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Sternengeschichten Folge 424: Röntgenastronomie

Astronomie ist super. Das kommt jetzt vermutlich wenig überraschend, denn immerhin erzähle ich ja schon seit 423 Folgen was das Universum an spannenden Geschichten zu bieten hat. Was aber nichts am grundlegenden Befund ändert: Die Astronomie ist super. Denn so gut wie alles im Universum ist wahnsinnig weit weg. Normalerweise sollte man davon ausgehen, dass man gar nichts über Objekte herausfinden kann, die hundertausende, Millionen oder Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt sind. Können wir aber! Weil die Astronomie super ist.

Und keine Sorge, ich höre schon wieder auf mit der Lobhudelei. Sondern erkläre, wie genau die Astronomie es schafft, so super zu sein wie sie ist. Vor allem deswegen, weil sie extrem gut schauen kann. Das ist ja auch das einzige, was der Astronomie übrig bleibt. Direkt erforschen kann man die Phänomene im Universum nur sehr selten; gerade einmal ein paar Himmelskörper in unserem eigenen Sonnensystem haben wir mit Raumsonden vor Ort untersucht. Alles andere müssen wir aus der Ferne anschauen. Und die Astronomie hat gelernt, das besser zu tun als alle anderen. Jahrtausendelang blieb den Menschen nur die Untersuchung des normalen Licht der Sterne und als Beobachtungsinstrument hatte man nur die eigenen Augen. Dann kam das Teleskop. Und später fand man heraus, dass da noch viel mehr Licht zu sehen ist. Darüber habe ich in den Sternengeschichten ja schon oft gesprochen. Über die Infrarotstrahlung, die Ultraviolettstrahlung und so weiter; über all den Rest des sogenannten „elektromagnetischen Spektrums“. All das ist Licht, von dem unsere Augen nur einen kleinen Teil wahrnehmen können.

Die künstlichen Augen der Astronomie können aber auch den Rest sehen. Und über einen sehr faszinierenden Teil dieses Rests und dessen Beobachtung geht es heute: Die Röntgenastronomie. Röntgenstrahlung kennen wir aus dem Alltag vor allem dann, wenn wir aus medizinischen Gründen damit beleuchtet werden. Oder besser gesagt: Durchleuchtet. Denn das aus medizinischer Sicht besondere an dieser Strahlung ist ja die Tatsache, dass sie menschlisches Gewebe (und andere Stoffe) leicht durchdringen kann; von dichteren Objekten wie unseren Knochen aber absorbiert wird. Ein Röntgenbild zeigt uns also, wie wir innendrin ausschauen. Über die Entdeckung der Röntgenstrahlung will ich heute nicht reden; obwohl das auch eine sehr faszinierende Geschichte ist. Stattdessen schauen wir uns die Strahlung selbst ein wenig genauer an.

Krebsnebel im Röntgenlicht (Bild: NASA/CXC/SAO)

Sie kann unseren Körper deswegen durchdringen, weil ihre Wellenlänge sehr klein ist. Normales Licht hat Wellen die 430 bis 640 Nanometer groß sind; also ein paar hundert Milliardstel Meter. Das ist schon ziemlich wenig, aber Röntgenstrahlen sind noch viel kurzwelliger. Ihre Wellenlängen liegen zwischen 10 Pikometern und 10 Nanometern. Also zwischen einem 10 Billionstel Meter und einem 10 Milliardstel Meter. Obwohl es bei Röntgenstrahlung üblich ist, nicht die Wellenlänge anzugeben sondern die Energie. Lichtwellen haben ja auch eine Energie und zwar um so mehr, je kürzer ihre Wellenlänge ist. In dem Fall geht es um Werte zwischen circa 0,1 und 500 Kiloelektronenvolt. Und ein Elektronenvolt ist die Menge an Energie um die sich die Bewegungsenergie eines Elektrons verändert, wenn es durch ein elektrischen Feld mit einer Spannung von einem Volt fliegt. Die Energie von normalen, also für unsere Augen sichtbares Licht liegt circa zwischen 1,5 und 3,3 Elektronenvolt. Bei Röntgenstrahlen geht es aber um KILOelektronenvolt, also tausend mal so viel Energie. Die etwas langwelligere Röntgenstrahlung mit niedrigeren Energie von weniger als 2 keV wird oft auch als „weiche“ Röntgenstrahlung bezeichnet; die Strahlung mit mehr Energie als „harte“ Röntgenstrahlung.

