Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 428: Die Geschwister der Sonne
Sterne sind keine Menschen. Aber es gibt viele Gemeinsamkeiten. Ein Stern wird geboren, ein Stern stirbt. Dazwischen war er natürlich nicht lebendig; wir verwenden diese Begriffe nur, weil sie praktisch sind. Und erzählen deswegen immer gerne vom „Leben der Sterne“. Was Sterne darüber hinaus noch haben, sind Geschwister. Selbst wenn sie keine Eltern haben. Aber bevor es noch verwirrender wird, erzähle ich die Geschichte am besten ordentlich.
In den vergangenen Folgen habe ich schon sehr oft über die Entstehung von Sternen gesprochen. In einer sehr kurzen Version läuft dieser Prozess so ab: Alles beginnt mit einer der großen Wolken aus Gas und Staub die sich zwischen den Sternen im Weltall befinden. Durch äußere Einflüsse kann es passieren, dass diese Wolke aus dem Gleichgewicht gerät. Zum Beispiel weil in der Nähe ein Stern vorbeizieht. Oder ein Stern explodiert. Oder weil die Wolke auf ihrem Weg durch die Milchstraße in eine Region gelangt, in der viele Sterne in der Umgebung eine stärkere Gravitationskraft ausüben. Was auch immer die Ursache ist, die Folgen sind die gleichen: Die Wolke hört auf eine Wolke zu sein. Wo das Gas vorher noch gleichverteilt war, gibt es nun Klumpen. Bestimmte Regionen enthalten mehr Gas als vorher, andere weniger. Dort wo mehr Gas ist, wird mehr Gravitationskraft ausgeübt und die zieht noch mehr Gas aus der Umgebung an. Diese Klumpen werden immer dichter, ihr Inneres wird immer heißer und irgendwann wird der Klumpen zu einem Stern. In der Realität ist das natürlich alles noch sehr viel komplizierter, mit sehr viel mehr Zwischenschritten. Aber das für heute wichtige ist: Aus so einer Wolke entsteht nie nur ein einziger Stern. Es bilden sich immer sehr viele Sterne auf einmal.
Diese zum gleichen Zeitpunkt gemeinsam entstandenen Sterne kann man durchaus als „Geschwister“ bezeichnen. Wissenschaftlich korrekt heißt so eine frischgeborene Sternengruppe „OB-Assoziation“, benannt nach den sehr heißen und hellen Sternen vom Spektraltyp O und B, die dort am hellsten leuchten, wie ich in Folge 104 schon ausführlicher erklärt habe. In so einer Sternengruppe entstehen natürlich Sterne in allen möglichen Größen. Die größten mit der meisten Masse – also die O- und B-Sterne – leuchten am hellsten und leben auch am kürzesten. Sie haben ihren Brennstoff als erste verbraucht. Dann beenden sie ihr Leben bei einer Supernova-Explosion und das hat zwei wichtige Konsequenzen. Erstens pusten diese Explosionen alles an Gas und Staub aus der Region, was von der ursprünglichen Wolke noch übrig war. Und zweitens sind jetzt genau die Sterne mit den größten Massen aus der Gruppe verschwunden. Übrig bleiben die kleineren Sterne, die jetzt nicht mehr durch die Gravitationskraft der größeren Sterne in einer Gruppe zusammengehalten werden. Anders gesagt: Die Gruppe löst sich auf.
Und sie löst sich wirklich auf: Jeder Stern hat eine leicht andere Geschwindigkeit mit der er sich durch die Milchstraße bewegt. Während die Geschwistersterne anfangs noch nahe beieinander sind, bewegen sie sich im Laufe der Zeit immer weiter voneinander weg. Irgendwann haben sie sich so sehr in der Galaxie verteilt, dass nichts mehr an die ursprüngliche Gruppe erinnert. Auch unsere Sonne ist so entstanden; auch sie war vor 4,5 Milliarden Jahren Teil einer Gruppe von hunderten Sternen und auch sie ist irgendwann ihre eigenen Wege gegangen und hat ihre Geschwister hinter sich gelassen.
