun, als sei da irgendwas höchst mysteriöses und eventuell gefährliches passiert. Hier ein paar Zitate:
„Im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter befinden sich Forschenden zufolge zwei rote, unbekannte Flugobjekte.“
„Der Asteroidengürtel selbst besteht demnach auch aus einigen, durch die wirkenden Kräfte in Richtung Mars und Neptun geschleuderten Gesteinsbrocken. Die meisten davon sollen inaktiven Steine sein, die es nicht zu Planetenformung geschafft haben.“
„Sollte sich die Vermutung über die vermeintliche Herkunft der ungewöhnlichen Objekte bewahrheiten, könnte dies Hinweise auf ein Chaos im Sonnensystem liefern.“
„So reflektieren Objekte des inneren Sonnensystems eher blaues Licht, weil sie frei von organischen Materialien sind. Jene aus dem äußeren Solarsystem dagegen erscheinen rötlich, denn sie enthalten umgekehrt viele organische Stoffe. 203 Pompeja und 269 Justitia zeigen sogar mehr Rot als jedes andere Objekt im Asteroidengürtel. Wie Dr. Öberg erklärt, handelt es sich bei den unbekannten Flugobjekten um „eine aufregende Entdeckung mit Folgen für den Ursprung des Lebens“.“
Das letzte Zitat zeigt die Arbeitsweise von futurezone.de sehr gut: Im Artikel der New York Times wird tatsächlich die Astronomin Karin Öhberg zitiert und zwar mit dem Satz „It’s an exciting discovery with implications for the origins of life”. Was genau das ist, was futurezone.de auch auf deutsch schreibt. Nur dass die New York Times zuvor sehr ausführlich und korrekt erklärt, was bei den Asteroiden entdeckt hat und wieso das Auswirkungen auf die Entstehung des Lebens hat. Wenn durch die im Nizza-Modell beschriebenen chaotischen Vorgänge im frühen Sonnensystem eine große Zahl an Asteroiden aus dem äußeren Sonnensystem in das innere gelangt sind, dann haben diese Objekte auch ihre komplexen Moleküle mitgebracht. Wenn aus solchen Asteroiden dann auch Planeten entstehen, dann können sie so für einen von Anfang an vorhandenen Vorrat an komplexen Molekülen gesorgt haben, was definitiv „implications for the origins of life“ hat. Futurezone.de aber ersetzt konsequent die „Asteroiden“ durch „unbekannte Flugobjekte und macht aus den komplexen Molekülen „organisches Material“. Wobei sie entweder absichtlich oder mangels Wissen den Fachbegriff „organic molecules“ völlig falsch übersetzt haben. In der Chemie werden damit Molkeüle bezeichnet, die Kohlenstoff enthalten (wie zum Beispiel Methan). Mit „organischem Material“ hat das absolut nichts zu tun – aber bei Futurezone.de kann man nun den Eindruck bekommen, irgendwelche UFOs hätten das Leben auf die Erde gebracht…
Das ärgert mich wirklich: Wenn ihr schon keine Ahnung von Wissenschaft habt, oder nicht die Lust, euch vernünftig damit auseinanderzusetzen, liebe Click-Bait-Medien, dann schreibt doch bitte auch keine Artikel darüber! Es gibt doch sicher noch ein paar Promis oder Adelige, über die ihr Quatsch-Schlagzeilen schreiben und Leute auf eure Homepage locken könnt. Lasst die Astronomie da raus!
P.S. Und über die Titelgrafik von Futurezone.de zum Artikel sag ich am besten gar nichts. Die ist auf so viele Arten grauenhaft falsch, dass das wieder ein ganz eigener Text werden müsste…
Mehr schlechte Schlagzeilen gibt es hier
Was ist eigentlich von diesem Satz zu halten?
„Spannend ist jedoch auch der Asteroidengürtel selbst. Er besteht aus zerstörten Planeten.“
Ist der Urheber der Studie, auf die da verwiesen wird, seriös? Er beschert uns jedenfalls auch eine Art Titus-Bode-Gesetzt für Monde:
https://www.fxsolver.com/browse/formulas/Dermott%27s+Law
@Rob: Das hab ich gar nicht erwähnt, das hab ich nicht mehr zum Artikel gezählt. Aber es ist natürlich Quatsch; wenn schon, dann besteht der Asteroidengürtel aus „unfertigen Planeten“.
FF,
ein Vorschlag zur Güte, bringe zwei Versionen deiner wissenschaftlichen Einsichten heraus.
1. die, wie wir sie gewohnt sind, spannend, kurz, wissenschaftlich fundiert mit einem Schuss von Phantasie.
2. Eine andere Version, in der du Dana Neumann mit ihren eigenen Waffen schlägst. Reißerisch, dem Jugendslang angelehnt, du selbst musst dann aber auch unter einem englischsprachigem Nick firmieren, am besten ohne Bart und mit Perücke und ohne Brille.
„“sind, wo es sehr kalt ist. Dort gab es viel Eis und in/aus diesem Eis konnten sich durch die Einstrahlung der Sonne im Laufe der Zeit komplexe Moleküle bilden, wie zum Beispiel Methan u.ä.““
Der Satz schreit aber auch nach einem Nachhilfekurs
in Anfängerchemie, lieber Florian.