Bleiben noch zwei Fragen: Was im Universum erzeugt eigentlich Röntgenstrahlung und wie beobachtet man das? So gut wie alles und sehr schwer!, wäre die kurze Antwort. Das Problem bei der Beobachtung von Röntgenstrahlung aus dem All liegt darin, dass sie unsere Erdatmosphäre nicht durchqueren kann. Beziehungsweise ist das nur ein Problem für die Astronomie; ansonsten ist das schon ok – denn zuviel der hochenergetischen Strahlung ist für Lebewesen durchaus gefährlich. Es ist also gut dass wir auf der Erde davor geschützt sind und die vielen Luftmoleküle die Strahlung absorbieren anstatt bis zum Boden durchzulassen. Aber wenn wir sie beobachten wollen, braucht es eine Lösung. Die fand sich aber erst spät. Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es Vermutungen dass zum Beispiel auch unsere Sonne Röntgenstrahlung abgibt; das war etwa eine Idee der der amerikanische Physiker Edward Olson Hulburt 1938 hatte. Aber niemand kam so weit nach oben um auch konkret nachschauen zu können. Das gelang erst nach dem zweiten Weltkrieg als man in Amerika die in Deutschland erbeuteten V2-Raketen auch zu wissenschaftlichen Zwecken einsetzen konnte.

Die echte Röntgenastronomie begann am 5. August 1948 als genau so eine Rakete von einem Startplatz in New Mexico aus ins All flog. Mit an Bord war ein Detektor für Röntgenstrahlung und der tat was er sollte, nämlich detektieren. Allerdings nur kurz, denn die Rakete hat nur einen kurzen Ausflug gemacht. Sie hat eine Höhe von 166 Kilometern erreicht und fiel danach wieder zurück auf die Erde. Aber weitere Raketen mit weiteren Detektoren folgten und man konnte einwandfrei nachweisen, dass die Sonne auch im Röntgenlicht leuchtet. Was nicht überraschend ist, denn die Sonne ist heiß. Vor allem ihre äußerste Atmosphärenschicht, die Korona über die ich schon in Folge 134 ausführlich gesprochen habe. Je höher die Temperatur, desto schneller bewegen sich die Teilchen dort. Wenn jetzt zum Beispiel sehr schnelle Elektronen mit anderen Atomen kollidieren, dann werden sie abgebremst. Dabei geben sie Energie in Form von Strahlung ab, die passenderweise „Bremsstrahlung“ genannt wird und diese Strahlung ist kurzwellige Röntgenstrahlung. Man kann aber auch Atome dazu bringen, Röntgenstrahlung abzugeben: Steckt man jede Menge Energie in ein Atom hinein, dann können die Elektronen aus der Atomhülle herausgelöst werden. Sie sind dann nicht mehr an den Atomkern gebunden und das Atom wird „ionisiert“ genannt. In die freigewordenen Plätze können andere Elektronen „hineinfallen“ und auch dabei wird Energie abgegeben und wieder in Form von Röntgenstrahlung.

Der Galaxienhaufen Abell 2029: Rechts sieht man ihn im normalen Licht und erkennt die einzelnen Galaxien. Links eine Aufnahme im Röntgenlicht die das heiße Gas zwischen den Galaxien sichtbar macht (X-ray: NASA/CXC/UCI/A.Lewis et al. Optical: Pal.Obs. DSS

Man kriegt im Universum also immer dann Röntgenstrahlung wenn irgendwo hohe Temperaturen und große Energien involviert sind. Was in der Korona der Sonne der Fall ist. Aber nicht nur dort. 1962 wollte man schauen, wie denn der Mond so im Röntgenlicht aussieht. Der ist natürlich nicht heiß, reflektiert aber erstens die Strahlung der Sonne. Und wenn Röntgenstrahlung von der Sonne auf die Mondoberfläche trifft können dort interessante Prozesse stattfinden die man genauer erforschen wollte. Also schoß man wieder einen Röntgendetektor mit einer Rakete ins All. Das mit dem Röntgenbild des Mondes hat nicht geklappt. Dafür fand man aber überraschenderweise eine andere Quelle von Röntgenstrahlung, und zwar im Sternbild Skorpion. Deswegen hat man das Ding auch „Scorpius X-1“ genannt, die erste Röntgenquelle (auf englisch „X-Rays“) im Skorpion. Es war auch die erste Röntgenquelle außerhalb des Sonnensystems die man überhaupt finden konnte und der italienisch-amerikanische Astronom Riccardo Giacconi hat dafür – und für jede Menge weitere Forschung zur Röntgenastronomie – im Jahr 2002 den Nobelpreis für Physik bekommen. Davor musste aber erstmal erklärt werden, was denn da im Skorpion leuchtet. Ein Doppelstern nämlich; bzw. ein ehemaliger Doppelstern. Der eine Stern hat sein Leben schon beendet und ist zu einem Neutronenstern geworden, ein extrem kompakter Sternenrest mit enorm hoher Dichte und einer enorm starken Gravitationskraft in seiner unmittelbaren Umgebung. Damit zieht er Material vom noch übrig gebliebenen zweiten Stern ab, dass sich in einer Scheibe um den Neutronenstern sammelt und angetrieben von dessen Gravitationskraft extrem schnell herumwirbelt. Das verursacht Röntgenstrahlung und genau die hat man 1962 beobachtet.