Die Suche nach der Familie unserer Sonne erscheint aussichtlos. Wie soll man unter den mehr als 100 Milliarden Sternen der Milchstraße genau die paar hundert finden, die vor 4,5 Milliarden Jahren aus der gleichen Wolke entstanden sind wie die Sonne? Und warum sollte man sie überhaupt finden wollen? Zur zweiten Frage kommen wir später; schauen wir uns zuerst einmal an ob die Suche überhaupt funktionieren könnte. Wie erkennt man, ob ein Stern eine Schwester der Sonne ist?
Natürlich muss das Alter passen. Wenn ein Stern gemeinsam mit der Sonne entstanden ist, muss er auch so alt sein wie unsere Sonne. Aber das allein reicht zur Identifikation noch nicht aus. Denn das Alter eines Sterns lässt sich nicht immer exakt bestimmen. Und selbst wenn es bei einem Stern innerhalb der Fehlergrenzen mit dem Alter der Sonne übereinstimmt, dann kann das immer noch reiner Zufall sein. Deswegen muss man unbedingt auch die chemische Zusammensetzung der Sterne untersuchen. In Folge 337 der Sternengeschichten habe ich ja schon von der Metallizität erzählt. So nennt man in der Astronomie den Anteil der chemischen Elemente an der Zusammensetzung eines Sterns, die weder Wasserstoff noch Helium sind. Wasserstoff und Helium sind ja die absolut häufigsten Elemente im Universum und deswegen besteht auch jeder Stern fast komplett aus diesen beiden Elementen. Aber es gibt immer einen kleinen Anteil an den restlichen chemischen Elementen und die Menge dieses Rests wird als „Metallizität“ bezeichnet. Wie viele Elemente abseits von Wasserstoff und Helium ein Stern bei seiner Geburt besitzt, hängt von der Wolke ab, aus der er entstanden ist. Dort haben sich diese Elemente im Laufe der Zeit angesammelt; immer wenn in der Umgebung alte Sterne ihr Leben beendet haben, haben sie diese Elemente ins All hinaus gepustet. Dort wo in der Nähe einer Wolke mehr Sterne ihr Leben beendet haben, gibt es mehr dieser Elemente, dort wo weniger Sterne waren, weniger.
Die chemische Zusammensetzung einer solchen Wolke ist also quasi ein wenig wie ein Fingerabdruck. Und alle Sterne die aus einer Wolke entstehen, teilen diesen Fingerabdruck. Wir müssen also einen Stern finden, der genau so alt wie unsere Sonne ist UND die gleiche chemische Zusammensetzung wie sie hat. Beide Parameter kann man im Prinzip messen. Aber es gibt halt sehr, sehr, sehr, sehr viele Sterne in der Milchstraße. Da einen zu finden, wo alles genau passt, ist schwierig.
Aber, um die zweite Frage von vorhin zu beantworten, es wäre durchaus interessant, ein paar Geschwister der Sonne zu finden. Zum Einen, weil man dadurch viel über die Entstehung der Sonne und des Sonnensystems lernen kann. Denn wenn wir uns die Sterne in unserer Umgebung anschauen, dann sind die alle ganz anders als die Sonne. Dort, wo wir uns gerade in der Milchstraße befinden, erinnert nichts an die Wolke, aus der wir einmal entstanden sind. Die Sonne hat sich offensichtlich weit von ihrem Geburtsort und ihren Geschwistern entfernt. Wüssten wir, wo die alle heute sind, dann könnten wir auch den Weg der Sonne nachvollziehen und besser verstehen, was die Sonne so isoliert hat. Noch spannender ist der zweite Grund, aus dem es sich lohnt, nach der alten Familie zu suchen. Denn als die Sonne vor 4,5 Milliarden Jahren entstand, hat es nicht lange gedauert, bis sich auch ihre Planeten gebildet haben. Es gibt keinen Grund davon auszugehen, dass das bei den anderen Sternen der Gruppe nicht ebenso war. Und – das ist der wichtige Punkt – diese Sterne mitsamt ihren Planeten waren damals viel näher beieinander. Die Gruppe hat sich ja noch nicht aufgelöst. Wenn wir jetzt noch berücksichtigen, dass in einem jungen Planetensystem jede Menge los ist; sehr viel mehr Himmelskörper ihre Runde ziehen als eigentlich Platz haben; noch sehr viel mehr Asteroiden und Kometen unterwegs sind und es zu sehr viel mehr Kollisionen kommt: Dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass Material von einem Planetensystem zu einem anderen gelangt.