Bitte nimm noch Dein Beispiel „Kohlendioxid“ aus der Liste raus. Das ist nun definitiv NICHT organische Chemie.
@werner: Ja, das hätte außerhalb der Klammer stehen sollen. War verwirrend geschrieben von mir; ich habs jetzt rausgetan, damit es weniger verwirrend ist.
Adel wurde doch abgeschafft, jedenfalls in Ö? Da bleiben fast nur noch Ufos.
Sollen wir der Redakteurin mal ein Interview mit dir empfehlen? Dass du was tolles über ihre unbekannten Flugobjekte erzählen kannst… Bring am besten ein paar verwaschene Fotos von Asteroiden mit, Hauptsache exklusiv!
definitiv nicht, das ist die korrekte Antwort. CO2 wurde vorher entdeckt, noch bevor es die Einteilung von organisch und anorganisch gab. Und man hat CO2 dem anorganischen Bereich zugeordnet. Karbonate sind auch anorganisch, Kalkstein kann man schlecht als organisch bezeichnen. Vielleicht ist das der Grund, dass man weiterhin CO2 zur anorganischen Chemie zählt, obwohl es auch bei biologischen Vorgängen anfällt.
Da fällt mir nur ein „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“
Erst dachte ich ja Frau Neumann wäre eine Praktikantin, die den Auftrag hatte, irgendeinen Artikel ins Deutsche zu übersetzen. Aber das Profil sagt etwas anderes: https://www.futurezone.de/autoren/dana-neumann/
Wenn ich mir dann ihre anderen Artikel anschaue, kommt bei mir der Verdacht auf, dass es keine Inkompetenz sein könnte, sondern auf eine bestimmte Zielgruppe zu geschnitten ist. Die Artikel sind alle in „leichter Sprache“ geschrieben, mit extremen Vereinfachungen und (notwendigerweise falschen) Verallgemeinerungen bei sehr konkreten Problemen und anbiederischen Inhalt. Es werden banale Dinge als riesige Erkenntnis dargestellt.
WOW, Dein Telefon benötigt weniger Strom, wenn du das WLAN ausschaltest!
Faktisch wäre die Kritik an der Falschdarstellung zwar richtig. Aber Frau Neumann wird sich das kaum als Kritik annehmen, weil das ja genau intendiert sein wird. Es trifft halt ab und zu mal Wissenschaftlich relevante Themen, aber das ist ja nur ein Themengebiet von vielen, die benutzt werden.
Mir scheint es falsch immer auf den Boten zu schießen. Wäre es nicht besser, herauszufinden, warum es immer wieder neue Boten gibt? Click-Baiting ist m.E.n. nur ein Symptom. Wenn die Ursache dafür weg ist, wird auch das Click-Baiting verschwinden.
@ next
Aber im vorliegenden Fall geht es ja nicht um starke Vereinfachung, sondern darum, dass im Artikel definitv Falsches drinnen steht. Die Objekte sind nicht unbekannt, sondern wurden vor über hundert Jahren entdeckt.
Hier nicht den Boten „zu erschießen“ wäre genauso verfehlt, wie Drogendealer nicht zu verfolgen, weil ja der Bedarf da ist.
Beim Click-Baiting ist es wie beim Kochen.
Gibst du zu wenig Salz in die Suppe, dann schmeckt sie schaal, gibst du zuviel hinein, dann mag man keine Suppe mehr.
Deshalb sollten sich Wissenschaftler von PR-Fachleuten beraten lassen.
next
clip baiting verschwindet nicht solange Geld damit verdient wird.
@Rai Das ist für das Format nicht relevant. Wenn jemand drauf geklickt hat, ist der Zweck erreicht. Dann ist der Inhalt beliebig. Der Unsinn, der da über Smartphones oder Promis steht, ist als Inhalt genauso beliebig.
Die Autoren und Leser auf dieser Plattform haben vielleicht den Anspruch wissenschaftlich korrektes schreiben und lesen zu wollen, das ist aber für den Zweck, den die Artikel auf der Plattform haben, völlig irrelevant. Insofern wird Kritik daran immer das Ziel verfehlen, weil die Autoren den Zweck „Korrekte Informationen verbreiten“ gar nicht teilen.
Der Vergleich mit Drogendealern ist unpassend. Drogenverkauf und -besitz ist illegal, Click-Baiting nicht. Es ist auch nicht illegal mit anderen Produkten das Leben, die Gesundheit von Menschen oder die Lebensgrundlage aller Menschen zu ruinieren, solange die Menschen diese Produkte freiwillig kaufen, oder Sie zwecks Staatsinteressen benötigt werden. Unter den Mitteln, die für den Zweck Geldvermehrung genutzt werden, ist Click Baiting wohl noch mit das Harmloseste.
@hwied
Genauso wenig werden Drogen, Atomkraftwerke und Verbrennungsfahrzeuge verschwinden, solange man damit noch Geld verdienen kann. Das dient alles dem gleichen Zweck. Und wenn so viele Mittel für den gleichen Zweck menschschädlich sind, sollte man doch zwangsläufig drauf kommen, dass der Zweck dann menschenschädlich sein muss, oder?
@hwied, #2
„am besten ohne Bart und mit Perücke und ohne Brille“
Ich protestiere! Florians Bart ist ohnehin noch viel zu kurz! Bei uns in (Bergisch-)Afghanistan…