Bis 1970 hatte man circa 40 Röntgenquellen im Universum gefunden. Und dann kam „Uhuru“, der erste echte Röntgensatellit. Die NASA hat ihn am 12. Dezember 1970 ins All geschickt wo er bis 1973 in Betrieb blieb und erstmals den gesamten Himmel im Röntgenlicht abgesucht hat. Dabei wurden insgesamt 300 Röntgenquellen gefunden. Man sah weitere Röntgendoppelsterne wie Scorpius X-1; man sah aber auch das extrem heiße und extrem dünne Gas zwischen fernen Galaxien im Röntgenlicht leuchten. Die Technik von Uhuru war simpel: Der Detektor bestand aus einer Bleiplatte mit Löchern und dahinter waren Sensoren. Was aber auch heißt das nur diejenigen Röntgenstrahlen gemessen werden konnten die genau durch so ein Loch auf einen Sensor gefallen sind. Das Prinzip eines Teleskops besteht aber darin, dass man viele verschiedenen Lichtstrahlen mit einem optischen System so umlenkt und auf einen einzigen Punkt konzentriert, dass man deutlich mehr und besser sehen kann als nur mit den Augen. Das geht mit normalen Licht auch sehr gut, auch noch mit Infrarotstrahlung, Radiostrahlung oder UV-Strahlung. Röntgenstrahlen lassen sich mit normalen Spiegeln aber nicht mehr kontrollieren. Sie würden einfach durchgehen oder absorbiert werden. Deswegen verwendet man hier eine Konstruktion die nach ihrem Erfinder, dem deutschen Physiker Hans Wolter als „Wolter-Teleskop“ bezeichnet wird. Wenn ein Röntgenstrahl unter einem sehr flachen Winkel auf einen Spiegel trifft, dann kann er tatsächlich reflektiert werden. Um die Lichtausbeute zu erhöhen muss man aber die richtigen Spiegel mit den richtigen Formen auf die richtige Weise zusammenbasteln. Simpel gesagt besteht ein Wolter-Teleskop aus mehreren unterschiedlich gekrümmten Spiegeln die mehrfach ineinander verschachtelt sind. So erhöht man die Chance, dass ein Röntgenstrahl gerade im richtigen Winkel auf einen der Spiegel trifft und passend abgelenkt werden kann.

Wolter-Teleskop, schematisch (Bild: gemeinfrei)

Die Wellenlänge der Röntgenstrahlung ist klein und je kürzer die Wellenlänge, desto glatter muss die Oberfläche des Spiegels sein. Bei Wolter-Teleskopen dürfen die Ungenauigkeiten nur wenige Millionstel Millimeter betragen und deswegen hat es auch bis 1978 gedauert bis das „Einstein Observatorium“ ins All flog und das erste Wolter-Teleskop an Bord hatte. Mittlerweile ist die Technik ausgereift und im Laufe der Jahre haben wir einige große Röntgenobservatorien in den Weltraum verfrachtet. Zum Beispiel „XMM-Newton“ und „Chandra“, die beide im Jahr 1999 ins All geflogen sind. XMM-Newton hat die Europäische Raumfahrtagentur ESA gebaut und hat gleich drei Wolter-Teleskope mit dabei, die jeweils aus 58 ineinander verschachtelten Spiegelschalen bestehen von denen die größte einen Durchmesser von 70 cm hat. Chandra hat vier Paare an verschachtelten Spiegeln von denen der größte 123 cm durchmisst.

Wir haben das Universum mittlerweile auch im Röntgenlicht genau beobachtet. Wir haben damit die Zentren ferner Galaxien gesehen, wo Unmengen an heißem Gas um gewaltige schwarze Löcher wirbelt. Wir haben kleine schwarze Löcher in unserer eigenen Milchstraße beobachtet die ihre Partnersterne langsam auffressen. Wir haben das dünne Gas zwischen den Sternen und den Galaxien erforscht und die Eruptionen auf der Sonne und anderen Sternen. Wir haben die Geburt von Sternen beobachtet und ihren Tod. Immer wenn die Dinge irgendwo im Universum besonders schnell, heiß oder explosiv werden leuchtet Röntgenlicht auf. Und wir haben die passenden Augen, um es zu sehen. Astronomie ist super.

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