Ein Asteroid könnte auf einem Planeten einschlagen, könnte Teile aus der Kruste des Planeten ins All hinaus schleudern von wo sie dann durch den interstellaren Raum den – damals noch kurzen Weg – zu einem Nachbarstern zurück legen um dort auf einem anderen Planeten zu landen. Wir wissen, das man auf Asteroiden und Kometen jede Menge komplexe Moleküle finden kann, die „Bausteine des Lebens“, wie es immer so schön heißt. Die könnten damals auf diesem Weg von einem anderen Planetensystem auf die Erde gelangt sein und so die Grundlage für die Entstehung des Lebens gelegt haben. Es könnte natürlich auch umgekehrt gelaufen sein: Die Erde könnte die Bausteine des Lebens auf andere Planetensysteme exportiert haben. Ob das wirklich passiert ist, wissen wir nicht. Aber wenn wir es wissen wollen, müssen wir die Geschwister der Sonne finden. Und sollten wir da einen Stern finden, der Planeten hat, dann wären das keine schlechten Kandidaten um dort nach Leben zu suchen.
So spannend das alles ist – wir müssen zuerst einmal die Geschwister der Sonne finden. Was – wie schon mehrmals gesagt – wirklich schwer ist, weil es so enorm viele Sterne gibt. Ein guter Kandidat wäre der Stern mit der Bezeichnung HD 162826. Man findet ihn in circa 110 Lichtjahren Entfernung in Richtung des Sternbilds Herkules. Er ist so alt wie die Sonne, hat die gleiche chemische Zusammensetzung wie unsere Sonne und ist außerdem noch so groß und schwer wie unsere Sonne. Das ist nicht selbstverständlich; die Geschwister müssen ja nicht zwangsläufig auch Zwillinge sein. In dem Fall ist der 2014 identifizierte Stern aber ein guter Kandidat für einen Sonnenzwilling, was noch einmal extra interessant ist. Im Jahr 2018 ist ein weiterer Stern identifiziert worden, 184 Lichtjahre entfernt im Sternbild Pfau. Es gibt noch ein paar weitere potenzielle Kandidaten. Und es werden noch mehr werden; dank der vielen Weltraumteleskope kriegen wir immer mehr Daten von immer mehr Sternen. Zweifelsfrei identifizieren werden wir die Geschwister der Sonne vermutlich nie. Aber je besser unsere Statistik wird, desto klarer werden wir die Familie irgendwann erkennen können. Auch wenn es eine Familienzusammenführung natürlich nicht geben wird.
Genialer Beitrag. Beantwortet kurz und knapp die Frage, die in einem aufkommt, wenn man sich anfängt mit jenem Sternenstaub zu beschäftigen, aus dem wir bestehen. Nämlich die Frage: Wo genau ist er denn nun entstanden, dieser Sternenstaub, dieser ganz spezielle Stoff? Danke.
Wow. Das ist aber nah. Wenn vier Milliarden Jahre ungefähr 1,2 x10^17 Sekunden sind und 110 Lichtjahre etwa 1,1*10^15 km, dann hat sich dieser Schwesterstern mit einer (nicht anders als absurd lächerlich gering zu nennenden) Durchschnittsgeschwindigkeit von gerade einmal 10m/s entfernt.
Anders ausgedrückt: diese beiden Sterne laufen seit vier Milliarden Jahren und daher etwa 18 Galaktischen Jahren (also Umkreisungen des Milchstraßenzentrums) nahezu parallel durch die Milchstraße und driften fast gar nicht ab. Das fände ich noch viel erstaunlicher als nur ein Geschwister der Sonne zu sein.
Ich würde erwarten, daß solche Sterne zwar etwa im gleichen Abstand zum galaktischen Zentrum zu finden, auf diesem „Ring“ aber überall auf mindestens einem Halbkreis verschmiert sind. Die Strecke von ~ 75000 Lichtjahre, die solch ein Bereich abdeckt, würden dann auch zu den üblichen Relativgeschwindigkeiten unter Sternen passen.